Die Habsburger – Mehr als Kinn und Unterlippe

Die Habsburger – Mehr als Kinn und Unterlippe

Alles begann mit Henry VIII, dem englischen Tudor- König. Dem Gewaltherrscher auf dem englischen Thron und seiner Tochter Mary.

Seit Jahrzehnten befasse ich mich mit der Geschichte der Tudors und damit natürlich eng verbunden – den Habsburgern. Schließlich war Mary I mit Philipp II von Spanien, einem Habsburger, verheiratet.

In die Schule ging ich in Speyer, wo im Dom der Stammvater des Hauses, König Rudolf I, beigesetzt ist.
Dazu kam dann Kaiserin Elisabeth II von Österreich. Jener Wittelsbacherin, die ebenfalls mit einem Habsburger (Kaiser Franz Josef) verheiratet war. Diese Aufzählung ließe sich schier endlos fortführen … Deswegen sage ich nur: Wer sich mit europäischer Geschichte befasst, kommt um die Habsburger nicht herum.
Und so empfand ich es als an der Zeit, endlich mal eine Monographie des Hauses zu lesen und wurde bei Martyn Rady fündig.

Zunächst erscheint das Buch monumental. Aber was kann man erwarten bei der Beschreibung einer Familiengeschichte, die mehrere hundert Jahre lang im Zentrum aller europäischen Ereignisse stand?

Aber das vorliegende Buch ist mehr als nur „ein Klotz“ von einem Buch. Es ist europäische Geschichte en gros und en Detail. Der Autor schafft es, beinahe einen Krimi zu schreiben. Das, was die Briten einen „Pageturner“ nennen.
Man will unbedingt wissen, wie es weitergeht.
Und das Buch ist noch viel mehr.
Man erhält einen Blick in das Weltwissen, denn die Familie hat mit all ihren verschiedenen Zweigen, nicht nur politisch und militärisch gewirkt, sondern auch in der Kunst und in der Wissenschaft.
Sei es die schier unbegrenzte Sammelleidenschaft, sei es die Manie, sich in die Alchemie hineinarbeiten zu müssen, die Welt verstehen zu wollen – all das findet sich in den Kapiteln des Buches.

Wir lernen mittels der international vernetzten Habsburger unglaublich viel über die Menschheitsentwicklung, aber auch über ihre Irrwege.
Besonders faszinierend hierbei, wie die politische und gesellschaftliche Entwicklung anhand bestimmter Aspekte der Kunst aufgezeigt werden.
So zum Beispiel der „schachspielende Türke“ – eine Maschine, die im 18. Jahrhundert Europa elektrisiert hat. Es handelte sich dabei um die Figur eines Türken, der (angeblich) Schach spielen konnte. Tatsächlich befand sich in der Installation ein kleinwüchsiger Schachspieler, der die Züge des Automaten steuerte.

Ein wunderbares Beispiel dafür, wie sich die Angst vor einem türkischen Angriff zu Zeiten Maria Theresias in ein Unterhaltungsobjekt verwandelt hatte.

Am Beispiel des Vampir-Glaubens stellt uns der Autor den Eingriff des Rationalismus vor, der – im Auftrag Maria Theresias – belegen sollte, dass es sich bei dem Glauben an Vampire um nichts weiter als Aberglauben handelte.

Wissenschaftler wurden von der Herrscherin ausgeschickt, um diesen Aberglauben zu untersuchen und ad absurdum zu führen, was den Männern auch gelang. Verstand und logisches Denken befehlen – das ging wohl nur in diesen längst vergangenen Zeiten …

So ließen sich noch zahllose Beispiele dafür finden, wie der Autor uns nach und nach das Netz zu durchdringen hilft, zu dem Kaiser, Könige, Kaufleute, Bauern und Bettler gehören. Wie sie mit ihren ganz individuellen Interessen neue Zeiten und neue Denkweisen beförderten oder stoppten.

Ein wirklich spannendes Buch, das am Ende so viel mehr kann als nur die Geschichte der Habsburger darzustellen.

Das Ganze endet im Prinzip mit dem letzten Habsburger Kaiser Karl, der seinen Generälen erklärt, dass der Erste Weltkrieg keinen Sinn mehr mache, da man ihn nicht mehr gewinnen könne. Karl, ein ebenso kluger wie umsichtiger Mann, dem am Ende nichts blieb als das Exil.

Einen letzten Hauch von Habsburger Größe stellt Rady mit Otto von Habsburg vor, der als Europa- Abgeordneter die Umsicht und auch die Achtsamkeit, die gespeist wurden von Jahrhunderten habsburgischer Erfahrung, in die Tagespolitik einzubringen vermochte.

Für mich ist aber auch gerade Otto von Habsburg ein warnendes Beispiel gegen die Monarchie. Man darf es nicht der Macht des Schicksals überlassen, ob ein allgewaltiger Herrscher klug und umsichtig ist, oder brutal und dumm.
Was diese Macht des Schicksals anrichten kann, wenn sie in die Hände eines Einzelnen gelegt wird, zeigt das Beispiel der Habsburger.

Es sollte uns allen eine Warnung sein.

FAZIT: Ein Buch wie ein Krimi. Eine Tour de Force durch die europäische Geschichte. Allerdings weitaus mehr als eine Familiensaga. Der Autor schafft es, aus einzelnen Teilen das Bild des Ganzen erstehen zu lassen. Ein hervorragender, übersichtlich aufgebauter Anhang mit Literaturliste, Belegen, Stammbäumen und Personenregister rundet das Lesevergnügen ab.
Unbedingte Leseempfehlung!

FAKTEN:
Martyn Rady: Die Habsburger, Aufstieg und Fall einer Weltmacht, Rowohlt Verlag 2021, 623 Seiten, 34 €

Zwei Leichen – Ein Rätsel

Zwei Leichen – Ein Rätsel

Kaiserlicher True Crime in der österreichischen Provinz

Credit: Kral Verlag

Wir alle kennen die Geschichte vom todunglücklichen österreichischen Thronfolger Rudolf.
Als Kind von Erziehern drangsaliert und beinahe in den Untergang geschickt. In hündischer Liebe der immer fernen Mutter, Kaiserin Elisabeth („Sisi“) ergeben und verheiratet mit der belgischen Königstochter Stephanie.

Wir wissen auch wie die Geschichte endete: menschenfreundlich und liberal gesinnt (wieder nach dem Beispiel der Mutter), überwirft der Prinz sich mit dem übermächtigen Vater, Kaiser Franz Josef, und sucht schlussendlich sein Heil im Untergang. An seiner Seite: seine letzte große Liebe: Mary Vetsera.

So weit – so charmant – so unwahr.

„Cold Case Mayerling“ macht nun ein ganz anderes Szenario auf.
Der Autor Helmut Reinmüller ist Polizist im Ruhestand und hatte sich in seinen aktiven Zeiten in der Ermittlungsgruppe befunden, die den Grabraub Mary Vetseras aufzuklären hatte.

Dieses faktenorientierte Behandeln des Stoffes führt zu einem vollkommen neuen Bild, das sich einem auftut.

Reinmüller stellt zunächst alle Beteiligten vor, bis hin zum Kammerdiener. Er verfolgt die Abläufe kurz vor der Tat aus der Perspektive eines jeden Beteiligten, was einem auch die Widersprüche bzw. Lücken in den Aussagen sehr deutlich vor Augen führt.

Ich war von der ersten Seite an von der akribischen Recherche begeistert, die Reinmüller zu seinem Buch betrieben hat. Er tappt deswegen auch kein einziges Mal in die Falle, jenen Mythen auf den Leim zu gehen, die sich mit der Zeit rund um den Fall gegründet haben.

Am besten fand ich, dass Reinmüller einem sogar all jene Orte vorstellt, an der sich das Drama abgespielt hat. Vom damaligen Wohnort Mary Vetseras bis zu den Wegen, die sie gegangen ist, wenn sie den Thronfolger in der Hofburg besucht hat. Seien es die damaligen Adressen aller Beteiligten, oder die Ansichten von Schloss Mayerling mit zeitgenössischen Skizzen – es ist alles da, um sich selbst auf die Suche zu machen. Sogar die Galanteriewarenhandlung Rodeck, wo Mary Vetsera jenes goldene Zigarettenetui für Rudolf gekauft hat, dessen Gravur an ihre erste gemeinsame Nacht erinnern sollte.

Credit: Kral Verlag

Meines Wissens nach ist Reinmüller auch der erste, der die vor nicht allzu langer Zeit wiedergefundenen Abschiedsbriefe Mary Vetseras geschlossen vorstellt.

Unabdingbar für Hobbydetektive natürlich auch eine ausführliche Zeittafel der Geschehnisse.

Ein ganz wichtiges Kapitel widmet der Autor dem Tathergang. Mittels Holzfiguren stellt er nach, wie Rudolf zunächst Mary und dann sich selbst getötet hat.

Das Buch lebt von den Bildern. Das muss man ganz klar sagen. Ob Fotos oder Skizzen – es ist alles da und es ist hervorragend gemacht.

Was es mich zu einer erstklassigen Quelle macht, ist eindeutig das Fehlen jeder Romanhaftigkeit.
Reinmüller widerlegt all jene Verschwörungstheorien, die da besagen, Rudolf und Mary seien im Auftrag dunkler Mächte ermordet worden, da der Thronfolger ihnen mit seinen liberalen Ansichten in die Quere gekommen sei.

Was aber bleibt nach der Lektüre von jenem – in zahllosen Spielfilmen und Romanen kolportierten – Bild des Thronfolgers, das ich zu Beginn gezeichnet habe?
Nichts!
Wir sehen einen vollkommen ruchlosen Charakter, der ein junges Mädchen in den Selbstmord manipuliert, weil er wohl zu feige ist, alleine zu gehen. Wir sehen einen Mann, der sich bei Prostituierten mit Geschlechtskrankheiten infiziert, seine Ehefrau damit ansteckt und zur Unfruchtbarkeit verdammt. Einem Mann, der nicht davor zurückschreckt, beim Vatikan eine Auflösung dieser Ehe zu beantragen, und als Begründung eben jene Unfruchtbarkeit ins Feld zu führen. Einem Mann, der schlussendlich in einem Sumpf aus Alkohol und Drogen untergeht.

Alles in allem ist mein Fazit, dass Rudolf Selbstmord begangen hat (was auch nie bestritten wurde. Allerdings gab man an, es sei in geistiger Umnachtung geschehen).
Das sehr ernste Gespräch, das die ganze Nacht gedauert hat und von Rudolfs Leibdiener mit angehört wurde (er verstand allerdings nicht, was gesagt wurde), diente in meinen Augen einzig dazu, Mary vom gemeinsamen Tod zu überzeugen. Dass sie auf der Bettkante saß, als sie erschossen wurde, ist für mich ein eindeutiger Hinweis darauf, dass sie nicht mit dem Schuss gerechnet hat, denn dann hätte sie sich wohl eher hingelegt, Kleid und Haar glattgestrichen und sich bereit gemacht. Ebenso, dass sie mit sechs Koffern angereist ist …

Ihr seht – auch wenn das Buch eine hervorragende Sammlung von Fakten ist, kann man eben genau aufgrund derer in wunderbare Spekulationen eintreten zu jenem … Cold Case Mayerling.

FAKTEN:
Helmut Reinmüller, Cold Case Mayerling, Kral Verlag 2021, 200 Seiten, 24,90 €

Unterwegs mit der Kaiserin

Unterwegs mit der Kaiserin

Credit: Emons Verlag

Auf dieses Buch habe ich sooo lange gewartet und als ich es entdeckt hatte, war ich sehr glücklich!
111 Sisi-Orte – ein Reisehandbuch, das einen von Bayern über Österreich, Frankreich, Großbritannien bis nach Griechenland begleitet. Wunderbar.
Jedem der Orte ist eine Doppelseite gewidmet, wobei man auf der einen Seite ein ganzseitiges Foto des Ortes findet mit einem Kästchen für die wichtigsten praktischen Informationen und auf der anderen Seite einen Text, der erläutert, was der Ort mit der Kaiserin zu tun hat.
Die Fotos sind übrigens absolut hinreißend.

Das Ganze ist wirklich schön gemacht. Das Papier ist dick und kann so manche Blätterei ab.
Dass die Autorin mit Herzblut und Begeisterung fürs Thema schreibt, merkt man mit jeder Zeile.

Sabine Gruber lebt übrigens als Reiseschriftstellerin mit ihrer Familie in Klosterneuburg bei Wien und hat damit praktisch schon die Sisi-Expertise halb in der Tasche.

Tatsächlich könnte nun ein solches Buch leicht Gefahr laufen, auf jeder Seite den gleichen Sermon herunterzubeten: XXX erbaut von dem und dem, eingestürzt im Jahre XXX, wieder aufgebaut und so weiter.
Nichts dergleichen passiert im vorliegenden Band.
Jeder Ort wird interessant und abwechslungsreich geschildert. Man bekommt absolut Lust, sich sofort auf den Weg zu machen.

Eines fehlt mir allerdings und das muss ich anmerken:
Karten!
Eigentlich hätte ich erwartet, zu den Ländern, die im Buch vorkommen, jeweils eine Karte zu finden, in die die jeweiligen Sisi-Orte eingetragen sind. Nicht zuletzt um zu sehen, wo die Kaiserin überall unterwegs war.

Was ist positiv finde, ist die Tatsache, dass Sabine Gruber nicht nur jene Orte vorstellt, die so die „typischen Verdächtigen“ sind, wie Possenhofen oder die Hofburg, sondern auch unbekanntere wie zum Beispiel die Postalmhütte, die Sisi 1865 erklettert.
Und auch Überraschendes findet sich hier, denn wer wusste, dass Sisi bereits 1876 zur Jagd in Althorp House weilte, jenem Schloss, in dem knapp hundert Jahre später eine gewisse Lady Diana Frances Spencer aufwachsen sollte …

Also alles in allem finden wir mit den 111 Sisi-Orten nicht nur 111 SISI-Orte, sondern 111 Orte, die einfach eine Reise wert sind.
Und wenn dann in einer kommenden Auflage auch Karten dazukommen, bin ich gänzlich glücklich.

Übrigens: Wen es nach noch mehr 111 Orten gelüstet, dem sei die Reihe wärmstens empfohlen. Es gibt kaum einen Ort oder Land, das hier nicht abgedeckt würde. Schaut also gerne mal rein!

FAKTEN:
Sabine Gruber: 111 Sisi- Orte, Emons Verlag 2023, 231 Seiten, 18,00 €