Die dunkle Seite der Kaiserin – Sisi als Fin de Siècle- Phänomen

Die dunkle Seite der Kaiserin – Sisi als Fin de Siècle- Phänomen

Als ich kürzlich in Ungarn war, ist mir einmal mehr aufgefallen, wie sehr Sisi die Menschen noch immer beschäftigt. Aber auch, wie sehr sie an ihrem eigenen Mythos gebastelt hat. In der Öffentlichkeit nicht wahrnehmbar, begann sie – einer Fantasiegestalt gleich – in den Köpfen der Menschen ihre Existenz.
Mich selbst hat immer besonders die ältere Sisi interessiert, denn ich hatte den Eindruck, dass sich alle Fäden ihres Lebens kurz vor ihrem Tod zusammenfinden und überhöhen.
Umso willkommener war mir das Buch, das ich heute vorstellen möchte und das sich mit Elisabeths letzten Jahren befasst.

Credit:Amalthea Verlag

Eines muss in diesem speziellen Fall vorangestellt werden: beim hier vorgestellten Titel handelt es sich um eine Neuauflage. Es hieß im Original „Mein Herz ist aus Stein“ und erschien bereits 2013.
Bei der Neuauflage kam ein Vorwort hinzu, das Cover wurde geändert und auf den Film „Corsage“ hingewiesen.
Dies hat sichtlich zu Irritationen bei Leserinnen geführt und sich in teilweise negativen Wertungen niedergeschlagen.
Ich persönlich finde, dass man sich verlagsseits diese Probleme hätte sparen können, wenn man Cover und Titel beibehalten hätte. (Allerdings finde ich das aktuelle Cover wesentlich ansprechender).

Was mich persönlich für das Buch eingenommen hat, war die Tatsache, dass es sich nicht um die 101. reine Biografie der Kaiserin/ Königin handelt, sondern ihr Leben unter einem bestimmten Aspekt betrachtet wird, nämlich als Fin de Siècle- Phänomen.

Beginnend mit der Hermes-Villa untersucht Lindinger nicht nur Elisabeths künstlerischen Geschmack, sondern inwieweit sie Modetrends ihrer Zeit aufgegriffen hat.

Mit ihrem Aussehen (groß und schlank) stand sie im krassen Gegensatz zum gängigen Zeitgeschmack, der füllige Frauen bevorzugte. Speziell auch in den Kreisen des (Hoch)Adels. Sie suchte und fand ihr persönliches Schönheitsideal dann bei den Malern der Zeit, die ihrerseits die mageren, dahinschwindenden Frauengestalten in das Zentrum ihrer Arbeiten stellten.

Es hat mich durch das ganze Buch hinweg immer wieder verblüfft, wie intensiv Elisabeth den herrschenden Zeitgeist aufgegriffen und sich an ihm orientiert hat.

Ich nehme nur ihre Art zu schlafen: nackt, bei offenem Fenster, eingewickelt in nasse Tücher. Natürlich ohne Kissen, denn Kissen versprachen Falten. Das Ganze orientiert sich an der Lebensreformbewegung, die in ihren unterschiedlichsten Ausprägungen ein „Zurück zur Natur“ propagierte.

Ist ja irre – Eine Kaiserin unter Verrückten

Dass Sisi sich intensiv mit dem Thema Geisteskrankheiten auseinandersetzte, ist bekannt. Wenn sie irgend konnte, drückte sie sich vor offiziellen Terminen, doch bei „Irrenhäusern“ machte sie eine Ausnahme. Im Gegenteil – dort verlangte sie, mit den Patienten sprechen zu dürfen und erkundigte sich eingehend über deren Symptome und Krankheitsverläufe.

Lindinger führt aus, dass es sich hierbei um ein nicht nur dem Zeitgeist geschuldetes Interesse handelte. Vielmehr häuften sich in Elisabeths Familie die Fälle von Geisteskrankheit, aber auch von Depressionen. Wo ihr Vater noch als „sonderbar“ und „exzentrisch“ galt, wurden sowohl ihre Schwester, als auch Ludwig II und sein Bruder Otto unter Vormundschaft gestellt. (Otto starb sogar in einer Nervenheilanstalt, die nur ihn beherbergte.)

Offensichtlich hatte Elisabeths Interesse damit zu tun, dass sie mehr über Geisteskrankheiten herausfinden wollte um ihre persönliche Disposition besser einschätzen zu können.

Kunst und Kaiserin

Besonders ansprechend finde ich in dem Buch den Zusammenhang zwischen Elisabeth Vorlieben in der Kunst und Literatur und ihrem eigenen Leben dargestellt. Lindinger schaffte es nicht nur, uns die biografischen Details vorzustellen, sondern auch einen Überblick über die (Avantgarde- Kunst) ihrer Zeit zu geben.

So regte mich die Lektüre dazu an, über Elisabeths Todessehnsucht und dem Werk von Künstlern wie Füssli oder Hirschl-Hilémy intensiver nachzudenken. Kann es sein, dass sie einfach Gleichgesinnte suchte und sie in diesen Kunstformen und Künstlern fand? Nach dem Motto: schaut – ich bin nicht die Einzige!
Was Elisabeth an Kunstwerken kaufte, hatte übrigens immer mit ihrer persönlichen Befindlichkeit, ihren persönlichen Vorlieben zu tun und weniger mit einem besonderen Gespür für sammelnswerte Objekte.

Spannend für mich war auch, wie nah Elisabeth und Ludwig bei der theatralischen Präsentation von Kunstwerken in ihrem Umfeld waren. Beide interessierten sich für moderne Technik und ließen die wo irgend möglich einbauen. Farbiges elektrisches Licht diente unter anderem dazu, Gemälde besonders hervorzuheben.

Die Kaiserin und die Toten

Der Tod ließ Elisabeth nicht los. Seit Ludwig II ums Leben gekommen war, befasste sie sich permanent mit dem Tod und dem Sterben. Schwarz wurde ihre bevorzugte Farbe (nicht erst seit dem Tod ihres Sohnes).
Sie besuchte in Palermo die Katakomben mit den zahllosen Mumien und widmete sich dem Okkultismus.
So sprach sie zum Beispiel mit ihrem Lieblingsdichter Heinrich Heine. (Warum nicht mit dem von ihr so verehrten Shakespeare, fragt man sich. Bekommt aber keine Antwort …)
Auch diesen Bereich zeichnet Lindinger sehr schön nach und gibt einem damit zahlreiche Anhaltspunkte, die zu einer tiefergehenden Beschäftigung mit dem Thema führen können, wurde im 19. Jahrhundert doch europaweit ein Totenkult in kaum je zuvor gekanntem Ausmaß gepflegt.

Der Kaiser, die Kaiserin und Frau Schratt

Für uns heute kaum vorstellbar und sicherlich nicht mit dem Romy Schneiderschen Sisi-Bild in Einklang zu bringen, ist die Tatsache, dass das kaiserliche Ehepaar förmlich in einer Ménage à Trois lebte.

Nicht nur, dass der Kaiser mit der Schauspielerin Katharina Schratt in einer der Öffentlichkeit bekannten Beziehung lebte – er hatte schon zuvor fast 14 Jahre mit Anna Nahowski eine Beziehung gehabt, aus der auch Kinder hervorgegangen sein sollen. So war angeblich die spätere Ehefrau des Komponisten Alban Berg eine Tochter des Kaisers.

Elisabeth wusste nicht nur um die Liebe des Kaisers zu Frau Schratt – sie förderte sie sogar noch und nannte die Schauspielerin ihre „Freundin“. Kein Wunder, denn so lange der Kaiser mit Katharina Schratt beschäftigt war, brauchte er Elisabeth nicht um sich.

Doch Lindinger betrachtet nicht nur eine Katharina Schratt als Person, sondern als Beispiel für all die Schauspielerinnen und Sängerinnen, die die Gesellschaft eroberten.
Bühnenstars begannen damals, den Adel als modisches Vorbild abzulösen. Auch Elisabeth bildete da keine Ausnahme. Bekanntlich engagierte sie ihre Leibfriseurin vom Burgtheater weg, wo sie für die Frisuren der Schauspielerin verantwortlich gewesen war.

Was nun die oft geflüsterte Eheschließung zwischen dem Kaiser und der Schauspielerin angeht, so gibt es zwei Hinweise auf eine solche: Zum einen will ein Brautpaar 1934 eine entsprechende Eintragung in einem Traubuch gesehen habe. Das Buch existiert allerdings nicht mehr. Zum anderen stellte nach dem Tod des Kaisers sein Nachfolger Karl Katharina Schratt seiner Ehefrau Zita vor.
Wäre Schratt nicht Ehefrau des Kaisers gewesen – so Lindinger – wäre dieser Vorgang unvorstellbar.

FAZIT:

Wenn man von dem irreführenden Cover absieht, handelt es sich um ein empfehlenswertes Buch über die Kaiserin. Vielleicht nicht zwingend für die erste Beschäftigung mit ihr, sondern, wenn man sie in dieser speziellen Facette als Repräsentantin des Zeitgeistes kennenlernen möchte.
Lindinger schafft es, die Kaiserin als das vorzustellen, was sie war: Ein Kind ihrer Zeit, wenn auch in einer sehr eigenen Art und Weise, denn es dürfte kaum jemanden gegeben haben, der ein derart selbstbestimmtes, ja egomanisches Leben hat führen können wie Elisabeth.

Es ist Lindinger anzurechnen, dass sie nicht in blinde Ehrerbietung verfallen ist, sondern auch die Schattenseiten der Kaiserin behandelt. (So wenn Elisabeth ihre eigene Tochter in einem Gedicht als „rackerdürre Sau mit ihren Ferkeln“ bezeichnet.)
Dazu kommt, dass Elisabeth im Normalfall sämtliche Bitten des Kaisers, sich ein wenig mehr zu zeigen, Termine in der Öffentlichkeit wahrzunehmen oder bei Staatsbesuchen dabei zu sein, ignorierte.
Elisabeth nutzte die Privilegien ihrer Position voll und ganz aus, verweigerte aber die daraus erwachsenden Pflicht ebenso entschieden.

Ich muss gestehen, dass Elisabeth für mich jahrzehntelang eine einzigartiges Phänomen von einer Frau war. Ich bin irgendwie immer davon ausgegangen, dass all ihrer Spleens und Eigenarten aus ihr selbst entstanden seien. Mithin auf ihrem eigenen Mist gewachsen. Das große Verdienst von Lindingers Buch besteht für mich persönlich darin, dass ich nun verstanden habe, in wie vielen Fällen die Kaiserin sich einfach an der künstlerischen Avantgarde ihrer Zeit orientiert hat. Inwiefern sie sich in der Kunst wiedergefunden hat und Gleichgesinnte entdeckt. Sie war endlich in ihrer ganz persönlichen Welt nicht mehr alleine.

FAKTEN:

Michaela Lindinger: Die dunkle Kaiserin: Elisabeths späte Jahre. Amalthea Verlag, 2024. 264 Seiten, 25€
zuvor erschienen als: „Mein Herz ist aus Stein – Die dunkle Seite der Kaiserin Elisabeth“. Amalthea Signum Verlag, 2013, 256 Seiten, antiquarisch

Mehr aus dem Verlag:

www.amalthea.at


Die Habsburger – Mehr als Kinn und Unterlippe

Die Habsburger – Mehr als Kinn und Unterlippe

Alles begann mit Henry VIII, dem englischen Tudor- König. Dem Gewaltherrscher auf dem englischen Thron und seiner Tochter Mary.

Seit Jahrzehnten befasse ich mich mit der Geschichte der Tudors und damit natürlich eng verbunden – den Habsburgern. Schließlich war Mary I mit Philipp II von Spanien, einem Habsburger, verheiratet.

In die Schule ging ich in Speyer, wo im Dom der Stammvater des Hauses, König Rudolf I, beigesetzt ist.
Dazu kam dann Kaiserin Elisabeth II von Österreich. Jener Wittelsbacherin, die ebenfalls mit einem Habsburger (Kaiser Franz Josef) verheiratet war. Diese Aufzählung ließe sich schier endlos fortführen … Deswegen sage ich nur: Wer sich mit europäischer Geschichte befasst, kommt um die Habsburger nicht herum.
Und so empfand ich es als an der Zeit, endlich mal eine Monographie des Hauses zu lesen und wurde bei Martyn Rady fündig.

Zunächst erscheint das Buch monumental. Aber was kann man erwarten bei der Beschreibung einer Familiengeschichte, die mehrere hundert Jahre lang im Zentrum aller europäischen Ereignisse stand?

Aber das vorliegende Buch ist mehr als nur „ein Klotz“ von einem Buch. Es ist europäische Geschichte en gros und en Detail. Der Autor schafft es, beinahe einen Krimi zu schreiben. Das, was die Briten einen „Pageturner“ nennen.
Man will unbedingt wissen, wie es weitergeht.
Und das Buch ist noch viel mehr.
Man erhält einen Blick in das Weltwissen, denn die Familie hat mit all ihren verschiedenen Zweigen, nicht nur politisch und militärisch gewirkt, sondern auch in der Kunst und in der Wissenschaft.
Sei es die schier unbegrenzte Sammelleidenschaft, sei es die Manie, sich in die Alchemie hineinarbeiten zu müssen, die Welt verstehen zu wollen – all das findet sich in den Kapiteln des Buches.

Wir lernen mittels der international vernetzten Habsburger unglaublich viel über die Menschheitsentwicklung, aber auch über ihre Irrwege.
Besonders faszinierend hierbei, wie die politische und gesellschaftliche Entwicklung anhand bestimmter Aspekte der Kunst aufgezeigt werden.
So zum Beispiel der „schachspielende Türke“ – eine Maschine, die im 18. Jahrhundert Europa elektrisiert hat. Es handelte sich dabei um die Figur eines Türken, der (angeblich) Schach spielen konnte. Tatsächlich befand sich in der Installation ein kleinwüchsiger Schachspieler, der die Züge des Automaten steuerte.

Ein wunderbares Beispiel dafür, wie sich die Angst vor einem türkischen Angriff zu Zeiten Maria Theresias in ein Unterhaltungsobjekt verwandelt hatte.

Am Beispiel des Vampir-Glaubens stellt uns der Autor den Eingriff des Rationalismus vor, der – im Auftrag Maria Theresias – belegen sollte, dass es sich bei dem Glauben an Vampire um nichts weiter als Aberglauben handelte.

Wissenschaftler wurden von der Herrscherin ausgeschickt, um diesen Aberglauben zu untersuchen und ad absurdum zu führen, was den Männern auch gelang. Verstand und logisches Denken befehlen – das ging wohl nur in diesen längst vergangenen Zeiten …

So ließen sich noch zahllose Beispiele dafür finden, wie der Autor uns nach und nach das Netz zu durchdringen hilft, zu dem Kaiser, Könige, Kaufleute, Bauern und Bettler gehören. Wie sie mit ihren ganz individuellen Interessen neue Zeiten und neue Denkweisen beförderten oder stoppten.

Ein wirklich spannendes Buch, das am Ende so viel mehr kann als nur die Geschichte der Habsburger darzustellen.

Das Ganze endet im Prinzip mit dem letzten Habsburger Kaiser Karl, der seinen Generälen erklärt, dass der Erste Weltkrieg keinen Sinn mehr mache, da man ihn nicht mehr gewinnen könne. Karl, ein ebenso kluger wie umsichtiger Mann, dem am Ende nichts blieb als das Exil.

Einen letzten Hauch von Habsburger Größe stellt Rady mit Otto von Habsburg vor, der als Europa- Abgeordneter die Umsicht und auch die Achtsamkeit, die gespeist wurden von Jahrhunderten habsburgischer Erfahrung, in die Tagespolitik einzubringen vermochte.

Für mich ist aber auch gerade Otto von Habsburg ein warnendes Beispiel gegen die Monarchie. Man darf es nicht der Macht des Schicksals überlassen, ob ein allgewaltiger Herrscher klug und umsichtig ist, oder brutal und dumm.
Was diese Macht des Schicksals anrichten kann, wenn sie in die Hände eines Einzelnen gelegt wird, zeigt das Beispiel der Habsburger.

Es sollte uns allen eine Warnung sein.

FAZIT: Ein Buch wie ein Krimi. Eine Tour de Force durch die europäische Geschichte. Allerdings weitaus mehr als eine Familiensaga. Der Autor schafft es, aus einzelnen Teilen das Bild des Ganzen erstehen zu lassen. Ein hervorragender, übersichtlich aufgebauter Anhang mit Literaturliste, Belegen, Stammbäumen und Personenregister rundet das Lesevergnügen ab.
Unbedingte Leseempfehlung!

FAKTEN:
Martyn Rady: Die Habsburger, Aufstieg und Fall einer Weltmacht, Rowohlt Verlag 2021, 623 Seiten, 34 €

SISI – Leben und Sterben einer Kaiserin

SISI – Leben und Sterben einer Kaiserin

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Die beiden dunkel gekleideten Frauen nähern sich dem Anlegesteg des Dampfers, der die gegenüberliegenden Seiten des Genfer Sees miteinander verbindet.
Vor ihnen liegt ein Tag wie so viele zuvor: Wanderungen, Essen gehen, Besichtigungen.
Ihr Leben scheint nur daraus zu bestehen.
Als ein Mann in schäbiger Kleidung auf sie zugestürmt kommt und der Größeren der beiden mit der Faust gegen die Brust schlägt, sodass diese zusammenbricht, wissen beide nicht, was der Hintergrund dieser Attacke war.
Passanten rennen hinter dem Flüchtenden her, halten ihn fest und übergeben ihn der Polizei.
Die beiden Frauen besteigen den Dampfer.

„Was wollte der Mann von mir? Sicherlich wollte er meinte Uhr…“, vermutet die Angegriffene.

Dann sackt sie zusammen. Als sie noch einmal kurz zu sich kommt, sagt sie „Was ist denn eigentlich geschehen?“ Es sind ihre letzten Worte.

Wir alle wissen, wer die beiden Frauen waren: Elisabeth Amalie Eugenie, Kaiserin von Österreich und Königin von Ungarn. Unterwegs mit ihrer Hofdame Gräfin Irma Sztáray.

Es war der 10. September 1898.

Während die Kaiserin im Hotel Beau Rivage stirbt, sitzt der Kaiser in der Hofburg und schreibt einen Brief an seinen Engel.

Es ist das Ende einer langen Geschichte. Eines nicht sehr langen Lebens. Und vor allem: eines verschwendeten Lebens.

Wer denkt, seit dem Monumentalwerk von Brigitte Hamann über die Kaiserin sei nichts Nennenswertes mehr erschienen, täuscht sich. Den hier vorliegenden Band aus dem Kral-Verlag kann man jedem empfehlen, der sich fundiert über alle Facetten von Sisis Leben informieren will, ohne aberhunderte von Seiten lesen zu müssen.
Chronologisch sortiert präsentiert das Buch das Leben der Kaiserin und ihres Umfeldes ohne jede Schönfärberei.
Das ganz Besondere an dem Buch ist aber ohne jeden Zweifel die hervorragende Bebilderung.
Seite um Seite erschließt sich uns dieses Leben, das schlussendlich keinen bleibenden Nachhall in der österreichischen Geschichte hatte, dafür umso mehr in der Populärkultur.

Die Kaiserin hatte einen denkbar günstigen Start im Leben.
Da sie einem nicht thronfähigen Zweig des Hauses Wittelsbach entstammte (in Bayern – nicht von Bayern), konnte die Familie ein sorgenfreies Leben führen und musste sich keinen königlichen Pflichten unterwerfen. zudem verfügte die herzogliche Familie über genügend Geld, um einen recht exzentrischen Lebensstil mit vielen Reisen zu pflegen.
Mit zahlreichen, auch weniger bekannten Abbildungen und Zitaten stellt uns das Buch diese Herkunft Sisis vor. Den exzentrischen Vater und die Mutter, die weit unter ihren Schwestern heiraten musste. (Eine war Königin von Sachsen geworden, eine andere Kaiserin von Österreich)


Von den üblichen royalen Erziehungsmaßnahmen verschont geblieben, lebte Sisi ein freies und ungezwungenes Leben. Fast so idyllisch wie Ernst Marischka es uns in seinen Sissi-Filmen vorführt.

Der Nachteil dieses Lebens tat sich allerdings auf, als der Kaiser beschloss, nicht die ältere Schwester Helene, sondern die 15jährige Sisi zu heiraten.
Mitten in den höchst intriganten Wiener Hof gestoßen, fand sich das Mädchen wieder in einem wahren Haifischbecken. Erzherzogin Sophie, die verhasste Schwiegermutter, sah sich mit der Aufgabe konfrontiert, aus dem unwilligen Backfisch mit den gelben Zähnen eine Kaiserin von Österreich zu machen.

Hier liegt nun ein ganz großes Plus des Buches: niemals lassen sich die Autoren von den tiefhängenden Früchten des schlechten Rufes der Protagonisten verführen.
Sie stellen uns alle am Drama Beteiligten in ihren Facetten vor.

Erzherzogin Sophie, die ihren Mann dazu gebracht hatte, zugunsten des Sohnes Franz Josef abzudanken, wusste nur all zu gut, welche Last es bedeutet, Kaiserin zu sein, wenn man begriffen hat, was der „Job“ erfordert.
Es war Sisis Tragik, das sie es nicht begriffen hat. Auch war sie nicht das kalte Biest, als das sie in den Sissi-Filmen dargestellt wurde, sondern nahm zum Beispiel am Leben der Enkelkinder lebhaften Anteil und wurde von diesem wiedergeliebt.

Im Buch kommt ein sehr erhellendes Zitat Sisis vor: „Was hat man davon, heutzutage Kaiserin zu sein!“ bemerkte sie voll Bitterkeit. „Man ist nur eine Anziehpuppe. Ah, wie gern hätte ich im alten Rom geherrscht! Die Kaiserinnen vergangener Tage wußten noch, was Tiefe des Lebens und der Liebe ist. Ihr Dasein war nicht grau und trübe, wie das meine, das von einem Wall von Etiketten ummauert ist.“
Das dürfte das gröbste Unverständnis römischer Kaiserinnen sein, das ich je gelesen habe…

Ausgerechnet Sisi, die jegliche Pflicht ablehnte, die sich keinen Pfifferling um ihr Land, ihren Mann oder die ihr untergebenen Völker scherte – ausgerechnet sie sehnt sich nach der Position einer römischen Kaiserin.
Das hat was.

Solche Stellen sind es, die das Buch so ungeheuer lesenswert machen, denn sie stellen uns die betreffenden Personen so eindrücklich vor wie ein Blitz, der plötzlich eine dunkle Landschaft erhellt.

Wir lernen Sisi in dem Buch aber auch noch anders kennen, nämlich von ihrer humorvollen Seite … So als ihr Gegenüber bei einem Essen mit seinen Zahnstochern spielte, und dabei einen versehentlich in Sisis Teller schnippte. Sie bekam daraufhin einen Lachanfall. Der Kaiser, der den Vorfall nicht bekommen hatte, fragte, was denn passiert sei, worauf Sisi dem hochverlegenen Grafen die Ehre rettete, indem sie ihn nicht verriet, sondern unter Lachtränen sagte, es sie nichts passiert, sie habe nur gerade an etwas denken müssen.

Wir lernen in dem Buch sogar, dass die Kinder ihre Mutter „Mamutz“ genannt haben und sich über jede Minute freuten, die sie bei ihnen verbrachte, auch wenn es dann jedesmal Theater gab. (Ich persönlich denke, sie wurden Opfer des Stockholm-Syndroms …)
Sisi hielt nämlich mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg. So setzte sie ihrer Schwiegertochter Stephanie in absolut herzloser Weise nach.

Nach dem Selbstmord des Thronfolgers überfiel sie die verhasste junge Frau mit den Worten, diese habe ihren Vater gehasst, ihren Ehemann nicht geliebt und liebe auch ihr Kind nicht.
Dazu gehört schon etwas. Zumal Rudolf der Auslöser aller Misere war. Man geht heute davon aus, dass er seine Frau mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt hat und sie deswegen keine Kinder mehr bekommen konnte. Seine Alkohol,- und Drogensucht war auch seiner Mutter bekannt. Von seinen zahlreichen Affären mal ganz zu schweigen.
Dennoch kippte Sisi allen Hass über Stephanie aus, die sicherlich nicht das einfachste Leben hatte, zumal sie sogar ihren Vater hatte verklagen müssen, um das mütterliche Erbe ausgezahlt zu bekommen. (Dies vor dem Hintergrund, dass ihr Vater der berüchtigte Leopold II von Belgien war, der im Kongo ein Gewaltregime führte.)

Natürlich darf auch Sisis Ernährung als Thema nicht fehlen … Die Autoren untersuchen die Quellen dazu genauer und kommen zu dem Ergebnis, dass Sisi nicht ausschließlich von Brühen und Luft lebte, sondern vielmehr einen eher exzentrischen Geschmack hatte. Es war eine Art Achterbahn-Ernährung: Sisi ernährte sich tagelang von Säften und Milch, um dann wieder richtig zuzuschlagen. So aß sie – wenn sie in München war – grundsätzlich im Hofbräuhaus. Bayerisch. Deftig. Unterwegs mussten immer die Produkte der Heimat vorhanden sein, was einen ziemlichen organisatorischen und finanziellen Aufwand bedeutete. Da durften auch bestimmte Mehlspeisen zum Frühstück nicht fehlen.
Als Fazit kann man sicherlich sagen, dass Sisi so sportverrückt wie zum Beispiel Prinzessin Catherine war, dass man aber um die Ernährung der Prinzessin von Wales weniger Aufhebens macht.

Eine Essstörung, wie sie oft unterstellt wurde, hatte Sisi wohl nicht.

Was sie aber sicherlich hatte, war Realitätsferne.
So schildert das Buch sehr genüsslich einen Dialog zwischen ihrer Hofdame und der Kaiserin, den die Gräfin Festetics in ihrem Tagebuch notierte:

„Wir gingen auf dem Sikló hinab nach Pest. Im Coupé sagte Sie mir: „Haben Sie Geld?“ – „Ja, Majestät.“ – „Wie viel?“ – „Nicht sehr viel, 20 Forint.“ – „Das ist ja viel.“ – „Nicht besonders.“ – „Kann man nicht viel kaufen? Ich möchte zu Kugler (Konditorei) und für Valerie Einkäufe machen.“ (…) Glücklich unbemerkt kommen wir hinüber, dort fielen die Leute vor Überraschung fast um. Sie kaufte mit Wonne, und als ein großer Haufen der schönsten und besten Sachen beisammen war, fragte Sie: „Ist es schon zwanzig Forint wert?“ Ich glaube, es war für 150 Forint.“

Es sind diese kleinen Histörchen, die das Buch für mich so spannend machen und das Bild der Kaiserin vervollständigen.

FAZIT:

Das Buch ist rundum empfehlenswert. Nicht nur für diejenigen, die sich schon eingehend mit der Kaiserin beschäftigt haben, sondern auch für die Neu-Interessierten.
Es besticht nicht nur durch Fachkenntnis und einen unterhaltsamen Aufbau, sondern besondern durch liebevoll gemachtes Design und Foto-Qualität. Es ist einfach ein Genuss, es durchzublättern und immer wieder an bekannten und unbekannten Abbildungen hängen zu bleiben.
Hierbei sei auch darauf hingewiesen, dass „Elisabeth – Ungewöhnlich war sie zu allen Zeiten“ ein Buch ist, bei dem man die Untertitel der Fotos unbedingt lesen sollte, da sie immer wieder Interessantes wiedergeben und nicht nur festhalten, was auf dem Foto zu sehen ist.

Das Preis-Leistungsverhältnis ist sehr gut. Man bekommt wirklich etwas ganz Besonderes für sein Geld.
Für mich persönlich hat sich der Kral-Verlag mit dem Buch in meinen Fokus geschoben und ich werde mir mit Sicherheit noch mehr Titel aus dem Verlag besorgen.

Die Fakten:
– Hannes Etzlstorfer und Philipp Ilming: Kaiserin Elisabeth – Ungewöhnlich war sie zu allen Zeiten; Kral Verlag, 2023, 322 Seiten, 39,90 €

Link zum Verlag:
www.kral-verlag.at