Unter Kronen wandeln

Unter Kronen wandeln

… das kann man auf jedem Fall in diesem wunderbaren Buch.

Sicherlich erinnert ihr euch noch an meinen YouTube-Film, den ich in Saverne in der Roseraie gemacht habe und in dem ich euch mehrere Bücher über königliche Gärten vorgestellt habe. So über den Garten des Buckingham Palace und Prince Charles‘ Highgrove.
Damals hatte ich eigentlich ein Buch auf Deutsch gesucht, das alle königlichen Gärten zusammenfassend vorstellt. Da ich keines entdecken konnte, musste ich auf ein altes Buch zu einer BBC-Reihe zurückgreifen, das aber alleine schon deswegen nicht so toll war, weil es nur auf Englisch und nur antiquarisch zu bekommen war.

Jetzt kann ich euch allerdings begeistert berichten, dass ich ein Buch gefunden habe, das meine Wünsche (über)erfüllt:

Alleine schon das Cover ist ein Hingucker!

Folgendes muss man vorausschicken:
Die Autorin Stefanie Bisping ist Reisejournalistin und schaffte es 2020 sogar zur Nummer eins unter den Reisejournalisten. (Zu Recht übrigens)
Dass sie weiß, was sie tut, sieht man auf den ersten Blick:
Nicht nur, dass wir – verteilt über 222 Seiten – fundierte Artikel zu den jeweiligen Gärten finden, es gibt auch praktische Handreichungen:
So findet sich gleich am Anfang auf der rechten Seite eine Karte des Vereinten Königreichs, indem die vorgestellten Gärten verzeichnet sind. Auf der linken Seite findet sich die Liste der Gärten mit der zugehörigen Seitenzahl.
So hat man alles auf einen Blick zusammen und kann auch eine Gartenreise entsprechend planen.

Highgrove Gardens
Credits: Frederking& Thaler Verlag

Hier kommt nun das einzige „Manko“ des Buches: um es einfach so bei einer Reise in der Tasche mitzuführen, ist es zu groß und zu schwer. Aber alleine die Qualität der Fotografien macht dieses „Manko“ absolut wett.

Es ist eine solche Freude, die Seiten durchzublättern … Ich selbst habe einen Gutteil der vorgestellten Gärten schon besucht und kann sagen, dass die Bilder kongenial zu den Originalen sind. Sie fangen die ganze Atmosphäre der Gärten wunderbar ein und man meint ständig, den frischen Wind und den Duft der Blüten zu spüren.

Osborne House – Prince Alberts Werk
Credits: Frederking und Thaler Verlag

Insgesamt werden übrigens 37 Gärten vorgestellt. Unter anderem die Gärten des Buckingham Palace, Highgrove, Glamis Castle, Hampton Court Palace und viele mehr.
Jetzt fragt ihr natürlich: Gibt es denn 37 Königsschlösser in UK mit zu besichtigenden Gärten?
Die Antwort lautet ganz klar: Nein!
Stefanie Bisping stellt nämlich auch solche Gärten vor, die nur indirekte royale Verbindungen haben. So zum Beispiel den Garten von Althorp House, in dem Prinzessin Diana aufgewachsen ist.

Wir erfahren jeweils Interessantes über die Geschichte des Anwesens, dazu werden die gärtnerischen Besonderheiten gezeigt. Am Ende jedes Artikels findet man dann einen Hinweis zu Öffnungszeiten, Lage und Homepage.

Besonders schön ist auch zum Beispiel ein Hinweis wie bei Penshurst Place – hier erfahren wir, dass man sich per Mail über die Pfingstrosenblüte informieren lassen kann. So verpasst man nichts mehr.

Ein kleiner Anhang mit Buchtipps hilft einem, wenn man nicht genug vom Thema bekommen kann. (Dort taucht übrigens auch das von mir präsentierte Buch über Highgrove auf … )

Alles in allem ist dieses Buch perfekt für alle Großbritannien / Garten / Royalty / Schlösser / Wunderbarkeiten- Fans.
Also kurz: für jeden.

Arundel Castle
Credits: Frederking und Thaler Verlag

WARNUNG: Wer dieses Buch liest, wird umgehend den unüberwindlichen Drang verspüren, seine Koffer zu packen und die nächstmögliche Überfahrt nach England zu buchen …

Die Königin wünscht …

Die Königin wünscht …

„Die Königin denkt …“ – So kann man es in zahlreichen Briefen lesen, die Queen Victoria an Premierminister, Minister, Schriftsteller, Maler, Ärzte, Könige, Kaiser, Musiker, Polizisten, Beamte, Offiziere, Abgeordnete, Grafen, Barone … geschrieben hat.

Die Königin“ – Victoria schrieb bei Briefen, die sich nicht an Angehörige richteten oder allgemein privater Natur waren, von sich in der dritten Person.
Das erinnerte mich stark an die von mir so sehr verehrte Maria Callas, die von sich als Sängerin ebenfalls immer nur in der dritten Person sprach.

In Julia Bairds Biografie der Königin Victoria, die ich euch heute vorstellen darf, ist mir dieses Phänomen immer wieder aufgefallen. Diese Trennung zwischen der öffentlichen Person und dem privaten Menschen.

Baird schafft es, diese Aufspaltung der Königin zu erklären und nachvollziehbar zu machen und das in einer denkbar spannenden Art und Weise. Seite um Seite habe ich verschlungen ohne mich auch nur ein einziges Mal zu langweilen.
Beinahe romanhaft schildert sie das Leben dieser ganz und gar durchschnittlich überdurchschnittlichen Frau.
Beispiel gefällig?

„Victoria lag auf dem Bett und war außer sich. Noch nie hatte sie sich so elend gefühlt. Ihr Kopf hämmerte. Ihr war übel, seit Tagen plagte sie hohes Fieber und ihre Wangen waren so eingefallen, dass sie sich im Spiegel kaum mehr erkannte. Neben ihr stand die geduldig Kümmel kauende Baroness Lehzen, auf der anderen Seite des Raumes jedoch stand wie erstarrt die Herzogin von Kent und blickte mit geballten Fäusten unverwandt aus dem Hotelfenster, von wo aus der Strand von Ramsgate in der Abendsonne zu sehen war.“

Eine Szene, die genau so eins zu eins in einem Roman vorkommen könnte. Doch man sollte sich durch diese Lesbarkeit nicht irritieren lassen: es handelt sich um eine hervorragend recherchierte Biografie der Königin, bei der sogar im Anhang die Einteilung in Primär- und Sekundärquellen vorbildlich wissenschaftlich ist.

Das große Phänomen in Victorias Leben ist und bleibt für mich die Trennung ihres Lebens in v.A. und n. A.
VOR ALBERT und NACH ALBERT.
Allerdings wird diese Aufteilung auch in Bairds Buch problematisch.
Zu Erklärung: wir lernen mit Victoria eine junge Frau kennen, die bis zu jenem Tag da sie Königin von England wurde, eindeutig von ihrer Mutter, der Herzogin von Kent, und deren Liebhaber, Sir John Conroy, dominiert wurde. Die Mutter schlief sogar in Victorias Zimmer. Jeder ihrer Schritte wurde überwacht und für jede Bewegung erhielt sie von den beiden Anweisungen. Jeder ihrer Gedanken schien nur dahin zu gehen, ob sie der Mutter dieses und jenes zumuten könne.

Als dann aber die Krone auf ihr Haupt gesetzt wurde, änderte sich alles.
Hatten sich eben nicht nur die englischen Politiker und Diplomaten Gedanken gemacht, wie die neue, junge Königin einzuschätzen sei, gab es bald keinerlei Fragezeichen in den Köpfen der Herren mehr.
Die Abschirmung der künftigen Königin war derart vollständig gewesen, dass alle vollkommen verunsichert waren, mit was da zu rechnen sei.
Victoria aber setzte sich energisch und selbstbewusst auf den Thron. Ohne Zögern oder Zaudern ergriff sie die Macht. Entschlossen – wie sie selbst schrieb – „gut zu sein„.

Mit einem entschlossenen Befreiungsschlag sperrte sie nunmehr ihre Mutter – wortwörtlich – aus, denn diese musste Victorias Schlafzimmer räumen. Conroy wurde in die Eiszeit entlassen. Alleine Baroness Lehzen, ihre alte Kinderfrau, blieb beständig als Ratgeberin und Vertraute an Victorias Seite.

Victoria regierte, als hätte sie nie etwas anderes getan. Voller Fleiß und Energie durchackerte sie bei Tag die Regierungspapiere, während sie die Nacht durchtanzte.
Selbst mehrere auf sie verübte Attentate überstand sie mit stählernen Nerven. Wenn sie – alleine in ihren Räumen – dann auch bebte und zitterte, so setzte sie sich doch am nächsten Tag wieder in ihre offene Kutsche und ließ sich durch London chauffieren. Jeder – absolut jeder – sollte sehen, dass sie zwar jung und eine Frau war, sich aber nie und nimmer einschüchtern lassen würde.

Die Engländer begannen, ihre Königin nicht mehr nur zu lieben, sondern zu respektieren.
Und ihre Königin? Sie bewegte sich wie ein Fisch im Wasser.

Dann aber kam die leidige Frage der Heirat. Victoria brauchte einen Ehemann und zum ersten Mal wurde sie sich ihrer Anomalie als Frau auf dem Thron bewusst.

Baird schildert diese Situation ohne zu verurteilen oder Partei zu ergreifen. Das macht hier, wie an manch anderer Stelle, die große Qualität des Buches aus. Neutral schildert sie die Gemütslage Victorias, die sie aus zahlreichen Quellen erschließt. Das erste Treffen mit Prinz Albert, aus dem beide wenig enthusiastisch herausgehen. Albert, der wenig attraktive, stets kränkelnde deutsche Prinz, der immer nur ernst ist und kaum die Überfahrt über den Ärmelkanal unbeschadet überstanden hat.
Soll der sie etwa amüsieren und die Nächte durchtanzen? Wohl kaum …
Victoria hingegen – klein, pummelig und wahrhaftig keine Intellektuelle in Alberts Augen, war für den recht mittellosen Prinzen auf der Suche nach einer Lebensaufgabe, alles andere als ein automatisches Love-Interest.
Beim zweiten Anlauf hatte die Beziehung dann aber bessere Karten und tatsächlich verliebten sich die beiden. Wobei Albert zurückhaltender schien als Victoria. Diese aber war ihrem Mann vollkommen verfallen.

Und mit der Hochzeit und der ersten Schwangerschaft Victorias kommt der Bruch in Victorias Leben: Dem Namen nach ist sie noch immer Königin, tatsächlich aber überlässt sie während der Schwangerschaften die Regierungsarbeit weitgehend Albert. Er wird Schritt für Schritt König – außer dem Namen nach.
So lange Albert lebt, ist das vorliegende Buch dann mehr eine Albert- denn eine Victoria-Biografie.
Das finde ich persönlich nicht schlimm, doch ich hätte gerne mehr darüber gewusst, wie der Alltag einer Königin mit permanent wachsender Kinderschar aussah. Wie sie de facto die beiden Leben vereinte.
So wie es Baird herausarbeitet, hat sich Victoria ihrem Mann in diesen Jahren völlig untergeordnet. Sie hat ihn sogar für den Fall ihres Todes als Regenten für den künftigen König eingesetzt.
Ein Regent, der sogar ohne Rat regieren konnte.
Das Buch stellt Victoria vor und nach Albert am intensivsten dar, womit es Victorias persönlicher PR-Aktion unterliegt und sie auf Rolle des Heimchens am Herd reduziert.

Die andere Schwachstelle liegt meines Erachtens nach in der Einschätzung der Figur Kaiser Wilhelms. Baird betrachtet ihn zu negativ. Er wird als unerwünschter Aufdringling in London dargestellt, was aber nach meinem Kenntnisstand nicht zutrifft. Im Gegenteil. Queen Victoria hat „Willy“ sehr geliebt und sie starb sogar in seinen Armen.
Es muss einen Grund gegeben haben, dass sie so über seine Fehler hinweggesehen hat und gleichzeitig ihre Tochter und deren Ablehnung des behinderten Sohnes sehr kritisch kommentiert hat.

In diesem Zusammenhang hätte ich mir ein paar mehr Details über Vicky in Berlin gewünscht. Es wird nur angedeutet, wie unglücklich sie dort war. Gewiss, es ist eine Victoria und keine Vicky- Biografie, trotzdem hätte ich das spannend gefunden.
Seltsamerweise erfährt Victorias Enkel Eddie (ja – der, den manche für den Ripper halten) die gegenteilige Behandlung. Der Mann, der ein denkbar liederliches Leben geführt hat und in diverse Skandale rund um Homosexuellen-Bordelle verwickelt war, taucht plötzlich als netter Kerl auf, dem man all die schlimmen Sachen ungerechtfertigterweise vorwirft. Hier hätte ich mir schon gewünscht, wenigstens den einen oder anderen Beleg zu bekommen.

Neutral geschildert werden der schottische Begleiter der Königin John Brown und Abdul Karim, ihr „Munschi“ (= Sekretär).
Dass Brown und die Queen verheiratet waren – dafür gibt es keinen Beweis. So viel sei bereits gesagt. Und die positive Wertung, die der Munschi in dem berühmt gewordenen Film mit Dame Judi Dench erfährt, dürfte nach Einschätzung Baird auch nicht haltbar sein.

Auch Victoria selbst wird von Baird durchaus kritisch gesehen. Sie arbeitet sehr schön heraus, dass Victoria sich immer dann am intensivsten eingesetzt hat, wenn sie persönlich betroffen war. Albert hingegen hat stets ein Problem zum Anlass genommen, nicht nur praktische Lösungen zu entwickeln, sondern auch strukturelle Schwachstellen zu erkennen und diese auszumerzen. Dies auch wenn er nicht persönlich betroffen war.

In dieses Themengebiet gehört auch die Behandlung des Krim- Krieges und des Burenkrieges. Victorias damalige Haltung kann man heute natürlich nicht unkritisch stehen lassen. Vor allem auch bei der Irland- Frage zeigt Baird, wir fragwürdig Victorias Haltung den zu hunderttausenden verhungernden Iren gegenüber war. Sie verstand einfach nicht, wo die Mitschuld Londons an der Misere der Iren lag und entsprechend waren ihre Unterstützungsmaßnahmen – vorsichtig gesagt – fragwürdig.
Baird untersucht immer wieder Victorias Entscheidungen und beleuchtet dadurch auch die problematische Tatsache, dass ein Land einem (nicht gewählten) König/ Königin beinahe hilflos ausgeliefert war, wenn diese(r) falsche Entscheidungen traf. Wobei im englischen Fall natürlich immer noch das Parlament einen gewissen Ausgleich liefern konnte.

Am Ende bleibt bestehen, dass eine zuverlässige Quellenauswertung bezüglich Victorias schwierig ist, denn sowohl die Tagebücher Victorias wie auch ihre Briefe wurden redigiert, respektive vernichtet. Ebenso wie viele Erinnerungsstücke, die die Königin aufbewahrt hatte.

Als Fazit kann ich sagen, dass das Buch eine rundum gelungene Biografie ist (mit den oben genannten winzigen Einschränkungen), das ich jedem empfehlen kann.
Es liest sich spannend und flüssig, selbst für jene, die Sachbücher normalerweise nicht gerade schätzen.

Von daher: Daumen hoch für diese hervorragende Biografie einer hervorragenden Königin.

FAKTEN:
Julia Baird: Queen Victoria – Das kühne Leben einer außergewöhnlichen Frau, wbg Theiss Verlag, 2018, 596 Seiten, 19,95 €


Die Kaiserin, der Anarchist und der Tod

Die Kaiserin, der Anarchist und der Tod

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Credit: Molden Verlag

Wenn man denkt, man hat alles über Sisi gelesen, alles über sie in Erfahrung gebracht, dann taucht plötzlich ein Buch auf und man muss eine Sache neu bedenken.
In diesem Fall ist es der Tod der Kaiserin.
Was sollte es da nun Neues geben? Es wurden ja sogar die Schritte gezählt, die Sisi nach dem Anschlag noch ging, bevor sie an Bord der Fähre zusammengebrochen ist.
Was sollte Frau Sigmund also noch Neues anbieten können?

Tatsächlich tut sie es.

Sie hat nämlich nicht nur Sisis letzten Tagen und Wochen nachgespürt, sondern sie hat auch das Leben ihres Mörders Luigi Lucheni eingehend erforscht und dabei sehr Interessantes zu Tage gefördert.

Wenn man die Geschichte auch sicherlich nicht neu schreiben muss, so lernt man hier doch einiges zu der Atmosphäre des ausgehenden 19. Jahrhunderts, in dem sich die Kaiserin bewegte.
Ich muss gestehen, dass erst die Lektüre von „Tatort Genfer See“ mir den vollen Umfang des Anarchismus im Europa des 19. Jahrhunderts vor Augen geführt hat.

Nun mag so mancher, der dies hier liest sagen: „Ach – was juckt mich der Anarchismus von damals?“
Recht hat er (oder sie) – nicht.
Tatsächlich habe ich bis zur Lektüre überhaupt nicht auf dem Schirm gehabt, wie allumfassend die Bedrohung der Herrscher in dieser Zeit durch Anarchisten war.
Und die Anschläge richteten sich nun nicht nur gegen Herrscher, sondern es wurde einfach jeder ins Visier genommen, der sich gegen die Bewegung stellte. So wurde u.a. ein Lokal gesprengt, weil einer der Kellner gegen einen Anarchisten ausgesagt hatte.
Den Terroristen fielen Zaren und Könige, aber auch Arbeiter und Dienstboten zum Opfer.

Wie spannend nun zu lesen, wie sich die beiden Leben (Sisis und Luchenis) beinahe unvermeidlich aufeinander zu bewegten.

Wobei ich von Lucheni auch ein falsches Bild hatte. Ich hielt ihn für einen heruntergekommenen Verlierer, der sich mit Aushilfsjobs gerade so am Leben erhielt, kaum fähig, zu lesen oder zu schreiben.

Tatsächlich war er sehr belesen und intelligent.
Es war wohl ohne Zweifel dem Umstand geschuldet, dass er in Waisenhäusern aufwuchs und seine folgenden Pflegeeltern nur an dem Geld interessiert waren, das sie für ihn bekamen, dass er es im Leben nicht weiter brachte. Das Zeug zu Höherem hätte er wohl gehabt.

Wie so viele junge Männer ging er zum Militär und erwies sich dort als mutiger und guter Soldat. So gut, dass ihn ein ehemaliger Vorgesetzter nach Ende der Dienstzeit zu sich nahm und in seinem Haushalt beschäftigte.
Der Prinz und seine Frau waren ausnehmend zufrieden mit seinen Leistungen.
Und trotzdem entließen sie ihn …
Warum?
Lucheni hatte sich permanent mit den anderen Dienstboten angelegt. Sie sagten ihm nach, er täte als sei er etwas Besseres und weigere sich, ihm aufgetragene Arbeiten zu erledigen.

Irgendwann bleibt dem Prinzen keine andere Wahl und er wirft Lucheni raus.

Sigmund verfolgt nun Luchenis Weg, denn – und das überrascht – er tauschte weiterhin regelmäßig Brief mit seinen ehemaligen Herrschaften aus. Diese antworteten ihm stets, wenn sie auch seine Bitten um Wiedereinstellung ablehnten.

Ja – es ging sogar so weit, dass der Prinz Lucheni ein sehr gutes Leumundszeugnis ausstellte, als dieser wegen des Mordes an der Kaiserin vor Gericht stand.

All dies sind Themen und Fakten, die mir so noch gar nicht bewusst waren, bzw, die mein Bild der Situation abgerundet haben.

Es gibt aber durchaus auch Kurioses zu lernen: so zum Beispiel, dass nachdem das Gefängnis abgerissen wurde, in dem Lucheni sich 1910 erhängt hatte, ein Unternehmer seine Zelle aufgekauft hat und sie im Untergeschoss seines Hauses wiederaufbaute.
Jetzt hätte mich natürlich brennend interessiert, was aus dieser Sache wurde…

Übrigens hat Lucheni, der wohl ein vorbildlicher Gefangener war, in der Haft begonnen, sich mit der Kaiserin zu beschäftigen. Er las alles, was er über sie in die Finger bekommen konnte und stellte bald fest, dass sie Seelenverwandte waren. Selbst in ihren politischen Überzeugungen, die um die Jahrhundertwende wohl kein Geheimnis mehr waren, fand Lucheni sich wieder.
Seine Beschäftigung mit Sisi führte sogar dazu, dass er am Ende der Überzeugung war, Werkzeug des Schicksals gewesen zu sein, und Sisi ihren Wunsch zu sterben, erfüllt habe.

Wer mich kennt, weiß, wie sehr ich an Bildern interessiert bin. Je mehr desto besser.
Was das Buch von Sigmund angeht, so muss ich gestehen, dass sich nur schwarz/weiß- Bilder darin finden. Doch – überraschenderweise – hat mir das absolut nichts ausgemacht.
Tatsächlich ist das Ganze so gut und interessant aufbereitet, dass einem kaum auffällt, dass man keine Farbfotos hat. Außerdem kann Sigmund in ihrem Buch mit Dokumenten aufwarten, wie zum Beispiel dem Bericht der Leichenschau der Kaiserin, die ich so auch nicht (mehr) auf dem Schirm hatte.

So kann sie auch mit alten Mythen aufräumen, dass die Kaiserin ein Gebiss gehabt hätte (woran sich Rosa Albach- Rette, Romys Großmutter in ihren Memoiren erinnerte. Sie hatte die Kaiserin als junges Mädchen in Wien in einem Café gesehen.)
Zudem hatte Sisi wohl Ödeme in den Beinen, aber nicht in dem Ausmaß wie es oft kolportiert wird.

Ihr seht schon an diesen wenigen Punkten, wie informativ das Buch ist und auch wie spannend.

Von daher kann ich es nur jedem empfehlen, der sein Bild der Kaiserin abrunden will, beziehungsweise mehr über sie und die Zeit erfahren will, in der sie gelebt hat und gestorben ist.

FAKTEN:
Anna Maria Sigmund: Tatort Genfer See, Molden Verlagsgruppe / Styria Verlag 2020, 192 Seiten





Margaret, Mustique und Männer

Ein Mann steht still vor der im Boden eingelassenen Grabplatte der St. George’s Chapel in Windsor Castle. Schlank. Akkurat geschnittene graue Haare.
Doch seine Blicke gelten nicht jener Platte am Boden, sondern einem schmalen Stein, der wie an die Wand gelehnt wirkt.

Es ist der Grabstein von Prinzessin Margaret und der Mann ist Roderic Llewellyn. Er hat die Erlaubnis der Königin bekommen, an jenem zwanzigsten Todestag seiner ehemaligen Geliebten an deren Grab zu kommen und ihr seinen Respekt zu erweisen.

Gewiss wanderten seine Gedanken zurück zu jenen unbeschwerten Tagen an ihrer Seite, als die Luft vibrierte vor Liebe und Lebenslust.
Zu jenen Tagen auf Mustique, die sein Leben und auch das von Margaret für immer verändern sollten …

Margaret sagte immer gerne, „Les Jolies Eaux“ sei das einzige Haus, das sie nicht der Krone zu verdanken habe.
Aber stimmt das wirklich? Tatsächlich war der Boden, auf dem es gebaut wurde, ein Hochzeitsgeschenk von Colin Tennant. Der äußerst wohlhabende Tennant wiederum war mit Margarets Freundin Lady Anne Glenconner verheiratet und gehörte somit auch zu Margarets Set.
Es waren die Glenconners, die Margaret nicht nur mit Mustique bekannt machten …

Lady Glenconner hat übrigens als Autorin Furore gemacht. Ihre Autobiografie „Lady in Waiting“ sowie ihre Krimis, die teilweise auch auf deutsch erschienen sind, sind ebenso unterhaltsam wie gut geschrieben.

Tatiana Copeland, die damaligen Gastgeberin der Prinzessin, erzählt, dass Prinzessin Margaret nur dann ein zweites Mal deiner Einladung gefolgt ist, wenn du ihren Lieblings-Whiskey vorrätig hattest. („Famous Grouse“)
Hattest du dir nicht die Mühe gemacht, dich zu informieren und das Getränk heranzuschaffen, sah sie keine Notwendigkeit, sich die Mühe zu machen, ein zweites Mal zu dir zu kommen.

Die Insel war Margarets geheimes Refugium bis zu jenem Tag im Jahre 1976 als die News of the World die Fotos von Margaret mit dem Landschaftsgärtner Rowdy Llewellyn veröffentlichten.

Das Verhältnis der beiden dauerte zu diesem Zeitpunkt schon drei Jahre. Glenconner hatte die beiden miteinander bekannt gemacht.
Problem: Prinzessin Margaret war verheiratet. Mit Anthony Armstrong- Jones.
Und als wäre das noch nicht Skandal genug, war Llewellyn 17 Jahre jünger als Margaret. Das Paradebeispiel eines Toyboy.

Tatsächlich sah sich Margaret nach der Veröffentlichung dazu gezwungen, offiziell die Trennung von ihrem Ehemann bekanntzugeben.

Margaret begab sich normalerweise zwei Mal im Jahr nach Mustique: im Oktober/ November und dann noch einmal im Februar. Selbst mit dem Skandal blieb Mustique ihre Lieblingsinsel und die Copelands ihre Lieblingsgastgeber.
Sie lernten damals beide Margarets kennen, die nette, umgängliche Margaret und die hochnäsige, arrogante Margaret.
„Man wusste nie, welche von beiden vorbeikommen würde“, erinnert sich Copland noch heute. „Wenn man sie um sie kümmerte, ihr die Wünsche von den Augen ablas, hatte man die nette, lustige Margaret. Versäumte man etwas in der Richtung, konnte sie ziemlich übel werden.“
Traf man sie zum ersten Mal, sagte man „You Royal Highness“ und danach „M’am“.

Es wurde teilweise auch bizarr, denn wenn man Brite war, musste man einen Hofknicks vor der Prinzessin machen. Selbst im Bikini am Strand. Davon ausgenommen waren nur die Amerikaner.
Hatten die nicht deswegen die Revolution vom Zaun gebrochen? Na ja – also nicht wegen Margaret direkt…

Besonders für die Freunde, die sie von Mustique kannten, war der körperliche Abstieg der Prinzessin schwer zu verkraften. Sie sind sich noch heute sicher, dass sie nicht wollte, dass man sie so sehe.

Was aber wurde aus Mustique, beziehungsweise „Les Jolies Eaux“?
Margaret vermachte das Anwesen 1996 an ihren Sohn David Linley. Dieser wiederum verkaufte alles dem Geschäftsmann Jim Murray.

Jetzt kann man Les Jolies Eaux mieten. In der Nebensaison kostet es 21.000 Dollar pro Woche und in der Hauptsaison 62.000 Dollar. Aber alles halb so wild, denn der Preis beinhaltet fünf Angestellte und einen Koch.

Gäste waren Mick Jagger, Daniel Craig, Taylor Swift, Bill Gates, Victoria Beckham, Katy Perry, Orlando Bloom, Tommy Hilfiger und David Bowie. Dieser las jeden Dienstag den Schulkindern der Insel Geschichten vor. (Hatten wir von David Bowie etwas andres erwartet?)
Auch royale Gäste wurden schon auf der Insel begrüßt: Prince William, Princess Catherine und ihre Kinder.

Und Tennant selbst, dem einst Mustique gehört hatte? Er kam in finanzielle Schwierigkeiten und musste seine Anteile verkaufen. Er kam in den 80er Jahren noch einmal für eine Doku zurück nach Mustique und ließ ein gewaltiges Zelt errichten, um dort Prinzessin Margaret zu bewirten.
Heute sei Mustique nicht mehr die Party-Insel von einst, wo Prinzessin Margaret hart am Wind segelte. Es sei eine Familien-Zone geworden. Kinderaktivitäten. Das sei es, was Mustique heute ausmache.

Ob Margaret sich da noch wohlgefühlt hätte?




SISI – Leben und Sterben einer Kaiserin

SISI – Leben und Sterben einer Kaiserin

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Die beiden dunkel gekleideten Frauen nähern sich dem Anlegesteg des Dampfers, der die gegenüberliegenden Seiten des Genfer Sees miteinander verbindet.
Vor ihnen liegt ein Tag wie so viele zuvor: Wanderungen, Essen gehen, Besichtigungen.
Ihr Leben scheint nur daraus zu bestehen.
Als ein Mann in schäbiger Kleidung auf sie zugestürmt kommt und der Größeren der beiden mit der Faust gegen die Brust schlägt, sodass diese zusammenbricht, wissen beide nicht, was der Hintergrund dieser Attacke war.
Passanten rennen hinter dem Flüchtenden her, halten ihn fest und übergeben ihn der Polizei.
Die beiden Frauen besteigen den Dampfer.

„Was wollte der Mann von mir? Sicherlich wollte er meinte Uhr…“, vermutet die Angegriffene.

Dann sackt sie zusammen. Als sie noch einmal kurz zu sich kommt, sagt sie „Was ist denn eigentlich geschehen?“ Es sind ihre letzten Worte.

Wir alle wissen, wer die beiden Frauen waren: Elisabeth Amalie Eugenie, Kaiserin von Österreich und Königin von Ungarn. Unterwegs mit ihrer Hofdame Gräfin Irma Sztáray.

Es war der 10. September 1898.

Während die Kaiserin im Hotel Beau Rivage stirbt, sitzt der Kaiser in der Hofburg und schreibt einen Brief an seinen Engel.

Es ist das Ende einer langen Geschichte. Eines nicht sehr langen Lebens. Und vor allem: eines verschwendeten Lebens.

Wer denkt, seit dem Monumentalwerk von Brigitte Hamann über die Kaiserin sei nichts Nennenswertes mehr erschienen, täuscht sich. Den hier vorliegenden Band aus dem Kral-Verlag kann man jedem empfehlen, der sich fundiert über alle Facetten von Sisis Leben informieren will, ohne aberhunderte von Seiten lesen zu müssen.
Chronologisch sortiert präsentiert das Buch das Leben der Kaiserin und ihres Umfeldes ohne jede Schönfärberei.
Das ganz Besondere an dem Buch ist aber ohne jeden Zweifel die hervorragende Bebilderung.
Seite um Seite erschließt sich uns dieses Leben, das schlussendlich keinen bleibenden Nachhall in der österreichischen Geschichte hatte, dafür umso mehr in der Populärkultur.

Die Kaiserin hatte einen denkbar günstigen Start im Leben.
Da sie einem nicht thronfähigen Zweig des Hauses Wittelsbach entstammte (in Bayern – nicht von Bayern), konnte die Familie ein sorgenfreies Leben führen und musste sich keinen königlichen Pflichten unterwerfen. zudem verfügte die herzogliche Familie über genügend Geld, um einen recht exzentrischen Lebensstil mit vielen Reisen zu pflegen.
Mit zahlreichen, auch weniger bekannten Abbildungen und Zitaten stellt uns das Buch diese Herkunft Sisis vor. Den exzentrischen Vater und die Mutter, die weit unter ihren Schwestern heiraten musste. (Eine war Königin von Sachsen geworden, eine andere Kaiserin von Österreich)


Von den üblichen royalen Erziehungsmaßnahmen verschont geblieben, lebte Sisi ein freies und ungezwungenes Leben. Fast so idyllisch wie Ernst Marischka es uns in seinen Sissi-Filmen vorführt.

Der Nachteil dieses Lebens tat sich allerdings auf, als der Kaiser beschloss, nicht die ältere Schwester Helene, sondern die 15jährige Sisi zu heiraten.
Mitten in den höchst intriganten Wiener Hof gestoßen, fand sich das Mädchen wieder in einem wahren Haifischbecken. Erzherzogin Sophie, die verhasste Schwiegermutter, sah sich mit der Aufgabe konfrontiert, aus dem unwilligen Backfisch mit den gelben Zähnen eine Kaiserin von Österreich zu machen.

Hier liegt nun ein ganz großes Plus des Buches: niemals lassen sich die Autoren von den tiefhängenden Früchten des schlechten Rufes der Protagonisten verführen.
Sie stellen uns alle am Drama Beteiligten in ihren Facetten vor.

Erzherzogin Sophie, die ihren Mann dazu gebracht hatte, zugunsten des Sohnes Franz Josef abzudanken, wusste nur all zu gut, welche Last es bedeutet, Kaiserin zu sein, wenn man begriffen hat, was der „Job“ erfordert.
Es war Sisis Tragik, das sie es nicht begriffen hat. Auch war sie nicht das kalte Biest, als das sie in den Sissi-Filmen dargestellt wurde, sondern nahm zum Beispiel am Leben der Enkelkinder lebhaften Anteil und wurde von diesem wiedergeliebt.

Im Buch kommt ein sehr erhellendes Zitat Sisis vor: „Was hat man davon, heutzutage Kaiserin zu sein!“ bemerkte sie voll Bitterkeit. „Man ist nur eine Anziehpuppe. Ah, wie gern hätte ich im alten Rom geherrscht! Die Kaiserinnen vergangener Tage wußten noch, was Tiefe des Lebens und der Liebe ist. Ihr Dasein war nicht grau und trübe, wie das meine, das von einem Wall von Etiketten ummauert ist.“
Das dürfte das gröbste Unverständnis römischer Kaiserinnen sein, das ich je gelesen habe…

Ausgerechnet Sisi, die jegliche Pflicht ablehnte, die sich keinen Pfifferling um ihr Land, ihren Mann oder die ihr untergebenen Völker scherte – ausgerechnet sie sehnt sich nach der Position einer römischen Kaiserin.
Das hat was.

Solche Stellen sind es, die das Buch so ungeheuer lesenswert machen, denn sie stellen uns die betreffenden Personen so eindrücklich vor wie ein Blitz, der plötzlich eine dunkle Landschaft erhellt.

Wir lernen Sisi in dem Buch aber auch noch anders kennen, nämlich von ihrer humorvollen Seite … So als ihr Gegenüber bei einem Essen mit seinen Zahnstochern spielte, und dabei einen versehentlich in Sisis Teller schnippte. Sie bekam daraufhin einen Lachanfall. Der Kaiser, der den Vorfall nicht bekommen hatte, fragte, was denn passiert sei, worauf Sisi dem hochverlegenen Grafen die Ehre rettete, indem sie ihn nicht verriet, sondern unter Lachtränen sagte, es sie nichts passiert, sie habe nur gerade an etwas denken müssen.

Wir lernen in dem Buch sogar, dass die Kinder ihre Mutter „Mamutz“ genannt haben und sich über jede Minute freuten, die sie bei ihnen verbrachte, auch wenn es dann jedesmal Theater gab. (Ich persönlich denke, sie wurden Opfer des Stockholm-Syndroms …)
Sisi hielt nämlich mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg. So setzte sie ihrer Schwiegertochter Stephanie in absolut herzloser Weise nach.

Nach dem Selbstmord des Thronfolgers überfiel sie die verhasste junge Frau mit den Worten, diese habe ihren Vater gehasst, ihren Ehemann nicht geliebt und liebe auch ihr Kind nicht.
Dazu gehört schon etwas. Zumal Rudolf der Auslöser aller Misere war. Man geht heute davon aus, dass er seine Frau mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt hat und sie deswegen keine Kinder mehr bekommen konnte. Seine Alkohol,- und Drogensucht war auch seiner Mutter bekannt. Von seinen zahlreichen Affären mal ganz zu schweigen.
Dennoch kippte Sisi allen Hass über Stephanie aus, die sicherlich nicht das einfachste Leben hatte, zumal sie sogar ihren Vater hatte verklagen müssen, um das mütterliche Erbe ausgezahlt zu bekommen. (Dies vor dem Hintergrund, dass ihr Vater der berüchtigte Leopold II von Belgien war, der im Kongo ein Gewaltregime führte.)

Natürlich darf auch Sisis Ernährung als Thema nicht fehlen … Die Autoren untersuchen die Quellen dazu genauer und kommen zu dem Ergebnis, dass Sisi nicht ausschließlich von Brühen und Luft lebte, sondern vielmehr einen eher exzentrischen Geschmack hatte. Es war eine Art Achterbahn-Ernährung: Sisi ernährte sich tagelang von Säften und Milch, um dann wieder richtig zuzuschlagen. So aß sie – wenn sie in München war – grundsätzlich im Hofbräuhaus. Bayerisch. Deftig. Unterwegs mussten immer die Produkte der Heimat vorhanden sein, was einen ziemlichen organisatorischen und finanziellen Aufwand bedeutete. Da durften auch bestimmte Mehlspeisen zum Frühstück nicht fehlen.
Als Fazit kann man sicherlich sagen, dass Sisi so sportverrückt wie zum Beispiel Prinzessin Catherine war, dass man aber um die Ernährung der Prinzessin von Wales weniger Aufhebens macht.

Eine Essstörung, wie sie oft unterstellt wurde, hatte Sisi wohl nicht.

Was sie aber sicherlich hatte, war Realitätsferne.
So schildert das Buch sehr genüsslich einen Dialog zwischen ihrer Hofdame und der Kaiserin, den die Gräfin Festetics in ihrem Tagebuch notierte:

„Wir gingen auf dem Sikló hinab nach Pest. Im Coupé sagte Sie mir: „Haben Sie Geld?“ – „Ja, Majestät.“ – „Wie viel?“ – „Nicht sehr viel, 20 Forint.“ – „Das ist ja viel.“ – „Nicht besonders.“ – „Kann man nicht viel kaufen? Ich möchte zu Kugler (Konditorei) und für Valerie Einkäufe machen.“ (…) Glücklich unbemerkt kommen wir hinüber, dort fielen die Leute vor Überraschung fast um. Sie kaufte mit Wonne, und als ein großer Haufen der schönsten und besten Sachen beisammen war, fragte Sie: „Ist es schon zwanzig Forint wert?“ Ich glaube, es war für 150 Forint.“

Es sind diese kleinen Histörchen, die das Buch für mich so spannend machen und das Bild der Kaiserin vervollständigen.

FAZIT:

Das Buch ist rundum empfehlenswert. Nicht nur für diejenigen, die sich schon eingehend mit der Kaiserin beschäftigt haben, sondern auch für die Neu-Interessierten.
Es besticht nicht nur durch Fachkenntnis und einen unterhaltsamen Aufbau, sondern besondern durch liebevoll gemachtes Design und Foto-Qualität. Es ist einfach ein Genuss, es durchzublättern und immer wieder an bekannten und unbekannten Abbildungen hängen zu bleiben.
Hierbei sei auch darauf hingewiesen, dass „Elisabeth – Ungewöhnlich war sie zu allen Zeiten“ ein Buch ist, bei dem man die Untertitel der Fotos unbedingt lesen sollte, da sie immer wieder Interessantes wiedergeben und nicht nur festhalten, was auf dem Foto zu sehen ist.

Das Preis-Leistungsverhältnis ist sehr gut. Man bekommt wirklich etwas ganz Besonderes für sein Geld.
Für mich persönlich hat sich der Kral-Verlag mit dem Buch in meinen Fokus geschoben und ich werde mir mit Sicherheit noch mehr Titel aus dem Verlag besorgen.

Die Fakten:
– Hannes Etzlstorfer und Philipp Ilming: Kaiserin Elisabeth – Ungewöhnlich war sie zu allen Zeiten; Kral Verlag, 2023, 322 Seiten, 39,90 €

Link zum Verlag:
www.kral-verlag.at

Dior – Zeitlose Eleganz

Dior – Zeitlose Eleganz

Wenn man an Haute Couture denkt, denkt man DIOR!

Credit: Amazon
Hier auf das Coverfoto klicken, wenn ihr das Buch erwerben wollt …


Für mich selbst hat die Begeisterung für Dior schon vor Jahrzehnten begonnen, als ich in den französischen Zeitschriften meiner Mutter die Abbildungen der Modestrecken seiner Werke zum ersten Mal gesehen habe.
Niemals kam ein Modeschöpfer näher daran, aus normalen Frauen Königinnen zu machen als Christian Dior mit seinen Roben.

Der Prestel Verlag hat nun mit dem großformatigen Bildband von Jérôme Gautier ein ganz besonderes Meisterwerk vorgelegt.
In den wunderbaren Bildern weltberühmter Fotografen wie Cecil Beaton, Horst P Horst, Irving Penn und Annie Leibovitz, finden wir die Geschichte des Hauses kongenial zur Mode dargestellt.

In den Textteilen erfahren wir, wovon die Mode Diors inspiriert wurde (und wird). Vor allem aber auch, wie es gelingen konnte, direkt nach dem Krieg, wo die Europäer noch mit Rationierungsmarken um das tägliche Überleben kämpfen mussten, ein Haute Couture Haus zu etablieren.

Dior schaffte dies vor allem mittels seiner Opulenz, denn bereits zwei Jahre nach Kriegsende gab es wieder genügend reiche Leute, die ihr Geld für solche Mode ausgeben konnten und wollten.

Dior kleidete die Damen für die wieder aufgenommenen Bälle, aber auch für Kostümfeste, die sich großer Beliebtheit erfreuten.
300 Meter Tülle und 500 Meter Seide für ein Haute Couture- Kleid waren bei Dior keine Seltenheit.

Tatsächlich profitierten aber alle Franzosen von den enormen Summen, die das Haus Dior mit seiner Mode einnahm: alleine hierdurch konnten z.B. mehrere tausend Säcke Getreide in den USA gekauft werden, die dann wiederum in den Vorratsschränken der französischen Hausfrauen landeten.

Musen und Inspirationen

Dank des Buches konnte ich zum ersten Mal nachvollziehen, wie Dior sich derart an die Spitze arbeiten konnte und wo seine Wurzeln liegen. Nicht zuletzt in Granville, in der Belle Epoque und bei seiner Mutter Madeleine, deren stilsicheren Geschmack er schon als Kind bewundert hatte.

Übrigens kann ich Granville mit dem Dior Museum in seinem Elternhaus „Les Rhumbs“ nur wärmstens empfehlen. Hier erschließt sich einem das ganze Genie Christian Diors und der Garten mit dem Blick über das Meer ist auch nicht zu verachten! (Übrigens muss man nur für Haus/ Museum Eintritt zahlen)

Les Rhumbs im Sommer 2021
Der Blick vom Garten über das Meer. Mit wenigen Stufen kommt man übrigens zu einer kleinen Badebucht.

Sein Genie, seine Kreativität, brachten Dior in den Modeolymp, aber es waren seine Inspirationen, die ihn dort hielten.

Das Buch präsentiert uns nämlich nicht nur seine Erfolgsgeschichte, sondern – anhand der Arbeiten kongenialer Fotografen – auch, wie das Haus sich über Jahrzehnte dort behaupten konnte.

Nicht zuletzt dank Royalty und Hollywood erzielte Diors Mode nämlich die Breitenwirkung, die es brauchte, um ganz nach oben zu kommen. (Nicht zu vergessen, einen mehrmals verfilmten, sehr unterhaltsamen Roman namens „Ein Kleid von Dior“)

Marlene, Margaret und andere Modegöttinnen

Bereits in der zweiten Dior-Modenschau saß Marlene Dietrich in der ersten Reihe.
Die Kleider Diors waren wie für sie erschaffen. Sie betonten ihre schmale Silhouette und betonten gleichzeitig die weibliche Linie. Wo es keine Rundungen gab, zauberte Dior sie.
Zeitlebens galt das Motto: „No Dior – No Dietrich!“.
Marlene Dietrich trug seinen Namen nach Hollywood, wo er begeistert von Schauspielerinnen wie Lauren Bacall aufgenommen wurde.
Bacall trug sogar eine seiner Roben als ihr Mann Humphrey Bogart seinen Oscar für „African Queen“ entgegennahm.

Damit hatte Dior die USA erreicht. Aber was war mit Großbritannien?
Hier gelang sein größter Coup:
Prinzessin Margaret konnte in ihrer Mode wesentlich freier agieren als ihre gekrönte Schwester.
Bei ihrem ersten Besuch in Paris kam sie unter anderem mit der französischen Haute Couture in Berührung – eine Begegnung für’s Leben.
Eigentlich durfte sie ja – wie auch ihre Schwester – nur britische Designer tragen. (Norman Hartnell war der Mann der Stunde, der auch das Brautkleid von Prinzessin Elizabeth gefertigt hatte)

Tatsächlich aber schaffte Margaret es, ihre Mutter davon zu überzeugen, dass sie ein Kleid von Dior brauche. Die Königin-Mutter (eine große Freundin von Luxus) gab nach und schon lieferte Christian Dior drei verschiedene Skizzen, aus denen Margaret eine auswählte.

Endgültig den royalen Olymp erreichte Dior, als Margaret sich anlässlich ihres 21. Geburtstages in ihrer Dior- Robe von Cecil Beaton fotografieren ließ.

Jahrzehnte später wurde das Kleid übrigens nochmals ausgestellt als es darum ging, den Stil der Prinzessin zu würdigen …

In den Diors frühem Tod folgenden Jahrzehnten prägten diverse Designer das Gesicht des Hauses: Yves Saint-Laurent, Marc Rohan, Gianfranco Ferré, John Galliano und aktuell Raf Simons.
Und hier nun zeigt sich die besondere Stärke des Buches: Durch die geschickte Auswahl der Fotografien erkennen wir, wie diese Designer es geschafft haben, die bereits von Christian Dior vorgegebene Linie des Hauses zwar beizubehalten – aber immer auch dem Zeitgeschmack anzupassen.

Wir erkennen also, dass die Genialität des Hauses in der Wahl solcher Designer liegt, die es schaffen, klassisch zu bleiben, doch das Ganze stets im Jetzt zu verankern.

Wie die Designer das hinkriegen?
Indem sie sich vom gleichen inspirieren lassen, was schon Dior selbst den Weg gewiesen hat: von der Natur und den Frauen.

Ich darf mich an dieser Stelle ganz besonders beim Prestel Verlag bedanken, der mir diesen wundervollen Bildband zur Verfügung gestellt hat.
Wenn euch das Buch ebenso gut gefällt wie mir und auch ihr euch inspirieren lassen wollt vom Werk des Jahrhundertgenies, nutzt bitte den Link oben, den ich mit dem Coverfoto verknüpft habe, indem ihr einfach auf das Bild klickt.
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FAKTEN:
Gautier, Jérôme: Dior – Zeitlose Eleganz, Prestel Verlag, 2015, 304 Seiten, Preis: 69€

Der König, der niemals einer war – Beatrice Borromeo Casiraghi und der Mord auf der Île de Cavallo

Wir kennen Beatrice Borromeo Casiraghi in Deutschland vor allem als Schwiegertochter von Prinzessin Caroline von Hannover. Die meisten wissen, dass sie Markenbotschafterin für Dior ist und immer umwerfend aussieht. Ob privat in Jeans und weißer Bluse oder beim großen Auftritt wie dem Rosenball in Monaco.

Jetzt aber hat sie einmal mehr ihr eigentliches Können gezeigt, nämlich mit der Dokumentation „Der König, der nie einer war“, die als Kurzserie derzeit bei Netflix gestreamt werden kann.

Il Principe – Der Fürst

Nicht ohne Grund hat Borromeo diesen Titel gewählt, der sich zwar mit dem True Crime- Fall des Mordes am Studenten Dirk Hamer befasst, aber tatsächlich der Titel des weltberühmten Buches von Niccolò Machiavelli ist, indem er in einem Lehrbuch den idealen Herrscher beschreibt.

Seinen doppelten Twist bekommt der Titel der Reihe dadurch, dass Vittorio Emanuele heute König von Italien wäre, gäbe es dort noch eine Monarchie.

Tatsächlich ist Vittorio Emanuele di Savoia, wie sein richtiger Name lautet, eher eine tragisch/ umstrittene Gestalt.
Geboren am 12.2.1937 in Neapel, war er der letzte Kronprinz des Königreichs Italien. Sein Vater Umberto II war vom 9.5. bis zum 18.6.1946 letzter König Italiens. Dann kam ein Referendum, das den König vom Thron und die Familie aus Italien fegte.

Es dauerte dann bis zum Jahr 2002 bis er und seine Familie wieder italienischen Boden betreten durften.

Sein wechselvolles Leben brachte ihm eine glückliche Ehe (mit der Sportlerin Marina Doria) und einen Sohn (Emanuele Filiberto *1972).
Er wurde Starverkäufer mehrerer italienischer Firmen, was ihn bis nach Teheran führte, wo er sich mit dem Schah anfreundete (der bald das Exil mit ihm teilen sollte) und diesem 30 Helikopter verkaufte. Hier in Teheran heiratete Vittorio Emanuele seine Frau auch kirchlich wobei der Schah Trauzeuge war.

Sein Feriendomizil hatte der Prinz auf der französischen Île de Cavallo, von der aus man nach Italien schauen kann. Im französisch italienischen Grenzgebiet verbrachte er seine Ferien mit seiner Familie. Das Betreten italienischen Bodens blieb ihm und seiner Familie verboten.

Und hier war es auch, wo sich jene Tragödie abspielte, über die Borromeo in ihrer Doku berichtet und die am Ende das Leben zahlreicher Menschen auffraß.

Tod eines Studenten

Am 17. August 1978 fragte die italienische Clique von Birgit Hamer, ob diese sie bei einem Bootsausflug begleiten dürfe. Die Eltern verweigerten eine Zustimmung, wenn nicht Birgits Bruder Dirk mitkäme. Zunächst war die Clique aus Shiny Happy People nicht begeistert, den kleinen Bruder mitschleppen zu müssen, doch erwies sich Dirk bald als echte Bereicherung.
Der junge Mann sprach vier Sprachen und erwies sich als enorm sportlich. Sympathisch und intelligent, wurde er schnell Teil der Gruppe.
Mit drei Booten fuhr man zur Île de Cavallo und vergnügte sich beim Baden. Die Gruppe wusste, dass sie in der Insel angelegt hatte, auf der der Prinz von Savoyen lebte und man unterhielt sich über ihn.
Zu einem ersten Zusammentreffen kam es in einem Restaurant.
Heute sagen die Gruppenmitglieder, dass sie sich nicht gut benommen hätten in dem Restaurant. Sie hätten laut geredet und viel Wirbel veranstaltet, woraufhin der Prinz und seine Frau sich beschwert hätten. Es seien wohl auch Schimpfwörter gefallen.
Nach dem Essen kehrte man zu den Booten zurück.
Nun aber schlug das Schicksal zu: ein Sturm kam auf und die Wellen machten ein Auslaufen unmöglich. Die jungen Leute beschlossen, die Nacht auf ihren Booten schlafend zuzubringen.

Da die vorhandenen Boote nicht genug Platz boten, holte ein Teilnehmer eines der Boote des Prinzen, das dort vor Anker lag.
Die Gruppe verteilte sich auf die Boote und schlief ein.

Als plötzlich Schüsse fielen, waren alle hellwach. Die Hölle schien losgebrochen. Alle schrieen durcheinander, denn niemand wusste, von wo geschossen wurde und warum. Leuchtraketen wurden abgefeuert.
Was die jungen Leute nicht mitbekommen hatten: Der Prinz hatte, erbost von dem Diebstahl, sein Gewehr geholt und begonnen, auf die Boote zu schießen.

Und hier gehen die Berichte auseinander: Nicky Pende, ein junger Mann aus der Gruppe, stand auf seinem Boot, als er bemerkte, dass da ein Mann war, der ein Gewehr hatte und genau auf seinen Kopf zielte. Er warf sich zu Boden und schon fiel der erste Schuss. Im Versuch, das zu beenden, warf Pende sich auf den Prinzen und beide Männer fielen ins Wasser.

Nun ist die Frage: hat der Prinz vor dem Sturz ins Wasser noch mehr Schüsse abgegeben?

Tatsächlich hatte ein Schuss den schlafenden Dirk Hamer in die Oberschenkelarterie getroffen. Die Freunde, die sich um ihn versammelten, erkannten sofort den Ernst der Lage.
Nach einigem Hin und Her tauchten die Inselwachleute auf und man brachte den schwer Verletzten nach Frankreich ins Krankenhaus.
Die herbeigerufenen Eltern Hamer, beide Ärzte, sorgten für eine Überführung des Schwerverletzten ins Klinikum an ihrem Heimatort Heidelberg.
Dort wurde dem jungen Mann ein Bein amputiert. Aber auch das rettete ihn nicht mehr. Nach 18 weiteren Operationen starb Dirk Hamer neunzehnjährig.

Bei seiner Beerdigung zog seine Schwester Birgit einen Ring von ihrem Finger und warf ihn ins Grab. Es war ihr Schwur, für Gerechtigkeit zu sorgen.

Der Prinz seinerseits wurde verhaftet und in Untersuchungshaft gebracht. Dies sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die französischen Behörden praktisch keine Ermittlungsarbeit leisteten. Es wurden vom Meeresgrund Patronenhülsen gesichert und – Tage später – das Gewehr des Prinzen. Aber das war’s dann auch.
Bei den Vernehmungen unterschrieb der Prinz ein Schuldeingeständnis, welches er aber später wieder zurückzog und behauptete, jemand anderer müsse den tödlichen Schuss abgegeben haben, da er selbst nach dem ersten Schuss ins Wasser gerissen worden sei.
Einer aus der Gruppe hatte eine Pistole, die auch nach der Tat sichergestellt wurde, und aus der scheinbar ebenfalls geschossen worden war.
Diese Pistole verschwand allerdings und tauchte dann wieder auf.
Damit war sie als Beweismittel kaum noch zu gebrauchen.

Und nun machten die Eltern Hamer einen fatalen Fehler: sie verlangten von dem Prinzenpaar Geld. Die Prinzessin sprach von mehreren 100.000 Mark, während die Mutter Dirk Hamers nur davon sprach, Geld für den Genesungsfall verlangt zu haben, um ihren Sohn bezüglich der Spätfolgen abzusichern.
Dies war der Moment, an dem Birgit Hamer beschloss, ohne ihre Eltern weiter zu kämpfen, da sie diese Geldforderung für einen fatalen Fehler hielt.

Bei wem übrigens bei dem Namen „Hamer“ etwas klingelt – Dirk und Birgit Hamers Vaters Ryke Geerd Hamer, hat in den zurückliegenden Jahren mit seiner höchst umstrittenen „Germanischen“ Krebs“therapie“ Furore gemacht, die nach Meinung von Fachleuten inzwischen mehrere hundert Krebspatienten das Leben gekostet hat.

Als es nach Jahren endlich zu einem Prozess in Frankreich kam, waren die Spuren nachhaltig verwischt. Die Beweismittel hatten ihre Aussagekraft verloren und der Prinz von Savoyen brachte mehr als zwanzig Zeugen, die zwar keine Fakten beizutragen hatten (u.a. eine bekannte französische Schriftstellerin), die aber als Leumundszeugen für den Adligen offensichtlich Eindruck machten.
Ende der Prozedur: der Prinz wurde in allen Anklagepunkten freigesprochen bis auf einen: unerlaubten Waffenbesitz. Dafür bekam er fünf Monate auf Bewährung und konnte den Gerichtssaal als freier Mann verlassen.

Es vergingen Jahre, in denen der Prinz ans Geldverdienen ging. Sein Ruf war nachhaltig zerstört, doch das behinderte ihn nicht.
Sein Sohn Emanuele Filiberto wiederum machte sich bei „Dance with the Stars“ einen Namen.

2002 stimmten die Italiener ab und nun durfte die Familie Savoyen auch endlich wieder nach Italien zurückkehren. Sie behielten ihr Chalet in der Schweiz (wo wohl auch die Interview-Teile der Doku gedreht wurden), außerdem ihre Anwesen in Frankreich und bezogen die verloren geglaubten in Italien.

Der Schweizer Wohnort war übrigens dem Prinzen viele Jahre segensreich gewesen, denn hier hatte er sich vor der Strafjustiz verstecken können.

2006 nun erwischte es ihn weiteres Mal. Er wurde diesmal in Italien unter Anklage gestellt. Bestechung, Förderung der Prostitution, Wettbetrug … Ihm wurden Verbindungen zur berüchtigten Loge P2 nachgesagt (man erinnert sich an den Skandal rund um die Vatikan Bank) und natürlich zur Mafia. (Was zumindest zeitweise das gleiche war.) In den von ihm verantworteten Spielkasinos in Campione waren Automaten manipuliert worden und er hatte zahlungskräftigen Gästen das Gesamtpaket „Glücksspiel und Gespielinnen“ angeboten.
Das ganze ging aus wie das berühmte Hornberger Schießen: der Prinz wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen.
Ein übler Nachgeschmack bleibt, denn in seinen abgehörten Telefonaten sagte er so aufschlussreiche Dinge wie: „Ich bin sehr mächtig geworden in Italien, mächtiger, als ich es je geglaubt hätte. Heute versohle ich jedem den Arsch, der mir auf die Nerven geht. Wer nicht spurt, der bezahlt, verstanden?
Was wiederum ins abstoßende Bild des Prinzen passt, von dem sich seit längerem sogar seine Schwestern losgesagt haben.

Was aber wurde aus Familie Hamer und ihrem Kampf um Gerechtigkeit?
Die Mutter des ermordeten Dirk Hamer war wenige Jahre nach ihrem Sohn an Krebs verstorben. Ihr Mann Geerd folgte ihr nach.
Zum Schluß blieben nur noch Birgit und ihr kleiner Bruder. Sie warteten auf den Tag, an dem endlich ihre Chance kommen würde.
Sie brauchten Geduld …

Tatsächlich tauchten nämlich im Zuge des Casino-Prozesses Aufnahmen des Prinzen aus der U-Haft auf, in denen er vor seinen Zellengenossen prahlte, dass er die französischen Gerichte verarscht habe. Er habe den Jungen erschossen, aber man habe ihm nichts beweisen können.
Mit den Aufnahmen vor Gericht konfrontiert, stritt Savoyen ab.
Die Bänder seien zusammengeschnitten worden und verfälscht. Das alles habe er nie gesagt.

Diese Position behielt er auch jetzt in der Doku bei. Sein Sohn Filiberto schlug in die gleiche Kerbe auf seiner kuscheligen Chalet-Couch.

Tatsächlich kämpften die Zeitungen, allen voran Il Fatto Quotidiano, für die Beatrice Borromeo Casiraghi als Journalistin arbeitet. Und ihnen gelang der Coup: nach zahllosen Klagen wurden ihnen die Bänder ausgehändigt. Und – Überraschung: Es waren nicht nur Tonmitschnitte, sondern Videos!

Nun konnte der Prinz nur noch behaupten, er könne sich nicht erinnern, jemand solche Sachen gesagt hau haben.
Und – verklagte die Zeitung sowie Beatrice Borromeo wegen Rufmordes.

Endlich kam die Stunde der Hamers: Das Gericht wies die Klage des Prinzen ab. Sowohl die Zeitung als auch Beatrice Borromeo und jeder andere durften von jetzt an laut und deutlich sagen, dass der Prinz den Mord gestanden hat.

Wer sich nun fragt, ob der Prinz neuerlich angeklagt wurde – Nein! Tatsächlich kann man nicht zwei Mal für das gleiche Vergehen/ Verbrechen angeklagt werden.
Und dieser Rechtsgrundsatz, der Rechtssicherheit für alle Bürger schaffen soll, gilt auch für einen Mörder: Vittorio Emanuele war bei seinem Prozess (s.o.) freigesprochen worden und damit war es das für ihn.

Künftig wird er eine fragwürdige Existenz unter fragwürdigen Existenzen führen können. Gemieden von jedem, der einen Hauch Anstand besitzt.

Aber – wie wir an diesem Fall sehen können – der Sieg der Gerechtigkeit ist nicht immer ein Triumph. Manchmal bleibt am Ende eines langen, alles auffressenden Kampfes – nur ein wenig … Ruhe.

Birgit Hamer hat übrigens zwei wunderbare Töchter und ist noch heute eng mit Beatrice Borromeos Familie, speziell ihrer Mutter, befreundet. Diese hatten sie über all die Jahre eng begleitet, unterstützt und ihr geholfen.

NACHWORT:
Vielleicht habt ihr meinen Text gelesen und gedacht: Hmmmm … irgendwie kommt mir jetzt dauernd Ex-König Juan Carlos in den Sinn.
Der ist ja auch so eine miese Gestalt …
Und was sage ich —- Tatsächlich gilt das Schlusswort des Prinzen Vittorio Emanuele in der Doku Juan Carlos und ihrer Jahre andauernden Männerfreundschaft, die sich erst verflüchtigte, als Savoyen die nicht standesgemäße Marina Doria heiraten wollte. Da habe Juan Carlos sich „nicht gut benommen“. Dabei habe der ja sogar seinen Bruder erschossen … Ja – über den könnte er eine Menge erzählen. Er habe von all dessen Skandalen nicht nur gehört. Nein! Er sei ja dabei gewesen!
Was für eine Überraschung…

FAZIT:

Die Doku ist unbedingt sehenswert. Geschickt konstruiert und mit Interviewpartnern, die mehr über sich preisgeben als sie wohl geplant haben.
Ein Stück Zeitgeschichte, das gesehen werden muss.
Ich bin sehr gespannt auf weitere Dokumentationen von Beatrice Borromeo Casiraghi.
Als nächstes werde ich mir ihren Film über die kalabrische Mafia „Lady Ndrangheta“ ansehen.
Sie hat auch ein neues Projekt in der Mache: Zusammen mit ihrem Mann Pierre arbeitet sie an einem Mehrteiler über die Familie Grimaldi im Stil von „The Crown“.

Man darf gespannt sein!