Der König, der niemals einer war – Beatrice Borromeo Casiraghi und der Mord auf der Île de Cavallo

Wir kennen Beatrice Borromeo Casiraghi in Deutschland vor allem als Schwiegertochter von Prinzessin Caroline von Hannover. Die meisten wissen, dass sie Markenbotschafterin für Dior ist und immer umwerfend aussieht. Ob privat in Jeans und weißer Bluse oder beim großen Auftritt wie dem Rosenball in Monaco.

Jetzt aber hat sie einmal mehr ihr eigentliches Können gezeigt, nämlich mit der Dokumentation „Der König, der nie einer war“, die als Kurzserie derzeit bei Netflix gestreamt werden kann.

Il Principe – Der Fürst

Nicht ohne Grund hat Borromeo diesen Titel gewählt, der sich zwar mit dem True Crime- Fall des Mordes am Studenten Dirk Hamer befasst, aber tatsächlich der Titel des weltberühmten Buches von Niccolò Machiavelli ist, indem er in einem Lehrbuch den idealen Herrscher beschreibt.

Seinen doppelten Twist bekommt der Titel der Reihe dadurch, dass Vittorio Emanuele heute König von Italien wäre, gäbe es dort noch eine Monarchie.

Tatsächlich ist Vittorio Emanuele di Savoia, wie sein richtiger Name lautet, eher eine tragisch/ umstrittene Gestalt.
Geboren am 12.2.1937 in Neapel, war er der letzte Kronprinz des Königreichs Italien. Sein Vater Umberto II war vom 9.5. bis zum 18.6.1946 letzter König Italiens. Dann kam ein Referendum, das den König vom Thron und die Familie aus Italien fegte.

Es dauerte dann bis zum Jahr 2002 bis er und seine Familie wieder italienischen Boden betreten durften.

Sein wechselvolles Leben brachte ihm eine glückliche Ehe (mit der Sportlerin Marina Doria) und einen Sohn (Emanuele Filiberto *1972).
Er wurde Starverkäufer mehrerer italienischer Firmen, was ihn bis nach Teheran führte, wo er sich mit dem Schah anfreundete (der bald das Exil mit ihm teilen sollte) und diesem 30 Helikopter verkaufte. Hier in Teheran heiratete Vittorio Emanuele seine Frau auch kirchlich wobei der Schah Trauzeuge war.

Sein Feriendomizil hatte der Prinz auf der französischen Île de Cavallo, von der aus man nach Italien schauen kann. Im französisch italienischen Grenzgebiet verbrachte er seine Ferien mit seiner Familie. Das Betreten italienischen Bodens blieb ihm und seiner Familie verboten.

Und hier war es auch, wo sich jene Tragödie abspielte, über die Borromeo in ihrer Doku berichtet und die am Ende das Leben zahlreicher Menschen auffraß.

Tod eines Studenten

Am 17. August 1978 fragte die italienische Clique von Birgit Hamer, ob diese sie bei einem Bootsausflug begleiten dürfe. Die Eltern verweigerten eine Zustimmung, wenn nicht Birgits Bruder Dirk mitkäme. Zunächst war die Clique aus Shiny Happy People nicht begeistert, den kleinen Bruder mitschleppen zu müssen, doch erwies sich Dirk bald als echte Bereicherung.
Der junge Mann sprach vier Sprachen und erwies sich als enorm sportlich. Sympathisch und intelligent, wurde er schnell Teil der Gruppe.
Mit drei Booten fuhr man zur Île de Cavallo und vergnügte sich beim Baden. Die Gruppe wusste, dass sie in der Insel angelegt hatte, auf der der Prinz von Savoyen lebte und man unterhielt sich über ihn.
Zu einem ersten Zusammentreffen kam es in einem Restaurant.
Heute sagen die Gruppenmitglieder, dass sie sich nicht gut benommen hätten in dem Restaurant. Sie hätten laut geredet und viel Wirbel veranstaltet, woraufhin der Prinz und seine Frau sich beschwert hätten. Es seien wohl auch Schimpfwörter gefallen.
Nach dem Essen kehrte man zu den Booten zurück.
Nun aber schlug das Schicksal zu: ein Sturm kam auf und die Wellen machten ein Auslaufen unmöglich. Die jungen Leute beschlossen, die Nacht auf ihren Booten schlafend zuzubringen.

Da die vorhandenen Boote nicht genug Platz boten, holte ein Teilnehmer eines der Boote des Prinzen, das dort vor Anker lag.
Die Gruppe verteilte sich auf die Boote und schlief ein.

Als plötzlich Schüsse fielen, waren alle hellwach. Die Hölle schien losgebrochen. Alle schrieen durcheinander, denn niemand wusste, von wo geschossen wurde und warum. Leuchtraketen wurden abgefeuert.
Was die jungen Leute nicht mitbekommen hatten: Der Prinz hatte, erbost von dem Diebstahl, sein Gewehr geholt und begonnen, auf die Boote zu schießen.

Und hier gehen die Berichte auseinander: Nicky Pende, ein junger Mann aus der Gruppe, stand auf seinem Boot, als er bemerkte, dass da ein Mann war, der ein Gewehr hatte und genau auf seinen Kopf zielte. Er warf sich zu Boden und schon fiel der erste Schuss. Im Versuch, das zu beenden, warf Pende sich auf den Prinzen und beide Männer fielen ins Wasser.

Nun ist die Frage: hat der Prinz vor dem Sturz ins Wasser noch mehr Schüsse abgegeben?

Tatsächlich hatte ein Schuss den schlafenden Dirk Hamer in die Oberschenkelarterie getroffen. Die Freunde, die sich um ihn versammelten, erkannten sofort den Ernst der Lage.
Nach einigem Hin und Her tauchten die Inselwachleute auf und man brachte den schwer Verletzten nach Frankreich ins Krankenhaus.
Die herbeigerufenen Eltern Hamer, beide Ärzte, sorgten für eine Überführung des Schwerverletzten ins Klinikum an ihrem Heimatort Heidelberg.
Dort wurde dem jungen Mann ein Bein amputiert. Aber auch das rettete ihn nicht mehr. Nach 18 weiteren Operationen starb Dirk Hamer neunzehnjährig.

Bei seiner Beerdigung zog seine Schwester Birgit einen Ring von ihrem Finger und warf ihn ins Grab. Es war ihr Schwur, für Gerechtigkeit zu sorgen.

Der Prinz seinerseits wurde verhaftet und in Untersuchungshaft gebracht. Dies sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die französischen Behörden praktisch keine Ermittlungsarbeit leisteten. Es wurden vom Meeresgrund Patronenhülsen gesichert und – Tage später – das Gewehr des Prinzen. Aber das war’s dann auch.
Bei den Vernehmungen unterschrieb der Prinz ein Schuldeingeständnis, welches er aber später wieder zurückzog und behauptete, jemand anderer müsse den tödlichen Schuss abgegeben haben, da er selbst nach dem ersten Schuss ins Wasser gerissen worden sei.
Einer aus der Gruppe hatte eine Pistole, die auch nach der Tat sichergestellt wurde, und aus der scheinbar ebenfalls geschossen worden war.
Diese Pistole verschwand allerdings und tauchte dann wieder auf.
Damit war sie als Beweismittel kaum noch zu gebrauchen.

Und nun machten die Eltern Hamer einen fatalen Fehler: sie verlangten von dem Prinzenpaar Geld. Die Prinzessin sprach von mehreren 100.000 Mark, während die Mutter Dirk Hamers nur davon sprach, Geld für den Genesungsfall verlangt zu haben, um ihren Sohn bezüglich der Spätfolgen abzusichern.
Dies war der Moment, an dem Birgit Hamer beschloss, ohne ihre Eltern weiter zu kämpfen, da sie diese Geldforderung für einen fatalen Fehler hielt.

Bei wem übrigens bei dem Namen „Hamer“ etwas klingelt – Dirk und Birgit Hamers Vaters Ryke Geerd Hamer, hat in den zurückliegenden Jahren mit seiner höchst umstrittenen „Germanischen“ Krebs“therapie“ Furore gemacht, die nach Meinung von Fachleuten inzwischen mehrere hundert Krebspatienten das Leben gekostet hat.

Als es nach Jahren endlich zu einem Prozess in Frankreich kam, waren die Spuren nachhaltig verwischt. Die Beweismittel hatten ihre Aussagekraft verloren und der Prinz von Savoyen brachte mehr als zwanzig Zeugen, die zwar keine Fakten beizutragen hatten (u.a. eine bekannte französische Schriftstellerin), die aber als Leumundszeugen für den Adligen offensichtlich Eindruck machten.
Ende der Prozedur: der Prinz wurde in allen Anklagepunkten freigesprochen bis auf einen: unerlaubten Waffenbesitz. Dafür bekam er fünf Monate auf Bewährung und konnte den Gerichtssaal als freier Mann verlassen.

Es vergingen Jahre, in denen der Prinz ans Geldverdienen ging. Sein Ruf war nachhaltig zerstört, doch das behinderte ihn nicht.
Sein Sohn Emanuele Filiberto wiederum machte sich bei „Dance with the Stars“ einen Namen.

2002 stimmten die Italiener ab und nun durfte die Familie Savoyen auch endlich wieder nach Italien zurückkehren. Sie behielten ihr Chalet in der Schweiz (wo wohl auch die Interview-Teile der Doku gedreht wurden), außerdem ihre Anwesen in Frankreich und bezogen die verloren geglaubten in Italien.

Der Schweizer Wohnort war übrigens dem Prinzen viele Jahre segensreich gewesen, denn hier hatte er sich vor der Strafjustiz verstecken können.

2006 nun erwischte es ihn weiteres Mal. Er wurde diesmal in Italien unter Anklage gestellt. Bestechung, Förderung der Prostitution, Wettbetrug … Ihm wurden Verbindungen zur berüchtigten Loge P2 nachgesagt (man erinnert sich an den Skandal rund um die Vatikan Bank) und natürlich zur Mafia. (Was zumindest zeitweise das gleiche war.) In den von ihm verantworteten Spielkasinos in Campione waren Automaten manipuliert worden und er hatte zahlungskräftigen Gästen das Gesamtpaket „Glücksspiel und Gespielinnen“ angeboten.
Das ganze ging aus wie das berühmte Hornberger Schießen: der Prinz wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen.
Ein übler Nachgeschmack bleibt, denn in seinen abgehörten Telefonaten sagte er so aufschlussreiche Dinge wie: „Ich bin sehr mächtig geworden in Italien, mächtiger, als ich es je geglaubt hätte. Heute versohle ich jedem den Arsch, der mir auf die Nerven geht. Wer nicht spurt, der bezahlt, verstanden?
Was wiederum ins abstoßende Bild des Prinzen passt, von dem sich seit längerem sogar seine Schwestern losgesagt haben.

Was aber wurde aus Familie Hamer und ihrem Kampf um Gerechtigkeit?
Die Mutter des ermordeten Dirk Hamer war wenige Jahre nach ihrem Sohn an Krebs verstorben. Ihr Mann Geerd folgte ihr nach.
Zum Schluß blieben nur noch Birgit und ihr kleiner Bruder. Sie warteten auf den Tag, an dem endlich ihre Chance kommen würde.
Sie brauchten Geduld …

Tatsächlich tauchten nämlich im Zuge des Casino-Prozesses Aufnahmen des Prinzen aus der U-Haft auf, in denen er vor seinen Zellengenossen prahlte, dass er die französischen Gerichte verarscht habe. Er habe den Jungen erschossen, aber man habe ihm nichts beweisen können.
Mit den Aufnahmen vor Gericht konfrontiert, stritt Savoyen ab.
Die Bänder seien zusammengeschnitten worden und verfälscht. Das alles habe er nie gesagt.

Diese Position behielt er auch jetzt in der Doku bei. Sein Sohn Filiberto schlug in die gleiche Kerbe auf seiner kuscheligen Chalet-Couch.

Tatsächlich kämpften die Zeitungen, allen voran Il Fatto Quotidiano, für die Beatrice Borromeo Casiraghi als Journalistin arbeitet. Und ihnen gelang der Coup: nach zahllosen Klagen wurden ihnen die Bänder ausgehändigt. Und – Überraschung: Es waren nicht nur Tonmitschnitte, sondern Videos!

Nun konnte der Prinz nur noch behaupten, er könne sich nicht erinnern, jemand solche Sachen gesagt hau haben.
Und – verklagte die Zeitung sowie Beatrice Borromeo wegen Rufmordes.

Endlich kam die Stunde der Hamers: Das Gericht wies die Klage des Prinzen ab. Sowohl die Zeitung als auch Beatrice Borromeo und jeder andere durften von jetzt an laut und deutlich sagen, dass der Prinz den Mord gestanden hat.

Wer sich nun fragt, ob der Prinz neuerlich angeklagt wurde – Nein! Tatsächlich kann man nicht zwei Mal für das gleiche Vergehen/ Verbrechen angeklagt werden.
Und dieser Rechtsgrundsatz, der Rechtssicherheit für alle Bürger schaffen soll, gilt auch für einen Mörder: Vittorio Emanuele war bei seinem Prozess (s.o.) freigesprochen worden und damit war es das für ihn.

Künftig wird er eine fragwürdige Existenz unter fragwürdigen Existenzen führen können. Gemieden von jedem, der einen Hauch Anstand besitzt.

Aber – wie wir an diesem Fall sehen können – der Sieg der Gerechtigkeit ist nicht immer ein Triumph. Manchmal bleibt am Ende eines langen, alles auffressenden Kampfes – nur ein wenig … Ruhe.

Birgit Hamer hat übrigens zwei wunderbare Töchter und ist noch heute eng mit Beatrice Borromeos Familie, speziell ihrer Mutter, befreundet. Diese hatten sie über all die Jahre eng begleitet, unterstützt und ihr geholfen.

NACHWORT:
Vielleicht habt ihr meinen Text gelesen und gedacht: Hmmmm … irgendwie kommt mir jetzt dauernd Ex-König Juan Carlos in den Sinn.
Der ist ja auch so eine miese Gestalt …
Und was sage ich —- Tatsächlich gilt das Schlusswort des Prinzen Vittorio Emanuele in der Doku Juan Carlos und ihrer Jahre andauernden Männerfreundschaft, die sich erst verflüchtigte, als Savoyen die nicht standesgemäße Marina Doria heiraten wollte. Da habe Juan Carlos sich „nicht gut benommen“. Dabei habe der ja sogar seinen Bruder erschossen … Ja – über den könnte er eine Menge erzählen. Er habe von all dessen Skandalen nicht nur gehört. Nein! Er sei ja dabei gewesen!
Was für eine Überraschung…

FAZIT:

Die Doku ist unbedingt sehenswert. Geschickt konstruiert und mit Interviewpartnern, die mehr über sich preisgeben als sie wohl geplant haben.
Ein Stück Zeitgeschichte, das gesehen werden muss.
Ich bin sehr gespannt auf weitere Dokumentationen von Beatrice Borromeo Casiraghi.
Als nächstes werde ich mir ihren Film über die kalabrische Mafia „Lady Ndrangheta“ ansehen.
Sie hat auch ein neues Projekt in der Mache: Zusammen mit ihrem Mann Pierre arbeitet sie an einem Mehrteiler über die Familie Grimaldi im Stil von „The Crown“.

Man darf gespannt sein!