Rezension „Spare“ / „Reserve“von Prinz Harry

Zunächst zu den Eckdaten:

Ich habe die deutsche Übersetzung als eBook gelesen.
Es hat 87 Kapitel, die lediglich durchnummeriert sind und keine Überschriften haben.
Es gibt drei Hauptteile; „Aus der Nacht, die mich umfängt“, „Das Haupt voll Blut, doch stets erhoben“ und „Käpt’n meiner Seel“.
Diese drei Überschriften entstammen dem Gedicht „Invictus“ von William Ernest Henley (1875).
Ich konnte keinen Hinweis auf einen Ghostwriter entdecken. Googelt man, findet man J. R. Moehringer, der sich im Nachgang auch zu dem Buch in der Presse äußert.

Ich habe lange mit mir gerungen, ob ich das Buch kaufen solle. Ob ich es lesen solle. Ob ich es überhaupt WOLLE … Gut – ein Teil der Einnahmen geht an wohltätige Zwecke, also – dachte ich mir – scheiß drauf!
War nur die Frage, ob ich die deutsche Übersetzung, oder das englische Original nehmen soll. Ich entschied mich für die deutsche Ausgabe, da ich davon ausgegangen bin, dass die meisten meiner LeserInnen deutschsprachig sind und ich deswegen so am direktesten würde zitieren können, ohne das jeweilige Zitat durch meine eigene Übersetzung zu verfälschen.

Verfälschen“ – das ist jetzt natürlich schon so ein Stichwort. Im Prinzip dreht sich alles in diesem Buch darum. Wer hat etwas wie verstanden, wie gemeint und wie verbreitet.

Aber – First things first: Das Buch beginnt mit einem Gespräch zwischen William, Harry und Charles (damals noch Prince of Wales) anlässlich der Beerdigung von Prince Philipp. Dann wendet Harry den Blick zurück auf den Tod und die Beerdigung seiner Mutter.

Diana – das ist der eine rote Faden, der sich durch das ganze Buch zieht. Ihr Verlust. Die Lücke, die sie hinterlassen hat.
Auf diese Ursache führt Harry alle seine darauffolgenden Probleme zurück. (Auf die oder auf die Presse)
Und davon gibt es eine Menge.

Mit dieser Szene begann wohl die Liebesgeschichte zwischen Harry und der Welt.
Die Herzen aller Menschen, selbst jener, die das Königshaus kritisch sahen (und/oder sehen), wandten sich den beiden jungen Prinzen zu, die dem Sarg der Mutter folgten. Allen voran dem zwölfjährigen Harry.
Beinahe Übermenschliches verlangte die Krone den beiden Jungs ab, die nicht nur den langen Weg hinter dem Sarg hergehen mussten, sondern, die auch noch Walkabouts absolvieren mussten, bei denen sie die Beileidsbekundungen der Menge entgegennahmen. (Wobei ich mich bis heute frage, warum das so ein Männer/ Jungs- Ding war. Warum sind nicht auch z.B. Dianas Schwestern mitgelaufen?)

Und nun kommt mein erster Kritikpunkt: Es ist diese Liebe und Zuneigung, die Harry in seinem Buch vollkommen vernachlässigt. Vergisst. Nun tritt nämlich der zweite rote Faden zutage: Die Presse!
Für Harry steht fest: Es waren die Paparazzi, die seine Mutter getötet haben.
Dass es eher ein betrunkener, sich selbst überschätzender Fahrer gewesen sein könnte, ein Paar, das sich schlicht nicht angeschnallt hatte, eine sich ausbreitende Hysterie der Fahrgäste, der Presse zu entkommen, einem Bodyguard, der seine Arbeit nicht tat …
Das hat der Prinz nicht im Blick.
Nicht angeschnallt.
So schlicht. So banal. So tödlich.
Sämtliche Gutachter waren einer Meinung: Wäre Diana angeschnallt gewesen, wäre sie zwar verletzt worden, aber sicherlich nicht tödlich.

Dies außer Acht lassend, nimmt der Prinz uns mit durch sein zerfurchtes Leben.

Seine Bindung an den älteren Bruder, den „Heir“ (= „Erbe“).
Prince Charles, der sich nach Kräften mühte, seinem jüngeren Sohn beizustehen und seine Aufgabe als alleinerziehender Vater möglichst gut zu erfüllen. (Was Harry auch selbst zugibt)
Seine Beziehungen. Seine Drogen und Alkohol-Eskapaden. Seine Militärkarriere. Und schlussendlich seine Beziehung zu Meghan Markle.

Wir lernen, dass Harry kein Geistes-Titan ist. Die Schule (Eton) schaffte er nur mit Mühe (vielleicht hätte er mehr lernen sollen und weniger kiffen). Die Aufnahmeprüfung in Sandhurst gelang nur knapp. (Ein Ausbilder sagte in einem Interview, sie seien von seinen kindischen Antworten bei der Aufnahmeprüfung schockiert gewesen)

Mit der Armee aber fand er die zweite große Liebe seines Lebens. Die erste war mit Sicherheit Afrika.

Hier in Afrika gründete er mit dem Prinzen Seeiso die Hilfsorganisation „Sentebale“ (= „Vergissmeinnicht“), die sich um HIV- Weisen kümmert.

Sieht man die Bilder von Harry in Afrika, wird einem klar, was in diesem Mann steckt. Wie wunderbar er speziell mit Kindern umgehen kann. Wie groß sein Herz ist und welches Engagement er mitbringt.

Die andere große Liebe gilt und galt der Armee.
Er war Berufsoffizier und hatte zwei Fronteinsätze in Afghanistan. (Ein zunächst geplanter Einsatz im Irak musste abgesagt werden, da es Sicherheitsbenken gab, auch in Bezug auf seine Kameraden).

Als Hubschrauberpilot verfolgte er Taliban (oder was er dafür hielt) und versuchte, diese zu töten.
Hier kommt nun mein erster Kritikpunkt:
Ich stamme aus einer Familie, deren Männer in diversen Kriegen gekämpft haben und keiner, absolut keiner, hat – auch auf Nachfragen hin – jemals auch nur annähernd über die Zahl der getöteten Gegner gesprochen.
Insofern schockierte mich, dass Harry ganz klar sagt „Meine Zahl ist 25.“ MEINE ZAHL???
Hier kam ich ins Straucheln. Selbst wenn es wirklich Taliban waren, die er getötet hat (worüber zu diskutieren wäre) – es waren Menschen! Jeder seiner „25“ hatte Mutter und Vater. Geschwister vielleicht. Freunde.

Und es wäre ja nicht so, als wäre der Afghanistan- Einsatz ihrer Streitkräfte in Großbritannien unumstritten. Im Gegenteil. Die Mehrheit des Landes hält den Einsatz für unnötig und ist der Meinung, die englische Regierung habe sich von den Amerikanern in diesen Krieg hineinziehen lassen. Er hätte also mit entsprechenden Äußerungen sicherlich die öffentliche Meinung nicht gegen sich aufgebracht.
Tatsächlich muss man kein Pazifist sein, um zu fragen, was die Briten und Co. in diesem Land zu suchen hatten.
Harrys Einsatz dort hatte allerdings eine positive Folge:
Er wurde zur Gründung der Invictus Games angeregt, die die sportlichen Leistungen verwundeter Soldatinnen und Soldaten präsentieren.
(In diesem Jahr finden sie übrigens in Deutschland statt)
Wer sich dafür interessiert: https://invictusgames23.de

Und damit komme ich zu einem weiteren Punkt:
Die fehlende Reflexion. Das fehlende Umfeld.

Ich habe ja bereits über Harrys Leidenschaft für Afrika geschrieben. Diese Seiten zählen für mich zu den wenigen lesenswerten Stellen im Buch. Seine Naturbeschreibungen sind wirklich toll und machen Spaß.
Wenn er beschreibt, wie er mit einem Team die Verbrechen von Wilderern zu dokumentieren half, wollte ich die ganze Zeit rufen: Mehr! Mehr! Mehr!
Aber – ein paar wenige Seiten und das war’s.
Man würde sich so sehr wünschen, dass er mehr über diese Länder berichtet. Politische und historische Hintergründe aufarbeitet. Aber – NIX!
Ich schätze, Harry fehlt einfach das intellektuelle Niveau, um das zu leisten. Seinem Ghostwriter hat er es aber auch nicht überlassen, vielleicht weil er fürchtete, dann nicht mehr durchzublicken, oder, dass ihm dann der Platz fehlen würde für seine Medienschelte.

Und da wären wir wieder: die Presse!
Das ist SEIN Thema. Die Presse ist an allem Schuld. Und hier wird nicht etwa differenziert. Es gibt keine Journalisten, die sich um eine gute, interessante Berichterstattung bemühen. Keine Presse, die Plattform und Sprachrohr für gute Zwecke ist.
NEIN!
Nur Verbrecher und Scheißkerle.

Mach wir uns nichts vor. Die englische Boulevard-Presse ist scheiße. Sie hacken Telefone und Computer. Sie erfinden Stories wo keine sind. Sie ruinieren Existenzen ohne auch nur hinzuschauen. Das sind keine netten Burschen. Das sind Schweine, die ihr eigenes Kind verkaufen würden, wenn man ihnen nur genug dafür böte.
Was diese Leute angeht, so bin ich ganz bei Harry.
Und ich kann absolut verstehen, warum er sie seit Jahren verklagen will.
Ich kann aber auch verstehen, dass der Palast mit dem Thema extrem vorsichtig ist.

Was die Presse angeht, hat Harry in meinen Augen einen echten Schaden. Er ist so fixiert, dass einem beinahe Angst werden könnte. Er kann sich nicht für einen Moment ruhig mit dem Thema auseinandersetzen.
Die Blätter ignorieren, wie es ihm Vater und Bruder empfehlen, kann er aber auch nicht.
Ehrlich gesagt, ist das Thema irgendwann im Buch nur noch nervig.
Man kann es nicht mehr hören. Wie er sich verkleidet wenn er Brot kaufen geht. Wie sie ihm auflauern. Wie sie seine Beziehungen zerstören.
Irgendwann denkt man: die sind garantiert auch am miesen Wetter schuld. Und Harry wird es beweisen!

Ja, er geht sogar so weit, den Selbstmord seiner früheren Geliebten Caroline Flack den endlosen Nachstellungen durch die Presse zuzuschreiben.
Tatsächlich hat sich Flack wohl umgebracht, weil sie kurz vor einem Prozess stand, weil sie einen früheren Freund attackiert hatte.
Wie Flacks ehemaliger Manager mitteilte, könne er nicht nachvollziehen, wieso Harry dies in seinem Buch schreibe. Er hätte seit Jahren keinen Kontakt mehr zu Flack gehabt und über die Ursachen des Selbstmordes wüsste nur die engste Familie Bescheid.
Unwichtig für unseren faktenversessenen Prinzen.

Don’t do as I do – Do as I say!!!!

Damit wären wir bei einem wichtigen Kritikpunkt angelangt.

Harry misst mit zweierlei Maß. Was er sich selbst zugesteht, spricht er anderen ab.

Wie komme ich darauf?
Ich will Beispiele nennen.

Der Zwist mit seinem Bruder William nimmt einen SEHR breiten Raum im Buch ein. Das ist absolut nachvollziehbar, denn die beiden wurden vom Tod der Mutter eng zusammengeschweißt.
Ein erster Bruch ergab sich in der Schulzeit, als William bereits in Eton war und Harry alleine bei Prince Charles lebte.

In der Zeit als beide Brüder gleichzeitig in Eton waren, distanzierte sich William vom kleinen Bruder Harry, wie Harry es empfand. Der ältere Bruder, der genervt ist von seinem jüngeren Anhängsel.
Danach trennten sich die Wege. William ging auf die Universität nach St.Andrews in Schottland (wo er Kate kennenlernte) und Harry begann seine Militärkarriere. William heiratete und wurde Vater – Harry torkelte bedröhnt aus allen möglichen Clubs.

Heir and Spare – Die Geschichte zweiter Brüder

Harrys Blick auf seinen Bruder kann folgendermaßen zusammengefasst werden:
– William wurde immer bevorzugt, weil er der Thronfolger ist.
– Ich habe immer nur die zweite Geige gespielt und nach der Geburt seiner Kinder nicht mal mehr die.
– William fällt mir immer in den Rücken, wenn es für ihn opportun ist.
– Er hat mich immer überrundet. Er hat sogar vor mir eine Familie gehabt.
– William steht wenn es hart auf hart kommt, immer hinter den Entscheidungen des Systems.

Er fordert immer wieder das Verständnis seines Bruders. Dessen Unterstützung. Er kritisiert dessen Kritik an Meghan Markle. Zeigt sich dünnhäutig, wenn es um seine Freundin/ Frau geht.
Harry zitiert William, der – zu Beginn einer Prügelei – zu ihm sagte, Meghan sei schwierig und fordernd.

Da fühlt man mit ihm.

Ich fühle dann aber nicht mehr mit ihm, wenn er anlässlich einer Einladung mit William und Kate die beiden Frauen folgendermaßen beschreibt: „Meg: zerrissene Jeans, barfuß. Kate: aufgedonnert bis zum Gehtnichtmehr.“ (S.637)
Das ist indiskutabel. Sorry.

Hinzu kommen die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Frauen. Aber dazu später mehr …

Zweierlei Maß

Aber nicht nur was die Dünnhäutigkeit angeht, misst Harry mit zweierlei Maß.
Wenn er sich bei Charles und William über die Presse beklagt, und diese ihm raten, die Sachen einfach nicht mehr zu lesen (und das kommt an mehreren Stellen des Buches), weist er diesen Rat brüsk von sich. Er will eine handfeste Reaktion. Kein Wegducken.
Das kann man verstehen.
Andererseits wissen Charles und William auch, dass sie die Presse brauchen. Sie können nicht alle über einen Kamm scheren.
Insofern scheint Harry auch bestimmte Mechanismen einfach nicht zu verstehen.
So, wenn ausgewählte Pressevertreter Zugang zu bestimmten Ereignissen bekommen. Er regt sich über diese Bevorzugung extrem auf und verbietet dieser Gruppe den Zugang zur Kirche anlässlich seiner Trauung.
Dass dies aber ein probates Mittel ist, um eine bestimmte Berichterstattung zu fördern, versteht er nicht.

Klage – Klagen – Klagen
Meghan Markle klagte schlussendlich, als die Presse einen Brief veröffentlichte, den sie ihrem Vater geschrieben hatte und in dem sie ihm riet, nicht mit der Presse zu sprechen. Problem: Thomas Markle selbst hatte den Brief an die Presse weitergegeben.
Zu Recht gewann sie den Prozess.

Ich fühlte mich hierbei an Prinzessin Caroline von Hannover erinnert, die jahrelang Opfer dümmlichster Yellow-Press-Kampagnen war.
Sie klagte so lange und so oft, bis der Spuk zu Ende war. Inzwischen findet man kaum noch Titelbilder mit ihr.
Wäre vielleicht ein Weg …

Tatsächlich sehen wir hier aber auch einmal mehr jenes „Don’t do as I do – Do as I say!“ aus meiner Überschrift. Denn was tun die beiden, als Meghan Vater und Mutter von der Presse belagert werden? Sie raten ihnen, sich still zu verhalten. Das Haus zu wechseln. Zu Freunden zu ziehen. Nicht mit der Presse zu reden etc.
Also exakt der Rat, den sie Charles und William um die Ohren gehauen haben …



Die Exen – Oder „Die Wiederkehr“

Womit wir bei dem nächsten Do as I do wären: Die Exfreundinnen von Harry:
In seinem Buch finden sowohl Cressida Bonas als auch Chelsy Davy recht breiten Raum als seine beiden großen, ernsten Beziehungen, die am Druck der Presse zerbrachen.
Beide Frauen sind heute verheiratet und haben Kinder. Nach den publicityträchtigen Monaten mit Harry sind sie wieder in der relativen Anonymität verschwunden und haben sich dort wohl auch wohlgefühlt.

So wohl jedenfalls, dass sie es auf Nachfrage des Prinzen rundheraus abgelehnt haben, an seinem Buch mitzuwirken.
Anstatt dies nun aber zu respektieren (wie er es ja immer für sich und die Seinen fordert), zerrt er die Beziehungen zu beiden Frauen mit der Preisgabe intimer Details ans Licht der Öffentlichkeit.
Das kann man so machen. Sollte man aber nicht.

Tierische Vergleiche

Harry berichtet, dass eine bekannte Autorin historischer Romane in einem Artikel die Königsfamilie mit Pandas verglichen hat. (Wer wissen will, welche Autorin es war, darf gerne googeln …)
Wenn er auch ein gewisses Verständnis für diesen Vergleich hegt, wie er schreibt, lehnt er dennoch Vergleiche mit der Tierwelt ab. Er beschreibt recht ausführlich, welche Konsequenzen es hat, wenn man entmenschlicht wird. Ja, er geht sogar soweit zu schreiben, dass die Entmenschlichung Voraussetzung ist, wenn man einen Menschen vernichten will. (Er muss wissen, wovon er spricht …)
Tatsächlich hat er da natürlich recht.
Umso mehr verwundert es, wenn er drei Mitarbeiter der Königin „Fliege“, „Wespe“ und „Biene“ nennt. Er beschreibt die Männer, nennt aber keine Namen*. Nirgends. Nur diese Tiernamen werden ihnen gegeben.
Und noch schlimmer!
Ich zitiere:
„Die Fliege hatte einen großen Teil ihrer Laufbahn in der näheren Umgebung von Exkrementen absolviert und sich sogar zu ihnen hingezogen gefühlt.“ (S.725)
Noch Fragen?

(*Übrigens nennt er nirgends Namen, wenn es ums Eingemachte geht. Er bringt auch keine Belege.)

So nah und doch so fern …

Die Geschichte von zwei Schwägerinnen … und einem (angeblichen?) Zwist

William und Kate waren längst verheiratet und hatten Kinder, als Meghan Markle auf der Bildfläche auftauchte und Prince Harry im Sturm eroberte.
Es war tatsächlich – zumindest nach royalen Maßstäben – eine Wirbelwindromanze. Und selbst dafür hält Harry die Gründe nicht zurück.
Er wollte heiraten und Vater werden. Punkt.

Zunächst lief wohl alles gut. Die vier wurden bald „The Fab Four“ getauft und engagierten sich für gemeinsame Charities.

Doch es gab auch tatsächliche Probleme zwischen den Frauen. Als es vier Tage vor der Hochzeit zu einem Streit um das Kleid für Charlotte kam (sie hatte geweint, weil es ihr zu bauschig und zu weit war), bekamen sich die Schwägerinnen heftig in die Haare. Kein Wunder, lagen doch sicherlich die Nerven auf beiden Seiten bloß.
Tatsächlich erschien Kate am nächsten Tag mit Blumen und entschuldigte sich für ihr Verhalten.

Zum richtigen Krach kam es – wen wundert’s – als sich die beiden Paare trafen, um die Knackpunkte im gemeinsamen Leben zu besprechen. Ziemlich schnell kam Kate auf einen Punkt, der sie – in meinen Augen zurecht – schwer verletzt hatte: In einem Gespräch mit Meghan hatte sie sich an etwas nicht mehr erinnern können und Meghan hatte gesagt, sie (Kate) würde ja gerade stillen und das sei wohl hormonbedingte Vergesslichkeit.
In dem klärenden Gespräch nun, brachte Kate dies auf den Tisch und mahnte Meghan, diese kenne sie nicht gut genug, um sich über ihre Hormone auszulassen. Meghan erklärte (so Harrys Erinnerungen), dass ihr das leid täte, wenn es so angekommen wäre, aber so würde sie eben mit ihren Freundinnen sprechen. Daraufhin hat wohl William mit ausgestrecktem Zeigefinger in Meghan Richtung erklärt, das man hier so etwas nicht tue. Daraufhin habe wiederum Meghan William angemeckert, er solle seinen Finger aus ihrem Gesicht nehmen.
Das Gespräch nahm ein zügiges Ende. Quel surprise…

Schon ziemlich bald wurde in der Presse ein Gegensatzpaar Kate / Meghan aufgebaut. Man verglich die beiden Frauen. Wie sie sich kleideten, wie sie sprachen, wie sie mit anderen umgingen.
Kate kannte das bereits.

Nach dem Universitätsabschluss war Kate mehrere Monate ohne Arbeit. Man beobachtete sie genau und ruckzuck hatte sie ihren Spitznamen weg „Waity- Katie“ oder „Princess-in-Waiting“. Man kritisierte offen, dass sie wohl nichts weiter tat, als auf die eine große Frage des Prinzen zu warten.
Doch Kate reagierte – wie immer – souverän. Sie suchte sich Arbeit. Für die Modekette „Jigsaw“ arbeitete sie als Assistenz-Chefeinkäuferin für Accessoires und danach unterstützte sie die Firma ihrer Eltern. Sie übernahm den Bereich Marketing und brachte die neue Linie „First Birthday“ heraus. (Die Familie Middleton hat mit einer am Küchentisch gegründete Firma für Partybedarf Millionen gemacht).
Im Übrigen durchlief sie das übliche Programm: sie wurde nach allen Regeln der Kunst in der Presse fertig gemacht. Für ihre Faulheit, den Neureichtum ihrer Eltern, ihre magere Figur, ihre nicht adelige Herkunft etc.
Für sie dauerte das Purgatorium sogar noch länger, da William sich im Gegensatz zu seinem Bruder mehrere Jahre Zeit ließ.

Hier liegt sicherlich der große Unterschied der beiden Brüder: William wartete. Prüfte. Beobachtete seine Künftige, denn ihm war klar, was davon abhing. Und erst als er sicher war, stellte er die große Frage.
Harry hingegen war offensichtlich wild darauf, eine Familie zu haben und da kam Meghan.

Er betont selbst in seinem Buch, wie sehr er sich dies wünschte.

Und nun kommt der nächste Stolperstein: William hatte Bedenken. Er mahnte seinen Bruder, die Dinge nicht zu überstürzen. Aber wie es bei Verliebten nun mal ist: man will keine Einwürfe hören.
Es kam zum ernsten Konflikten zwischen den Männern.

Da man aber offensichtlich die Konsequenzen fürchtete, wenn man den Bruderzwist offen anging, verlegte man sich zunächst auf die Schwierigkeiten zwischen den beiden Frauen.

Und nun zum Buhmann der Geschichte …

Meghan Markle!

Um zu wiederholen, was eh jeder weiß:
Mama schwarz, Papa weiß. Mama/ Papa geschieden. MM ebenfalls geschieden. Schauspielerin. Einziger Hit: „Suits“, eine Anwaltsserie.
Influencerin für Food und Charity mit erfolgreicher Website. Markenbotschafterin für eine Modekette des mittleren Preissegments und humanitäre Botschafterin für die UN.
Sie lernt Harry im Sommer 2016 kennen. 2017 ist Verlobung. 2018 Hochzeit auf Windsor Castle.
Die ganze Romanze spielte sich kontinentalübergreifend ab, da Markle in Kanada „Suits“ drehte und durch die Welt reiste als (Marken)Botschafterin, während Harry in London saß und … nichts tat.

Harry ist 2015 aus dem Militärdienst ausgeschieden und hatte sich seither karitativ engagiert. Ob man dies für etwas hält, das seinen Tag ausgefüllt hat, kann man gerne diskutieren.
Ich bin der Meinung, dass nein. Ich messe dies an seinen eigenen Schilderungen.
Denn die meiste Zeit saß er in seinem Cottage und war von seinem über ihm wohnenden Nachbarn genervt. Und natürlich von den Medien. Was er wiederum höchst ausführlich schildert.

Er schien jetzt zum ersten Mal zu begreifen, dass er psychische Probleme hatte. Was tat er dagegen? Man höre und staune: Er nahm Magic Mushrooms (Zitat: „zu therapeutischen Zwecken.“ Willst du mich verarschen???).
Zu diesen Parties waren auch seine alten Kumpels Bier und Tequila eingeladen. Und damit auch was Grünes dabei war, rauchte er pfundweise Dope.
Kurz: da war jemand drauf und dran, sich mächtig abzuschießen.
Wo ihn vorher die Armee in einen festen Tagesablauf gezwängt hatte, wo ihn ältere Offiziere beiseite nahmen und mit ihm sprachen, gab es nun keinerlei Halt mehr.

Wer war diesmal schuld (außer der Presse)?
Haltet euch fest!!!
William und Kate …
M-hm. Die hatten nämlich inzwischen eine Familie, lebten praktisch ihm gegenüber und luden ihn nicht ein Mal zu sich ein. So.

Zumindest ist das seine Erinnerung.

Und als er dann mit Meghan daherkam, wurde auch noch geunkt.

Man kann es nun für Mumpitz halten, aber die Probleme in der Familie kamen nicht zuletzt von der kulturellen Unterschiedlichkeit zwischen England und den USA.
Harry schreibt, dass Meghan viel in ihrer kalifornischen Art und Weise machte.
Was wirklich gut ankam bei den Menschen. Meghan war offen. Direkt. Sie war aktiv und hatte viele Ideen. So schlug sie den Hinterbliebenen des Grenfell Tower- Brandes vor, ein Kochbuch zusammen zu machen.
Dieses Buch verkaufte sich rasend. Alle fanden es toll.
Harry übergeht nun in seinen Memoiren diesen Punkt und kommt direkt zu den Schlagzeilen der Yellow-Press, wo man die Kirchengemeinde, mit der zusammen Meghan die Aktion entwickelt hatte, mit terroristischen Aktivitäten in Zusammenhang brachte. Absoluter Dreck und von A-Z erstunken und erlogen.

Wo auch immer sie hinkamen – Harry und Meghan wurden von einer Welle aus Liebe und Sympathie getragen.

Auch das vergisst Harry in seinen Erinnerungen. In seinem Buch – das ja nur die Presseaktivitäten betrachtet – tauchen die Menschen gar nicht mehr auf, die Meghan so geliebt haben.
Das ist ungemein schade.
Würde er dem aber Raum widmen, so wäre ihr Ausstieg aus der königlichen Familie noch unverständlicher. Also lässt er es sicherheitshalber.

Schwanz. Penis. Penis. Schwanz. Lümmel. Schwanz. Lümmel. Penis.

Hä? Genau! Das habe ich mich dauernd gefragt.
Harry lässt uns ausgiebig an seinen Genital- Themen teilhaben.
Als er einen Marsch mit verwundeten Veteranen für einen guten Zweck zum Südpol unternimmt, holt er sich Erfrierungen an seinem Penis.
Daran lässt er uns ausgiebig teilhaben.
Die Erfrierung und ihre Konsequenzen begegnen uns diverse Male im Buch.
Was seine Las Vegas- Strip- Poker-Idee anging – wir sind natürlich mit dabei!
Wir erfahren auch, wo er seine Jungfernschaft verloren hat. (Hinter einem Pub mit einer wesentlich älteren Prominenten – Feuer frei! für die Presse bei der Jagd auf die ungenannte Dame. Liz Hurley lässt sich angeblich bereits Karten drucken, auf denen steht: Sorry – ich war es nicht!)
Als er bei einem Segelcup mitmacht, wagt er nicht, über Bord zu pinkeln und beschreibt deswegen, wie er sich lieber in die Hose gepisst hat. Nach der Rückkehr wollte er nur duschen und seine vollgestrullte Hose waschen.

Was soll man dazu sagen??? Ist es das, was seine Kinder eines Tages lesen wollen? Hat er an sie gedacht, als er das zu Papier gebracht hat???
„Ich war jung und brauchte das Geld“ kann für ihn wohl nicht gelten …

Fassen wir also an dieser Stelle zusammen:
Anstatt, dass die Ehe mit Meghan seine Seele zur Ruhe gebracht hätte, wurde sie zu einem Brennglas.
Vielleicht hatte Harry sich versprochen, dass eine PR-erfahrene Schauspielerin wesentlich leichter mit der öffentlichen Aufmerksamkeit fertig würde als seine bisherigen Freundinnen. Vielleicht hatte er sich versprochen, dass seine Familie alle und jeden verklagen würde, der ihnen zu nahe trat.
Vielleicht hatte er gehofft, dass sich alles normalisieren würde und er ein ganz normales Leben haben könnte.

Das ist entweder extrem dumm oder unglaublich naiv.

Für mich liegt die Erklärung in Harrys mittelmäßigem Charakter.
Durch das ganze Buch hindurch deutet er – ganz infantil, unreif – stets auf andere, wenn etwas nicht so läuft wie er will.

Eigene problematische Punkte blendet er systematisch aus.

ZWISCHENSTAND:

Bei einer Rezension betrachtet man ja zunächst das Buch, die Form/ Ausführung, und dann den Inhalt. Die Story.

Ich habe das ein bisschen abgewandelt.

Deswegen jetzt meine Meinung zur Form:
– Die Unterteilung in durchnummerierte Kapitel ohne Überschrift ist extrem ungünstig wenn man sich orientieren will.
– Es gibt keinen Bildteil. (Wahrscheinlich weil die Fotos schon an Netflix verhökert wurden …)
– Die drei großen Abschnitte haben jeweils ein Foto. Das ist unzureichend.
– Der Stil des Prinzen ähnelt einem wütenden Schüler-Traktat. Es gibt Einwürfe, als hielte er eine Rede.
– Es fehlt jegliche Reflexion.
– Es gibt keine Hintergrundinfos/ Insiderinfos (Dass die Queen bei ihrem Jubiläumskonzert Ohr-o-pax benutzt, haut einen nicht wirklich um.
– Bei den kritisch eingeführten Personen werden keine Namen genannt (warum nicht???)
– Es gibt keinerlei Belege.
– Die Datierungen sind schlampig bzw fehlen ganz.
– Es wimmelt von falschen Einordnungen (So hat er nicht in Eton vom Tod der Queen-Mum erfahren, sondern beim Skiurlaub in der Schweiz); Das hätte man zwingend richtigstellen müssen. Lektorat und Recherche haben da eindeutig Mist gebaut. Man darf nach dem Warum fragen …

Meine Meinung zum Inhalt:

– Es sind die schlampigsten, subjektivsten und psychologisch fragwürdigsten Memoiren, die ich je gelesen habe.
– Das Buch ist die Lektüre nur dann wert, wenn man diese eine Seite (und nur die) kennenlernen will.
– Harry misst permanent mit zweierlei Maß.
– Er ist unreif und nicht für eine Sekunde willens, Verantwortung zu übernehmen. Nicht für seine Worte. Nicht für seine Taten.
– Hätte er seine Penis-Memoiren ausgelassen und stattdessen mehr von seinen Charities berichtet, wäre das Buch wesentlich lesenswerter ausgefallen.


Die Kontroverse

Und das FAZIT von Rezi-Corgie Susan?

Susan mag das Buch nicht. Es ist schlampig gemacht und ein absoluter Schnellschuss, den Harry noch bitter bereuen wird.

Florence ist fertig

Die Rohfassung der Florence ist fertig.
Das ist die große Neuigkeit der Woche.
Wenn ich zunächst auch gedacht hatte, es würde noch ewig weitergehen, kam der Schluss dann doch ganz plötzlich.

Mal ein ganze anderes Cover

Während der Nebel um unser Haus wallt, konnte ich Florence‘ Geschichte abschließen.
Es war eine traurige Lebensgeschichte, die man eigentlich niemandem wünscht.
Aber vielleicht auch in seinen Extremen ein exemplarisches Frauenleben der Zeit.

The end sucks …
Dieses Gefühl kennt wohl jeder Autor. Du hast die Geschichte beinahe zu Ende erzählt, musst aber beim Schluss immer noch etwas Besonderes leisten, damit sich die Leser an dich und deine Bücher erinnern. Und zwar so, dass sie Lust bekommen, mehr von dir zu lesen, denn es gibt ja nicht gerade wenige zum Schreiben Berufene da draußen.

Im Fall von Florence war es doppelt schwierig, denn ich musste eine gutes Ende finden, was vor dem Hintergrund, dass es sich um eine wahre Geschichte handelt, nicht gerade einfach war.

Man leidet mit Florence durch alle Stadien ihres schwierigen Lebens und hofft mit ihr und für sie auf ein gutes Ende.
Nachdem die Anhörung abgeschlossen ist, so denkt man, sollte sie ein neues, besseres Leben habe anfangen können. Sich besinnen. Vielleicht mit ihrem Bruder William England verlassen. (Was er ihr auch angeboten hatte, denn er zog nach Abschluss des Skandals nach Australien) Eine Option wäre vielleicht auch gewesen, zu ihren Eltern nach Buscot zurückzukehren.
Nichts davon machte sie wahr.
Stattdessen kaufte sie ein kleines Haus in Southsea und soff sich zu Tode.

Man muss es so krass sagen, denn Florence Bravo starb langsam und qualvoll. Hatte sie zuvor auch schon ein auffälliges Trinkverhalten gehabt, so gab sie sich nach Ende der Anhörung komplett der Trunksucht hin.
In ihren letzten Tagen hatte sie aber auch die Stütze durch ein Familienmitglied – ihren Onkel James Orr, der von der besorgten Familie aus Schottland gerufen worden war, um nach Florence zu sehen und diese mit nach Schottland zu nehmen.

Als er in Southsea ankam, war allerdings schon alles zu spät. Er fand seine Nichte in einem desolaten Zustand. Ja, eigentlich schon fast tot. Sie war geistig umnachtet und körperlich am Ende.
Der Alkohol forderte seinen Tribut.
Ihre letzten Worte waren: „Save me!“ („Rette mich!“).
Er konnte es naturgemäß nicht.
James Orr blieb nur, die Tote nach Faringdon zurückzubringen (der Ort, zu dem Buscot, der Landsitz ihrer Eltern gehört), wo sie in einem unmarkierten Grab beigesetzt wurde.

Heute erinnert noch eine kleine Steinplatte daran, die aber dringend mal der Säuberung bedürfte. (Ich habe mir vorgenommen, wenn ich abermals dort hinreisen sollte, eine Bürste und Putzmittel mitzunehmen und den Stein von den Flechten sauber zu schrubben.)

Warum die Familie sich zu dieser Beisetzung entschied, konnte ich nicht herausfinden. Ich denke aber, man wollte – im wahrsten Sinne des Wortes – Gras über die Sache wachsen lassen. Zudem es auch keine Kinder gab, die zum Trauern an das Grab hätten gehen wollen.
Natürlich hätte es noch die Option einer Beisetzung an Charles‘ Seite gegeben, aber auch davon hat man abgesehen.

Nun aber zurück zu meinem Problem mit Florence‘ Ende:
Ich habe mich nämlich die ganze Zeit gefragt, in wieweit man einen solchen Ausgang den Lesern zumuten kann. Schließlich muss ich schon bei den Tatsachen bleiben und ihr Ende so vorstellen, wie es auch tatsächlich war: grausam!

Eine Zeitlang habe ich auch mit dem Gedanken gespielt, es tatsächlich umzudeuten, aber dies erschien mir doch nach einiger Überlegung nicht redlich.
Man kann in einem Roman, der auf wahren Ereignissen basiert, Dinge umstellen in ihrem zeitlichen Ablauf. Man kann die Handlungen umdeuten und die Charaktere den Gegebenheiten anpassen. Aber aus einem elenden Tod kann man kein Happy End zaubern.
Und ich hätte sie weiß Gott gerne mit ihrem geliebten James in den Sonnenuntergang reiten lassen.

Ich habe mich für eine andere Variante entschieden. Wie diese aussieht, werdet ihr bald persönlich sehen können, denn verraten will ich hier noch nichts …

Charles Bravos Grab auf dem West Norwood Cemetery
Prof. Robert Flanagan (Vorsitzender des Freundeskreises des West Norwood Cemetery und profunder Kenner des Friedhofs) und ich an einem sehr heißen Sommertag am Grab von Charles Bravo; Bob führte mich auch noch zu den Gräbern anderer Anhörungs- Beteiligter.

P.S. Ich wollte natürlich auch zu Charles Bravos Grab gehen und recherchierte, dass er auf dem West Norwood Cemetery begraben wurde. Als ich dort wegen der Lage des Grabes nachfragte, bekam ich Antwort von Prof. Flanagan, der mir mitteilte, dass ich das Grab nicht auf eigene Faust würde finden können. Er werde mich aber gerne persönlich hinführen.
Ich bekam von ihm aber nicht nur eine Begleitung zum Grab, sondern auch noch einen Rundgang über den Friedhof, wo er mir jede Menge historisch und künstlerisch wertvolle Grabmäler zeigte.
Im Zuge dieses Spaziergangs durfte ich auch den Erben der Doulton Porzellanmanufaktur kennenlernen, der gerade nach einem der Familiengräber schaute.
Mr. Doulton gestattete mir, das Innere eines der Mausoleen seiner Familie von innen zu fotografieren.

Ach – ich merke gerade, dass dies einen eigenen Post verdient hat.

Ich bitte um Geduld, aber ich verspreche: Ich werde über den West Norwood Cemetery ausführlicher schreiben!




James VI – A Right Royal Witchhunter

Wenn wir uns mit dem Thema James VI als Hexenjäger befassen, müssen wir uns noch einmal ins Gedächtnis rufen, wie das Denken der Zeit aussah …

Geprägt von magischem Denken waren für die Menschen des 16. und 17. Jahrhunderts Hexen und Magier kein Aberglaube, sondern Tatsachen.
Selbst viele der als Hexen angeklagten Frauen hielten sich dafür.
Warum? Nun, wenn man zum Beispiel eine Krankheit heilen wollte und zu diesem Zweck bestimmte Kräuter verabreichte und Gebete (Zaubersprüche) sagte, konnte man nie sicher sein, dass es klappen würde.
Im Gegensatz zur modernen Zeit, wo wir bei Kopfschmerzen eine Aspirin nehmen und im Normalfall davon ausgehen können, dass der Spuk nach einer Stunde vorüber sein wird.
Hatte man aber in jenen Zeit mit so etwas Erfolg, ging man davon aus, dass man schlicht und ergreifend – gezaubert hatte.
(Erinnert euch: damals standen „normalen“ Leuten keine naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, kein rationales Denken zur Verfügung. Man wusste in weiten Teilen der Bevölkerung nichts von wissenschaftlichen Versuchen und Beweisen)

Man hielt also Hexen für ein Faktum.

Hexen wiederum können mit ihren herausragenden Fähigkeiten Gutes tun oder Schaden zufügen. So wie ein Metzger einen mit Fleisch versorgen kann, aber auch (mit verdorbenem Fleisch) umbringen.
Tut nun jemand Gutes, ist alles in Ordnung. Auch für die Hexe. Niemand klagt sie an. Alles ist okay.
Geschieht aber etwas Schlimmes in einer Gemeinschaft, sucht diese Gemeinschaft nach einer Erklärung. (Das machen wir heutzutage ja nicht anders. „Ich kann das gar nicht verstehen. Mr. Dahmer war doch so ein ruhiger, netter Mensch…“)

Erinnern wir uns abermals: In dem Besteckkasten mit Erklärungsansätzen, der den Menschen damals zur Verfügung stand, lag bestenfalls ein kleiner Löffel, wohingegen wir heute einen ganzen Schrank voll haben. (Und künftige Generationen wahrscheinlich wahre Lagerhallen.)
Und mit diesem einen Löffelchen suchten die Menschen nach Erklärungen und gleichzeitig nach Möglichkeiten, sich für die Zukunft vor solcherlei Schaden schützen zu können.
Fündig wurden sie dann im Normalfall bei der Hexe.
Man überlegte, was die Hexe dazu gebracht haben mochte, diesen Schaden anzurichten und kam auf Eifersucht, Neid, Vergeltungssucht etc.
Kurz: Gefühle!

Diesen Gefühlen nun stellte sich der König persönlich in den Weg.

James war sich seiner Rolle als Vater seiner Untertanen sehr bewusst. Er hatte von Gott selbst den Auftrag erhalten, Schaden von seinen Ländern fernzuhalten und das wollte er tun.

Allerdings war James ein Mann der Wissenschaft. Und so suchte er einen wissenschaftlichen Denkansatz, um das Übel des Hexenwesens zu beseitigen.

Jetzt müssen wir in James Vergangenheit zurückkehren. Genauer gesagt zu jener Zeit, als er die Hochzeit mit Prinzessin Anna von Dänemark plante.


Man hat sich oft gefragt, wie tief die Zuneigung zwischen den beiden gewesen sein mag. James, der ganz augenfällig mehr Interesse an Männern als an Frauen hatte und Anna, die sich scheinbar nur für ihr Äußeres interessierte.
Aber ich denke, man tut beiden Unrecht. Anna aus Unwissenheit und weil viel Parteiennebel den Blick auf sie verstellt. Und James, weil er ein Herrscher ist, der in kein Schema passt.
Zunächst würde ich behaupten, dass James eher bisexuell war, denn er hatte eine längsranhaltende Affäre mit Anne Murray, der späteren Lady Glamis. (Wir erinnern uns an das gleichnamige Schloss, das eng sowohl mit Macbeth als auch mit Elizabeth, der Königinmutter als deren Geburtsort, verbunden ist …)

Ich denke, die Anne und James verband eine tiefe Freundschaft und beidseitiger Respekt.
Woran ich das festmache?
An einem Gedicht.

So did my Queen from hence her court remove
And left off earth to be enthroned above.
She’s changed, not dead, for sure no good prince dies,
But, as the sun, sets, only for to rise.

James schrieb diese Verse nach dem Tod seiner Frau. Zwar hatten sie sich nach dem plötzlichen Tod Henry, dem Prince of Wales auseinandergelebt und unterhielten getrennte Hofstaate, doch das dürfte nicht außergewöhnlich sein, betrachtet man, was auch heute noch in vielen Ehen nach dem Tod eines Kindes geschieht.

Aber es gibt noch einen weiteren Punkt, der meine These stützt:
Normalerweise wartete ein König geduldig in der Heimat auf seine Braut. Nicht so James!
Als Anne ihre Heimat Dänemark mit Gefolge verlassen hatte, geriet sie in einen gewaltigen Sturm und das Schiff musste Schutz in Norwegen suchen.
James nun, als er von dem Unglück erfuhr, fackelte nicht lange, sondern machte sich umgehend auf den Weg nach Norwegen, wobei auch er in schwere Stürme geriet.

Cosimas Kinder – Eine Rezension

Cosimas Kinder: Triumph und Tragödie der Wagner- Dynastie

 von Oliver Hilmes

Fakten:

  • Print- Ausgabe, Ebook- Ausgabe bei allen üblichen Plattformen
  • Paperback 14,99€; Gebunden 29,90€; Ebook
  • 320 Seiten
  • Pantheon Verlag
  • Sprache: Deutsch
  • Erscheinungstermin 
  • 15.11.2010

Zum AUTOR:

1971 geboren, wurde Hilmes in Zeitgeschichte promoviert und arbeitet als Kurator für die Stiftung Berliner Philharmoniker. Seine Bücher über widersprüchliche und faszinierende Frauen „Witwe im Wahn. Das Leben der Alma Mahler-Werfel“ (2004) und „Herrin des Hügels. Das Leben der Cosima Wagner“ (2007) wurden zu großen Verkaufserfolgen. 2011 folgte „Liszt. Biographie eines Superstars”, danach „Ludwig II. Der unzeitgemäße König” (2013) sowie „Berlin 1936. Sechzehn Tage im August“ (2016), das in viele Sprachen übersetzt und zum gefeierten Bestseller wurde. Zuletzt erschien “Das Verschwinden des Dr. Mühe. Eine Kriminalgeschichte aus dem Berlin der 30er Jahre” (2019). (Quelle: Amazon)

Zum INHALT:

Wenn man einen versierten Autor auf dem Gebiet des Themas „Wagner“ sucht – so wird man schnell bei Oliver Hilmes fündig, wie man der kleinen Biografie oben entnehmen kann.

Er hat sich nicht nur mit Wagner selbst, sondern auch mit Franz Liszt, Wagners Schwiegervater, Wagners Ehefrau Cosima, und dem Anhänger und Förderer Wagners, König Ludwig II von Bayern, literarisch befasst.

Ich habe mir bei meinem Besuch in Bayreuth den bereits 2010 erschienen Titel „Cosimas Kinder“ ausgesucht.

Warum? Nun – weil ich über alle Hauptbeteiligten bereits Biografien gelesen hatte und mir die nachfolgenden Generationen sozusagen fehlten.

Natürlich wusste ich in groben Umrissen, dass es Kinder, Enkel und Urenkel Wagners gab und gibt. Ich wusste auch, dass die Festspiele noch heute Familiensache sind. Dass es immer auch um Geld, Macht und Politik in der Familie ging, und dass man (vor allem dank Winifred und Eva) eine extrem ungesunde Nähe zum Nationalsozialismus und speziell zur Person Adolf Hitlers entwickelte.

Es gab nur wenige Nachfahren Wagners, die sich von Hitler distanzierten. Tatsächlich nur Wagners Enkelin Friedelind (die schlussendlich sogar in die USA auswanderte) sowie sein Enkel Wolfgang Wagner, der bis kurz vor seinem Tod 2010 die Festspiele in Bayreuth leitete.

Was mich noch zu diesem Buch brachte, war der Eindruck, der sich bei meinem Bayreuth- Besuch einstellte, nämlich, dass es scheinbar starke Parallelen zur Krupp- Dynastie gab, was ich gerne genauer betrachten wollte.

Spoiler- Alarm: Ich hatte Recht!

Zum Aufbau des Buches – der Autor folgt den Kindern und Kindeskindern Wagners bis in die Gegenwart. Er hangelt sich dabei sowohl an der jeweiligen Biografie entlang, wie auch an herausragenden Ereignissen, die diese Person betrafen.

Das führt dazu, dass man ab und an ein wenig ins Stolpern kommt zwischen all diesen Siegfrieds, Evas, Isoldes, Friedelinds. Zwischen Schwiegersöhnen, Urenkeln und zweiten Ehefrauen.

Hinzu kommt noch die pikante Gemengelage bei Richard Wagner und seiner späteren Frau Cosima geborene Liszt verheiratete von Bülow, verheiratete Wagner.

Tatsächlich hatte Cosima zwei Kinder von ihrem ersten Mann Hans von Bülow (Daniela und Blandine). 

Noch während der Ehe begann sie eine Affäre mit dessen Freund Richard Wagner, von dem sie noch während ihrer Ehe drei weitere Kinder bekam.

Das Problem war die damalige Rechtslage, denn tatsächlich konnte man – mangels Vaterschaftstest – nur sagen, dass die innerhalb der von Bülowschen Ehe geborenen Kinder juristisch Hans von Bülow zum Vater hatten.

Weiter erschwerend kam hinzu, dass Wagner – auch nach der Heirat mit Cosima – offiziell nur den gemeinsamen Sohn Siegfried als den seinen anerkannte. (Warum er das tat, erschließt sich nicht und wäre doch in meinen Augen eine ungeheuer wichtige Frage…)

Heute würde man den Wagner- Clan eine Patchworkfamilie nennen. In einer Gruppen- Biografie nenne ich es Kuddelmuddel.

Übrigens führte diese Gemengelage zu einem der aufsehenerregendsten Prozesse des Deutschlands vor dem ersten Weltkrieg: Nachdem Wagners Werke gemeinfrei geworden waren, verschlechterte sich die finanzielle Situation der Familie maßgeblich, sodass Alleinerbe Siegfried den Unterhalt diverser Familienmitglieder empfindlich kürzen musste. 

Da alles Verhandeln nichts half, klagte Isolde gegen den Bruder. Der Prozess steuerte in eine skandalträchtige Richtung, als es plötzlich darum ging, ob Isolde überhaupt Wagners leibliche Tochter sei, hatte er sie doch niemals anerkannt.

Die Zeitungen berichteten genüsslich über die Bayreuther Schlammschlacht und nicht nur der Ruf Isoldes wurde dabei nachhaltig beschädigt.

Dennoch kam es wie es kommen musste: Isolde verlor den Prozess und starb wenige Jahre später verbittert in ihrer Münchner Wohnung (die übrigens wenig später ein gewisser Herr Hitler bezog …)

Nun mein Fazit:

Das Buch ist unterhaltsam und sachkündig geschrieben. Ab und an fehlen mir Belege, die ich für ein Sachbuch als unentbehrlich erachte.

Die Kapitelüberschriften hätte man weniger aufmerksamkeitsheischend gestalten sollen. Stattdessen sollten sie einer Einordnung von Person und Zeitabschnitt dienen können.

Das wäre hilfreich gewesen.

Insgesamt liest sich das Buch flüssig und unterhaltsam.

Der Preis ist angemessen und ich mag die Tatsache, dass es keinen zusammenhängenden Bildteil gibt, sondern die Fotos jeweils an der zugehörigen Stelle erscheinen und diese illustrieren.

Für moderne Leser ist übrigens die Sprache, die sich im Dunstkreis der Familie Wagner etabliert hat, wirklich gewöhnungsbedürftig. Es ist der pompöse Duktus, den Richard Wagner selbst etabliert hat. Die Briefe der Familie und deren Umfeld lesen sich, als trete nach jedem Satz Hagen von Tronje auf und stoße in sein Horn. 

Was die Wagners selbst angeht, war ich absolut entsetzt über so viel Mittelmäßigkeit. Ein Haufen banaler Möchtegerns, die nur von vergangenem Ruhm einer anderen Person leben.

Ab und an scheint etwas Menschlichkeit durch und lässt erahnen, dass die handelnden Personen nicht nur im eigenen Saft brutschelnde Kleingeister sind.

Da hätte ich mir eigentlich vom Autor mehr Einblicke gewünscht, denn offensichtlich hat er diese anderen Seiten der Medaille durchaus auch gesehen, nur den Faden nicht weiterverfolgt.

Hier liegt meines Erachtens nach die größte Schwachstelle des flüssig zu lesenden Buches, denn ich finde immer, dass eine Sache dort wirklich spannend wird, wo der Weg steinig wird, sprich: wo plötzlich Dinge scheinbar nicht mehr zusammenpassen und wo ich dabei bin, etwas Neues zu entdecken.

Dass der Autor diese möglichen Schätze ungehoben lässt, enttäuscht mich.

Von daher werde ich mich weiter mit dieser schrecklich netten Familie befassen und schauen, was sich sonst noch so herausfinden lässt. Vielleicht gehen ja andere Autoren die Wege, die Hilmes unbeschritten gelassen hat …

Bücherwürmer- WERTUNG:

Cosimas Kinder: Triumph und Tragödie der Wagner- Dynastie

 von Oliver Hilmes

Fakten:

  • Print- Ausgabe, Ebook- Ausgabe bei allen üblichen Plattformen
  • Paperback 14,99€; Gebunden 29,90€; Ebook
  • 320 Seiten
  • Pantheon Verlag
  • Sprache: Deutsch
  • Erscheinungstermin 
  • 15.11.2010

Zum AUTOR:

1971 geboren, wurde Hilmes in Zeitgeschichte promoviert und arbeitet als Kurator für die Stiftung Berliner Philharmoniker. Seine Bücher über widersprüchliche und faszinierende Frauen „Witwe im Wahn. Das Leben der Alma Mahler-Werfel“ (2004) und „Herrin des Hügels. Das Leben der Cosima Wagner“ (2007) wurden zu großen Verkaufserfolgen. 2011 folgte „Liszt. Biographie eines Superstars”, danach „Ludwig II. Der unzeitgemäße König” (2013) sowie „Berlin 1936. Sechzehn Tage im August“ (2016), das in viele Sprachen übersetzt und zum gefeierten Bestseller wurde. Zuletzt erschien “Das Verschwinden des Dr. Mühe. Eine Kriminalgeschichte aus dem Berlin der 30er Jahre” (2019). (Quelle: Amazon)

Zum INHALT:

Wenn man einen versierten Autor auf dem Gebiet des Themas „Wagner“ sucht – so wird man schnell bei Oliver Hilmes fündig, wie man der kleinen Biografie oben entnehmen kann.

Er hat sich nicht nur mit Wagner selbst, sondern auch mit Franz Liszt, Wagners Schwiegervater, Wagners Ehefrau Cosima, und dem Anhänger und Förderer Wagners, König Ludwig II von Bayern, literarisch befasst.

Ich habe mir bei meinem Besuch in Bayreuth den bereits 2010 erschienen Titel „Cosimas Kinder“ ausgesucht.

Warum? Nun – weil ich über alle Hauptbeteiligten bereits Biografien gelesen hatte und mir die nachfolgenden Generationen sozusagen fehlten.

Natürlich wusste ich in groben Umrissen, dass es Kinder, Enkel und Urenkel Wagners gab und gibt. Ich wusste auch, dass die Festspiele noch heute Familiensache sind. Dass es immer auch um Geld, Macht und Politik in der Familie ging, und dass man (vor allem dank Winifred und Eva) eine extrem ungesunde Nähe zum Nationalsozialismus und speziell zur Person Adolf Hitlers entwickelte.

Es gab nur wenige Nachfahren Wagners, die sich von Hitler distanzierten. Tatsächlich nur Wagners Enkelin Friedelind (die schlussendlich sogar in die USA auswanderte) sowie sein Enkel Wolfgang Wagner, der bis kurz vor seinem Tod 2010 die Festspiele in Bayreuth leitete.

Was mich noch zu diesem Buch brachte, war der Eindruck, der sich bei meinem Bayreuth- Besuch einstellte, nämlich, dass es scheinbar starke Parallelen zur Krupp- Dynastie gab, was ich gerne genauer betrachten wollte.

Spoiler- Alarm: Ich hatte Recht!

Zum Aufbau des Buches – der Autor folgt den Kindern und Kindeskindern Wagners bis in die Gegenwart. Er hangelt sich dabei sowohl an der jeweiligen Biografie entlang, wie auch an herausragenden Ereignissen, die diese Person betrafen.

Das führt dazu, dass man ab und an ein wenig ins Stolpern kommt zwischen all diesen Siegfrieds, Evas, Isoldes, Friedelinds. Zwischen Schwiegersöhnen, Urenkeln und zweiten Ehefrauen.

Hinzu kommt noch die pikante Gemengelage bei Richard Wagner und seiner späteren Frau Cosima geborene Liszt verheiratete von Bülow, verheiratete Wagner.

Tatsächlich hatte Cosima zwei Kinder von ihrem ersten Mann Hans von Bülow (Daniela und Blandine). 

Noch während der Ehe begann sie eine Affäre mit dessen Freund Richard Wagner, von dem sie noch während ihrer Ehe drei weitere Kinder bekam.

Das Problem war die damalige Rechtslage, denn tatsächlich konnte man – mangels Vaterschaftstest – nur sagen, dass die innerhalb der von Bülowschen Ehe geborenen Kinder juristisch Hans von Bülow zum Vater hatten.

Weiter erschwerend kam hinzu, dass Wagner – auch nach der Heirat mit Cosima – offiziell nur den gemeinsamen Sohn Siegfried als den seinen anerkannte. (Warum er das tat, erschließt sich nicht und wäre doch in meinen Augen eine ungeheuer wichtige Frage…)

Heute würde man den Wagner- Clan eine Patchworkfamilie nennen. In einer Gruppen- Biografie nenne ich es Kuddelmuddel.

Übrigens führte diese Gemengelage zu einem der aufsehenerregendsten Prozesse des Deutschlands vor dem ersten Weltkrieg: Nachdem Wagners Werke gemeinfrei geworden waren, verschlechterte sich die finanzielle Situation der Familie maßgeblich, sodass Alleinerbe Siegfried den Unterhalt diverser Familienmitglieder empfindlich kürzen musste. 

Da alles Verhandeln nichts half, klagte Isolde gegen den Bruder. Der Prozess steuerte in eine skandalträchtige Richtung, als es plötzlich darum ging, ob Isolde überhaupt Wagners leibliche Tochter sei, hatte er sie doch niemals anerkannt.

Die Zeitungen berichteten genüsslich über die Bayreuther Schlammschlacht und nicht nur der Ruf Isoldes wurde dabei nachhaltig beschädigt.

Dennoch kam es wie es kommen musste: Isolde verlor den Prozess und starb wenige Jahre später verbittert in ihrer Münchner Wohnung (die übrigens wenig später ein gewisser Herr Hitler bezog …)

Nun mein Fazit:

Das Buch ist unterhaltsam und sachkündig geschrieben. Ab und an fehlen mir Belege, die ich für ein Sachbuch als unentbehrlich erachte.

Die Kapitelüberschriften hätte man weniger aufmerksamkeitsheischend gestalten sollen. Stattdessen sollten sie einer Einordnung von Person und Zeitabschnitt dienen können.

Das wäre hilfreich gewesen.

Insgesamt liest sich das Buch flüssig und unterhaltsam.

Der Preis ist angemessen und ich mag die Tatsache, dass es keinen zusammenhängenden Bildteil gibt, sondern die Fotos jeweils an der zugehörigen Stelle erscheinen und diese illustrieren.

Für moderne Leser ist übrigens die Sprache, die sich im Dunstkreis der Familie Wagner etabliert hat, wirklich gewöhnungsbedürftig. Es ist der pompöse Duktus, den Richard Wagner selbst etabliert hat. Die Briefe der Familie und deren Umfeld lesen sich, als trete nach jedem Satz Hagen von Tronje auf und stoße in sein Horn. 

Was die Wagners selbst angeht, war ich absolut entsetzt über so viel Mittelmäßigkeit. Ein Haufen banaler Möchtegerns, die nur von vergangenem Ruhm einer anderen Person leben.

Ab und an scheint etwas Menschlichkeit durch und lässt erahnen, dass die handelnden Personen nicht nur im eigenen Saft brutschelnde Kleingeister sind.

Da hätte ich mir eigentlich vom Autor mehr Einblicke gewünscht, denn offensichtlich hat er diese anderen Seiten der Medaille durchaus auch gesehen, nur den Faden nicht weiterverfolgt.

Hier liegt meines Erachtens nach die größte Schwachstelle des flüssig zu lesenden Buches, denn ich finde immer, dass eine Sache dort wirklich spannend wird, wo der Weg steinig wird, sprich: wo plötzlich Dinge scheinbar nicht mehr zusammenpassen und wo ich dabei bin, etwas Neues zu entdecken.

Dass der Autor diese möglichen Schätze ungehoben lässt, enttäuscht mich.

Von daher werde ich mich weiter mit dieser schrecklich netten Familie befassen und schauen, was sich sonst noch so herausfinden lässt. Vielleicht gehen ja andere Autoren die Wege, die Hilmes unbeschritten gelassen hat …

Bücherwürmer- WERTUNG:

Sex, Skandal und ein ungelöster Mordfall im viktorianischen England …

Sex, Skandal und ein ungelöster Mordfall im viktorianischen England, die perfekten Zutaten für eine Story, die noch heute die Hobby- Detektive in Atem hält.

Aber wo beginnen?
Vielleicht in Buscot House … Und bei mir selbst …


Bei meinem ersten Besuch im Jahre 2019

Buscot House, respektive seine wundervollen Gärten, kannte ich eigentlich nur von namenlosen Fotos auf Pinterest.
Sie hatten mich immer fasziniert und ich wollte zu gerne wissen, wo ich sie finden konnte (wenn es sich überhaupt um reale Darstellungen handelte, wovon man ja bekanntlich nicht immer ausgehen kann …)
Schließlich fand ich heraus, dass es sich um Buscot House handelte.
Und im Jahr 2019 konnte ich sie bei einem Aufenthalt dort endlich persönlich in Augenschein nehmen.

Buscot Gardens 2019

Noch immer von der Familie Lord Faringdons bewohnt, ist das Schloss ein wahres Schatzkästlein, sowohl innen, wie auch die weltberühmten Gärten.

Der Familien- Pool

Beim Rundgang durch das Haus wurde ich dann auch auf jenen ungelösten Mordfall aufmerksam gemacht, der mich bis heute beschäftigt, und der mich zu meinem aktuellen Roman inspiriert hat.


MURDER AT THE PRIORY oder auch The Charles Bravo- Murder- Case

Nun ist Buscot House natürlich keine Priory … Diese – und damit das Mordhaus – befindet sich nämlich in Südlondon. Aber die Ehefrau des Mordopfers, Florence Bravo, geborene Campbell, ist hier in Buscot House aufgewachsen.

Florence Bravo, verwitwete Ricardo, geborene Campbell, kam am 5. September 1845 in Darlinghurst/ New South Wales/ Australien zur Welt.
Ihre durch Wolle und Goldhandel zu Vermögen gekommene Familie kaufte Buscot 1859 und ihr Vater Robert Tertius Campbell machte sich daran, ein modernes Mustergut aus dem Anwesen zu machen.
Florence selbst machte durch Intelligenz, Schönheit und einen starken Willen auf sich aufmerksam.
Zu den Besitztümern in England gehörten des weiteren Häuser im luxuriösen Belgravia (London) und Brighton.

Auf einer Reise durch Canada verliebte Florence sich in den schneidigen britischen Offizier Alexander Ricardo. Ricardo entstammte einer ebenso vermögenden wie illustren Familie: Sein Vater hatte ein Vermögen mit der International Telegraph Company gemacht; Sein Onkel war der 5. Earl of Fife.

Am 21. September 1864 heirateten die beiden jungen Leute in Buscot Park. Genauer – in der nahegelegenen Kirche St. Mary‘s, die wir am Ende ihres kurzen Lebens noch einmal treffen werden …

St. Mary’s Church, Buscot 2019
Foto von mir


Die Trauung wurde von Samuel Wilberforce, den Bischof von Oxford, vorgenommen.
Die Zeitungen priesen die Trauung als die „Verbindung zweier großer Familien Europas!“
Dem Familienvermögen entsprechend erhielt Florence eine Mitgift in Höhe von 1000 Pfund pro Jahr. Einer schwindelerregend hohen Summe.
Nach der Rückkehr von ihrer Hochzeitsreise an den Rhein (très chic!!!), lebten die beiden auf dem Gut Gatcombe Park (das heute übrigens von Princess Anne, der Princess Royal, Tochter der Königin von England bewohnt und bewirtschaftet wird).

Da Florence von einer großen Familie träumte, und die militärische Karriere ihres Mannes als lebensbedrohlich angesehen werden musste, tat sie alles, um ihn zum Rückzug ins Zivilleben zu bewegen.
Im Frühling 1868 bekam sie ihren Willen und ihr Mann verließ die Armee.
Es stellte sich bald als Pyrrhos- Sieg heraus, denn tatsächlich konnte ihr Mann weder im Unternehmen des eigenen Vaters, noch dem des Schwiegervaters Fuß fassen. Er versuchte es eine Weile, langweilte sich dann und hörte wieder auf.
Stattdessen lebten die beiden in permanenten Ferien und reisten zudem viel.
Wie sich schnell erwies, hatte Ricardo ein massives Alkoholproblem, das bislang durch die strikten Regeln der Armee im Zaum gehalten worden war.
Zu allem Überfluss ging der junge Ehemann bald notorisch fremd und es dauerte nicht lange, bis Florence dies herausfand.
Phasen der Nüchternheit und ehelichen Treue wechselten sich mit Saufeskapaden und Sex- Abenteuern ab. Wenn betrunken, wurde Ricardo unkontrollierbar. Verbale Beleidigungen seiner Frau wurden bald zu physischen Attacken.
Dazu kam ein massives finanzielles Problem der beiden, denn ihr Lebensstil wurde nicht von den Mitteln aufgefangen, die ihnen zur Verfügung standen.
Schlussendlich schrieb Florence im Spätjahr 1869 ihrer Mutter, dass sie eine Trennung von Ricardo anstrebe.

Florence suchte Schutz in Buscot und bekam ihn doch nicht. Der überzeugte Calvinist Robert Campbell empfand ein Scheitern der Ehe seiner Tochter als moralisch unerträglich, auch wenn er sich mit eigenen Augen davon überzeugen konnte, dass seine Tochter am Ende ihrer Kräfte war.

Wie in der viktorianischen Zeit üblich, suchte man also einen Kompromiss, mit dem alle Seiten leben konnten.
In Florence Fall sah der so aus, dass sie zur Kur nach Malvern fahren sollte. Während sie dort die Wasserkuren in Anspruch nahm, würde ihr Mann sicherlich zu Verstand kommen (geschockt von der Abreise seiner Frau), die Finger von Suff und Weibern lassen und alles käme wieder in Ordnung.

Wie sich zeigen sollte, was dies eine epochale Fehleinschätzung!

1870 wurde Florence also Patienten der sehr in Mode gekommenen Klinik „The Hydro“ in Malvern, wo der berühmte Dr. James Manby Gully seine Patienten mit diversen in Deutschland und Österreich entdeckten Wasseranwendungen kurierte.

Dr. Gully hatte so illustre Patienten wie Benjamin Disraeli, Charles Darwin, Alfred Lord Tennyson und Florence Nightingale. Die Klinik war hell und geräumig. Die Patienten wurden von aller äußerer Kommunikation abgeschlossen, trugen lose, bequeme Gewänder und durften keinen Besuch empfangen. Offensichtlich ein Paradies für die betuchte Klientel, wenn auch die Wasserkuren wohl weniger angenehm waren … (Fragen Sie Lord Tennyson …)
Gully selbst war ein Zweiundsechzigjähriger, der zwar nicht umwerfend aussah, aber eine besondere Aura besaß. Seine selbstsichere, ruhige und menschenfreundliche Art beeindruckte alle, die mit ihm zu tun hatten. Er galt als extrem klug, wissbegierig und großherzig.
Gully war in zweiter Ehe mit einer wesentlich älteren Frau verheiratet, die allerdings – knapp achtzigjährig – seit Jahren in einem Sanatorium für Geisteskranke lebte.
Gully seinerseits hatte bereits Enkel und sein Haushalt in Malvern wurde von seinen beiden unverheirateten Schwestern geführt.


In langen Gesprächen zwischen den beiden, entspann Florence ihren Wunsch, sich von ihrem gewalttätigen, trunksüchtigen Ehemann zu trennen, was – zu ihrer Überraschung – von Dr. Gully unterstützt wurde.
Alleine – Florence hatte die feste Zusage ihres Vaters, dass er sie im Falle einer offiziellen Trennung von ihrem Mann, ohne weitere Umstände enterben würde. Damit hätte sie keinerlei Einkünfte mehr gehabt. Die Tore von Buscot oder den Häusern in Brighton oder London wären ihr für immer verschlossen.

Doch Dr. Gully wusste Rat: er würde ihr helfen, ein Haus zu mieten und ihren künftigen Lebensweg zu entwickeln.
So kam es, dass die beiden sich immer enger einander anschlossen. Florence saß bald die meiste Zeit bei Dr. Gully in dessen Arbeitszimmer, oder die beiden gingen gemeinsam in den Malvern Hills spazieren.
Es kam wie es kommen musste: die beiden verliebten sich und begannen eine heiße Affäre.

Ricardo gab noch nicht auf – er zog mit einem Diener zu Florence nach Malvern in eine Mietwohnung, in der Hoffnung, sich mit ihr auszusöhnen.
Florence schien nicht abgeneigt, doch als sich sein Zustand so verschlimmerte, dass sein Diener ihn mit Gewalt davon abhalten musste, Florence Leid zuzufügen, war für sie Schluss.
Im März 1871 wurden die Trennungsmodalitäten zu Ende ausgehandelt und es fehlte nur noch die Unterschrift der Parteien.
Tatsächlich aber reiste Ricardo, ohne unterschrieben zu haben, nach Köln, wo er im April 1871 an den Folgen seiner Trunksucht starb.

Hatte sie eben noch keine Ahnung gehabt, von was sie überhaupt leben sollte, so erfuhr sie nun, dass sie Alexander Ricardos Alleinerbin war und die fabelhafte Summe von 40.000 Pfund erben würde. Sie war damit im Prinzip sogar reicher als ihr Vater. Warum das? Nun – die Trennungsvereinbarung war nie von Ricardo unterzeichnet worden, also war sie automatisch Alleinerbin.

Von nun an war Florence eine junge, schöne und sagenhaft reiche Frau.
Ihr Schicksal schien sich endgültig gewendet zu haben.
Sie liebte Dr. Gully in aller Heimlichkeit, und gemeinsam planten sie ihre Zukunft, sobald seine Frau gestorben sein würde. (Was nach ihrer beider Ansicht nicht lange dauern konnte). Gully wollte aus der Leitung der Klinik Ende 1872 ausscheiden, um dann mit Florence als Privatmann zu leben.
Ihre Eltern waren von dieser Beziehung zwar nicht begeistert, doch solange sie diskret gehandhabt wurde, sollten die Dinge eben ihren Lauf nehmen.
Und das taten sie.

Allerdings bei Weitem nicht so, wie die Beteiligten sich das gedacht hatten.

Ihrem plötzlichen Reichtum entsprechend, mietete Florence ein auffallend schönes Haus im Süden Londons.

THE PRIORY!

The Priory heute – unterteilt in mehrere Mietwohnungen
spareroom

Nur wenige Gehminuten entfernt mietete Dr. Gully seinerseits ein Haus, das er in Erinnerung an Florence Haus in Malvern „Orwell Lodge“ nannte.
Sie trafen sich regelmäßig, wenn sie auch entschlossen ihr Geheimnis wahrten und Dr. Gully stets kurz nach neun Uhr abends das Haus verließ, doch nur, um kurz darauf durch die Hintertür zurückzukehren.

Dass alles nicht ganz so einfach weitergehen würde, wurde im Jahr 1872 klar.

Florence hatte sich bei ihrem Anwalt, Henry Brookes, als zahlender Hausgast für einen Urlaubsaufenthalt eingemietet. Dr. Gully – der gute Freund – kam sie dort öfters besuchen.
Als nun die Eheleute Brookes überraschend zu früh von einem Spaziergang zurückkehrten, fanden sie Florence und Dr. Gully in eindeutig zweideutiger Situation auf der Wohnzimmercouch.
Schockiert und empört warfen die Brookes Florence nach lautstarkem Streit aus dem Haus.
Dumm nur, dass die Dienstboten alles mit angehört hatten, und sich die Affäre nunmehr wie ein Lauffeuer in London verbreitete.

Damit waren Florence Ricardo und Dr. Gully sozial erledigt.
Man kann sich heutzutage wohl nur schwer vorstellen, was eine solche Ausgrenzung für die Betroffenen bedeutete. Heutzutage sucht man sich sein persönliches Umfeld mehr oder minder selbst aus. Man entscheidet, mit wem man zu tun haben will und mit wem nicht. Das gilt sogar für die eigene Familie.
Damals aber war man auf das vorgegebene soziale Netz angewiesen.
Florence‘ Einladungen in der Nachbarschaft blieben von nun an unerwidert. Wollte sie einkaufen, weigerten die Kaufleute sich, sie zu bedienen. Selbst ihre Familie brach mit ihr. Sie wurde nicht mehr in Buscot empfangen und ihre Telegramme bleiben unbeantwortet.
Alleine ihr Bruder William hielt zu ihr und bot so einen gewissen sozialen Rückhalt.
Um dieser Isolation zu entkommen, engagierte Florence Mrs. Jane Cox als Begleiterin. Eine verwitwete Gouvernante mit drei Söhnen, mit Verbindungen nach Jamaika, die in unserer Geschichte bald eine bemerkenswerte Rolle spielen sollte.

Als hätte es nicht schlimmer kommen können, reisten Florence und Gully 1873 nach Bad Kissingen, zum einen, um dem Skandal zu entkommen, und zum anderen, damit er die dortigen neuen Wasseranwendungen studieren konnte.
Nach ihrer Rückkehr musste Florence feststellen, dass sie schwanger war.
Schockiert und entsetzt sah sie nur eine Lösung: Abtreibung!

Und der Einzige, der diese durchführen konnte (und würde), war der Vater des von ihr erwarteten Kindes: Dr. James Gully!

Die Abtreibung verlief derart fatal, dass die nachfolgende Entzündung Florence beinahe tötete. Es war das faktische Ende ihrer (körperlichen) Beziehung. Florence weigerte sich von nun an, Dr. Gully zu sehen. Sie hielt sich ihn vom Hals, indem sie behauptete, sich mit ihren Eltern aussöhnen zu wollen und, dass dies nur ginge, wenn sie sich trennten.

Der am Boden zerstörte Gully willigte ein.

Was er nicht wusste: Florence hatte inzwischen Charles Bravo kennengelernt. Einen aufstrebenden Anwalt, der bei seinen Eltern lebte und beste Zukunftsaussichten hatte.


Sie hatten sich – eingefädelt durch Mrs. Cox, deren verstorbener Mann ein Geschäftspartner von Bravos Stiefvater gewesen war – ein paar Mal in London und Brighton getroffen und angefreundet.
Bald hatte sich die Beziehung so weit intensiviert, dass Florence mit einem Heiratsantrag rechnete.
Dies vor Augen, plante sie, endgültig mit Gully zu brechen und traf ihn zu diesem Zweck ein letztes Mal. (Vorläufig letztes Mal, wie wir noch sehen werden)
Wollte Florence eigentlich wieder ihre familiäre Aussöhnung vorschützen, so verplapperte sie sich doch bald und gestand ihre Beziehung zu Charles Bravo. Der zutiefst verletzte Doktor tat aber, was man von einem Ehrenmann erwartete: er zog sich zurück und wünschte dem Paar viel Glück.

Was sie auch brauchen konnten. Was wir ebenfalls noch sehen werden …

Im Oktober 1875 nun war es endlich so weit: Charles Bravo bat Florence Ricardo, geborene Campbell, um ihre Hand. Es war das Beste, was ihr hatte passieren können. Mit dieser zweiten Ehe konnte sie – um Thomas Mann zu zitieren – die Flecken der Vergangenheit tilgen.
So zumindest der Plan.
Doch Florence hatte Zweifel. Berechtigte noch dazu, wie sich herausstellen sollte.
Und so bat sie Dr. Gully um ein weiteres Treffen, wo er ihr den gleichen Rat gab, den ihr auch schon andere gegeben hatten: Sie solle es langsam angehen lassen und den anderen erst besser kennenlernen.
Ein sehr kluger Rat, der dennoch nicht befolgt wurde.

Vor allem brauchte es Ehrlichkeit, wenn die Ehe gelingen sollte, so die Erkenntnis. Florence bat Charles Bravo also um ein Treffen, bei dem sie ihm nicht nur die Affäre mit Dr. Gully gestand, sondern auch die Abtreibung.
Was nun geschah, irritiert noch heute – und dies nicht nur nach viktorianischen Maßstäben …

Charles Bravo – weit entfernt davon, die Verlobung platzen zu lassen – gestand seinerseits, seit mehreren Jahren eine Geliebte in Maidenhead zu haben, die auch ein Kind von ihm habe. Insofern hätten sie ja beide Flecken in ihrer Vergangenheit.

Mooooooment! – sagt da nun der moderne Leser und hat Recht. Eine Geliebte zu haben, die von einem ausgehalten wurde, galt für einen Mann des 19. Jahrhunderts keineswegs als Problem. Au contraire!
Eine Affäre mit einem Mann, der der eigene Großvater hätte sein können und von diesem sogar eine Abtreibung vornehmen zu lassen, war absolut und vollkommen inakzeptabel.
Dass der künftige Gemahl darauf mit einem lapidaren Schwamm drüber reagiert, verwundert nicht nur moderne Leser, sondern auch Florence.

Wieso nun hat Bravo derart nonchalant reagiert? Folge dem Geld! – lautet die Antwort.
Wir haben bereits gehört, dass dank ihres ersten Mannes Florence eine mehr denn vermögende Frau war. Sie besaß ein um ein Vielfaches größeres Vermögen als ihr eher bescheiden lebender Freund. Er erhielt aus seiner Arbeit als Anwalt gerade mal 200 Pfund. Pro Jahr!
Bravo wiederum hatte wohl weniger ihre Vergangenheit, als seine Zukunft im Blick. (Wir erinnern uns in diesem Zusammenhang gerne an Bendix Grünlich – bitte googeln…)

Der Hintergrund: Der Married Women’s Property Act von 1870.

Seit dem Jahre 1870 durfte jede Frau das Vermögen, das sie in die Ehe mit eingebracht hatte, zur eigenen Verfügung behalten. Ein gewaltiger Schritt, in einem Land, in dem Frauen weder wählen, noch einen Beruf ausüben durften, ohne die Zustimmung des Mannes.
Was in der Ehe erworben wurde, gehört allerdings weiterhin bedingungslos dem Ehemann.

Für Bravo irritierenderweise war Florence nicht kopflos begeistert von seiner vergebenden Haltung. Sie erklärte ihm nämlich, dass sie nicht vorhatte, ihr Vermögen bei der Eheschließung auf ihn zu übertragen.
Woraufhin der nächste Weg des empörten Bravo zu ihrem Anwalt führte. Als dieser ihm den Glückwunsch zur bevorstehenden Eheschließung ausbrachte, herrschte Bravo ihn an: „Damn your congratulations! I‘ ve come about the money!“
Ja, er brachte sogar seinen künftigen Schwiegervater dazu, an die Tochter in seinem Sinne zu schreiben. Alleine, um zu verhindern, dass diese Ruf- Wiederherstellung durch die finanziellen Fragen zunichte gemacht würde.
Florence hingegen ließ sich auch durch den Brief des Vaters nicht beeindrucken.
Im Folgenden blieb das Geld ein immerwährende Streitpunkt.
Florence – abermals in der Zwickmühle – befragte abermals Dr. Gully. Dieser hatte wieder einen recht guten Rat: sie solle nicht über ein paar Möbelstücke mit ihrem Künftigen streiten. Sie solle ihm das Mobiliar der Priory, sowie den Pachtvertrag überschreiben, das eigentliche Vermögen aber für sich behalten. In ihrem Testament würde sie ihn als Alleinerben bedenken.
Charles Bravo war zufrieden.
Dies war ein gangbarer Weg, der am 7. Dezember 1875 direkt in die All Saints Church nach Kensington führte, wo Florence und Bravo heirateten.

Diesmal ging alles eine Nummer kleiner als bei der ersten Hochzeit, mag es scheinen. Und so ging die Hochzeitsreise nicht ins Rheinland, sondern nach Brighton.

Die Dinge schienen sich gut zu entwickeln. Das Paar schien in den ersten Monaten ausgesprochen glücklich. Man spielte zusammen Tennis, unternahm Ausritte und Florence plante eine große Weihnachtsfeier mit dreissig Gästen.
Der gesellschaftliche Bann war offensichtlich gebrochen. Sie war wieder eine respektable Frau.

Mission completed.

Oder doch nicht?

Am 9. Januar informierte Florence ihre Eltern in Buscot, dass sie schwanger sei. Charles hatte bereits einen Spitznamen „Charles the Second“.

Im Februar 1876 allerdings wurde deutlich, dass ein Machtkampf zwischen den Ehepartnern ausgebrochen war:
Es ging um Geldfragen. Immer wieder kritisierte Bravo den extravaganten Lebensstil seiner Frau, die wiederum ihn darauf hinwies, dass immerhin sie dies alles finanzierte und sie gut zurecht kämen.
Die beiden Bravos wurden zu diesem Zeitpunkt von einem Butler, einem Diener, einer Zofe, zwei Hausmädchen, einer Köchin, einem Küchenmädchen, drei Gärtnern, einem Kutscher, einem Pferdeknecht und einem Stallburschen umsorgt. On top kam Mrs. Cox als persönliche Begleiterin der Dame des Hauses.
Was sich nun für heutige Ohren viel anhört, war für die damalige Zeit und den gesellschaftlichen Hintergrund eigentlich normal. Man führte ein großes Haus, hatte einen weitläufigen Garten und eigene Pferde. All dies erforderte einen wesentlich größeren Aufwand als heutzutage, wo so viel automatisiert ist.

Man wird den Gedanken nicht los, dass es bei all diesem Gemecker über Ausgaben gar nicht um einen drohenden Ruin ging, sondern vielmehr um Bravos verzweifelten Kampf um die Vorherrschaft im Leben in der Priory. Er hatte einen Teufelspakt geschlossen: er brauchte Florence‘ Geld, um seine eigene Karriere voranzutreiben (er plante einen Sitz im Unterhaus). Dieses Geld aber sorgte bei seiner Frau für jene Unabhängigkeit, die seine Vormachtstellung in Frage stellte. Eine Vormachtstellung, die als unabdingbar angesehen wurde, wenn man in der Öffentlichkeit als Mann Stärke demonstrieren wollte.

Dazu kommt das Problem, dass Charles Bravo eine dominante Mutter sein Eigen nannte. Wieder und wieder mischte sie sich in die Belange des jungen Paares ein. Ja, sie ging sogar so weit, der Schwiegertochter ins Gesicht zu sagen, dass sie von Anfang an gegen die Ehe gewesen sei und sie nicht ausstehen könne.
Dazu kam, dass er offensichtlich zur Entscheidung anstehende Themen zunächst mit seinen Eltern besprach und dann erst mit seiner Frau.

Und nunmehr gedachte Charles Bravo, Nägel mit Köpfen zu machen und erklärte seiner Frau, er werde die Zofe hinauswerfen, deren Aufgaben vom Dienstmädchen mit übernommen werden könnten. Außerdem müsste einer der Gärtner gehen.
Seine Pläne gingen sogar noch weiter: Die von ihre geliebten Blumenbeete sollten eingeebnet werden, wodurch noch ein weiterer Gärtner eingespart werden könne. Zudem plane er, die Ponys zu verkaufen, was dazu führen würde, dass keine Stallburschen etc. mehr gebraucht würden.
Ah – und da man schon mal beim Entlassen sei, so könne man ja auch auf Mrs. Cox verzichten, denn die habe ja eh praktisch nichts zu tun.
Damit hatte er eindeutig eine Grenze überschritten, denn die beiden Frauen waren sich gute und verlässliche Freundinnen geworden. Sie teilten ein Schlafzimmer, fuhren gemeinsam in der Kutsche aus und nannten sich „Janie“ und „Florrie“. Florence sah nach Mrs. Cox Kindern, wenn die in den Ferien in der Priory waren und Mrs. Cox war mütterliche Vertraute und Stütze ihrer Herrin. Auch Krankenschwester und nimmermüde Pflegerin, wie sich noch zeigen sollte.

Es kam zu einer heftigen Auseinandersetzung.
Einer von vielen. Von SEHR vielen. Auseinandersetzungen, die bald auch handgreiflich wurden …

Heutzutage würde man Bravo sicherlich als krankhaften Kontrollfreak bezeichnen, der seiner Frau das Leben nach allen Regeln der Kunst zu Hölle machte.
Und an dieser Stelle erinnern wir uns daran, dass der abgelegte Dr. Gully ja noch in Steinwurfweite von seiner ehemaligen Geliebte wohnte…
Bravo drangsalierte seine schwangere Ehefrau unablässig wegen dieser alten Flamme, was soweit ging, dass Florence Dr. Gully kontaktierte und ihm anbot, seinen Pachtvertrag der Lodge zu übernehmen, wenn er sich bereiterklären würde, wegzuziehen.
Dr. Gully tat einen Teufel.

Im Dezember und Januar nun erreichten Charles Bravo drei mysteriöse Briefe, die ihn anklagten, Florence nur wegen ihres Geldes geheiratet zu haben und die Florence als Gullys Geliebte bezeichneten. Alle in der gleichen Handschrift.
Bravo beschloss, dass nur einer dieser Briefe geschrieben haben könne: Dr. Gully!
Die von ihm befragte Mrs. Cox allerdings gab zu bedenken, dass es sich nicht um die Handschrift des Doktors handele.
Kein Grund für Bravo, seine Frau von nun an nicht unablässig wegen der Briefe zu traktieren. Er bezichtigte sie, Gully auch weiterhin zu sehen und ihn zu hintergehen.
Ja, er drohte sogar, Gully „auszuradieren“ …
Schlussendlich brach Florence unter den Attacken zusammen und floh einmal mehr zu ihren Eltern nach Buscot Park.

Bravo reagierte mit einer Reihe umschmeichelnder Briefe, die seine Frau zur Rückkehr bewegen sollten.

Ein Satz stach mir nun beim Lesen der Briefe besonders ins Auge … Bravo schreibt darin:

„If you come back, I will so take care of you that you will never leave me again.“ („Wenn du zurückkommst, werde ich mich so um dich kümmern, dass du mich nie wieder verlassen wirst.“)

Klingt dieser Satz nur in meinen Ohren wie eine Drohung?

Im Beisein des Personals in der Priory äußerte er sich allerdings vollkommen anders. Da nannte er seine geflüchtete Ehefrau „ein egoistisches Schwein“, das ihrer Lebtag lang nur verwöhnt worden sei und, dass er als Ehemann ein Recht haben, sich gegen sie zu stellen.

Seine Eifersucht und seinen Hass ließ er auch an Mrs. Cox aus. Wenn er ihr auch in gewisser Weise dankbar war, dass sie ihn und Florence seinerzeit zusammengebracht hatte, so teilte er ihr doch jetzt unmissverständlich mit, dass er sie hinauswerfen werde.

Aller Vernunft zum Trotz kehrte Florence zu ihrem Mann zurück.

Kurz darauf verlor sie das Kind durch eine Fehlgeburt.

Gesundheitlich bereits durch die Abtreibung angeschlagen, versetzte ihr die Fehlgeburt einen schweren Schlag. Florence verfiel in tiefe Depression und konnte wochenlang ihr Bett nicht verlassen.
Ihr Arzt wiederum riet, sie solle an die See reisen und sich dort erholen. Worthing wurde vorgeschlagen.
Der Plan wurde fallengelassen, da sowohl Bravo als auch seine Mutter wegen der Kosten Einspruch einlegten. Es folgten abermals heftige Auseinandersetzungen.

Als nun Florence ankündigte, seine Mutter aufzusuchen und ein für alle Mal Klarheit zu schaffen, stürmte Bravo aus dem Haus und schrie dabei, er werde sich die Kehle durchschneiden. Zuvor schlug er seine Frau so heftig, dass sie zu Boden ging.

Es war Mrs. Cox, die ihm folgte, und ihn soweit beruhigen konnte, dass er in die Priory zurückkehrte.

Im März nun teilte der in einem freien Zimmer schlafende Bravo seiner Frau mit, es sei an der Zeit, die ehelichen Pflichten wieder aufzunehmen. Woraufhin er wieder in das eheliche Schlafzimmer einzog. Mrs. Cox, die bei ihrer Herrin geschlafen hatte, um diese zu pflegen, musste in ihre alte Kammer zurückziehen.

Florence, die inzwischen große Zweifel hatte, ob sie aufgrund ihrer gynäkologischen Vorgeschichte überhaupt ein Kind würde austragen können, musste wenige Wochen später nach Buscot telegrafieren, dass sie wieder schwanger war. Diese Nachricht sandte Schauer des Schreckens durch ihre Familie.

Wie Florence gefürchtet hatte, verlor sie auch dieses Kind am 6. April 1876. Mehr denn je empfand sie nun die Notwendigkeit, nach Worthing zu reisen und sich zu erholen. Körperlich und psychisch am Ende, erholte Florence sich nur schleppend.
Einzig Mrs. Cox und ihr Bruder waren ihr noch als Stützen geblieben.

Der 18. April 1876 markierte nun den ersten Schritt zurück in die Normalität für Florence. Zum ersten Mal verließ sie ihr Krankenzimmer. Sie hatte Charles die Zustimmung abgerungen, ihn nach London zu begleiten, wo sie ein paar Einkäufe machen wollte. Er hatte auch zugestimmt, dass sie das Abendessen gemeinsam im Speisezimmer einnehmen würden. Dies unter der Voraussetzung, dass sie sich danach umgehend zurückziehen würde, um sich wieder auszuruhen.

In dieser Situation ist man als Außenstehende irritiert, denn Bravo scheint in dieser Situation wirklich um seine Frau besorgt.
Sie fuhren bei wechselhaftem Wetter in Richtung London, überlegen dann, wegen des einsetzenden Regens umzukehren, und fuhren dann doch weiter, da es wieder aufklarte.
Vor Bravo liegt ein angenehmer Tag: er will das Türkische Bad aufsuchen und hat eine Mittagessensverabredung mit James Orr, dem Onkel seiner Frau aus Schottland.
Als die Kutsche allerdings an der Orwell Lodge vorbeikommt, ist dies wieder Anlass für Bravo, einen Streit vom Zaun zu brechen.
Es scheint offensichtlich, dass die beiden stets nur für kurze Zeit miteinander klarkommen, bis Bravos Wahn abermals die Zügel in die Hand nimmt.

Die beiden gehen nun gemeinsam zur Bank und danach zu einem Juwelier. Dann trennen sich ihre Wege.
Florence kauft Tabak und Haarlotion für ihren Mann und kehrt dann nach Hause zurück, wo sie sich im Morgenzimmer ausruht.
Bravo hingegen geht ins Türkische Bad und nimmt danach ein kräftiges Mittagessen mit Orr in der St. James‘ Hall ein.

Unterwegs trifft er noch einen Freund, den er zum Abendessen in die Priory einlädt, was dieser aber abschlägt. Stattdessen werde er der Tage vorbeischauen.
In bester Stimmung kehrt Bravo heim.
Er erklärt, dass er noch einmal ausreiten werde, was sich als fatale Entscheidung entpuppt, denn wenn der Pferdeknecht auch strikt abrät, da die Pferde in schwieriger Verfassung seien, setzt Bravo sich durch.
Über mehrere Meilen bockt das Pferd und als Bravo nach Hause zurückkehrt, ist er offensichtlich mehr als mitgenommen. Er ist bleich und so schwach, dazu von Schmerzen geplagt, dass er sich kaum auf den Beinen halten kann.
Der Butler muss ihm in den oberen Stock helfen, wo er ein Bad nimmt und sich mit Brandy stärkt.
Aber – er hat sich durchgesetzt!

Als er zum Abendessen mit seiner Frau und Mrs. Cox erscheint, ist er übellaunig. Nicht nur, dass ihm der Ritt in den Knochen steckt – er hat auch heftige Zahnschmerzen. Er lehnt den Fischgang ab und nimmt nur vom Lamm.
Seine Laune wird weiterhin durch einen Brief seines Stiefvaters, Joseph Bravo, getrübt, der versehentlich einen Brief von Charles‘ Broker erhalten hat, in dem dieser den Verlust von 20 Pfund bei einer Spekulation mitteilt. Bravo Senior ist nicht erbaut, dass sein Sohn an der Börse zockt.
Also wieder jemand, der seine Autorität in Frage stellt und seine Handlungen tadelt!

Die beiden Frauen versuchen, ihn abzulenken. Mrs. Cox war am frühen Morgen nach Worthing aufgebrochen, um dort nach einem kleinen Haus für Florence zu suchen, wo diese sich erholen könnte. Sie zeigen ihm ein Bilder des gefundenen Häuschens. Bravo aber wirft das Bild zu Boden und will nichts davon wissen.
Florence zieht sich nach diesem verkorksten Abendessen zurück. Ihr Mann verfolgt sie mit seinen Vorwürfen bis in ihr Schlafzimmer. Dort massregelt er sie auf Französisch, weil sie so viel getrunken habe und das wohl ihren Kindern das Leben gekostet habe.
(Der Butler wird bei der Anhörung berichten, dass die beiden Frauen zwei Flaschen Sherry zum Abendessen getrunken hätten, was eine normale Menge sei. Mr. Bravo wiederum habe ein paar Gläser Burgunder getrunken. ebenfalls wie immer.)
Florence hatte zum Mittagessen Champagner getrunken, die Flasche Sherry zum Abendessen und hatte sich dann noch Wasser und Marsala- Wein ins Schlafzimmer bringen lassen.

Als ihr Dienstmädchen mit der zweiten Wein- Lieferung nach oben ging, traf sie auf Bravo, der vor ihr die Treppe nach oben ging und sich zwei Mal nach ihr umdrehte und sie böse ansah. Wohl wegen des Weines, den sie seiner Frau brachte. (Florence übermäßiger Alkoholkonsum war tatsächlich ein Grund der Besorgnis für ihre Ärzte und Familie … Nicht zu Unrecht, wie sich zeigen sollte …)

Kurze Zeit später – das Dienstmädchen suchte nach einem der Hunde ihrer Herrin, um sie für die Nacht nach unten zu bringen – kam Bravo aus seinem Behelfsschlafzimmer gestürmt und schrie: „Florence! Florence! Heißes Wasser!“
Danach taumelte er zurück in sein Zimmer und erbrach sich aus dem Fenster neben seinem Bett.

Das Mädchen alarmierte Mrs. Cox, die sofort zum Hausherren eilte, der mittlerweile bewusstlos zusammengebrochen war.
Dass man heißes Wasser benutzte, um Erbrechen auszulösen, z.B. nach einer Vergiftung, wird uns später noch weitergehender beschäftigen…

Mrs. Cox versuchte augenblicklich, Mr. Bravo aus seiner Ohnmacht zu wecken. Zu diesem Zweck schickte sie das Dienstmädchen Mary Ann in die Küche, um Senfsamen und heißes Wasser zu holen. Dieses Brechmittel sollte Bravo eingeflößt werden. Allerdings waren Vergiftungsbedingt seine Zähne so fest zusammengepresst, dass er nichts schlucken konnte.

Man weckte Florence, die verzweifelt nach einem Arzt schicken ließ.
Schlussendlich schafften die Frauen es, ihn zum Erbrechen zu bringen und dann ins Bett zu schaffen. Er blieb bewusstlos.

In den folgenden Stunden tauchten diverse Ärzte an Bravos Krankenbett auf. Allen wurde schnell klar, dass es sich um eine Vergiftung handelte. Bravo kam wieder zu sich, litt aber unter unvorstellbaren Schmerzen. Dennoch schaffte er es ab und an, sich mit seinen Besuchern zu unterhalten.
Man fragte ihn immer wieder, was er zu sich genommen habe, um ein Gegenmittel suchen zu können, doch er beharrte darauf, das einzige Gift, das er genommen habe, sei Laudanum gegen seine Zahnschmerzen gewesen.

Die versammelten Ärzte erklärten ihm nun – ohne jede falsche Ziererei – dass er nur noch wenige Stunden zu leben habe. Wenn überhaupt…
Man schrieb Telegramme an seine und Florence‘ Familie. Die Bravos kamen sofort, auch seine Geschwister. Von der Familie Campbell stellte sich Mrs. Campbell ein, da Mr. Campbell selbst erkrankt war.

Schlussendlich griff Florence, deren Schmerz und Sorge ohne Ausnahme als authentisch und glaubwürdig beschrieben wird, nach einem letzten Strohhalm:
Sie schrieb einen Brief an einen Bekannten ihres Vaters: Sir William Gull, den Leibarzt von Königin Victoria (und in späteren Jahren notorisch als Ripper- Verdächtiger…)

Dieser Brief wurde unverzüglich zu seinem Haus in der Brooke Street gebracht. Als er las, dass die Tochter von Robert Tertius Campbell nach ihm rief, machte er sich umgehend auf den Weg zur Priory.
Aus irgendeinem Grund, untersuchte Gully den Patienten und kam zu dem unumstößlich Schluss, man habe es mit einem Selbstmordversuch zu tun. (Das wird noch ein echtes Problem, wie wir sehen werden…)

Diese Selbstmordtheorie war für alle Beteiligten ebenso praktisch wie unglaubwürdig.

Zwischenzeitlich kam Bravo für längere Phasen zu Bewusstsein und nach ersten Irritationen, erkannte er bald alle Anwesenden und unterhielt sich mit ihnen. Nachdem er das Urteil seines nahe bevorstehenden Todes akzeptiert hatte, bat er alle, mit ihm gemeinsam zu beten. Es war eine ungemein friedliche Situation.
Bravo bat seine Mutter, offensichtlich mit Blick auf deren Vorbehalte Florence gegenüber, seiner Frau gegenüber stets wohlgesonnen zu sein, denn sie sei ihm die beste nur denkbare Ehefrau gewesen. Seine Mutter verspricht dies, indem sie betont, dass sie zu allen nett sei. (…)

Immer wieder von heftigem Erbrechen, unvorstellbaren Krämpfen und Ohnmachten heimgesucht, quält sich Bravo nicht nur wenige Stunden, wie man vorhergesagt hatte, sondern drei Tage.

Währenddessen wechseln sich Ärzte und Familie in der Wache ab. Man durchsucht das Haus nach Hinweisen auf ein Gift, findet aber nur Laudanum, Chloroform und harmlose homöopathische Tinkturen. Proben von Erbrochenem werden analysiert und Prof. Redwood kommt zu dem Schluss, dass der Sterbende das zehnfache einer für Menschen tödlichen Dosis von Antimon (in einer Zubereitung als Brechweinstein) verabreicht bekommen hat. Es ist wohl seiner guten Konstitution geschuldet, dass er sich derart lange quälen muss.
Endlich gleitet er in eine letzte Bewusstlosigkeit. Um 05:20 Uhr, 55 Stunden nach seinem Zusammenbruch wird er für tot erklärt.

Ich will nun abkürzen…

Wie in solchen Fallen damals üblich, wurde im Speisezimmer, dem größten Zimmer der Priory, eine Anhörung zur Todesursache abgehalten.
Nachdem die Jury im ersten Stock die aufgebahrte Leiche Bravos begutachtet hatte, begab man sich wieder nach unten, um mit dem Verfahren zu beginnen.
Der Coroner, der diese Anhörung leitete, wurde sehr bald deutlich, was die Umstände des Todes anging: Charles Delauney Turner Bravo war an einer tödlichen Menge Antimon verstorben. Und er hatte es in selbstmörderischer Absicht genommen.
Als einer der behandelnden Ärzte sich gegen Ende erhob und seinerseits eine Aussage machen wollte, wurde er schlicht und ergreifend abgewürgt. Offensichtlich wollte man aus falsch verstandener Rücksichtnahme die Familie vor dem Mordverdacht schützen. Denn es war klar, dass Bravo das Gift maximal eine halbe Stunde vor seinem ersten Zusammenbruch zu sich genommen haben musste, und da kamen eben als mögliche Täter nur noch Personen aus dem Haushalt in Frage.
Man fragt sich da natürlich unwillkürlich, wieso ein angesehener Coroner eine solche Vorgehensweise an den Tag legt …

Das Ergebnis, zu dem die Jury kam, lautete im Folgenden, dass Bravo vergiftet worden war, dass man aber nicht sagen könne, wie das Gift in seinen Körper gelangt sei. Kurz – ob er Selbstmord begangen hatte, oder nicht.

Am 29. April 1876 wurde Bravo auf dem West Nordwood Cemetery London beigesetzt. Nach der damals üblichen Praxis blieb Florence der Beisetzung fern. Beim anschließenden Empfang in der Priory weigerten sich einige von Bravos Freunden, das Haus zu betreten.

Hinter den Kulissen war – wie man sich unschwer denken kann – ein Kampf ausgebrochen. Team Campbell gegen Team Bravo.

Bereits kurz nach dem Tod Bravos hatten sich die beiden Väter bei einem Treffen in die Haare bekommen. Campbell beharrte auf einem Selbstmord des psychisch labilen Charles Bravo, während Joseph Bravo einen Selbstmord seines immer fröhlichen, optimistischen Sohnes für absoluten Blödsinn hielt. Und natürlich – für eine Schutzbehauptung.

Dies war auch die Haltung, die Bravos Freunde und Kollegen einnahmen. Bald häuften sich die Briefe bei den verschiedenen Behörden, inklusive Scotland Yard, in denen die Selbstmordthese rundweg verworfen wurde.
Man betonte Charles‘ aufgeräumte Stimmung, seine glückliche Ehe, seine Zukunftspläne. Kein Wölkchen am strahlenblauen Lebenshimmel des Charles Delauney Bravo.

Schlussendlich ist es ein Verfahrensfehler, der dazu führt, dass man den Coroner anweist, eine zweite Anhörung anzusetzen. Er hätte bei der ersten Anhörung des Arzt unbedingt zu Wort kommen lassen müssen. Dr. Johnson war von Anfang an beim Sterbenden gewesen und seine Aussage wäre unabdingbar gewesen.

Inzwischen hatte es der Fall in die englischen Zeitungen geschafft. Hatte der erste Bericht nur frugal das Ableben des aufstrebenden Rechtsanwalts mitgeteilt, so wurde bald ein Massenevent aus dem Todesfall.
Der Ansturm auf die zweite Anhörung war so massiv, dass man sich dazu entschloss, in das Bedford Hotel zu gehen.

Wenn wir nun die Liste der Anwälte betrachten die sich bei dieser zweiten Anhörung einfanden, und die von den beiden Teams, sowie von der Krone berufen worden waren, müssen wir uns wieder ins Gedächtnis rufen, dass wir es hier noch immer lediglich mit der Anhörung zur Todesursache zu tun haben! Es war noch NICHT der eigentliche Prozess.

Dennoch hatten die beiden Oberhäupter der Familien Bravo und Campbell ihr nicht unerhebliches Vermögen aufgewendet, um die Creme de la Creme der englischen Anwaltschaft für ihre Belange einzusetzen.
Alleine der ehemalige Generalstaatsanwalt Sir Henry James berechnete ein Tagesgehalt von 100 Guineen. Das wären im Jahr 2017 knapp 6600 Pfund gewesen.
Zum Vergleich Bravo selbst verdiente PRO JAHR (!) 200 Guineen

Wie auch bei der ersten Anhörung, so machten sich auch diesmal alle Beteiligten auf den Weg zur Leiche. Zu diesem Zweck hatte man Bravo exhumiert und seinen geöffneten Sarg mit einer Glasplatte verschlossen, sodass die Jury einen möglichst unkomplizierten Blick auf den Verstorbenen werfen konnte. (Mir ist da jetzt kein besserer Begriff eingefallen …)
Wenn Yseult Bridges in ihrem Buch „How Charles Bravo died“ von einer wunderbar erhaltenen Leiche schreibt, so stimmt dies nicht mehr der Wahrheit überein.

Der Besuch auf dem Friedhof fand im Juli und damit nur wenige Wochen nach der Beisetzung statt. Dennoch war die Leiche in einem Zustand weitgehenden Zerfalls. Im Gegensatz zu dem praktisch neu aussehenden Sarg, war die Leiche Bravos selbst schwarz verfärbt und selbst die Zähne waren schwarz geworden. Dies rührte von der großen Menge Antimon her, die er eingenommen hatte. Bei geringeren Dosen wiesen Leichen eher eine längere „Haltbarkeit“ auf.

Nach dem Friedhofsbesuch kehrten alle Beteiligten ins Bedford Hotel zurück und die Anhörung konnte beginnen.

Um das Hotel herum hatte sich Volksfeststimmung breit gemacht. Hunderte säumten die Straßen, um die Beteiligten zu sehen. Vor allem erwartete man die Aussage des berühmten Sir William Gull.
Bei der Anhörung selbst müssen sich Szenen wie in einem amerikanischen Gerichtsdrama abgespielt haben. Zeugen, die sich plötzlich nicht mehr erinnern konnten. Apotheker, die so viel Antimon an den Kutscher der Bravos verkauft hatten, daß man damit ganz London hätte ausradieren können. Königliche Leibärzte, die auf unsinnigen Thesen beharrten und schlussendlich auch ihr Heil im Vergessen suchten. Angehörige, die zusammenbrachen.
Und zwei Familien, deren Leben endgültig zerstört wurden.

Am schlimmsten aber traf es wohl Florence Bravo …
Anstatt den Todesumständen ihres Mannes auf den Grund zu gehen, stürzten sich alle auf ihre Affäre mit Dr. Gully. Vor allem die Anwälte der Familie Bravo machten vor nichts Halt.
Da durfte ungebremst Hintertreppentratsch verbreitet werden. Man wollte von den Zeugen bewertet sehen, wie glaubwürdig die Sorge und Trauer der Ehefrau waren. Ob Gully ihr einziger Liebhaber gewesen sei. Ach ja – und nicht zu vergessen: die Abtreibung!!!
Jene Abtreibung, die ganz offensichtlich dazu geführt hatte, dass die Gattin keine Kinder mehr austragen konnte. Und hat sie nicht auch gesoffen? Ja, natürlich! Wie viel Sherry hatte sie beim letzten Abendessen? Oh – und schon Champagner zum Mittagessen … Na, ja.
Man rief Dr. Gully in den Zeugenstand, der – wohl wahrheitsgemäß – aussagte, dass er Florence nach ihrer Heirat noch einmal getroffen hatte, da sie seinen Rat hatte einholen wollen. Dass er keinen Groll gegen Mr. Bravo gehegt habe und auch nicht für die anonymen Briefe verantwortlich sei, die dieser erhalten habe. Ja, die Trennung habe ihn tief getroffen, aber er habe Florence nur das Allerbeste gewünscht.

Auch dies nutzte nichts. Er blieb der geile alte Bock, der aus Rache möglicherweise den Nebenbuhler entsorgt hatte.

Das landete zumindest in den Zeitungen. Und nicht nur in den englischen. Tatsächlich berichtete man inzwischen international über den Skandal/ Mordfall.
Denn um einen solchen handelte es sich. Zumindest nach dem Entschluss der Jury. Diese kam nämlich zu dem Ergebnis, dass Charles Bravo ermordet worden sei, dass aber nicht feststellbar sei, wer dafür verantwortlich sei.

Daraufhin ermittelte Scotland Yard noch eine zeitlang, kam aber zu keinem Ergebnis und so wurde der Fall ad acta gelegt.

DAVOR – DANACH
Wie in allen solchen Fällen, konnten die Beteiligten ihr Leben ab der Tat in ein „Davor“ und ein „Danach“ einteilen, denn danach wird das Leben ein anderes.
So erging es auch den hier Beteiligten …

Florence:
Noch während der Anhörung verließ sie die Priory und zog – um dem Trubel zu entkommen – nach Brighton. Bald wurde die Brunswick Terrace, wo sie sich aufhielt, derart von Neugierigen belagert, dass sie sich nicht mal mehr am Fenster zeigen konnte, geschweige denn das Haus verlassen, ohne dass die Passanten stehen blieben und zu ihr hinstarrten.
Florence verließ Brighton in Richtung Buscot, um dort zur Ruhe zu kommen. Von dort ging es wieder nach London.
Sie zog zurück in die Priory, wo die meisten Dienstboten bereits den Dienst quittiert hatten.
Selbst die unentbehrliche „Janie“ Cox hatte ihre Sachen gepackt. Es war zwischen den beiden Frauen zu einer Auseinandersetzung gekommen, deren Ursache nicht bekannt ist, die aber zu einem endgültigen Bruch führte.
Der Vermieter der Priory drohte wiederum Florence, sie hinauszuwerfen, wenn sie nicht freiwillig packe, was sie auch tat. Ende September 1876 beauftragte sie Bonham and Son mit der Versteigerung des gesamten Inventars der Priory.
Das Zerwürfnis zwischen ihr und ihrer Schwiegerfamilie war endgültig, nachdem ihr Schwiegervater die Kanzlei seines Sohnes hatte versiegeln lassen und einer Durchsuchung zugestimmt. Dies unter Umgehung der Alleinerbin, Florence.
Die Veränderungen sollten auch ihren Niederschlag auf anderer Ebene finden: Florence änderte ihren Nachnamen in das weitaus unbekanntere „Turner“. Ausgerechnet den Mädchennamen ihrer verhassten Schwiegermutter …
Nachdem in London alles aufgelöst ist, zieht sie nach Southsea in die heutige „Eastern Parade“ mit Blick auf das Meer.
Ihr Alkoholkonsum gerät nun endgültig außer Kontrolle und sie verlässt das Haus praktisch nicht mehr. Selbst ihr von der besorgten Mutter beigerufener schottischer Onkel James Orr kann nicht mehr helfen. Das Angebot ihres Bruders, ihn nach Australien zu begleiten, lehnt sie ab.
Im Beisein des Onkels und ihrer Dienstmädchen, stirbt Florence gerade mal 33jährig am 17.9.1878 mit den Worten „Oh, I can’t breathe. Save me! Save me!“ an ihrem Alkoholmissbrauch. Der gleichen Krankheit, der ihr erster Mann erlegen ist.
Sie wird in einer Nacht,- und Nebelaktion auf dem Friedhof der St. Mary’s Church nahe Buscot in einem unmarkierten Grab beigesetzt.


Gedenkplatte
Buscot 2019


Übrigens findet man im Eingangsbereich der Kirche eine Liste der Gräber, dort ist auch die Gedenkplatte eingezeichnet, falls man sie vor Ort nicht direkt findet …

Mrs. Jane Cox
Nach dem oben erwähnten Streit, hatte Mrs. Cox all ihre Habseligkeiten gepackt und die Priory verlassen.
Da sie immer wieder als Mordverdächtige erwähnt wird, und als Beleg ihr prekäre finanzielle Situation im Falle einer Entlassung durch Mr. Bravo genannt wird, sollte man Folgendes erwähnen:
Mrs. Cox hatte einen Onkel und eine Tante auf Jamaika, die sehr wohlhabende Plantagenbesitzer waren.
Nach dem Tod des Onkels, teilte die Tante Mrs. Cox mit, dass sie sie als Alleinerbin im Falle ihres eigenen Todes eingesetzt habe.
Kurz vor dem Tod Bravos erkrankte die Tante schwer und bat Mrs. Cox dringend, nach Jamaika zu kommen, da es Leute gebe, die sich die Plantagen unter den Nagel reißen wollten und so sei es unabdingbar, dass sie vor Ort erscheine, um dies abzuwehren.
Selbst Joseph Bravo, den sie um Rat bat, empfahl ihr dringend, nach Jamaika zu reisen und Florence entbot sich, auf die Jungs aufzupassen, wenn diese Ferien hätten.
Im Oktober 1876 reiste sie mit ihren Söhnen nach Jamaika und tritt ihr dortiges Erbe an. Sie war jetzt eine vermögende Frau.
Jahre später kehrte sie nach England (Lewisham) zurück und verstarb auch dort. Sie ist in einem unmarkierten Grab auf dem Hither Green Cemetery beigesetzt.

Dr. James Manby Gully
Nach dem skandalösen Prozess, der seinen Ruf endgültig ruiniert hatte, kehrte er in die Orwell Lodge, nur Gehminuten von The Priory entfernt, zurück. Er ist von einem gefeierten Mediziner zu einem sozialen Paria geworden.
Er stirbt am 15.3.1883 an Krebs und wird auf dem Kensal Green Cemetery in London beigesetzt.

Mary Bravo
Charles Bravos Mutter stirbt 16.7.1877, also ein gutes Jahr nach ihrem Sohn. Sie hat sich von seinem Tod nicht mehr erholt.

Joseph Bravo
Charles‘ Stiefvater stirbt 1881.

Robert Tertius Campbell
Florence‘ Vater stirbt 1887. Er hatte sein Vermögen sowohl im Umbau von Buscot zu einem Vorzeigebetrieb, wie auch in den juristischen Kampf seiner Tochter gesteckt. Wegen nachlassender Gesundheit konnte er die Lücken nicht mehr auffüllen.
In seinem Todesjahr wurde Buscot an seine Gläubiger übergeben, die es wiederum an den Finanzier Alexander Henderson, den späteren Lord Faringdon, verkauften. Heute befindet sich das Anwesen im Besitz des National Trust, wobei der aktuelle Lord Faringdon noch immer mit seiner Familie dort lebt.

Bis zum heutigen Tage leben noch Nachkommen der Betroffenen dieses furchtbaren Mordfalles.

Spitting Image

Wir, die wir uns mit der Geschichte befassen, fragen uns immer mal wieder, wie die eine oder andere historische Persönlichkeit denn nun tatsächlich ausgesehen hat.
Natürlich gibt es immer wieder Beschreibungen von Zeitgenossen, doch die sind mit Vorsicht zu genießen.

WARUM?

Nun, ganz einfach – zum einen wird dem Zeitgeschmack bei den Beschreibungen Rechnung getragen. In der Zeit der Renaissance waren zum Beispiel Beine ungeheuer wichtig. Waren sie lang? Wohlgeformt?
Kein Wunder, mussten diese Körperteile doch viel mitmachen, sei es zu Pferde oder zu Fuß. Also taten sich die Zeitgenossen gütlich an den Beschreibungen der wohlgeformten Beine z.B. Heinrichs VIII von England.

Während des Barock nun galt der Körper des Königs/ der Königin nach wie vor als Körper des Landes. Schwächelte der König, schwächelte das Land. Deswegen waren Augenzeugen immer auch politische Berichterstatter.
Beschreibungen des Aussehens dienten immer auch einem diplomatischen Zweck.
Was übrigens bis in die Gegenwart gilt, denn das mehr oder minder gesunde Aussehen des Sowjetischen Staatschefs konnte weltpolitische Konsequenzen nach sich ziehen.
Immer wieder gerne zitiert wird die Wissbegier Elisabeth I von England, die sich wieder und wieder das Aussehen ihrer Rivalin Mary Queen of Scots beschreiben ließ.

Kehren wir aber in die Geschichte zurück. Und zwar in die Zeiten, wo wir noch nicht auf Fotografien zurückgreifen können.

Wer kennt ihn nicht – Heinrich VIII von England? Pompös- herkulischer Beherrscher Englands im 16. Jahrhundert. Berühmt vor allem wegen seiner sechs Ehefrauen, die größtenteils ein eher tragisches Ende nahmen. (Nicht nur diejenigen seiner Frauen, die er hat köpfen lassen …)
Seit dieser Zeit beschäftigen uns diese Ehefrauen, allen voran die tragisch- intrigante Anne Boleyn oder die schnöde verlassene Katharina von Aragon, die stur und stolz, selbst noch im kältesten Exil, an ihrer Liebe festhielt.
Es gibt nun zahlreiche Porträts der handelnden Personen, die besten unter ihnen von Hans Holbein d.J..
So war es Meister Holbein, der ausgeschickt wurde, das Porträt Anna von Cleve zu malen, um mit diesem die Liebe des Königs zu der deutschen Fürstin zu wecken. (Eingefädelt von Thomas Cromwell, was dieser noch zu bereuen hatte …)

Dass – zumindest in Heinrichs Augen – Abbild und Realität weit auseinander klafften, ist bekannt. Was aus der Ehe wurde, ebenfalls. Sie wurde geschieden, Anna blieb in England und wurde „Schwester des Königs“. Mit Heinrichs Kindern verstand sie sich sehr gut und blieb ein gerne gesehener Gast bei Hof.
Da sie sich dem König ohne zu zögern bezüglich der Scheidung unterwarf, blieb sie die einzige Ehefrau, die gut aus der Beziehung zu Heinrich herauskam.

An diesem Beispiel sehen wir, dass es auch in vergangenen Zeiten nicht unerheblich war, wie z.B. der künftige Partner aussah. Man suchte also nach möglichst lebensnahen Abbildungen der anderen Seite.
Diese Porträts in Öl kennen wir alle.
Ich will mich aber im heutigen Blog einer Technik, einem Material, widmen, das so nicht für uns alle direkt präsent ist. WACHS!

MADAME TUSSAUD und Madame Guillotine

Wie alle, die meine Posts verfolgen wissen, gilt mein besonderes Interesse der Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.

Wenn wir uns nun mit Wachsbildnissen in dieser Zeit befassen, stoßen wir zunächst auf Madame Tussaud, im Dezember 1761 als Anna Maria Grosholtz in Straßburg geboren.
Marie zog mit ihrer Mutter und deren Lebensgefährten, einem Wachsbildner, nach Paris, wo dieser eine entsprechende Ausstellung seiner Werke eröffnete.
Marie erwies sich als sehr begabt und fertige bereits mit 17 Jahren ihre erste lebensgroße Wachsfigur an.
Bereits jetzt im Pariser „Salon Curtius“ entwickelte sich ein System, das noch heute international in allen Madame Tussaud’s Niederlassungen präsentiert wird: Aktualität!
Ob es Politiker sind oder Popstars – bei Madame Tussaud’s findet man sie immer tagesaktuell.
Das geht so weit, dass Kopien der Brautkleider von Hochzeiten am englischen Königshof noch in der Nacht vor der Trauung an die Londoner Filiale geliefert werden und direkt am Hochzeitstag an den Figuren der königlichen Brautpaare bewundern werden können.

Für Marie Tussaud bedeutete dies im revolutionären Frankreich, dass sie nicht nur Revolutionäre wie Danton und Robespierre darstellte, sondern auch deren Opfer wie Ludwig XVI und seine Frau Marie- Antoinette.
Ihre Figuren kann man ebenfalls noch heute im Wachsfigurenkabinett bewundern. Ebenso wie die Klinge jener Guillotine, die sie ums Leben gebracht hat.
1794 erbte Marie das Kabinett von ihrem Ziehvater und 1795 heiratete sie den Ingenieur François Tussaud.
Doch das Schicksal schlug auch in ihrem Leben zu: als sie mit ihren Söhnen England bereiste, wurde ihre Familie Opfer der napoleonischen Kontinentalsperre. Sie sah ihren Mann nie wieder.
1835 eröffnete sie in der Bakerstreet ihr eigenes Wachsfigurenkabinett, das bis heute besteht.
Am 16.4.1850 starb sie 88jährig in London. Sie wurde auf dem katholischen Friedhof in Chelsea begraben.

Nun wären wir also bei jenem Material angekommen, um das sich dieser Blog eigentlich dreht: WACHS!

Wachs in meinen Händen …

Wie man an dem Foto unschwer erkennen kann, handelt es sich bei Wachs um ein Material, das relativ schnell zu schmelzen scheint. Umso mehr wundert es einen natürlich, dass Künstler ausgerechnet diesen empfindsamen Stoff nutzen, um solche Kunstwerke zu schaffen. Noch dazu – wieso bemüht man sich besonders bei diesen Porträts so sehr um Authentizität, dass man sogar Kleidung, ja gar Haare von dem Betreffenden nimmt und in dem Bild verarbeitet.

Nun, Wachs ist keineswegs ein solch empfindsames Material wie man allgemein denken mag.
Es ist vielmehr sogar relativ hitzebeständig, zumindest bei normalen Temperaturen. Es muss – anders als Ton – auch nicht gebrannt werden.

Tatsächlich aber hat Wachs speziell für die Porträt- Künstler seit der Antike einen ganz besonderen Vorteil: Mit keinem anderen Material kann man Haut derart perfekt nachbilden. Ein Grund, warum man in späteren Jahrhunderten anatomische Präparate bevorzugt aus Wachs gefertigt hat.

Ganz oben siehst du ein Porträt Ludwig XIV in Wachs. Wenig schmeichelhaft, doch deswegen sicherlich umso authentischer.


Hier nun die Porträt- Büste des Friedrich Josias von Sachsen- Coburg- Saalfeld, die ich vor Kurzem in der Veste Coburg aufgenommen habe. Es ist ungeheuer beeindruckend, wenn man vor dieser lebensgroßen Figur steht, die mit Echthaar des Prinzen und mit Teilen seiner Originalkleidung angefertigt wurde. Man könnte wirklich meinen, dass er einem gleich den Kopf zuwenden müsse und anfangen zu sprechen.

Und hier noch eine weitere sehr interessante Büste. Diesmal aus Norfolk/ England:

Wir sehen hier Lady Sarah Hare, die ihrem letzten Willen entsprechend als Wachsfigur verewigt wurde. Das Kleid, welches die Figur trägt, ist das der im Alter von 55 Jahren verstorbenen Lady.
„I desire to have my face and hands made in wax with a piece of crimson satin thrown like a garment in a picture hair upon my head and put in a case of Mahogany with a glass before and fix’d up so near the place were my corps lyes as it can be with my name and time of Death put upon the case in any manner most desirable if I do not execute this in my life I desire it may be done after my Death.“ (Quelle: www.findagrave.com)
Woran sie verstorben ist?
Sie stach sich beim Nähen ganz banal in den Finger und erlag in der Folge einer Blutvergiftung.
Ihr Abbild zeigt sogar die Warzen in ihrem Gesicht und ist damit von beinahe brutaler Ehrlichkeit.
Die Büste ist noch heute in der Kirche der kleinen Gemeinde Stow Bardolph zu finden. (Klingt wie aus „Barnaby“, oder?)
Was im Falle von Lady Sarah nicht geklärt ist, ist allerdings die Frage, ob das Gesicht nach der Totenmaske geformt wurde, oder noch an der lebenden Lady.

Wer nun nicht nach Coburg, Versailles oder Snow Bardolph fahren will, um jenen Menschen seinen Respekt über das Grab hinaus zu erweisen, der kann es auch einfach mal in Frankfurt mit der Skulpturensammlung im Liebieg Haus- Museum versuchen. Dort gibt es noch Porträtminiaturen aus Wachs zu bestaunen, die gegen diese in Lebensgröße direkt putzig wirken mit ihren 10 cm Durchmesser, und dennoch nicht minder beeindrucken.

Von denen Untoten …

Wenn wir wissen wollen, wie zumindest die englischen Monarchen in Wirklichkeit ausgesehen haben, lohnt sich ein Besuch in der Jubilee Gallery der Westminster Abbey in London.
Hier findet sich die größte Sammlung dieser lebensechten Wachspuppen, die bei den königlichen Beisetzungen mitgeführt wurden. Dadurch ist zum Beispiel das original Korsett von Elisabeth I erhalten geblieben, denn die Puppen wurden komplett mit den original Kleidungsstücken ausgestattet.
Doch nicht nur gekrönte Häupter kann man dort betrachten, auch die Puppe, die Lord Nelson, den Helden der Schlacht von Trafalgar darstellt. Hierbei handelte es sich allerdings nicht um eine „Funeral Effigy“, sondern um eine Art Werbeaktion, denn diese Figur wurde in Auftrag gegeben, nachdem Nelson in die St. Paul’s Kathedrale umgebettet worden war. Und nun wollte man in Westminster wenigstens diese Figur als Besuchermagnet haben.
Nelsons Geliebte, Emma Hamilton, bestätigte übrigens die frappierende Ähnlichkeit der Figur mit ihrem gefallenen Lebensgefährten und Vater ihrer Tochter.

Der Brauch, solche Figuren bei Beerdigungen mitzuführen, hatte wohl mehrere Ursachen. Eine davon lag sicherlich darin begründet, dass die Körper sehr schnell verfielen und bei einer Besetzung nicht mehr gezeigt werden konnten.
Außerdem sollte sicherlich mit diesem Abbild die über den Tod hinausweisende Bedeutung des Herrschers betont werden.
Eine gewisse Ausnahme bietet sicherlich Catherine, die Herzogin von Buckingham, die noch zu Lebzeiten ihre Figur in Auftrag gegeben hat und auch die Kleider dafür spendete. Aufgestellt wurde die Figur bereits zu ihren Lebzeiten neben der Figur ihres im Kleinkindalter verstorbenen Sohnes Robert.


Für uns heutige Menschen sind sie einfach eine wunderbare Gelegenheit, den längst verstorbenen Prominenten so von Angesicht zu Angersicht entgegenzutreten, als lebten sie noch, oder als wären wir in der Zeit zurückgereist.

Ein Blick in die Zukunft …
Wenn ich nun all diese Figuren so betrachte, denke ich mir, was für eine großartige Gelegenheit sie doch bieten, der Vergangenheit so authentisch wie nur möglich entgegenzutreten.
Morbide? Nicht wirklich.
Neugier ist etwas, das uns Menschen im Innersten mitgegeben ist. Es ist unserer modernen Zeit geschuldet, dass wir uns ihrer schämen sollen, weil sie immer wieder mit Respektlosigkeit in Verbindung gebracht wird.
Erinnern wir uns wieder unserer Wissbegier und schauen der Vergangenheit mutig ins Gesicht, denn sie ist unsere Zukunft.
Oder um Tolstoi zu zitieren: „Angst vor dem Tod? Nein. Das heißt doch nur, sich der Mehrheit anzuschließen …“

Zum Sterben schön …

Von Tapeten und Erbschaftspulver

Lasst mich mal ein paar Schlagworte in den Raum werfen —-

William Morris – Tapeten – Queen Victoria – Hexenjagd – Napoleon – Dschabir Ibn Hayyan – Grün – Scheele – Emma Bovary – Gesche Gottfried – Jack the Ripper —

Ich könnte die Aufzählung schier endlos fortsetzen und würde sicherlich mehr Verwirrung denn Klarheit stiften.

Was aber ist der gemeinsame Nenner all dieser Schlagwörter? Nun …

ARSEN!!!!

Der Stoff, der Generationen in Angst und Schrecken versetzt hat, wurde besonders im 19. Jahrhundert als so genanntes „Erbschaftspulver“ eingesetzt. Der Giftmord kam auf breiter Front ganz groß in Mode.
Wenn auch Dumas in seinem „Graf von Montechristo“ eher abriet, zu dieser Methode zu greifen (sie war ZU populär und deswegen dachte bei jedem unklaren Todesfall jeder zuerst an Arsen …)
Dennoch griff man gerne zu. Arsen war weit verbreitet und wurde in Haushalten z.B. zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt.

Arsen gab es also in jedem Haushalt. Es fand sich in Fliegenpapier und wurde gegen Ratten gestreut. Man bekam es praktisch überall zu kaufen und – zumindest in England – bis 1851 ohne irgendwelche Beschränkungen. Erst danach wurden Giftregister eingeführt und nur noch konzessionierte Händler, wie z.B. Apotheker, durften Arsen verkaufen.
Auch der Verkauf an Kinder wurde verboten (!)
Die Arsen- Vergiftung wiederum war nicht ganz so klar nachweisbar, wie man vermuten würde. (Bis die entsprechenden forensischen Nachweise entwickelt wurden). Durchfall und Erbrechen, die hervorstechendsten Symptome, kamen in der gleichen Form bei diversen Infektionskrankheiten und auch bei schweren Lebensmittelvergiftungen vor, die im 19. Jahrhundert wesentlich häufiger auftraten als heutzutage.

Wie kommt nun Jack the Ripper in dieses düstere Bild?
Vielleicht sagt den Name James Maybrick all jenen etwas, die sich mal mit den verschiedenen Kandidaten für die Täterschaft befasst haben. James Maybrick gilt vielen als ganz heißer Kandidat.
Der vermögende englische Baumwollhändler schrieb aber noch aus einem anderen Grund Kriminalgeschichte:
Der doppelt so alte Mann lernte 1881 die junge Amerikanerin Florence Chandler kennen. Kurz darauf heirateten die beiden. Die Ehe wurde zur Katastrophe. Beide hatten außereheliche Affären und Maybrick misshandelte seine junge Frau. Als er 1889 nach kurzer Krankheit verstarb, entstanden schnell Gerüchte, seine Frau habe sich seiner entledigt.
Zudem entstand die Theorie, er habe im Jahr zuvor die ominösen Whitechapel- Morde begangen. Die Mordserie habe eben deswegen geendet, weil der Täter seinerseits selbst Opfer eines Mordanschlags geworden sei. Dies wurde in den 1990er Jahren in einem angeblich authentischen Tagebuch beschrieben, was sich aber später als Fälschung erwies. (Aber das ist für einen anderen Tag … 😉 )
Florence Maybrick wurde angeklagt und nicht zuletzt die Aussage eines Dienstmädchens, das sie dabei beobachtet hatte, wie sie Fliegenpapier in Wasser tränkte (angeblich um sich ein Schönheitswässerchen selbst zu brauen), erwiesen sich als verhängnisvoll.
Florence Maybrick wurde verurteilt, doch nach 14 Jahren in Haft freigelassen. 1904 kehrte sie in die USA zurück, schrieb ein Buch, das sie selbst entlasten sollte und starb 1941 vereinsamt.

Damit hätte ich nur einen von zahlreichen Fällen kurz umrissen. Auch in Deutschland gab es mit der berüchtigten Gesche Gottfried eine Serien- Gift- Mörderin, die als letzte Frau in Bremen öffentlich hingerichtet wurde.

Und nun – Auftritt William Morris, Arts and Crafts und die grüne Tapete!

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Wer sich mit der Kunstgeschichte Englands im 19. Jahrhundert befasst, kommt um William Morris und seine Arts and Crafts- Bewegung nicht herum.
Er war stilprägend für ganz Europa und sein noch heute erhaltenes Haus in Kelmscott ist absolut einen Besuch wert.
Zum Glück müssen wir heute nicht mehr in seinen Tapeten wohnen, kann ich nur sagen.
Zu seinem künstlerischen Werk zählte nicht nur Dichtung, Malerei und Kunsthandwerk – er entwarf auch Tapeten.
In strahlenden Farben schuf er hier jene Muster, die ihn weltberühmt machten und bis heute in allen allen Formen und Variationen verkauft werden.
Zur Herstellung dieser brillanten Töne griff man allerdings seinerzeit auf – ihr ahnt es – ARSEN zurück.
Die Herstellung von Papiertapeten wurde immer preiswerter und bald hatte jede gutbürgerliche Familie eine solche Zierde an ihren Wänden. Allerdings kam es auch öfter zu Todesfällen, die zunächst keine Erklärung fanden.
Man hätte es besser wissen können – in England – denn auf dem Kontinent waren die Arsen- Tapeten bereits verboten, als sich Morris noch immer weigerte, die fürchterlichen Folgend des Arsen- Einsatzes anzuerkennen und von einer Hexenjagd sprach.
Den erklärten Sozialisten und Philanthropen interessierte auch nicht, unter welchen Bedingungen sogar Kinder in seiner Miene schufteten.
Bereits in den frühen 1860 Jahren gab es eine Untersuchung, in deren Zuge er zugeben musste, dass sechsjährige Mädchen im giftigen Abraum Erze aussortierten, während zehnjährige Buben in den Miene beim Untertageabbau schufteten. (Alleine die Zeichnungen der körperlichen folgen können einen aus den Stiefeln hauen … Nichts für schwache Mägen!)

Besucher jener Tapetenfabriken, in denen die mörderische Dekoration hergestellt wurde, klagten, dass man dort kaum atmen könne, weil die Luft angereichert sei mit den giftigen Pigmenten von Schweinfurter Grün etc.

Doch nicht nur Tapeten vergifteten die Menschen nachhaltig – die arsenhaltigen Farben kamen in Stoffen und Pflegeprodukten vor. Bereits im Jahre 1884 gab es Untersuchungen in Massachusetts, die darlegten, dass durch ein Kleid mit arsenhaltigem Tarlatan pro Stunde beim Tanzen 20- 30 Gran des Pigments abgegeben werde.
In einem anderen Bericht stand zu lesen, dass in einem einzigen grünen künstlichen Blätterkranz genug Arsen enthalten sei, um 100 Menschen zu töten.
Die Zeitungen berichteten, Wissenschaftler belegten – und selbst im Buckingham Palace griff die Angst derart um sich, dass Queen Victoria befahl, die tödlichen Tapeten entfernen zu lassen.
Ein Verbot durch die Regierung erfolgte dennoch nicht.
Bereits im Jahre 1858 fragte eine Zeitung in England, warum die eigenen Bürger nicht genauso wie die in Kontinental- Europa durch Gesetze vor so etwas geschützt würden. Die Antwort ließ auf sich warten …

Ihr ahnt es bereits: Es gibt noch eine düstere, wenig charmante Seite an Mister Morris und die hat mit eben diesem Arsen zu tun …

Rund die Hälfte des weltweit gewonnen Arsens kam in den 1870er-Jahren aus der „Devon Great Consols“-Kupfermine im Südwesten Englands. Diese wiederum gehörte William Morris. (Welche Überraschung!)
So mag es auch nicht verwundern, dass er sich vehement gegen ein Verbot von jenen tödlich schönen Tapeten und der Verwendung von Arsen bei der Farbenherstellung wehrte, ja sie als Hexenfieber bezeichnete.
Deutschland, Frankreich, Österreich … sie alle hatten spätestens in den 1860 Jahren die Verwendung von Arsen(farben) und gesundheitsgefährdenden Stoffen reglementiert, bzw. komplett verboten.
Nicht so in England. Erklärterweise wollte man der Industrie nicht ins Handwerk pfuschen, und sich generell lieber aus Wirtschaftsangelegenheiten heraushalten.
Dann aber erledigte sich das Ganze praktisch von selbst.
Man hatte inzwischen Tapeten auf Ölbasis entwickelt, die auch noch abwaschbar waren. Hier hatte Arsen keinen Platz mehr. Und die Verbraucher begegneten der Möglichkeit, die eigenen vier Wände noch sauberer zu halten mit offenen Armen.
Das Ende der tödlichen Schönheit war gekommen.

Und was ist mit unseren Giftmischern? Nun – sie nutzten das leicht erhältliche Gift noch immer rege, wurden aber auch immer häufiger erwischt. Leider meistens zu spät für das Opfer, welches einen kaum vorstellbaren Todeskampf zu erleiden hatte.

Jesus – jetzt hätte ich beinahe Napoleon vergessen!!!! Was DER mit Arsentapeten zu tun hatte? Nun – es wurde in weiten Kreisen gemutmaßt, seine englischen „Gastgeber“ auf Sankt Helena hätten ihn absichtlich mittels dieser Tapeten vergiftet. Tatsächlich fand man bei seiner Exhumierung Reste von Arsen in seinem (sehr gut erhaltenen Körper), doch lassen sich diese Mengen zum einen auf den Umstand zurückführen, dass Arsen in der Umwelt natürlich vorkommt und zum anderen auf die Tatsache zurückführen, dass Napoleon jahrelang kleine Mengen Arsen zu sich nahm, in der Hoffnung, sich so gegen Giftanschläge zu immunisieren.

Und unser arabischer Freund Dschabir Ibn Hayyan? Den habe ich ganz vergessen … Er war der ENTDECKER von Arsentrioxid …

LESETIPP:

Der wunderbare Bildband „Gefährlich schön“ von Lucinda Hawksley, erschienen im Gerstenberg- Verlag. (Die Autorin selbst klingt, als käme sie aus einem viktorianischen Schauer- Roman … )

GUCKSDU:

Auf YouTube sei allen, die des Englischen mächtig sind, die Doku „Hidden Killers of the Victorian Home“ der Historikerin Susannah Lipscomb ans Herz gelegt.

James VI+ I – Die Geschichte eines Überlebers

Bekanntlicherweise wetten die Briten ja gerne. Das weiß jeder.
Und hätte man bei der Geburt dieses Mannes Wetten auf seine zu erwartenden Lebensjahre angenommen, wären prächtige Quoten dabei rausgekommen. Wer auf ein langes Leben und einen Tod im Bett gewettet hätte, den hätte man in Schottland schlicht ausgelacht. Allerdings wäre er oder sie nach ein paar Jahrzehnten auch ein verdammt reicher Mann (oder Frau) gewesen.

Wen wir hier in seiner ganzen Pracht sehen (und nachdem einige Leute in unserem Gedankenspiel ganz ordentlich Geld verloren hätten), ist König James VI und I.
Genau!
James VI von Schottland und – nach dem Tod von Königin Elizabeth I – James I von England. Der Mann, der ohne Krieg und Abschlachten die beiden Länder vereinte.
(Und ganz nebenbei der Erfinder von „Großbritannien“ und Designer des „Union Jack“, der die Fahnen Schottlands und Englands vereint.)
Wir ahnen bereits – der Junge, der da am 19. Juni 1566 in Edinburgh Castle das Licht der Welt erblickte – wurde zu einem wirklichen Tausendsassa.

Wobei – zu seiner Geburt hätte er eigentlich bereits tot sein müssen. Das war zumindest der Plan seines Vaters …

Und damit steigen wir mitten hinein in die höchst wechselvolle, verworrene und schwer zu begreifende Geschichte des kleinen James und seiner schottischen Heimat.

Verworren? Wechselvoll? Warum das?
Nun – nicht zuletzt wegen James‘ Mutter – der berühmten Mary Queen of Scots.

Mary war – nachdem ihr erster Mann, der französische König Francois II plötzlich verstorben war – in ihre (ihr eher unbekannte) schottische Heimat zurückgekehrt.
Hier empfing man sie als Fremde mit einer fremden Religion, denn sie war eine überzeugte Katholikin, wohingegen die meisten Schotten Protestanten waren und zwar von der rigideren Sorte.
(Ich will ihre Geschichte jetzt sehr stark kürzen, denn es geht uns ja um ihren Sohn.)
Bedingt durch ein paar geschickte Manöver von Seiten ihrer englischen Cousine Elizabeth I, und ein paar weniger geschickten Manövern ihrerseits, heiratete sie den ebenso schönen wie dämlichen und trunksüchtigen Lord Darnley. (Durch ihn erfolgte übrigens das Zugriffsrecht auf den englischen Thron – was (und das ging Elizabeth wohl nicht schnell genug auf. Einer ihrer wenigen Fehler …) bedeutete, dass Marys ältestes Kind versuchen könnte, seinem Recht ein wenig eher auf die Sprünge zu verhelfen.
Bald hatte Mary nicht nur einen durchtriebenen, versoffenen Kontrollfreak am Hals, sondern auch noch eine Bevölkerung, die wenig von der luxusverwöhnten „Französin“ hielt.
Und so verschanzte sie sich förmlich mit ein paar Getreuen, zu denen auch ihr Sekretär David Rizzio gehörte, den so mancher für einen papistischen Spion hielt, in ihren Schlössern.
Derweil verschlechterte sich ihr Image im Land massiv und die schottischen Lairds begannen mit dem, was sie am besten konnten: Verschwörungen schmieden!
Und so hat James‘ – vor Eifersucht rasender – Vater bald einen guten Grund, Rizzio aus dem Weg zu räumen und seine Gemahlin unter seine Kontrolle zu bekommen. Mit ein paar getreuen Lords stürmte er das Abendessen seiner hochschwangeren Gattin und zwang diese dabei zuziehen, wie man Rizzio förmlich zerhackte.
Man munkelte, dass er dies nicht zuletzt mit dem Ziel getan habe, um eine Fehlgeburt bei der geschockten Königin auszulösen. In seinem wirren Verstand (er litt unter Syphilis) hielt er Rizzio für den Vater des von der Königin erwarteten Kindes. (Moderne Historiker gehen übrigens davon aus, dass auch ein Gutteil Eifersucht im Spiel war, denn es gilt als höchst wahrscheinlich, dass Darnley und Rizzio zuvor eine Affäre gehabt hatten…)

Gewiss war Mary geschockt. Sie begab sich zu Bett um sich zu erholen. Doch aus welchem Holz sie tatsächlich geschnitzt war, ahnte ihr mörderischer Gemahl nicht einmal.
Bis heute wird spekuliert, wie groß ihr Anteil am Mord an ihrem zweiten Gatten war. Ich schätze mal – er war nicht gering.
Ja – genau! Der gute Henry segnete nach diesem Mord nämlich recht schnell selbst das Zeitliche.
Von einem Anfall von Syphilis ans Bett gefesselt und nach einem letzten Besuch durch seine Gattin, flog sein Haus mit Krawumm in die Luft. Allerdings … die Leiche des Prinzen fand man unweit der Ruine … Erdrosselt! (Die Explosion hatte ihn wohl nicht entscheidungsfreudiger gemacht, was das In- den- Tod- Gehen angeht …)


Fassen wir zusammen:
James wir in eine Welt, in ein Land hineingeboren, wo der (unnatürliche, gewaltsame) Tod zum Alltag gehörte.
Oder wie ich immer so schön sage: Die Schotten haben die Engländer nie gebraucht. Selbst das sich Niedermetzeln haben sie ganz alleine gekonnt.
Und so war es auch kein Wunder, dass die Königin nur all zu bald gestürzt wurde, den kleinen James weggenommen bekam und ihr Heil in der Flucht nach England suchen musste.

Mutter und Sohn sollten sich nie mehr wiedersehen. Doch James vergaß sie nie, wie wir noch sehen werden.

Was James‘ Umfeld angeht, so hätte man dem kleinen Knirps an dieser Stelle sicherlich die Ruhe einer freundlich gesinnten Pflegefamilie gegönnt. Sich glättende Wogen und ein geruhsames Heranreifen zum Mann.
Man ahnt es – es war dem Jungen nicht vergönnt.
Stattdessen rissen sich bald die Adligen, die Clanchiefs, und die Möchtegerns um den „König in der Wiege“. Und sie taten das, was die Schotten zu der Zeit am besten konnten: Sie schnitten sich gegenseitig die Gurgeln durch.
Regenten kamen und starben.
Und als wäre dieses Metzeln um seine Kinderstube herum noch nicht genug gewesen, so brachte das Kind auch noch eine merkliche Verkrüppelung mit: Seine Beine waren stark unterentwickelt und quälten ihn mit ihrer dürren, gebogenen Form so, dass er meist nur auf andere gestützt gehen konnte.
Der einzige Platz, wo es James gut ging und wo er seine Verkrüppelung vergessen konnte, war tatsächlich im Sattel. Wenn er ritt, war er in seiner Mitte.
Und so entdeckte er bald die Jagd für sich. Exzessiv blieb er ganze Tage im Sattel und wenn man ihn locken wollte, brauchte man ihm nur eine ordentliche Jagdausbeute in Aussicht stellen.
Pferde waren mithin seine große Leidenschaft und als der Herzog von Guise ihm eines Tages sechs wundervolle Pferde schenkte, bekniete ihn sein Prediger, diese Geschenke eines notorischen Papisten und Verführers zurückzugeben. James erwiderte, sein Körper sei rein und unberührt.
Und behielt die Pferde.

Mit so einer Geschichte im Rucksack mag auch klar sein, warum James fast keine Freunde hatte. Stattdessen begann er zu lesen, Sprachen zu lernen. Er schrieb Bücher und Traktate und genoß nichts so sehr wie das Reiten und gelehrte Diskussionen.
Doch noch waren die tödlichen Gefahren nicht ausgestanden …

Im Jahre 1582 kam es zu einer Entführung des Knaben. Man setzte ihn in Ruthven Castle fest, wo er um sein Leben fürchtete. Nicht zu Unrecht … Denn in einer düsteren Nacht schrieb der verzweifelte Junge an die Wand: „Ein Gefangener bin ich. Freiheit werde ich erlangen.“
Am nächsten Tag fand er unter diesen Worten folgende Antwort: „Ein Papist bist du und der Freund eines Sklaven. Einen Strick verdienst du und den wirst du erhalten!“
Kann man sich vorstellen, was in diesem Jungen vorgegangen sein muss, der schlussendlich ein ganzes Jahr von allen verlassen in dieser Gefangenschaft bleiben musste?

Am Ende kam er wieder frei und konnte herrschen. Und er überraschte alle! Denn statt grausame Rache an seinen Peinigern zu nehmen, bot er jenen, die in Schottland geblieben waren, die Hand zum Frieden an.
Sie mussten nichts weiter tun, als seine Person anzuerkennen und seine Macht nicht anzugreifen. Was sie – wenig verwunderlich – taten.

Im Februar 1587 nun ereilte Queen Mary ihr Schicksal und sie wurde wegen Verschwörung gegen Elizabeth I hingerichtet.
Hier möchte ich auf ein paar Parallelen und den zynischen Humor der Geschichte, der sich wohl kaum je so deutlich offenbart, wie in der Geschichte des 16. Jahrhunderts, hinweisen.
Elizabeth I: Tochter einer hingerichteten Mutter (Anne Boleyn); Elizabeth wurde als junges Mädchen durch ihre Schwester Mary inhaftiert und kam nur knapp mit dem Leben davon, während enge Vertraute hingerichtet wurden.
James VI: Sohn einer hingerichteten Mutter (Queen Mary); James wurde entführt und festgesetzt und musste – wie Elizabeth – um sein Leben fürchten.
Elizabeth versuchte durch die Hinrichtung Queen Marys nicht zuletzt deren Griff nach der englischen Krone zu unterbinden und verschaffte nur deren Sohn den Thron, da sie selbst ohne Kinder starb. So kann man sagen, dass Mary für ihren Sohn starb. Doch damit beförderte sie keinen überzeugten Katholiken auf den schottisch- englischen Thron, sondern einen moderaten Protestanten.

Zu welchem Vorteil Großbritanniens werden wir bald sehen …

Ich bin pleite – Ich habe Geld – Ich bin pleite!


So könnte man James finanzielle Situation zeitlebens zusammenfassen.
Als er König von Schottland war, regierte er ein armes Land als armer König. Von üppiger Hofhaltung, wie sie noch seine Mutter gepflegt hatte, konnte nicht mehr die Rede sein.
Seine Jagden fraßen systematisch seine Schatulle leer und die Steuereinnahmen blieben überschaubar.
Dies änderte sich, als er den englischen Thron bestieg.
Elizabeth hatte solide Finanzen und gut gefüllte Kassen hinterlassen. Ihr Privatleben war überschaubar luxuriös und Kinder oder Ehepartner hatte sie keine zu alimentieren.

Bei James sah es da ganz anders aus. Wenn er auch selbst am besten an schlichter, praktischer Jagdkleidung zu erkennen war und sein Geld eigentlich nur für die Jagd, Pferde und seine heißbeliebten Hunde ausgab, so geriet er doch bald in arge Not, was seine Kasse anging.
Soweit so gut.
Aber dann kam England … Und hier fühlte er sich wohl plötzlich, als sei er im Schlaraffenland aufgeschlagen. Geld, Gold und Reichtümer wohin das Auge reichte. Fruchtbares Land und ein reger Handel mit der ganzen Welt.
Kurz – einmal mehr passte James sich an. Nur diesmal leider nicht zum Positiven. Er begann nämlich, Geld auszugeben.
SEHR viel Geld. Er entdeckte eine ungebremste Leidenschaft für Juwelen und teure Favoriten.
Im Gegensatz zu dem, was man seinen Landsleuten nachsagte, war James ein von Natur aus extrem großzügiger Mann. Bat man ihn um etwas, so mühte er sich, den Wunsch zu erfüllen. Er gab Geld, Titel, Anrechte, Ländereien …
Und damit begann ein bemerkenswerter Kampf mit dem Parlament.

Das englische Parlament und das liebe Geld …
Zur Erklärung: In England konnte eine Steuer nur erhoben, oder angehoben werden, wenn das Parlament vorher zustimmte. Brauchte ein König Geld z.B. vor einem Krieg, musste er das Parlament zusammenrufen und dieses musste die entsprechenden Gelder bewilligen.
Dies – das kann man sich vorstellen – führte dazu, dass das Parlament zuvor stets eine Rechnung präsentierte.
Will sagen: der Herrscher hatte Zugeständnisse zu machen und erst dann gab es Geld.
Es gab nun Könige, die das hoheitsvoll hinnahmen und weitermachten.
Und es gab Könige wie James (und später seinen Sohn Charles), die sich in einen unablässigen Kampf mit dem Parlament stürzten, es auflösten, wieder einberiefen, nur um es wieder davonzujagen. Die auf ihr göttliches Vorrecht pochten, nur um sich an der parlamentarischen Front die Nase blutig zu schlagen und schlussendlich versuchten, Geld ohne Parlament locker zu machen.
James allerdings begab sich in ständige Händel mit dem Parlament und sann beständig nach neuen Quellen für seine Einkünfte.
Was nun auf den ersten Blick problematisch wirkt, hatte – auf den zweiten Blick – einen unglaublichen Vorteil für Großbritannien: Es hielt das Land aus den Schlachten des Dreißigjährigen Kriegs!
Und das, obwohl eine der Hauptakteurinnen keine andere war als Elizabeth, die Tochter von König James …

Prinzessin Elizabeth und der pfälzische Winter

Wie es damals üblich war, wurde Elizabeth nicht von ihren Eltern, sondern von loyalen Adelsfamilien als eine Art Pflegekind erzogen. In ihrem Fall streng protestantisch, was sie auch in enge persönliche Verbindung zu ihrem Bruder, dem Thronfolger Henry, brachte.
Ab dem Jahr 1610 begann der Hof eine Verheiratung der Prinzessin zu planen. Es kamen zahlreiche Bewerber in Frage. Am Ende fiel James‘ Entscheidung für den pfälzischen Kurfürsten Friedrich V, einen wichtigen Vertreter der Protestantischen Union, mit der sich James kurz zuvor verbündet hatte. (Auch wenn Königin Anne gegen diese Heirat war, musste sie sich doch am Ende beugen.)
James – wie immer den Ausgleich suchend – plante als Gegengewicht zu dieser protestantischen Eheschließung die Verheiratung seines Sohnes Charles mit einer katholischen Prinzessin (wir erinnern uns: der Grund, warum Charles und Villiers nach Spanien reisen sollten …)

Ich mache mal wieder eine Abkürzung ———

Elizabeth und Friedrich heirateten und liebten sich offensichtlich in jeder Hinsicht, denn der Ehe entsprangen nicht weniger als DREIZEHN Kinder!
Doch dem guten Friedrich war die Pfalz (und Schloss Heidelberg) nicht genug. Nachdem zahlreiche Kandidaten dankend abgewinkt hatten, nahm er die böhmische Königskrone begeistert an. (Habe ich erwähnt, dass Friedrich über keinen besonders ausgeprägten Verstand verfügte?)
Es hätte ihm zu denken geben müssen, dass jeder, der nur einigermaßen mit den religiös- politischen Vorgängen vertraut war, tunlichst die Finger von dieser Krone ließ …
Friedrich aber zog mit Frau und Kindern nach Prag.
Und jetzt erfahren wir, warum der „Winterkönig“ heißt … Eben! Er herrschte dort nur einen Winter lang. Tat was Könige so tun – feiern eben und hielt das lauter werdende Knallen wahrscheinlich für Feuerwerk.
Das mochte auch der Grund sein, warum seine Familie urplötzlich derart überstürzt fliehen musste, dass man den Säugling Ruprecht tatsächlich auf einer Bank in der Prager Burg vergaß. Erst ein Höfling, der noch etwas holen wollte, fand das Baby, schnappte es und rannte dem vom Schlosshof rumpelnden Kutschenkonvoi hinterher. Mit letzter Not schaffte er es, das Baby in die letzte Kutsche (die mit dem Gepäck) zu werfen. (Über Ruprecht wird es noch einen gesonderten Blog geben. Er hat es verdient. Glaubt mir!)
Von da an blieb die Familie auf der Flucht. Erst in DenHaag kam man zur Ruhe. Friedrich starb und seine Frau hatte ihre liebe Not – stets auf den Goodwill anderer angewiesen – sowohl ihre große Familie als auch ihre politischen Ziele am Laufen zu halten.
Und so bestürmte sie ihren Vater in London wieder und wieder, ihr Geld und Truppen zu schicken, die protestantische Sache zu untersützen.
Von James kam viel. Vor allem – gute Worte …
Was Elizabeth nämlich nicht wusste: Ihr Vater war pleite.
Selbst wenn James gewollt hätte – er hätte kein Geld oder Truppen liefern können.
Zudem widerstrebte ihm die protestantisch- katholische Metzelei auf dem Kontinent zutiefst. Er war nach wie vor ein Mann des Ausgleichs (weshalb ihm ja auch die moderate englische Staatskirche so gut gefiel …) und damit ein großes Vorbild auch für moderne Regierungschefs.
Er schickte seiner Tochter also ein kleines Militär- Kontingent und ging zum Jagen.

Der Gunpowder- Plot

Remember, remember, the 5th of November,

Gunpowder, treason and plot.

I see no reason

Why gunpowder treason

Should ever be forgot.

Guy Fawkes, Guy Fawkes, ‚twas his intent

To blow up the King and the Parliament

Three score barrels of powder below

Poor old England to overthrow

By God’s providence he was catch’d

With a dark lantern and burning match

Holler boys, holler boys, let the bells ring

Holler boys, holler boys

God save the King!

Kein Kind in Großbritannien, das diesen Reim nicht kennt. Kein Erwachsener, den es am 5. November nicht zu einem der vielen Feuerwerke und Freudenfeuer ziehen würde, um jenen Tag zu feiern, an dem beinahe nicht nur der König, sondern das gesamte englische Parlament in die Luft gesprengt worden wäre.
Benannt wurde die Verschwörung nach Guy (oder Guido) Fawkes, der allerdings gar nicht der „Erfinder“ war – aber sei‘ s drum.
Machen wir es kurz: England – protestantisch – Katholiken nicht gut gelitten.
Seit sich der notorisch klamme Heinrich VIII von der katholischen Kirche abgewendet hatte (wobei deren Vermögen, Grundbesitz, Kirchen etc rein zufällig in seinen persönlichen Besitz übergingen), hatte man in Rom noch eine Rechnung mit London offen. Der jeweilige König wiederum war sich dessen nur allzu bewusst und versuchte nach Kräften, dem entgegenzuwirken.
Zunächst einmal, indem er (oder sie) die Katholiken sozusagen als Fremde im eigenen Land betrachtete und auch so behandelte.
Abwechselnd mussten Katholiken dem Herrscher unbedingten Gehorsam schwören, religiöse Gefolgschaft oder zumindest ihren Glauben im Verborgenen ausüben.
Die Strafen bei Zuwiderhandlung waren nicht zimperlich. Von nennenswerten Geldstrafen bis zum Tod im Feuer hielt man das komplette Arsenal gegen die „Papisten“vor. Wobei je nach politischer Gesamtwetterlage auch mal alle Augen zugedrückt werden konnten. Ganz nach dem Motto: Verräter ist, wen ich so nenne!

Natürlich gab es auch tatsächliche Verschwörungen und die um Guy Fawkes (der Einfachheit halber) war so eine. Man hatte unter dem Parlamentsgebäude fassweise Schießpulver gesammelt, um – sobald König und Abgeordnete versammelt wären – die ganze Gesellschaft in die Luft zu jagen.
Es gibt nun diverse Theorien, wie das herauskam. Landläufig gilt jene am wahrscheinlichsten, die da besagt, dass einer der Verschwörer einen befreundeten Parlamentarier warnte, woraufhin dieser die Sache meldete. Als man den Keller durchsuchte, fand man einen Verschwörer und hob den Rest rasch aus.
Der Preis war mehr als hoch, und jeder der Männer kannte ihn: nicht nur tagelange, wochenlange Folter, sondern die grausamste Hinrichtungsart, die man sich vorstellen kann: Hanged, Drawn and Quartered!
Heißt: die Delinquenten wurden am Hals aufgehängt und – kurz bevor der Tod eintrat – wieder abgenommen. Sodann weidete man sie bei lebendigem Leib aus. Die Eingeweide, sowie die abgeschnittenen Genitalien wurden sodann dem Publikum gezeigt und dann verbrannt. Anschließend wurde der restliche Körper zerhackt.
Guy Fawkes, der die Agonie seiner Freunde beobachten musste, rettete sich durch einen Sprung vom Schafott, indem sein Genick brach. (Offensichtlich war die Angst vor dieser Tortur größer als die vor der Ewigen Verdammnis …)

Für die folgenden Ermittlungen gegen mögliche weitere katholische Verschwörer erhielt der König übrigens jeglichen Betrag, den er forderte … Schlagartig hatte er mit dem Parlament keinerlei Probleme mehr.

König der Hexenjäger – König der Hexenversteher

Da das Thema „König James als Hexenjäger“ derart wichtig ist (nicht zuletzt mit Blick auf meinen Roman „Afra – Die Geliebte des Hexenjägers“), verweise ich hier nur kurz auf sein Werk „Daemonologie“ und bitte, auf den eigentlichen – gesonderten – Beitrag zum Thema zu warten. Danke!

George Villiers, der König, und all die anderen hübschen Kerls

Hier sehen wir Robert Carr, den ersten offiziellen Favoriten von James, der dann von George Villiers abgelöst wurde.
Darunter das Bild seiner Geliebten Frances, aus dem mächtigen Hause Howard (die zwei der Ehefrauen König Henry VIII gestellt haben)
Ich gestehe, dass ich Frances an dieser Stelle nur deswegen erwähne, weil ihr Kleid ein hervorragendes Beispiel der Damenmode des Adels der damaligen Zeit war. Von wegen „prüde“ und so …

Man ahnt es bereits … Was viele Generationen lang nur verschämt zwischen den Zeilen angedeutet wurde, kann man heutzutage deutlich als das benennen, was es war: Homosexualität.
In James Fall möglicherweise Bisexualität. Auf jeden Fall galt seine große Leidenschaft wechselnden Liebhabern, von denen wohl George Villiers der berühmteste und sicherlich auch interessanteste ist.
Aus nicht gerade prunkvollen Umständen stieg Villiers zu einem der reichsten und mächtigsten Männer Großbritanniens auf, vom königlichen Liebhaber überhäuft mit Schätzen und Titeln.
Aber der Reihe nach …

Villiers wurde 1592 in Brooksby geboren und zwar als Sohn einer Familie aus niederem Adel. Als der Vater plötzlich verstarb und die Familie vor dem Nichts stand, konnte man nur noch auf George und dessen gutes Aussehen bauen.
Und so brauchte es auch nicht lange, dass Villiers dem König ins Auge stach und bald darauf dessen bisherigen Favoriten, den vielgehassten Robert Carr von dessen Seite verdrängte.
Königin Anne wiederum kam mit Villiers wesentlich besser klar als mit Carr und so duldete sie die Affäre ihres Mannes.
Doch Villiers verstand es nicht nur, sich mit der Königin gut zu stellen – er kaum auch mit den Kindern des Königs gut aus. Besonders mit dem Prinzen Charles verband ihn bald eine tiefe Freundschaft.
Und so kam es, dass Villiers gemeinsam mit dem Prinzen nach Spanien reiste, als es galt, eine Ehe mit der spanischen Kronprinzessin zu verhandeln.
Nun hatte es schon vor der Abreise Spannungen zwischen den Liebenden gegeben, die vollends ausbrachen, als Villiers und Charles unverrichteter Dinge aus Spanien zurückkehrten.
Also – kein Bündnis mit Spanien gegen den mächtigen Gegner Frankreich. Und warum? Weil Villiers mit seiner undiplomatischen Art die Spanier derart brüskiert hatte, dass diese bald dankend ablehnten.
Nach England zurückgekehrt kam es also zum großen Knall. König James auf der einen Seite der Barrikaden – Villiers und Prinz Charles auf der anderen. Es konnte keinen Zweifel geben: Villiers hatte die Gunst seines königlichen Liebhabers verloren.
Doch Villiers wäre nicht Villiers gewesen und James nicht James, wenn sie sich nicht tränenreich versöhnt hätten, nachdem Villiers vor James auf die Knie gefallen war und um Vergebung gebeten hatte.
So stieg Villiers in der Adelshierarchie höher und höher. Der „Hund“ war wieder an der Seite seines Herrn und die beiden schrieben sich glühende Liebesbriefe, wenn sie sich nicht sehen konnten. (Aus meinem Roman „Afra – Die Geliebte des Hexenjägers“ wissen meine LeserInnen natürlich längst, dass „Hund“ der Kosename des Königs für Villiers war und wenn man bedenkt, wie wichtig James seine Hunde waren, kann man ermessen, was dieser Kosename bedeutete.

Natürlich war Villiers auch verheiratet, was für unsere Geschichte nicht ganz unwichtig ist. Und zwar seit 1620 mit Lady Katherine Manners.

Lady Katherine wiederum war nicht irgendwer – sie war die reichste Erbin Englands und eine rundherum begehrenswerte Partie. Zumal sie auch noch sehr gut aussah und gebildet war.
Ihrer Familie gehört bis zum heutigen Tag Belvoir Castle.

Wie wir bereits gehört haben, galt Katherine als reichste Erbin Englands und ihr Vater, der Herzog von Rutland, war nicht zuletzt wegen des zweifelhaften Rufs des Bräutigams gegen die Ehe. Verhindern konnte er sie nicht.
Dies muss ihn umso mehr geschmerzt haben, als er davon ausging, dass Hexen Schuld an der Misere trugen.
Dass Katherine erben würde, stand nämlich lange Zeit gar nicht fest, da sie nämlich zwei Brüder hatte, die im Rang vor ihr kamen: Henry und Francis Manners.

Auftritt: Joan, Margaret und Philippa Flower – Die Hexen von Belvoir!
Die drei Frauen (Mutter Joan und die beiden Töchter) waren bekannt als Kräuterkundige und stammten aus einer Familie, die in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten war, so dass die Frauen Arbeit in Belvoir Castle annehmen mussten. Sie bekamen die Stelle, weil König James zu Besuch erwartet wurde und mehr Personal gebraucht wurde.
Bald kam es zu Rangeleien in den Reihen des Personals. Den Frauen wurde Diebstahl und Fehlverhalten vorgeworfen. Die Anschuldigungen wurden so vehement, dass der Herzog von Rutland alle drei entlassen musste. Joan bekam allerdings noch eine Abfindung in Form einer wollenen Matratze, 40 Schillingen und einem Kissen.
Kurz nach dieser Entlassung wurden sowohl der Herzog als auch seine Frau und die drei Kinder krank. Sie litten an Krämpfen und Erbrechen.
Alle bis auf Henry überlebten. Der Erbe starb 1613 und wurde am 26. September in der kleinen Kirche von Bottesford beigesetzt.
7. März 1620 starb dann der verbliebene Sohn Francis.
Bald stand für den gebrochenen Vater fest, wer die Schuld am Tod seiner Söhne trug: Hexen!

Dem neutralen Beobachter fällt nun sicherlich direkt auf, dass zwischen den beiden Todesfällen mehrere Jahre liegen. Da fragt man sich natürlich, wie der Herzog nach sieben Jahren plötzlich darauf kommt, dass Hexen für beide so weit auseinanderliegenden Todesfälle verantwortlich sein könnten.
Für mich liegt hierin die Erklärung:
Es gab einen sehr ähnlichen Fall, in dem mehrere Personen angeklagt und hingerichtet worden waren. Die Ähnlichkeit brachte offensichtlich den Herzog dazu, eine Verbindung herzustellen, und so klagte er die Flower- Frauen an, seine Familie verhext und die Söhne und Erben des Titels getötet zu haben. Hatte man sie doch dabei beobachtet, wie sie einen Handschuh von Henry Manners gestohlen hatten und diesen – wie sie auch später gestanden – für magische Rituale verwendet hatten. (Daher das „Fehlverhalten“?)
Die drei Frauen wurden also verhaftet und in das Gefängnis von Lincoln gebracht. Joan bekundete ihre Unschuld, doch stieß auf wenig Glauben, da sie nicht als Kirchgängerin bekannt war, was bei einer solchen Anklage ein ernstes Problem darstellte. Um den Nachweis zu liefern, bat sie auf dem Weg ins Gefängnis um ein Stück Brot als Ersatz für die Eucharistie. Etwas so Heiliges – so ihr Argument – könne nicht von einer Hexe verspeist werden. Tatsächlich verschluckte sie sich so an dem Brot, dass sie erstickte. (Wofür es durchaus natürliche Ursachen gegeben haben mag. Von einem vor Angst trockenen Mund angefangen …)

Kein gutes Omen für den Prozess ihrer Töchter …
Nachdem beide Töchter gestanden hatten, mit dem Teufel einen Pakt eingegangen zu sein, ihrerseits drei weitere Frauen belastet hatten, und auch diese gestanden hatten, wurde Margaret Flower am 11. März 1620 gehängt.
Der Herzog und die Herzogin waren auch weiterhin derart davon überzeugt, dass ihre Söhne Hexen zum Opfer gefallen waren, dass sie dies sogar auf ihrem Grab eingravieren ließen: „In 1608 he married ye lady Cecila Hungerford, daughter to ye Honorable Knight Sir John Tufton, by whom he had two sons, both of which died in their infancy by wicked practises and sorcerye.“
Was aber – so fragt man sich – wurde aus Philippa?
Einige Quellen sagen, dass sie zusammen mit ihrer Schwester gehängt wurde, andere hingegen, dass sie es geschafft habe, ihre Wachen zu betäuben und nach Kent zu fliehen, wo sie bis zum Ende ihrer Tage lebte und drei Kinder bekam. (Ein toller Plot für sich übrigens…)

Im Jahre 2013 veröffentlichte die Historikerin Tracey Borman übrigens ein Buch, das die These vertritt, Villiers habe selbst die Familie vergiften lassen, die Flower- Frauen als Sündenbock benutzt, und alles nur, um die Tochter der Familie heiraten zu können. Es war hierbei Ziel, die beiden Brüder zu töten, damit Katherine das gesamte Vermögen der Familie erben würde, und es ihm so zugute kommen würde.
Sollte das sein Plan gewesen sein – so ist er aufgegangen.

Am 16. Mai 1620 heiratete er Katherine Manners und wurde einer der reichsten Männer des Königreiches.

George Villiers – Der Giftmischer?

Im ersten Moment denkt man natürlich, dass Mrs. Borman da eine ziemlich steile These hingelegt hat … George Villiers, der giftmordend seinen Aufstieg vorbereitet.
Andererseits erinnere ich mich dann auch an die Umstände des Todes von König James, bei denen abermals Villiers eine ziemlich unglückliche Rolle spielt …
Was war geschehen?
Nun, im März 1625 wurde der König von einer Krankheit befallen, die wir heutzutage als Malaria diagnostizieren. Während sie normalerweise nicht tödlich endet, kann sie doch Komplikationen mit sich bringen. Vor allem in diesem Fall, da James etliche Vorerkrankungen mitbrachte.
Der König war auch psychisch niedergeschlagen, vor allem, da ein naher Verwandter kurz zuvor an einem Fieber verstorben war.
Man schaffte es aber, ihn aufzumuntern, indem man ihm einen Wurf Welpen brachte, die auf seinem Bett herumtollen konnten. Kurz – es ging ihm immer besser und bald schien es sich nur noch um eine weitere Episode in James sowieso schon reicher Krankengeschichte zu handeln.
Die Situation änderte sich jedoch schlagartig Mitte März, als seine Ärzte nach dem Essen zu ihrem Patienten zurückkehrten und ihn in einem alarmierenden Zustand fanden.
Der Grund hierfür schienen Wickel zu sein, die Villiers und seine Mutter James ohne Wissen der Ärzte angelegt hatten. Wickel, die Villiers selbst kurz zuvor bei einem Fieberanfall geholfen hatten. Man nahm die Wickel ab und maß dem Vorgang keine weitere Bedeutung bei.
Das Ganze wäre sicherlich in Vergessenheit geraten, wenn Villiers nicht in der Nacht vom 20. auf den 21. März zurückgekehrt wäre. Zu diesem Zeitpunkt ging es dem König bereits wieder so gut, dass man plante, ihn von Theobalds nach Hampton Court zu bringen.
Villiers und seine Mutter legten James abermals die Wickel an, doch diesmal taten sie noch mehr: ein weißes Pulver fand seinen Weg in das Weinglas des Königs. Augenblicklich verschlechterte sich der Zustand des Königs und seine Diener begannen von Vergiftung zu sprechen (ein Verdacht, den auch der sterbende König selbst äußerte …).

Auch wenn ihm noch ein Schlaganfall die Sprache raubte, gab er Zeichen, dass man ihm Bücher bringen solle. Kurz danach, am 27. März 1625, starb James.

Nun kann man natürlich fragen, welchen Grund Villiers gehabt haben sollte, sozusagen das goldene Kalb zu schlachten, das ihn so wunderbar nährte.
Die Antwort mag in seiner Zukunft liegen …
Wir haben ja bereits gesehen, dass sich Villiers eng an Charles, den Prince of Wales, angeschlossen hatte. (Man mag sogar munkeln, dass die beiden mehr als nur eine Vater- Sohn oder Best of Buddies- Beziehung verband.)
Sicherlich war er sich – vor allem nach dem großen Zwist – der Fragilität seiner Position nur allzu bewusst. Er wurde nicht jünger und konnte somit nicht sicher sein, wann sein Nachfolger in der Gunst des Königs aus dem Schatten treten würde.
Es mag so sein, dass er nunmehr auf Charles setzte und James beseitigen wollte, bevor er selbst beiseite geschoben werden konnte.
Würde ein George Villiers so weit gehen? Wir wissen es nicht.
Wir wissen nur von dem weißen Pulver …





BILDER:
1) File:JamesIEngland.jpg; Created: circa 1605 
2) Public DomainFile:Henry Stuart, Lord Darnley.jpgCreated: circa 1564 
3) Public DomainFile:MaryQueenofScotsMourning.jpgCreated: between circa 1559 and circa 1560 date QS:P571,+1550-00-00T00:00:00Z/7,P1319,+1559-00-00T00:00:00Z/9,P1326,+1560-00-00T00:00:00Z/9,P1480,Q5727902; the picture was painted before August 1560 (so before the death of her husband but after the deaths of her father-in-law and mother) as it is mentioned in a letter of that date from the English ambassador Nicholas Throckmorton to Elizabeth I of England (Antonia Fraser, Mary Queen of Scots, 1994 new edition, Weidenfeld & Nicolson, ISBN 0-297-17773-7, p. 77; Roy Strong, Tudor and Jacobean Portraits, 1969, National Portrait Gallery, p. 219)
4) Permission is granted to copy, distribute and/or modify this document under the terms of the GNU Free Documentation License, Version 1.2 or any later version published by the Free Software Foundation; with no Invariant Sections, no Front-Cover Texts, and no Back-Cover Texts. A copy of the license is included in the section entitled GNU Free Documentation License.
5) http://www.sothebys.com/en/auctions/ecatalogue/
6) CC BY-SA 3.0view terms, File:James VI unite 1609 662019.jpg,Uploaded: 2008-05-10 09:46:40 2014/the-courts-of-europe-n09107/lot.112.html, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=31386878
6) Kunsthandel Hoogsteder & Hoogsteder: Info, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1750500
7) From English Wikipedia., Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=351242
8) https://wellcomeimages.org/indexplus/obf_images/59/a6/92d258a32bd08dfb39aa410b1ec8.jpgGallery: https://wellcomeimages.org/indexplus/image/M0014280.htmlWellcome Collection gallery (2018-03-30): https://wellcomecollection.org/works/vz9mfer6 CC-BY-4.0, CC-BY 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=36364716
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Hexen – Hexen – Hexen III

Wir waten immer noch durch Nebel?

Nein – nicht wirklich.
Fassen wir mal zusammen, was wir bis jetzt festgestellt haben:
– Die Menschen des 16./ 17./ 18. Jahrhunderts waren in Glauben, Aberglauben und Religion verwurzelt
– Es gab nur wenig formale Bildung in unserem heutigen Sinne
– Nicht nur andere glaubten an Hexenkräfte, auch die Hexen selbst taten es oftmals
– „Hexe“ waren Männer und Frauen
– Es gab für den Durchschnittsmenschen keine Unterscheidung zwischen Fact und Fiction
– Wenn ein Unglück geschah, blickte man auf das Ungewöhnliche. Hexen nun traute man alles zu. Im Guten wie im Bösen
– Hexen waren die Ärzte der Normalsterblichen. Für all jene Leute, die keinen Zugriff auf einen Arzt hatten
– Normale Kenntnisse zu Kräutern und Tränken hatten fast alle, Hexen aber noch ein wenig mehr
– Offizielle Religion und Aberglauben vermischten sich, was von der katholischen Kirche zumindest geduldet wurde, solange nichts Schwerwiegendes aus dem Ruder lief. Erst dann wurde eingegriffen. Kirchliche Gerichte konnten keine Todesurteile verhängen. Ein Angeklagter musste dazu an ein weltliches Gericht überstellt werden
– Das Hexenwesen wurde erst dann problematisch, als der Teufelsbund mit ins Spiel kam
– Die katholische Kirche war vor allem eins: pragmatisch
– Man muss – will man das Phänomen in seiner Tiefe ergründen – jeweils den Einzelfall betrachten. Es gibt gravierende Unterschiede je nach Zeit und Region
– Es gibt kaum belastbare Zahlen zu den tatsächlichen Opfern der Verfolgungen
– Es gab für einzelne Wellen der Hexenverfolgung sehr oft sozioökonomische Ursachen.
– Man muss zwischen Wellen der Verfolgung und Einzelereignissen unterscheiden
– Es ging um die Ewigkeit!

Davon war sicherlich so mancher Fürst überzeugt.
Und das sollte man zunächst auch keinem absprechen.
Nehmen wir uns an dieser Stelle in Acht vor den von Hollywood erfundenen Bösewichtern aus der Geschichte. Oftmals zeichnet die quellenbasierte Forschung ein ganz anderes Bild der jeweiligen Person.

Erinnern wir uns:
Ein Fürst und seine Untertanen sind durch ein engmaschiges Netzt von Pflichten und Verpflichtungen verbunden. Allen gemeinsam ist, dass sie Gott Rechenschaft schuldig sind. Auch die Fürsten.
Das ist nun keine Kleinigkeit.
Vernachlässigt die übergeordnete Stelle ihre Fürsorge, – und Schutzpflicht dem Anvertrauten gegenüber, so versündigt er sich direkt gegen Gott und die von ihm eingesetzte Ordnung. Vergeht er sich gegen Gottes Willen, mag er auf Erden damit durchkommen. Stirbt er aber, hat er ein Problem …

Im Idealfall entsteht so ein tragfähiges Gebäude, aus dem auch in schwierigen Zeiten niemand stürzt.

WICHTIG!
Heutzutage sind wir Reglementierungen, Gesetze und Vorschriften gewöhnt. Wenn wir geboren werden, trägt man sogar die Uhrzeit offiziell in die Archive ein. Von Tag zu Tag – auch Dank Internet und erhöhter Rechnerleistungen – werden wir durchsichtiger. Jeder unserer Schritte wird nachverfolgbar.
Und was nicht im Personenstandsregister und den Polizeiakten steht, posten wir for all the world to see.
Es gibt so gut wie keinen weißen Fleck mehr auf der menschlichen Landkarte des Lebens.
Gleichzeitig aber ziehen wir uns immer mehr in unsere eigenen vier Wände zurück. Pochen wuchtig auf unsere Privatsphäre- Einstellungen.
Mischt sich jemand (ungefragt) in unsere Belange ein, kriegt er Saures.

Was nun die früheren Jahrhunderte angeht, so sprechen wir von vollkommen anderen Lebenswelten.
Es gab bestenfalls noch Tratsch und der zog sich kaum mehrere Straßen weit. Seinen Wohnort verließ man nur ungern. Kam kaum ein paar wenige Kilometer im Umkreis herum. Dort aber kannte jeder jeden und keiner machte einem etwas vor. Der Ruf eines Menschen begründete sich nicht zuletzt in seinen Vorfahren. („Ja … der Müller- Karl … Die Müllers waren schon immer Halunken …“ Es kommt nicht von Ungefähr, dass bis heute in manchen Landstrichen der Nachnamen einer Person zuerst genannt wird.)
In den Wald ging man nicht zum Vergnügen. Der war ein Ort der Gefahren, den man nur betrat, wenn man unbedingt musste. Weil man Holz oder Wild brauchte. (Darum wohnen Hexen im den Geschichten auch immer im Wald!)

Kurz – das Blickfeld blieb ein beengtes.

Ich darf an dieser Stelle nochmals daran erinnern, dass das für die Menschen früherer Zeiten im Normfall nicht als bedrückend wahrgenommen wurde. Den gewohnten Kreis zu verlassen – aus reiner Abenteuerlust, wäre wohl den wenigsten eingefallen. Es konnte einen die Existenz kosten.

Und wo bleiben Gott und die Hexen?
Ja stimmt!
Wir waren also bei der Verantwortung, die ein Fürst vor Gott und dem ihm übergeordneten Fürsten für seine Untertanen trug.
Idealerweise fußte jede gesellschaftliche Schichte auf den Leistungen der unter ihr befindlichen und über allem war Gott. Kümmerte ein Fürst sich nun nicht um das Seelenheil der Menschen in seinem Fürstentum, hatte er (nicht nur) vor Gott ein Erklärungsproblem.
Das ging so weit, dass er sein eigenes Seelenheil aufs Spiel setzte, wenn er die Seelen der Seinen nicht ausreichend schützte. (Hölle, Satan, Fegefeuer. Man erinnert sich …)
Nochmals: Für die Menschen damals waren das REALITÄTEN!!!!
Ob wir das heute noch genauso sehen oder nicht, spielt für unseren Erkenntnisgewinn keinerlei Rolle.

Ging nun eine Hexe einen Bund mit dem Satan ein, um ihre Macht auszuweiten, oder überhaupt erstmal zu erlangen, so wurde sie zu einem schleichenden Gift für die Gemeinschaft.
Man musste nämlich davon ausgehen, dass sie andere, schwache Gemüter, mit in den Abgrund lockte.
Was musste ein guter Fürst also tun? Genau! Sich mutig zwischen den Satan und sein mögliches künftiges Opfer werfen.
Der erste Schritt in diesem Kampf wiederum bestand darin, die Hexe dingfest zu machen.

Da man nun also sowohl Satan als auch dessen Jünger, die Hexen, als Tatsache wahrnahm, musste es auch Wege geben, sie zu erkennen und aus dem Verkehr zu ziehen.

Denken wir nun mal kurz modern …
Wir haben einen gewaltsamen Todesfall. Das Opfer wurde vergiftet.

Wir untersuchen den Tatort, verifizieren das Umfeld des Opfers, sprechen mit den Leuten, die ihn kannten. Forensiker und Pathologen untersuchen die Leiche. Profiler erstellen ein Täterprofil. Dann setzt man sich dem möglichen Täter auf die Fersen.
So weit so bekannt aus Film, Funk und Fernsehen.
Nun machen wir einen Gedankensprung in die Zukunft: Sagen wir … ins Jahr 2090.
Da sitzen dann auch Leute vor einem Mordopfer. Sie haben die früheren Vorgehensweisen studiert und … sie schütteln die Köpfe.
„Kannst du dir vorstellen … Die haben damals gedacht, mit DNA könnten sie irgendwas nachweisen …“ „Ja, putzig, gell? Und haben so lange auf einen Verdächtigen eingeredet bis der was gestanden hat.“ Schallendes Gelächter.

Nein?
Doch! Denn genauso wie wir heute über die Methoden des 17. Jahrhunderts lachen, wird man in absehbarer Zeit über unsere lachen. DNA ist unwiderlegbar? Sicher? Genauso sicher war man auch, wenn man die Leberflecke bei einer Hexe suchte, oder darauf hoffte, dass jemand, der mit dem Teufel im Bunde sei, kein Vaterunser sprechen könne.
In unseren Augen hilflose, sinnlose Versuche.
Und genauso wird man eines Tages unsere heute ach so zuverlässigen Methoden abqualifizieren.

Zurück in die Vergangenheit …
Der Mensch sucht stets nach dem Verlässlichen. Nach dem endgültigen Beweis für was auch immer.
Man versuchte sogar, Gott wissenschaftlich zu beweisen.
Es war ein Schritt auf dem Weg in die Wissenschaftlichkeit. Auf der Suche nach dem festen Boden, auf dem wir sicher würden stehen können.
Niemand wollte einer Hexe zum Opfer fallen und in der Hölle schmoren. Man wollte sich damals gegen das Böse ebenso wappnen wie wir Heutigen, wenn wir unsere Türen abschließen und Pfefferspray in unsere Handtaschen werfen.
Machen wir uns nichts vor – sooooooo sehr haben wir uns seit damals gar nicht verändert.
Zumindest nicht so sehr, dass unser moderner Hochmut gerechtfertigt wäre.
Wenn etwas geschah, für das wir keine Erklärung hatten, begannen wir, die Erklärung zu suchen.
Wir irrten dabei und es gab Opfer.

Aber das Wichtige war und ist, dass wir uns überhaupt in Bewegung setzten (und setzen)!

Schauen wir uns im nächsten Teil deswegen mal König James, den VI von Schottland und I von England an. Ein Paradebeispiel für einen Menschen seiner Zeit. Und zwar einen, der ganz vorne mit dabei war! Neugierig, gebildet, gottesfürchtig.
Ein Mann der Poesie und der Bibelübersetzung („King James- Bible“ – die noch heute in jedem angloamerikanischen Hotelzimmer ausliegt …)
Und der Autor der Daemonologie!

Wellcome Collection gallery (2018-03-30): https://wellcomecollection.org/works/vz9mfer6 CC-BY-4.0








HEXEN – HEXEN – HEXEN I

Wo soll ich beginnen, wenn es um ein Thema geht, das beinahe so alt sein dürfte wie die Menschheit an sich … Das sich um den gesamten Globus erstreckt und noch heute Todesopfer fordert …

Die meisten Menschen denken, dass sich das Thema „Hexenverfolgung“, „Hexenprozesse“ längst erledigt habe und nur noch als Metapher ein sehr lebendiges Dasein fristet. Tatsächlich aber finden noch heute speziell in Indien und Afrika Hexenjagden und -Prozesse mit tödlichem Aufgang statt.

Also alles weit weg?
Weit gefehlt!
Nach einer Untersuchung geben ein Viertel aller Befragten in Deutschland an, dass Magie funktioniert. Wenn man da vielleicht auch differenzieren muss, so können die Zahlen einen doch zumindest nachdenklich stimmen.

In diesem Block soll es allerdings um Hexen und Magie lange vergangener Zeiten gehen.
Mit „Afra – Die Geliebte des Hexenjägers“ begeben wir uns ins Nord- England des frühen 17. Jahrhunderts.
In das England von William Shakespeare, König James VI (von Schottland) / I (von England). In das England eines Walter Raleigh.
Künstler wie Vermeer, Rubens, Rembrandt und Bernini gaben ihrer Zeit ein Gesicht.
In der Wissenschaft treffen wir Kepler, Tycho Brahe, Galileo und Descartes, die diese Welt in ihren Grundfesten erschüttern werden, nach denen nichts mehr so sein wird, wie es war.

Und wir sehen das hier … Eine Hexenverbrennung!

Und schon kommen wir zum nächsten Vorurteil, das es aus dem Weg zu räumen gilt:
Nicht alle Hexen wurden verbrannt. Die meisten wurden erhängt. Wer jetzt sagt: Hilft einer Verurteilten auch nicht weiter – der irrt!
Es macht einen großen Unterschied, ob du vergleichsweise schnell stirbst, indem man dich stranguliert oder dein Genick bricht (beide Möglichkeiten gibt es), oder ob man dich langsam verbrennt.
Eine winzige, winzige Idee davon hat jeder, der sich mal am Herd oder einer Kerze verbrannt hat.
Es ist eine verdammt beschissene Art zu sterben.
Deswegen gab es auch oft die Gnade, dass man stranguliert wurde, bevor das Feuer entzündet wurde. Oder – man konnte den Henker bestechen und der packte dann Säckchen mit Schießpulver in das Holz. So wurdest du praktisch in die Luft gejagt.

Ein weiteres Vorurteil besagt, dass nur Frauen als Hexen verfolgt und hingerichtet wurden. Tatsächlich geht man bei vorsichtigen Schätzungen davon aus, dass rund 35% der Getöteten tatsächlich Männer waren.
Woher das Missverständnis kommt? Nun – vielerorts wurde sprachlich nicht zwischen Hexen und Hexern unterschieden. „Hexe“ bezeichnete sowohl eine Frau als auch einen Mann.

Eilen wir zum nächsten Vorurteil weiter und das betrifft die Kirche…
Zunächst finden wir in der Bibel die berüchtigte Stelle, dass man keine Hexe am Leben lassen dürfe. Das gab natürlich der Kirche einen ganz direkten Auftrag, wenn sie sich um ihre Gläubigen sorgte.
Allerdings distanzierte man sich recht zügig zum Beispiel von Machwerken wie dem „Hexenhammer“, ja exkommunizierte sogar dessen Autor.

Das „Malleus Maleficarum“, zu Deutsch „Der Hexenhammer“, wurde zum ersten Mal 1486 in Speyer gedruckt. (Kurzinfo: https://de.wikipedia.org/wiki/Hexenhammer).
Dieses Buch sollte helfen, Hexen zu erkennen und zur Strecke zu bringen. Gegen das Werk stellte sich bald der Jesuit Spee mit seiner „Cautio Criminalis“.
Übrigens hatte die Kirche schon mit dem „Canon Episcopi“ fünfhundert Jahre zuvor festgeschrieben, dass der Glauben an Hexen, Besenritte, sowie heidnische Götter etc. Aberglauben sei.
Wobei der Hexenhammer trotz kirchlichen Widerstands auch weiterhin Anwendung fand. So z.B. bei den Hexenprozessen in Salem.

Wenn wir jetzt so schön im Fluss sind – Wollen wir direkt mal ein bisschen ins Eingemachte gehen?

LASST UNS VORURTEILE HÖREN!!! GEBT MIR MEHR VORURTEILE!!!!

=========== H E X E N B A U S A T Z =============

Ich baue mir eine Hexe … Was brauche ich?
Eine so genannte „weise Frau“. Cool wäre eine Hebamme. (Die den Ärzten das Geschäft kaputtmachen). Sie kennt sich super in Kräutern aus. Kein Ehemann. Keine Kinder. Höchstens vielleicht eine Tochter, an die sie ihr magisches Wissen weitergeben kann und mit der sie fernab des Dorfes in einer selbstgebastelten Hütte wohnt. (Hier kommt auch der Hexenkessel ins Bild …)
Bitte, jetzt nach oben schauen, meine Herrschaften!
Jaaaaa – da hängen die getrockneten Kräuterbündel neben Tierknochen. Ah – und Amulette aus Ästchen zusammengeknebelt.
Die Szenerie ist übrigens in den Rauch des offenen Feuers getaucht.
Wer die Frau aufsucht, tut es natürlich selten weil er mit ihr plaudern will, sondern vielmehr, weil er mit einer Krankheit zu kämpfen hat oder mit Herzeleid. Gelegentlich gilt es auch, jemanden loszuwerden.
Im Normalfall erwischt es unsere selbstgebastelte Hexe natürlich nicht ganz sooooo zu Unrecht, denn sie hat eben mit Kräutern hantiert, mit denen man besser nicht hantieren sollte.

Oh, sie ist übrigens entweder besonders oll und krätzig, oder jung und extreeeeem sexy. Beides ruft natürlich den Abscheu der anständigen Dorfbewohnerinnen hervor.
Wem verdanken wir eigentlich die Erkenntnis, dass Hexen hässlich sind? Dem berühmtesten Glatzkopf von Stratford-on-Avon! Er hat in Macbeth die Hexen auf immer als abstoßende Warzennasen festgeschrieben.

Nun kommt die zweite Gattung Hexe. (Das Kräuterweiblein muss jetzt einen Moment Pause machen an ihrem Kessel …)
Diese sieht gut aus, kommt aus wohlhabendem Hause und steht irgendwem entweder im Weg, oder nicht zur Verfügung.

Bei dieser Gattung fällt einem wohl zuerst Katharina Henoth ein, die Postmeisterin von Köln. Sie wurde durch eine angeblich besessene Nonne der Hexerei bezichtigt, verhaftet, gefoltert und schlussendlich stranguliert. Zur damaligen Zeit eigentlich ein juristischer Skandal, denn Henoth hatte selbst unter der Folter abgestritten, eine Hexe zu sein. Was nach damaligem Recht bedeutet hätte, dass man sie gehen lassen muss.
In den folgenden Jahrhunderten wurde natürlich geforscht und gegrübelt, warum eine vermögende und angesehene Geschäftsfrau wie Henoth unter solch einen Verdacht geraten konnte. (Aaaah – Mist. Habe gerade im Vorübergehen ein weiteres Vorurteil zertrampelt… JAAAA! Es gab Geschäftsfrauen! Nicht als blosses Anhängsel ihrer handwerkenden und handeltreibenden Gatten, sondern selbständige Businesswomen!)

Es musste sich um wirtschaftliche Gründe handeln, wenn eine solche Frau in die Mühlen der Justiz geriet.
Schnell war das Haus Thurn und Taxis in diesem Fall als Schuldige ausgemacht. Leider gibt es hierfür keinerlei Beweise. Vielmehr geht die Forschung inzwischen davon aus, dass der Prozess um Henoth in einem weiteren Kontext mit den religiösen Auseinandersetzungen der Zeit und den aufkommenden Hexenprozessen zu sehen ist.
Nicht wirklich griffig, diese These, und man kann kein Foto davon posten … Mist!

Damit wären wir also beim Eingemachten …
Jetzt sagen wir mal alle fein „Adieu!“ zu den oben gelisteten Vorurteilen und schauen uns die Dinge mit Weitwinkel und Lupe an …


Fasten your seatbelts – It’s going to be a bumpy ride!!!!

Was hat es nun wirklich mit den Hexen auf sich?
Zunächst stellen wir einmal etwas fest: bis zu den Zeiten unserer Urgroßmütter, bzw. Großmütter, hatten die meisten Frauen (und auch viele Männer) noch Ahnung von Kräutern. Wie man sie als Würze einsetzte, als Heilmittel, und manchmal auch als Erbschaftspulver.
Bleiben wir aber im 17. Jahrhundert …
Von größeren Orten abgesehen, gehörte damals zu jedem Haus ein Garten. (Oftmals hatten die Menschen auch noch einen größeren Wirtschaftsgarten vor den Toren der Stadt.) Hier wurde alles gezogen, was die Familie zum Eigenerhalt (und wenn es mehr denn das war – auch zum Verkauf) brauchte.
Jede Frau, die etwas auf sich hielt, hatte Ahnung von Heilkräutern, denn einen Arzt konnte und wollte sich kaum jemand leisten.

KRAWUMMMMMMMMMM!!!!!!
Das war der Knall vom geplatzten Vorurteil mit den Ärzten, die den weisen Frauen den Gar ausmachen wollten …

Also – wir halten fest – Ahnung von diesem und jenem hatten alle. Mal mehr, mal weniger. Und nun kommen die Weisen Frauen ins Spiel. Sie hatten mehr Ahnung. Und zwar richtig viel mehr Ahnung. Und sie verdienten ihren Lebensunterhalt damit.
Wer also mit ein bisschen Salbei gegen das Halsweh oder Johanniskraut bei Monatsbeschwerden nicht mehr weiterkam, ging zu einer solchen Frau (oder Mann. HALLOOOOO?! Gleichberechtigung!!!) und deckte sich ein.

E-I-N-S-C-H-U-B ——-

Aus Forschung und Wissenschaft:
Das sind wir so gewohnt: wir messen, berechnen, vergleichen. Wir lernen schon in der Schule, dass es Versuche gibt. Dass man die Welt in Zahlen fassen kann und, dass Versuche wiederholbar zum gleichen Ergebnis führen. Wir lernen, Prognosen anzustellen und Gattungen zu beschriften. Wenn wir weinen, wissen wir, welcher Teil des Gehirns dafür zuständig ist. Wenn uns nicht entenwollende Trauer packt, kennen wir den Botenstoff, der nicht so richtig vorankommt.
Wir lernen von Kindesbeinen zu unterscheiden: Es gibt FAKT – Es gibt FIKTION!
Wem verdanken wir das? Den Philosophen und Forschern des 17. Jahrhunderts. Der AUFKLÄRUNG!
Sie haben die Nebel aus unseren Hirnen gepustet und festgestellt, dass man fest-stellen kann. Ja – MUSS!
Seitdem unterscheiden wir.
Denn uns wurde etwas gegeben, was keine Götter zuvor vermochten:

RATIO RATIO ratio Ratio RATIO

Die Menschen, unter denen die Hexen lebten, war diese Unterscheidung unbekannt.

FORTSETZUNG folgt …