Der Diebstahl eines schlichten Damenhuts reißt die junge Modistin Elizabeth mitten hinein in jene Mordserie, die noch mehr als hundert Jahre später die Welt in Atem hält. Doch damit stört sie die Kreise des Londoner Polizisten Harris, für den sie bald mehr als nur kriminalistisches Interesse entwickelt. Dann aber geraten die Dinge außer Kontrolle und Elizabeth muss um ihr Leben kämpfen, denn sie hat ungewollt in ein Wespennest gestochen …
Wir, die wir uns mit der Geschichte befassen, fragen uns immer mal wieder, wie die eine oder andere historische Persönlichkeit denn nun tatsächlich ausgesehen hat. Natürlich gibt es immer wieder Beschreibungen von Zeitgenossen, doch die sind mit Vorsicht zu genießen.
WARUM?
Nun, ganz einfach – zum einen wird dem Zeitgeschmack bei den Beschreibungen Rechnung getragen. In der Zeit der Renaissance waren zum Beispiel Beine ungeheuer wichtig. Waren sie lang? Wohlgeformt? Kein Wunder, mussten diese Körperteile doch viel mitmachen, sei es zu Pferde oder zu Fuß. Also taten sich die Zeitgenossen gütlich an den Beschreibungen der wohlgeformten Beine z.B. Heinrichs VIII von England.
Während des Barock nun galt der Körper des Königs/ der Königin nach wie vor als Körper des Landes. Schwächelte der König, schwächelte das Land. Deswegen waren Augenzeugen immer auch politische Berichterstatter. Beschreibungen des Aussehens dienten immer auch einem diplomatischen Zweck. Was übrigens bis in die Gegenwart gilt, denn das mehr oder minder gesunde Aussehen des Sowjetischen Staatschefs konnte weltpolitische Konsequenzen nach sich ziehen. Immer wieder gerne zitiert wird die Wissbegier Elisabeth I von England, die sich wieder und wieder das Aussehen ihrer Rivalin Mary Queen of Scots beschreiben ließ.
Kehren wir aber in die Geschichte zurück. Und zwar in die Zeiten, wo wir noch nicht auf Fotografien zurückgreifen können.
Wer kennt ihn nicht – Heinrich VIII von England? Pompös- herkulischer Beherrscher Englands im 16. Jahrhundert. Berühmt vor allem wegen seiner sechs Ehefrauen, die größtenteils ein eher tragisches Ende nahmen. (Nicht nur diejenigen seiner Frauen, die er hat köpfen lassen …) Seit dieser Zeit beschäftigen uns diese Ehefrauen, allen voran die tragisch- intrigante Anne Boleyn oder die schnöde verlassene Katharina von Aragon, die stur und stolz, selbst noch im kältesten Exil, an ihrer Liebe festhielt. Es gibt nun zahlreiche Porträts der handelnden Personen, die besten unter ihnen von Hans Holbein d.J.. So war es Meister Holbein, der ausgeschickt wurde, das Porträt Anna von Cleve zu malen, um mit diesem die Liebe des Königs zu der deutschen Fürstin zu wecken. (Eingefädelt von Thomas Cromwell, was dieser noch zu bereuen hatte …)
Dass – zumindest in Heinrichs Augen – Abbild und Realität weit auseinander klafften, ist bekannt. Was aus der Ehe wurde, ebenfalls. Sie wurde geschieden, Anna blieb in England und wurde „Schwester des Königs“. Mit Heinrichs Kindern verstand sie sich sehr gut und blieb ein gerne gesehener Gast bei Hof. Da sie sich dem König ohne zu zögern bezüglich der Scheidung unterwarf, blieb sie die einzige Ehefrau, die gut aus der Beziehung zu Heinrich herauskam.
An diesem Beispiel sehen wir, dass es auch in vergangenen Zeiten nicht unerheblich war, wie z.B. der künftige Partner aussah. Man suchte also nach möglichst lebensnahen Abbildungen der anderen Seite. Diese Porträts in Öl kennen wir alle. Ich will mich aber im heutigen Blog einer Technik, einem Material, widmen, das so nicht für uns alle direkt präsent ist. WACHS!
MADAME TUSSAUD und Madame Guillotine
Wie alle, die meine Posts verfolgen wissen, gilt mein besonderes Interesse der Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
Wenn wir uns nun mit Wachsbildnissen in dieser Zeit befassen, stoßen wir zunächst auf Madame Tussaud, im Dezember 1761 als Anna Maria Grosholtz in Straßburg geboren. Marie zog mit ihrer Mutter und deren Lebensgefährten, einem Wachsbildner, nach Paris, wo dieser eine entsprechende Ausstellung seiner Werke eröffnete. Marie erwies sich als sehr begabt und fertige bereits mit 17 Jahren ihre erste lebensgroße Wachsfigur an. Bereits jetzt im Pariser „Salon Curtius“ entwickelte sich ein System, das noch heute international in allen Madame Tussaud’s Niederlassungen präsentiert wird: Aktualität! Ob es Politiker sind oder Popstars – bei Madame Tussaud’s findet man sie immer tagesaktuell. Das geht so weit, dass Kopien der Brautkleider von Hochzeiten am englischen Königshof noch in der Nacht vor der Trauung an die Londoner Filiale geliefert werden und direkt am Hochzeitstag an den Figuren der königlichen Brautpaare bewundern werden können.
Für Marie Tussaud bedeutete dies im revolutionären Frankreich, dass sie nicht nur Revolutionäre wie Danton und Robespierre darstellte, sondern auch deren Opfer wie Ludwig XVI und seine Frau Marie- Antoinette. Ihre Figuren kann man ebenfalls noch heute im Wachsfigurenkabinett bewundern. Ebenso wie die Klinge jener Guillotine, die sie ums Leben gebracht hat. 1794 erbte Marie das Kabinett von ihrem Ziehvater und 1795 heiratete sie den Ingenieur François Tussaud. Doch das Schicksal schlug auch in ihrem Leben zu: als sie mit ihren Söhnen England bereiste, wurde ihre Familie Opfer der napoleonischen Kontinentalsperre. Sie sah ihren Mann nie wieder. 1835 eröffnete sie in der Bakerstreet ihr eigenes Wachsfigurenkabinett, das bis heute besteht. Am 16.4.1850 starb sie 88jährig in London. Sie wurde auf dem katholischen Friedhof in Chelsea begraben.
Nun wären wir also bei jenem Material angekommen, um das sich dieser Blog eigentlich dreht: WACHS!
Wachs in meinen Händen …
Wie man an dem Foto unschwer erkennen kann, handelt es sich bei Wachs um ein Material, das relativ schnell zu schmelzen scheint. Umso mehr wundert es einen natürlich, dass Künstler ausgerechnet diesen empfindsamen Stoff nutzen, um solche Kunstwerke zu schaffen. Noch dazu – wieso bemüht man sich besonders bei diesen Porträts so sehr um Authentizität, dass man sogar Kleidung, ja gar Haare von dem Betreffenden nimmt und in dem Bild verarbeitet.
Nun, Wachs ist keineswegs ein solch empfindsames Material wie man allgemein denken mag. Es ist vielmehr sogar relativ hitzebeständig, zumindest bei normalen Temperaturen. Es muss – anders als Ton – auch nicht gebrannt werden.
Tatsächlich aber hat Wachs speziell für die Porträt- Künstler seit der Antike einen ganz besonderen Vorteil: Mit keinem anderen Material kann man Haut derart perfekt nachbilden. Ein Grund, warum man in späteren Jahrhunderten anatomische Präparate bevorzugt aus Wachs gefertigt hat.
Ganz oben siehst du ein Porträt Ludwig XIV in Wachs. Wenig schmeichelhaft, doch deswegen sicherlich umso authentischer.
Hier nun die Porträt- Büste des Friedrich Josias von Sachsen- Coburg- Saalfeld, die ich vor Kurzem in der Veste Coburg aufgenommen habe. Es ist ungeheuer beeindruckend, wenn man vor dieser lebensgroßen Figur steht, die mit Echthaar des Prinzen und mit Teilen seiner Originalkleidung angefertigt wurde. Man könnte wirklich meinen, dass er einem gleich den Kopf zuwenden müsse und anfangen zu sprechen.
Und hier noch eine weitere sehr interessante Büste. Diesmal aus Norfolk/ England:
Wir sehen hier Lady Sarah Hare, die ihrem letzten Willen entsprechend als Wachsfigur verewigt wurde. Das Kleid, welches die Figur trägt, ist das der im Alter von 55 Jahren verstorbenen Lady. „I desire to have my face and hands made in wax with a piece of crimson satin thrown like a garment in a picture hair upon my head and put in a case of Mahogany with a glass before and fix’d up so near the place were my corps lyes as it can be with my name and time of Death put upon the case in any manner most desirable if I do not execute this in my life I desire it may be done after my Death.“ (Quelle: www.findagrave.com) Woran sie verstorben ist? Sie stach sich beim Nähen ganz banal in den Finger und erlag in der Folge einer Blutvergiftung. Ihr Abbild zeigt sogar die Warzen in ihrem Gesicht und ist damit von beinahe brutaler Ehrlichkeit. Die Büste ist noch heute in der Kirche der kleinen Gemeinde Stow Bardolph zu finden. (Klingt wie aus „Barnaby“, oder?) Was im Falle von Lady Sarah nicht geklärt ist, ist allerdings die Frage, ob das Gesicht nach der Totenmaske geformt wurde, oder noch an der lebenden Lady.
Wer nun nicht nach Coburg, Versailles oder Snow Bardolph fahren will, um jenen Menschen seinen Respekt über das Grab hinaus zu erweisen, der kann es auch einfach mal in Frankfurt mit der Skulpturensammlung im Liebieg Haus- Museum versuchen. Dort gibt es noch Porträtminiaturen aus Wachs zu bestaunen, die gegen diese in Lebensgröße direkt putzig wirken mit ihren 10 cm Durchmesser, und dennoch nicht minder beeindrucken.
Von denen Untoten …
Wenn wir wissen wollen, wie zumindest die englischen Monarchen in Wirklichkeit ausgesehen haben, lohnt sich ein Besuch in der Jubilee Gallery der Westminster Abbey in London. Hier findet sich die größte Sammlung dieser lebensechten Wachspuppen, die bei den königlichen Beisetzungen mitgeführt wurden. Dadurch ist zum Beispiel das original Korsett von Elisabeth I erhalten geblieben, denn die Puppen wurden komplett mit den original Kleidungsstücken ausgestattet. Doch nicht nur gekrönte Häupter kann man dort betrachten, auch die Puppe, die Lord Nelson, den Helden der Schlacht von Trafalgar darstellt. Hierbei handelte es sich allerdings nicht um eine „Funeral Effigy“, sondern um eine Art Werbeaktion, denn diese Figur wurde in Auftrag gegeben, nachdem Nelson in die St. Paul’s Kathedrale umgebettet worden war. Und nun wollte man in Westminster wenigstens diese Figur als Besuchermagnet haben. Nelsons Geliebte, Emma Hamilton, bestätigte übrigens die frappierende Ähnlichkeit der Figur mit ihrem gefallenen Lebensgefährten und Vater ihrer Tochter.
Der Brauch, solche Figuren bei Beerdigungen mitzuführen, hatte wohl mehrere Ursachen. Eine davon lag sicherlich darin begründet, dass die Körper sehr schnell verfielen und bei einer Besetzung nicht mehr gezeigt werden konnten. Außerdem sollte sicherlich mit diesem Abbild die über den Tod hinausweisende Bedeutung des Herrschers betont werden. Eine gewisse Ausnahme bietet sicherlich Catherine, die Herzogin von Buckingham, die noch zu Lebzeiten ihre Figur in Auftrag gegeben hat und auch die Kleider dafür spendete. Aufgestellt wurde die Figur bereits zu ihren Lebzeiten neben der Figur ihres im Kleinkindalter verstorbenen Sohnes Robert.
Für uns heutige Menschen sind sie einfach eine wunderbare Gelegenheit, den längst verstorbenen Prominenten so von Angesicht zu Angersicht entgegenzutreten, als lebten sie noch, oder als wären wir in der Zeit zurückgereist.
Ein Blick in die Zukunft … Wenn ich nun all diese Figuren so betrachte, denke ich mir, was für eine großartige Gelegenheit sie doch bieten, der Vergangenheit so authentisch wie nur möglich entgegenzutreten. Morbide? Nicht wirklich. Neugier ist etwas, das uns Menschen im Innersten mitgegeben ist. Es ist unserer modernen Zeit geschuldet, dass wir uns ihrer schämen sollen, weil sie immer wieder mit Respektlosigkeit in Verbindung gebracht wird. Erinnern wir uns wieder unserer Wissbegier und schauen der Vergangenheit mutig ins Gesicht, denn sie ist unsere Zukunft. Oder um Tolstoi zu zitieren: „Angst vor dem Tod? Nein. Das heißt doch nur, sich der Mehrheit anzuschließen …“
Das ist eine Frage, die ich mir oft gestellt habe und erst beantworten konnte, nachdem ich ein paar Titel von Philippa Gregory und Hilary Mantel gelesen hatte.
Zunächst darf es keine historischen Schnitzer geben. Also wenn Anne Boleyn gehängt wird, solltest du das Buch getrost wegwerfen. Außer es ist eine Story à la „Abraham Lincoln – Vampirjäger“ (Seth Grahame- Smith), dann passt es schon wieder.
Aber um diese Titel kümmern wir uns heute nicht, sondern um ernsthaft historische Romane.
Denkvoraussetzung:
Es handelt sich um einen Roman
Niemand hat die Kerze gehalten
Die Geschehnisse liegen mehr oder minder lange zurück
Es handelt sich um einen Roman
Warum taucht 1. zweimal auf? – Damit du es nicht vergisst!
Ein historischer Roman leitet gerne in die Irre, denn er gibt vor, etwas zu sein, was er nicht ist, nämlich eine Ansammlung von Tatsachen.
Im Vergleich zum komplett erfundenen Roman führt uns der historische Roman ab Seite 1 in die Irre, denn wir kennen zumindest einen Teil der handelnden Figuren als (einst) real existierende Menschen.
Wir haben über sie gelesen, Dokumentationen gesehen usw.
Wir wissen, dass sie wirklich gelebt haben.
Und damit beginnt die Schwierigkeit, abzugrenzen was wahr ist und was erfunden.
Zumal gute Autoren es durchaus schaffen, in ihrem Schreiben Realität vorzutäuschen.
Nicht nur, weil die Figuren an sich glaubwürdig sind, sondern weil eine Autorin wie zum Beispiel Hilary Mantel auch noch im Präsens schreibt und ganz aus der Sicht ihres Helden. Da gibt es dann nur noch ein Paar Schuhe, in das die LeserInnen steigen können – in dem Fall das von Thomas Cromwell. („Tudor“- Trilogie)
Wer solch subjektive Äußerungen liest, kann eigentlich schon fast nicht mehr anders, als davon ausgehen: „So war es wirklich.“
Das dürfte u.a. den ungeheuren Erfolg von Mantel ausmachen. Von ihrem profunden historischen Wissen mal abgesehen…
Eine ähnliche Technik findet sich übrigens schon in der mittelalterlichen Literatur selbst, wenn der Dichter den Wahrheitsgehalt seiner Aventiuren damit unterstreicht, dass er diese von einem „Augenzeugen“ hat, oder sie einem alten Manuskript entnommen hat, das natürlich von einer absolut unantastbaren Quelle stammt.
Umberto Eco verbeugt sich übrigens zu Beginn des Romans „Im Namen der Rose“ vor seinen Vorgängern, indem er ebenfalls einen solchen „Beleg“ vorausschickt. (Der Erzähler der Rahmenhandlung berichtet, auf welchen Wegen ihm die Handschrift zukam, welche die Lebenserinnerungen des Mönchs Adson von Melk beinhaltet, die er nun dem Publikum zugänglich macht, und die den Hauptteil von Ecos Roman ausmacht.)
Nun haben wir gesehen, welche Kunstgriffe AutorInnen seit jeher anwenden, um die Glaubwürdigkeit ihrer Texte zu belegen.
(Wobei die meisten modernen AutorInnen sich damit begnügen, in ihrem Vorwort auf ihr Quellenstudium zu verweisen.)
Komm wieder auf den Punkt, meine Liebe!
Was macht aber nun wirklich einen guten historischen Roman aus?
Eine tolle Story natürlich!
Die Figuren müssen zudem nachvollziehbar sein. Oder wir müssen uns dies wenigstens einbilden dürfen.
Oder was denkt Ihr, wieso so wenige Romane bei den Neandertalern spielen?
Exakt.
Doch auch hier müssen wir uns ins Gedächtnis rufen, dass es sich dabei um eine Vorspiegelung falscher Tatsachen handelt.
AutorInnen, zumal die guten, schaffen es, menschliches Handeln nachvollziehbar zu machen, ohne dabei unsere moderne Brille zu tragen.
Wenn wir über die Verfolgung von (wahlweise) Katholiken, Protestanten und Abweichlern im Tudor- England lesen, empören wir uns gerne ob der herrschenden Intoleranz.
Sparen dabei aber aus, dass ein Herrscher in der Vergangenheit sich wahrhaftig als Vater seines/ Mutter ihres Volkes empfunden hat.
Und wenn jemand drohte, sein Seelenheil aufs Spiel zu setzen, weil er mit einer anderen Religion liebäugelte, war der Landesvater/ die Landesmutter praktisch gezwungen, durchzugreifen. Zum einen, um diese Person zu retten, und zum andern, um jene zu schützen, die ebenfalls „vergiftet“ werden könnten.
Denn es stand nicht weniger auf dem Spiel als die ewige Verdamnis. Und auch der Herrscher/ die Herrscherin konnte sicher sein, dass er/ sie bei Nicht- Durchgreifen selbst in Erklärungsnot vor Gott käme.
Ein guter Autor/ eine gute Autorin stellen mir diesen Umstand vor Augen.
Und dies führt mich nun zu jenem Punkt, der für mich persönlich bei einem historischen Roman am wichtigsten ist:
Er muss mir Dinge glaubhaft machen, erklären, die ich vorher nicht verstanden habe.
Hier mein Beispiel:
Als Anne Boleyn hingerichtet wurde, ließ König Henry VIII extra einen Scharfrichter aus Frankreich kommen, um ihr einen schmerzlosen Tod mit dem Schwert zu verschaffen.
Nach der Exekution aber wurde ihr Körper – in Ermangelung eines Sarges – von ihren Damen in einen Kasten gelegt, der eigentlich zur Aufbewahrung von Pfeilen gedient hatte.
Es gab keinen Sarg!
Ich habe diesen Punkt nie verstanden.
Warum schafft man es, einen Scharfrichter den weiten Weg aus Frankreich kommen zu lassen, der noch dazu sehr kostspielig ist, und hat dann noch nicht mal einen Sarg? Ignoranz? Herabwürdigung der Toten?
Ich wusste es nicht.
Bis Hilary Mantel es mir erklärt hat. (Oder besser gesagt – Thomas Cromwell es mir erzählte…)
Man hatte es schlicht und einfach vergessen. Schlechte Vorbereitung. Und dazu die Überlegung, dass die Hinrichtungen gar nicht wirklich stattfinden werde.
War es wirklich? Ich weiß es nicht. Hilary Mantel weiß es nicht. Aber – Es ist eine verdammt gute Erklärung für einen historischen Fakt.
Ich selbst habe diesen Ansatz bei meinem Jack the Ripper- Roman „Jack the Ripper – Symphonie des Grauens“ (unter dem Pseudonym Elizabeth Bellamy) verwendet.
Am 30. September 1888 wurde zunächst Elizabeth Stride ermordet. Dies scheinbar in großer Eile, denn es gab so gut wie keine Verstümmelungen.
Eine knappe dreiviertel Stunde später entdeckte man dann die Leiche von Catherine Eddowes. Bei ihr wurden nun diverse Verstümmelungen festgestellt.
Dieser Doppel- Mord gibt seit über 130 Jahren Rätsel auf.
Ich kenne die Erklärung nicht, aber in meinem Roman liefere ich folgende mögliche Lösung: Stride wurde vom Ripper aus dem Weg geräumt, weil sie herumposaunt hatte, dass sie wisse, wer der Ripper sei. Wirklich in sein Schema passte aber das zweite Opfer jener Nacht. Catherine Eddowes wollte er aus Lust töten.
Da er durch den ersten Mord nicht die ausreichende Befriedigung erfahren hatte, musste Eddowes auch noch sterben.
Eine – wie ich meine – gute Erklärung.
Wir sehen also historische Ereignisse Dank des Romans in einem neuen Licht. Wir beginnen Dinge zu verstehen, die uns zuvor so zumindest nicht bewusst waren.
Wirklich gute historische Romane transportieren uns in eine (weit) zurückliegende Vergangenheit und schaffen es dennoch, dass wir beim Lesen das Gefühl haben, diese Welt wahrhaftig zu erfahren.
Und um wie vieles lieber kehren wir dann in unsere Gegenwart zurück…
Sollten wir diese Gegenwart nun allerdings nicht so sehr genießen, wie angemessen wäre, können wir jeder Zeit wieder unsere Zeitmaschine besteigen…