Zum Sterben schön …

Von Tapeten und Erbschaftspulver

Lasst mich mal ein paar Schlagworte in den Raum werfen —-

William Morris – Tapeten – Queen Victoria – Hexenjagd – Napoleon – Dschabir Ibn Hayyan – Grün – Scheele – Emma Bovary – Gesche Gottfried – Jack the Ripper —

Ich könnte die Aufzählung schier endlos fortsetzen und würde sicherlich mehr Verwirrung denn Klarheit stiften.

Was aber ist der gemeinsame Nenner all dieser Schlagwörter? Nun …

ARSEN!!!!

Der Stoff, der Generationen in Angst und Schrecken versetzt hat, wurde besonders im 19. Jahrhundert als so genanntes „Erbschaftspulver“ eingesetzt. Der Giftmord kam auf breiter Front ganz groß in Mode.
Wenn auch Dumas in seinem „Graf von Montechristo“ eher abriet, zu dieser Methode zu greifen (sie war ZU populär und deswegen dachte bei jedem unklaren Todesfall jeder zuerst an Arsen …)
Dennoch griff man gerne zu. Arsen war weit verbreitet und wurde in Haushalten z.B. zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt.

Arsen gab es also in jedem Haushalt. Es fand sich in Fliegenpapier und wurde gegen Ratten gestreut. Man bekam es praktisch überall zu kaufen und – zumindest in England – bis 1851 ohne irgendwelche Beschränkungen. Erst danach wurden Giftregister eingeführt und nur noch konzessionierte Händler, wie z.B. Apotheker, durften Arsen verkaufen.
Auch der Verkauf an Kinder wurde verboten (!)
Die Arsen- Vergiftung wiederum war nicht ganz so klar nachweisbar, wie man vermuten würde. (Bis die entsprechenden forensischen Nachweise entwickelt wurden). Durchfall und Erbrechen, die hervorstechendsten Symptome, kamen in der gleichen Form bei diversen Infektionskrankheiten und auch bei schweren Lebensmittelvergiftungen vor, die im 19. Jahrhundert wesentlich häufiger auftraten als heutzutage.

Wie kommt nun Jack the Ripper in dieses düstere Bild?
Vielleicht sagt den Name James Maybrick all jenen etwas, die sich mal mit den verschiedenen Kandidaten für die Täterschaft befasst haben. James Maybrick gilt vielen als ganz heißer Kandidat.
Der vermögende englische Baumwollhändler schrieb aber noch aus einem anderen Grund Kriminalgeschichte:
Der doppelt so alte Mann lernte 1881 die junge Amerikanerin Florence Chandler kennen. Kurz darauf heirateten die beiden. Die Ehe wurde zur Katastrophe. Beide hatten außereheliche Affären und Maybrick misshandelte seine junge Frau. Als er 1889 nach kurzer Krankheit verstarb, entstanden schnell Gerüchte, seine Frau habe sich seiner entledigt.
Zudem entstand die Theorie, er habe im Jahr zuvor die ominösen Whitechapel- Morde begangen. Die Mordserie habe eben deswegen geendet, weil der Täter seinerseits selbst Opfer eines Mordanschlags geworden sei. Dies wurde in den 1990er Jahren in einem angeblich authentischen Tagebuch beschrieben, was sich aber später als Fälschung erwies. (Aber das ist für einen anderen Tag … 😉 )
Florence Maybrick wurde angeklagt und nicht zuletzt die Aussage eines Dienstmädchens, das sie dabei beobachtet hatte, wie sie Fliegenpapier in Wasser tränkte (angeblich um sich ein Schönheitswässerchen selbst zu brauen), erwiesen sich als verhängnisvoll.
Florence Maybrick wurde verurteilt, doch nach 14 Jahren in Haft freigelassen. 1904 kehrte sie in die USA zurück, schrieb ein Buch, das sie selbst entlasten sollte und starb 1941 vereinsamt.

Damit hätte ich nur einen von zahlreichen Fällen kurz umrissen. Auch in Deutschland gab es mit der berüchtigten Gesche Gottfried eine Serien- Gift- Mörderin, die als letzte Frau in Bremen öffentlich hingerichtet wurde.

Und nun – Auftritt William Morris, Arts and Crafts und die grüne Tapete!

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Wer sich mit der Kunstgeschichte Englands im 19. Jahrhundert befasst, kommt um William Morris und seine Arts and Crafts- Bewegung nicht herum.
Er war stilprägend für ganz Europa und sein noch heute erhaltenes Haus in Kelmscott ist absolut einen Besuch wert.
Zum Glück müssen wir heute nicht mehr in seinen Tapeten wohnen, kann ich nur sagen.
Zu seinem künstlerischen Werk zählte nicht nur Dichtung, Malerei und Kunsthandwerk – er entwarf auch Tapeten.
In strahlenden Farben schuf er hier jene Muster, die ihn weltberühmt machten und bis heute in allen allen Formen und Variationen verkauft werden.
Zur Herstellung dieser brillanten Töne griff man allerdings seinerzeit auf – ihr ahnt es – ARSEN zurück.
Die Herstellung von Papiertapeten wurde immer preiswerter und bald hatte jede gutbürgerliche Familie eine solche Zierde an ihren Wänden. Allerdings kam es auch öfter zu Todesfällen, die zunächst keine Erklärung fanden.
Man hätte es besser wissen können – in England – denn auf dem Kontinent waren die Arsen- Tapeten bereits verboten, als sich Morris noch immer weigerte, die fürchterlichen Folgend des Arsen- Einsatzes anzuerkennen und von einer Hexenjagd sprach.
Den erklärten Sozialisten und Philanthropen interessierte auch nicht, unter welchen Bedingungen sogar Kinder in seiner Miene schufteten.
Bereits in den frühen 1860 Jahren gab es eine Untersuchung, in deren Zuge er zugeben musste, dass sechsjährige Mädchen im giftigen Abraum Erze aussortierten, während zehnjährige Buben in den Miene beim Untertageabbau schufteten. (Alleine die Zeichnungen der körperlichen folgen können einen aus den Stiefeln hauen … Nichts für schwache Mägen!)

Besucher jener Tapetenfabriken, in denen die mörderische Dekoration hergestellt wurde, klagten, dass man dort kaum atmen könne, weil die Luft angereichert sei mit den giftigen Pigmenten von Schweinfurter Grün etc.

Doch nicht nur Tapeten vergifteten die Menschen nachhaltig – die arsenhaltigen Farben kamen in Stoffen und Pflegeprodukten vor. Bereits im Jahre 1884 gab es Untersuchungen in Massachusetts, die darlegten, dass durch ein Kleid mit arsenhaltigem Tarlatan pro Stunde beim Tanzen 20- 30 Gran des Pigments abgegeben werde.
In einem anderen Bericht stand zu lesen, dass in einem einzigen grünen künstlichen Blätterkranz genug Arsen enthalten sei, um 100 Menschen zu töten.
Die Zeitungen berichteten, Wissenschaftler belegten – und selbst im Buckingham Palace griff die Angst derart um sich, dass Queen Victoria befahl, die tödlichen Tapeten entfernen zu lassen.
Ein Verbot durch die Regierung erfolgte dennoch nicht.
Bereits im Jahre 1858 fragte eine Zeitung in England, warum die eigenen Bürger nicht genauso wie die in Kontinental- Europa durch Gesetze vor so etwas geschützt würden. Die Antwort ließ auf sich warten …

Ihr ahnt es bereits: Es gibt noch eine düstere, wenig charmante Seite an Mister Morris und die hat mit eben diesem Arsen zu tun …

Rund die Hälfte des weltweit gewonnen Arsens kam in den 1870er-Jahren aus der „Devon Great Consols“-Kupfermine im Südwesten Englands. Diese wiederum gehörte William Morris. (Welche Überraschung!)
So mag es auch nicht verwundern, dass er sich vehement gegen ein Verbot von jenen tödlich schönen Tapeten und der Verwendung von Arsen bei der Farbenherstellung wehrte, ja sie als Hexenfieber bezeichnete.
Deutschland, Frankreich, Österreich … sie alle hatten spätestens in den 1860 Jahren die Verwendung von Arsen(farben) und gesundheitsgefährdenden Stoffen reglementiert, bzw. komplett verboten.
Nicht so in England. Erklärterweise wollte man der Industrie nicht ins Handwerk pfuschen, und sich generell lieber aus Wirtschaftsangelegenheiten heraushalten.
Dann aber erledigte sich das Ganze praktisch von selbst.
Man hatte inzwischen Tapeten auf Ölbasis entwickelt, die auch noch abwaschbar waren. Hier hatte Arsen keinen Platz mehr. Und die Verbraucher begegneten der Möglichkeit, die eigenen vier Wände noch sauberer zu halten mit offenen Armen.
Das Ende der tödlichen Schönheit war gekommen.

Und was ist mit unseren Giftmischern? Nun – sie nutzten das leicht erhältliche Gift noch immer rege, wurden aber auch immer häufiger erwischt. Leider meistens zu spät für das Opfer, welches einen kaum vorstellbaren Todeskampf zu erleiden hatte.

Jesus – jetzt hätte ich beinahe Napoleon vergessen!!!! Was DER mit Arsentapeten zu tun hatte? Nun – es wurde in weiten Kreisen gemutmaßt, seine englischen „Gastgeber“ auf Sankt Helena hätten ihn absichtlich mittels dieser Tapeten vergiftet. Tatsächlich fand man bei seiner Exhumierung Reste von Arsen in seinem (sehr gut erhaltenen Körper), doch lassen sich diese Mengen zum einen auf den Umstand zurückführen, dass Arsen in der Umwelt natürlich vorkommt und zum anderen auf die Tatsache zurückführen, dass Napoleon jahrelang kleine Mengen Arsen zu sich nahm, in der Hoffnung, sich so gegen Giftanschläge zu immunisieren.

Und unser arabischer Freund Dschabir Ibn Hayyan? Den habe ich ganz vergessen … Er war der ENTDECKER von Arsentrioxid …

LESETIPP:

Der wunderbare Bildband „Gefährlich schön“ von Lucinda Hawksley, erschienen im Gerstenberg- Verlag. (Die Autorin selbst klingt, als käme sie aus einem viktorianischen Schauer- Roman … )

GUCKSDU:

Auf YouTube sei allen, die des Englischen mächtig sind, die Doku „Hidden Killers of the Victorian Home“ der Historikerin Susannah Lipscomb ans Herz gelegt.