Deutschlandbesuch des Königspaares – Warum hat Camilla so wenig Fans?

König Charles III ist wieder in England und kann sich auf seine Krönung konzentrieren.
Dennoch bleibt uns allen sein dreitägiger Staatsbesuch in lebhafter Erinnerung.
Leider kam er nur nach Berlin und Hamburg, was bedeutete, dass er bei seinem nächsten Besuch definitiv auch weiter in den Süden / Südwesten kommen muss, denn wir wollen ihn und Königin Camilla ja auch mal live erleben!

Eigentlich sollte ihr erster Auslandsbesuch nach Frankreich führen, wo unter anderem ein Besuch von Versailles mit dortigem Staatsbankett geplant war. Tatsächlich musste die Reise wegen der herrschenden Unruhen in Frankreich abgesagt werden.
Aber: des einen Leid ist des anderen Freud und so können wir uns rühmen, dass König Charles‘ erste Auslandsreise als König nach Deutschland ging.

Und hier haben wir ihm auch einen sicherlich schönen Aufenthalt bereitet. Ob es beim festlichen Bankett in Berlin war oder seiner mit Standing Ovations bedachten Rede im Bundestag, beim Gang des Königspaares über den Berliner Wochenmarkt, oder dem Besuch einer Grundschule mit dem Schöpfer des Grüffelo der Königin … Auch die traurigen Aspekte durften nicht fehlen, so beim Besuch des Mahnmals für nach England evakuierte jüdische Kinder in Hamburg.

Die Königin hat übrigens anlässlich des Schulbesuchs nicht nur mit den Kindern das Grüffelo gezeichnet, sondern auch mit dessen Zeichner Axel Scheffler das Buch auf Englisch und Deutsch gelesen.
Das kam der Königin sicherlich sehr entgegen, denn sie engagiert sich seit Jahren für die Leseförderung . („The Queen’s Reading Room“)

Insgesamt kann man sicherlich sagen, dass der Staatsbesuch rundum ein Erfolg war und den Königlichen Hoheiten in positiver Erinnerungen bleiben wird. (Auch wenn sie ganz unköniglich mit dem Standart- ICE von Berlin nach Hamburg gereist sind.)

Wo ich so über den Deutschlandbesuch nachdenke, fällt mir speziell Königin Camilla ein … Wer mir auf Instagram oder Facebook folgt, weiß ja, dass ich mich oft mit ihr beschäftige und eigentlich das bin, was man einen Fan nennen könnte.



Wer es übrigens nicht weiß – ich bin Royal Follower seit 1979/1980 und habe den Aufstieg und Untergang von Prinzessin Diana sozusagen hautnah beobachtet.

Aber dazu – denke ich – muss ich einen eigenen Blog machen …

Queen Camilla

Zurück zu Camilla …

Immer wenn ich etwas über Königin Camilla poste, kann ich mir ziemlich sicher sein, dass ich Kommentare bekomme, die mit „durchwachsen“ zu bezeichnen wirklich geschönt wäre.
Von „Hexe“ über „Ehebrecherin“ bis hin zur Erkenntnis, sie werde „in der Hölle schmoren“, ist alles dabei.

Allerdings kommen diese bösen Kommentare weniger aus dem deutschsprachigen Raum. Ich peile jetzt einfach mal ins Ungefähre, dass Camilla in Deutschland mehr Fans hat, als sonstwo in der Welt und, dass die Versuche des Königs, seiner Frau ein positiveres Image zu verleihen, nicht unbedingt als Rundumerfolg gewertet werden können.

Seltsamerweise wird ihr vielerorts das Scheitern der königlichen Ehe zugeschrieben. Ganz so, als sei der König kein Mann mit eigenem Willen, sondern eine Lusche, die von der Frau durch das Dorf getrieben wird.
Übrigens ein Narrativ, das mir auch bei Meghan Markle immer wieder begegnet …

Tatsächlich kann ich mir kaum vorstellen, dass ein Mann sich so viele Jahrzehnte gegen alle Widerstände derart an die Kandare nehmen lässt. Zumal Charles zu seiner Camilla gehalten hat, auch wenn er wusste, wie schlecht seine verehrte Großmutter über sie gedacht hat.

So sind sich die Kommentatoren einig, dass es weniger Dianas Tod war, der die Eheschließung mit Camilla befördert hat, als vielmehr der Tod seiner Großmutter. Charles war sich wohl im Klaren darüber, dass seine Oma Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hätte, um eine solche Heirat zu verhindern. (Die Königin-Mutter hatte sehr feste royale Prinzipien und eine geschiedene Frau zu heiraten, widersprach diesen zutiefst. Die Königin-Mutter war im Gegensatz zu ihrem populären Image nämlich keineswegs putzig und umgänglich. Vielmehr wurde sie mehr als nur ein Mal als „stählerne Faust im Samthandschuh“ bezeichnet. Und das von Leuten, die sie persönlich kannten …)

Nun aber wieder zu Camillas schlechtem Image

Mich beschleicht immer wieder der Eindruck, dass die Leute, die sie derart verdammen, sich nie wirklich mit ihr beschäftigt haben. Man macht sich an Äußerlichkeiten fest, wie zum Beispiel ihrer Kleidung und ihrem Schmuck. Trägt sie viel Schmuck, nennt man sie einen Christbaum. Trägt sie wenig Schmuck, nennt man sie bäuerisch. Kurz – sie scheint es keinem recht machen zu können, der sie von außen betrachtet.
Wobei ich immer wieder betone, dass sie beinahe 80 ist und ich muss sagen, dass ich mich freuen würde, wenn ich in diesem Alter noch so gut aussehen würde …

Tatsächlich hat König Charles vor vielen Jahren damit begonnen, das Image der von ihm so geliebten Frau in der Öffentlichkeit aufzubessern. Wenn der Palast auch normalerweise nicht gerade mit erfolgreichen PR-Aktionen glänzt (Man ist meistens zu spät, unvorbereitet – kurz: amateurhaft unterwegs), so hat man in Camillas Fall doch praktisch nach Lehrbuch gearbeitet.

Sie wurde nach der offiziellen Trennung von Charles und Diana behutsam in die Öffentlichkeit gebracht. Ihre erste Charity war die Schirmherrschaft über die Osteoporose- Gesellschaft. Eine Krankheit, an deren Folgen Camillas Mutter verstorben war und die somit einen sehr persönlichen Bezug zu Camilla hatte.

Wann immer man sie in den folgenden Jahren an der Seite des späteren Königs sah, mussten auch die kritischsten Stimmen zugeben, dass sie Charles gut tat. Er war entspannt, lachte viel und seine Stimmung (er leidet an einer notorischen kurzen Lunte, wie alle Windsor- Männer) war im Normalfall bestens.

Wenn sie in der ersten Zeit damit zu tun hatte, sich in ihren neuen royalen Job einzufinden, so kann man dafür mehrere Gründe nennen:

1. Sie war zutiefst verstört durch die hinter ihr liegenden Ereignisse. (Diana hatte sie mitten in der Nacht angerufen und ihr gesagt, sie habe Schläger engagiert, die bereits in ihrem Garten seien; Sie hatte Drohbriefe erhalten und war in der Öffentlichkeit beschimpft worden. -Die Story, sie sei im Supermarkt mit Brötchen beworfen worden, ist übrigens Blödsinn, zudem hatten Journalisten permanent ihr Haus belagert)
Daher zitterte Camilla bei ihren ersten öffentlichen Auftritten und scheute vor Walkabouts zurück, da sie befürchtete, beschimpft zu werden (oder gar Schlimmeres);
2. Camilla war bereits über 50, als ihr Leben komplett umgekrempelt wurde und sie sich in einer völlig anderen Welt zurechtfinden musste;
3. Sie war davon ausgegangen, dass sie einfach nur im Hintergrund bleiben würde und insofern ihr altes Leben als Vertraute und Geliebte weiterführen. Camilla ging davon aus, dass man sie nicht groß in die Öffentlichkeit bringen würde und sah sich bald getäuscht:
4. Man verlangte früh von ihr, alleine auf Reisen für die Krone zu gehen, wo sie noch sehr unsicher war, wie sie sich verhalten sollte und was man genau von ihr erwartete;
5. Sie musste ihre Kinder / Enkelkinder und ihr neues, royales Leben unter einen Hut bringen, was sie oft psychisch und physisch erschöpfte. Dies ist auch der Grund, warum sie bei den ersten langen, gemeinsamen Reisen oft früher heimreiste als Prinz Charles und warum sie auch ihr altes Haus („Ray Mill House“) als eigenen Rückzugsort behielt.

Inzwischen erleben wir eine entspannte und heitere Camilla bei öffentlichen Auftritten. Sie hat gelernt, mit vollkommen Unbekannten unbefangenen Smalltalk zu machen und wird sogar beim spontanen Tänzchen mit Charles gesehen.
Wenn man heute ihren Kalender mit den vielen Auftritten und Charities sieht, den sie mit knapp 80 Jahren bewältigt, kann man sie nur bewundern.
Beobachtet man die beiden zusammen, so stellt man fest, dass sie mit ihrer ruhigen, gelassenen Art Charles wesentlich besser tut als Diana selbst in ihren besten Momenten.

Vielleicht – und das ist mein Rat an alle Camilla-Kritiker (die Hater kannst du eh nicht zum Nachdenken kriegen)- sollten sie sich mal in ihre Lage versetzen. Sich einfach mal mit ihren Leistungen befassen. Sich anschauen, was Camilla in den zurückliegenden Jahrzehnten auf sich genommen hat. Wo verdammt viele andere abgehauen wären und gesagt hätten „Mach doch deinen Dreck alleene!“, da ist sie an der Seite des geliebten Mannes geblieben und scheint heute in ihrer Rolle glücklicher und gefestigter denn je.

Und in diesem Sinne:
Alles Liebe und Gute, Queen Camilla!

Jack the Ripper – Symphonie des Grauens

Der Diebstahl eines schlichten Damenhuts reißt die junge Modistin Elizabeth mitten hinein in jene Mordserie, die noch mehr als hundert Jahre später die Welt in Atem hält. Doch damit stört sie die Kreise des Londoner Polizisten Harris, für den sie bald mehr als nur kriminalistisches Interesse entwickelt. Dann aber geraten die Dinge außer Kontrolle und Elizabeth muss um ihr Leben kämpfen, denn sie hat ungewollt in ein Wespennest gestochen …

Afra – Die Geliebte des Hexenjägers

Afra und die Hexen – das ganz große Thema
Seit wann ich mich mit Hexen befasse, kann ich gar nicht so genau sagen.
Angefangen hat es sicherlich mit den Hexenprozessen von Salem/ USA und dann wanderte mein Interesse nach England.
Hier stehen die Pendle- Hexen und die Hexen von Belvoir im Fokus.
Ein Besuch in Barrowford und dem Pendle- Heritage- Centre endete vor den verschlossenen Türen. Corona hatte dafür gesorgt, dass die Öffnungszeiten stark eingeschränkt wurden. Da wir nicht auf den Öffnungstag warten konnten, mussten wir den Besuch verschieben.

Nun hatten wir eigentlich geplant, zum Jahreswechsel 2021/22 zu fahren. Da sollte es dann auch nach Belvoir gehen und nach Bottesford. Diese Reise musste ich komplett canceln, da die französische Regierung keine Durchreisegenehmigung für England erteilte.
Also alle Termine abegsagt und meine Ansprechpartner auf einen unbestimmten späteren Zeitpunkt vertröstet.

Jetzt bin ich ein bisschen im Zwiespalt, denn ich will ein bisschen mehr über das Hexen- Thema und den Roman schreiben. Ich denke, ich mache dazu einen Blog …
Also: Bei Interesse am Thema – neben schauen und den dazugehörigen Blog anklicken!

AKTUELL: Gewinnspiel in der Facebook- Gruppe „Historische Romane“!!!
Zu Gewinnen gibt es ein handsigniertes Exemplar von „Afra – Die Geliebte des Hexenjägers“!
Folgende Frage ist zu beantworten: „Wie heißt das Buch, das König James VI geschrieben hat, um die Hexen- Prozesse auf eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen?“

Mord in der Priory – Das Geheimnis der Florence Bravo

Was für ein seltsames Gefühl, wenn man nach so langer Zeit der Recherche und des Schreibens sein neuestes literarisches Kind auf die große Bühne entlässt.

Es sind viele Jahre her, dass ich zum ersten Mal mit der Geschichte der Florence Bravo in Berührung kam. Es geschah – wie so viele Begegnungen in meinem Leben – über ein Gebäude.
Nämlich die Priory in Balham/ London.

Hier seht ihr den Haupteingang des Hauses, das heute, in mehrere Apartments aufgeteilt, vermietet wird.
Der ehemals großzügige Garten, der Florence‘ ganzer Stolz war, ist mittlerweile wesentlich verkleinert worden.
Sie war eine begeisterte Gärtnerin und wenn ihr das Foto genau anseht, erkennt ihr am oberen Rand eine Eiche. Diesen Baum hat Florence noch selbst gepflanzt.

Wir werden im Mai nach London fahren und bei der Krönung dabei sein. Bei der Gelegenheit werde ich auch zur Priory fahren und mich dort umsehen. Vielleicht sieht mich ja ein netter Bewohner und lässt mich ins Haus, damit ich mal ein bisschen umschauen kann. Das wäre natürlich toll.

=========== ACHTUNG! SPOILERALARM!!!! ==========


Florence Bravo, geborene Campbell, verwitwete Ricardo (5. September 1845 – 17. September 1878) steht im Mittelpunkt meines Romans, der uns ins England der Königin Victoria führt.
Als Tochter eines erfolgreichen Unternehmers in Australien geboren, heiratete sie mit nur 19 Jahren den Offizier Alexander Ricardo.
Die Ehe geriet sehr bald in Schwierigkeiten. Ricardo entwickelte sich zum wirtschaftlich erfolglosen Alkoholiker, nachdem er die Armee verlassen hatte.
Florence verließ ihn, nachdem er ihr gegenüber gewalttätig geworden war. Um das Gesicht zu wahren, schickten ihre Eltern sie in ein Sanatorium in Malvern, wo die damals hochmoderne Wassertherapie praktiziert wurde.
Der wesentlich ältere, verheiratete Dr. James Gully leitete die Klinik und galt als einer der Pioniere auf dem Gebiet. Er stand unter anderem auch mit dem bei uns bekannten Pater Sebastian Kneipp in regem Austausch.

Bald entstand zwischen Gully und Florence eine enge Beziehung. Sie verliebten sich. Da beide verheiratet waren, schien es keine Lösung zu geben.
Die wirtschaftlichen Verhältnisse im Hause Ricardo entspannten sich nach dem Tod von Alexanders Mutter, die ihrem Sohn ein stattliches Vermögen vererbte.
Ricardos Zustand hatte sich zwischenzeitlich weiter verschärft und er war nach Köln gezogen.
Die Scheidung, die Florence anstrebte, zerschlug sich, da Ricardo seine Zustimmung verweigerte. Noch bevor etwas geschehen konnte, starb er in Köln an den Folgen seiner Trunksucht.



Florence, die sein Vermögen erbte, war nun eine reiche, alleinstehende Frau. Sie mietete sich in Balham/ London in der stattlichen Villa The Priory ein.

Sie war nun frei für ihren Geliebten Dr. Gully, der in ein Haus schräg gegenüber der Priory einzog, nachdem er sich in seiner Klinik hatte auszahlen lassen.
Doch Florence wurde enttäuscht. Gully hielt zu seiner Ehefrau, die seit Jahren in geistiger Umnachtung in einem Sanatorium vor sich hinvegetierte.
Er weigerte sich, die Scheidung einzureichen.
Verzweifelt wurde Florence‘ Lage, als sie von Gully schwanger wurde und die Affäre durch einen Zufall bekannt wurde.

Da eine Abtreibung in einem Krankenhaus vollkommen unmöglich war, musste Gully selbst den Eingriff vornehmen.

So, körperlich wie seelisch verwundet, beendete Florence die Beziehung zu Gully. Dies allerdings war nicht ausreichend, um sie in die Gesellschaft zurückzuführen.
Dies versprach sie sich von einer neuerlichen Ehe.



Mit Charles Bravo, einem aufstrebenden jungen Anwalt, durch ihre Gesellschaftsdame Mrs Jane Cox bekanntgemacht, schien die Lösung all ihrer Probleme gefunden.

Die beiden trafen sich nur wenige Male und beschlossen schon, zu heiraten. Florence erhoffte sich gesellschaftliche Anerkennung und Bravo interessierte Florence‘ Geld.
Um reinen Tisch zu machen, gestand sie ihm die Affäre mit Gully, woraufhin er ihr gestand, dass er eine Geliebte sowie ein gemeinsames Kind hatte.
Unter dem Vorbehalt, dass er sich auch weiter um das Kind kümmern könne und sie jeglichen Kontakt zu Gully abbräche, planten die beiden die Hochzeit.

Bravo hatte sich offensichtlich ausgemalt, dass er nun das Sagen über Ehefrau, Haushalt und Vermögen haben würde. Als er aber bemerkte, dass nach einem erst vor Kurzem erlassenen Gesetz eine Frau das Vermögen selbstbestimmt behalten konnte, das sie in die Ehe mit eingebracht hatte, und dass Florence keineswegs vorhatte, ihrem künftigen Mann die Zügel zu überlassen, drohte die Hochzeit kurzzeitig zu platzen. (Es gab eine sehr unschöne Szene als Bravo bei Florence‘ Anwalt vorsprach und dessen Glückwünsche brüsk abwies, mit dem Satz „Ich will keine Glückwünsche – ich will Geld.“)

Es war Dr. Gully, der Florence riet, mir ihrem künftigen Mann zu verhandeln. So überließ sie ihm die Einrichtung der Priory, sowie deren Mietvertrag. Bravo erklärte sich einverstanden und so konnte am 8. Dezember 1875 in Kensington geheiratet werden.
Alles schien sich gut anzulassen. Florence wurde gleich zwei Mal nacheinander schwanger, doch verlor sie jedes Kind nach wenigen Monaten der Schwangerschaft.

Betreut von ihrer Gesellschaftsdame Mrs Jane Cox kam sie nach jeder Fehlgeburt nur langsam wieder zu Kräften.
Ihr Mann aber wurde immer intensiver von Eifersucht geplagt. Dass Dr. Gully nur wenige Schritte von der Priory entfernt wohnte, machte die Sache nicht besser.
Hinzu kam seine stets intervenierende Mutter, die sich von Anfang an gegen eine Hochzeit mit Florence gestellt hatte.

Bravo überzog seine Frau bald mit Drohungen, Streitereien und Gewalt. Seine Stimmungsschwankungen wurden unerträglich.
Die Rekonvaleszenz nach den Frühgeburten wurde von ihm eher unduldsam ertragen und er konnte gar nicht schnell genug ins Ehebett zurückkehren. Wobei Mrs Cox, die bei Florence nächtigte, um sich ständig um sie kümmern zu können, ihm ein steter Dorn im Auge war. Erst wenn Mrs Cox aus dem ehelichen Schlafzimmer auszog, konnte Charles wieder einziehen.

Als beide Frauen an der See kuren wollten, damit Florence sich erholen konnte, verweigerte Bravo seine Zustimmung zu der Reise. Mehr noch: er drohte damit, Mrs Cox zu entlassen. (Er hatte zuvor schon andere Dienstboten hinausgeworfen, was abermals zu Auseinandersetzungen führt hatte.) Geld war bei den Eheleuten ein ständiger Streitpunkt, zumal es für Charles Bravo offensichtlich ein Zeichen seiner Macht als Hausherr war.

Am 18. April 1876 gingen Florence und er gemeinsam nach London. Er hatte am Nachmittag Probleme beim Ausreiten, da das Pferd permanent bockte. Am Abend dann – nach einer heftigen Auseinandersetzung beim Essen – brach er mit Vergiftungserscheinungen zusammen.
Diverse Ärzte eilten an sein Krankenbett, unter anderem der Leibarzt von Königin Victoria. Doch sie alle konnten Bravo nur sagen, dass er innerhalb von Stunden sterben werde.
Er hatte kein Glück und starb nicht innerhalb von Stunden. Seine Agonie dauerte drei volle Tage. Heftiges Erbrechen, Krämpfe und Zeiten der Ohnmacht wechselten sich ab.

Nach seinem Tod kam es zu einer Anhörung zur Todesursache in der Priory, die ohne Ergebnis endete.
Doch seine Freunde und Familie gaben keine Ruhe. Sie waren sich sicher, dass Bravo ermordet worden war, und kämpften dafür, dass dies untersucht würde. Sie verdächtigten Florence.

Tatsächlich uferte die zweite Anhörung zu einem Beinahe- Prozess aus. Es wurden alle mögliche Zeugen gehört, unter anderem das Personal, Mrs Cox, Florence und Dr. Gully.
Alle schockierenden Details wurden ans Licht gezerrt, so auch die Abtreibung.
Die Anwälte der Gegenseite taten alles dafür, Florence Ruf in den Dreck zu ziehen. Es wurde so schlimm, dass die Geschworenen eingriffen und ihr Sprecher sich gegen die Vorgehensweise der Anwälte verwahrte.

Auch diese zweite Anhörung ging ohne Ergebnis zu Ende. Man kam zu dem Schluss, dass Charles Bravo ermordet worden sei, dass es aber keinerlei Beweise, oder auch nur Hinweise auf einen Täter gebe, die eine Anklage rechtfertigen würden.

Es war bitterer Lorbeer, der bei dieser Anhörung verteilt wurde.

Mrs Cox wanderte nach Jamaica aus, wo sie eine Erbschaft antrat. Dr. Gully lebte bis zu seinem Lebensende schräg gegenüber der Priory, zog sich aber vollkommen aus der Öffentlichkeit zurück.
Florence, verfolgt von den Schatten der Vergangenheit, wurde ebenfalls zur Alkoholikerin wie ihr erster Mann. Der Vermieter der Priory hatte ihr gekündigt und sie hatte sich nach Southsea zurückgezogen.
Ihr Onkel kam aus Schottland, um sie mit sich zu nehmen, damit sie sich erholen konnte. Doch als er ankam, war sie bereits in hoffnungslosem Zustand. Von ihm und zwei Dienstmädchen umsorgt, starb Florence am 17. September 1878. Sie überlebte ihren zweiten Mann also gerade mal um zwei Jahre.

Was aus den anderen Beteiligten wurde, könnt ihr natürlich in meinem Buch nachlesen. Dort findet ihr auch Fotos, die ich an Originalschauplätzen aufgenommen habe.

LESEPROBE

Die letzte Schaufel Erde war gerade über dem kleinen Hügel umgedreht worden, als die vier Männer bereits den Sarg über das Loch hoben, um es sodann langsam herabzulassen.

Es musste kurz vor fünf sein, denn gerade hatten die Vögel begonnen zu zwitschern.

Der Wind rauschte im dichten Laub der umstehenden Bäume und der Umriss der St. Mary’ s Church erhob sich undeutlich am Horizont.

Ende September. Es würde nicht mehr lange dauern, und das Grün würde sich verlieren. Das Zwitschern würde enden.

Die kleine Frau in dem schwarzen Umhang – sie hielt ihn mit zwei Fingern zusammen und versuchte gleichzeitig, die Hände im Gebet zu verschränken – blickte in den dunklen Abgrund, der den Sarg aufgenommen hatte. Man konnte bereits riechen, dass der Herbst nahte. Im kühlen Nachtwind verlor sich der sanfte Duft von Astern und den letzten Rosen.

Sie sprach ein leises Vaterunser, währenddessen die Arbeiter – die Mützen in Händen, die Köpfe gesenkt – schweigend mitbeteten.

Als die Frau, deren Gesicht selbst ohne den Schleier nicht zu erkennen gewesen wäre in dieser nur von Fackeln erhellten Nacht, geendet hatten, hoben sie fast gleichzeitig die Köpfe, setzten ihre Mützen auf und begannen, die Erde in das Loch zurück zu schaufeln.

Einer von ihnen stand schon bereit mit der ersten Grassode, um diese sorgsam auf das frische Grab zu legen.

Sie würden sich in ein paar Wochen wieder darum kümmern, wenn das Grab sich gesenkt hatte.

Wie in stummem Gruß nickte die kleine Frau noch einmal in Richtung des Grabes, wobei nicht klar war, ob diese Geste nicht vielleicht den Arbeitern gelten mochte.

Dann wandte sie sich ab und bewegte sich scheinbar schwebend in Richtung der Kirchhofpforte mit dem kleinen Dach.

Der Himmel riss in der Ferne auf und das tiefe Anthrazit machte an jener Stelle einem matten Blau Platz.

Als sie sich dem Tor näherte, traten drei kleine Gestalten aus dem hölzernen Bogen.

Die kleine Frau hob eine Reisetasche an, auf die die drei Buben scheinbar aufgepasst hatten, und verließ sodann den Friedhof.

Jeder der Jungen hatte seinerseits eine Tasche oder einen kleinen Koffer.

„Es ist vorbei“, sagte sie verhalten, als wollte sie keinerlei Aufmerksamkeit mit ihren Worten erregen.

Die Jungen antworteten nicht, sondern gingen schweigend neben ihr her in Richtung der Dorfstraße von Buscot.

Gedenkstein auf dem Kirchhof von Faringdon

Harry und Meghan und Oscar

Bei den heutigen Oscar-Verleihungen werden Harry und Meghan angeblich anwesend sein. Mal sehen, ob sie abgewatscht werden.
Seit Southpark geht man in den Medien davon aus, dass sie sozusagen humoristisch zum Abschuss freigegeben sind.
Das heißt, wir werden morgen zu der Erkenntnis aufwachen, dass eine königliche Hoheit für ein Oscar-Kleid mehr Geld ausgeben kann als die Königin von England für ihre Krönung-Robe und, dass „Im Westen nichts Neues“ der große Gewinner (oder Verlierer) bei den Oscars ist.

Florence ist fertig

Die Rohfassung der Florence ist fertig.
Das ist die große Neuigkeit der Woche.
Wenn ich zunächst auch gedacht hatte, es würde noch ewig weitergehen, kam der Schluss dann doch ganz plötzlich.

Mal ein ganze anderes Cover

Während der Nebel um unser Haus wallt, konnte ich Florence‘ Geschichte abschließen.
Es war eine traurige Lebensgeschichte, die man eigentlich niemandem wünscht.
Aber vielleicht auch in seinen Extremen ein exemplarisches Frauenleben der Zeit.

The end sucks …
Dieses Gefühl kennt wohl jeder Autor. Du hast die Geschichte beinahe zu Ende erzählt, musst aber beim Schluss immer noch etwas Besonderes leisten, damit sich die Leser an dich und deine Bücher erinnern. Und zwar so, dass sie Lust bekommen, mehr von dir zu lesen, denn es gibt ja nicht gerade wenige zum Schreiben Berufene da draußen.

Im Fall von Florence war es doppelt schwierig, denn ich musste eine gutes Ende finden, was vor dem Hintergrund, dass es sich um eine wahre Geschichte handelt, nicht gerade einfach war.

Man leidet mit Florence durch alle Stadien ihres schwierigen Lebens und hofft mit ihr und für sie auf ein gutes Ende.
Nachdem die Anhörung abgeschlossen ist, so denkt man, sollte sie ein neues, besseres Leben habe anfangen können. Sich besinnen. Vielleicht mit ihrem Bruder William England verlassen. (Was er ihr auch angeboten hatte, denn er zog nach Abschluss des Skandals nach Australien) Eine Option wäre vielleicht auch gewesen, zu ihren Eltern nach Buscot zurückzukehren.
Nichts davon machte sie wahr.
Stattdessen kaufte sie ein kleines Haus in Southsea und soff sich zu Tode.

Man muss es so krass sagen, denn Florence Bravo starb langsam und qualvoll. Hatte sie zuvor auch schon ein auffälliges Trinkverhalten gehabt, so gab sie sich nach Ende der Anhörung komplett der Trunksucht hin.
In ihren letzten Tagen hatte sie aber auch die Stütze durch ein Familienmitglied – ihren Onkel James Orr, der von der besorgten Familie aus Schottland gerufen worden war, um nach Florence zu sehen und diese mit nach Schottland zu nehmen.

Als er in Southsea ankam, war allerdings schon alles zu spät. Er fand seine Nichte in einem desolaten Zustand. Ja, eigentlich schon fast tot. Sie war geistig umnachtet und körperlich am Ende.
Der Alkohol forderte seinen Tribut.
Ihre letzten Worte waren: „Save me!“ („Rette mich!“).
Er konnte es naturgemäß nicht.
James Orr blieb nur, die Tote nach Faringdon zurückzubringen (der Ort, zu dem Buscot, der Landsitz ihrer Eltern gehört), wo sie in einem unmarkierten Grab beigesetzt wurde.

Heute erinnert noch eine kleine Steinplatte daran, die aber dringend mal der Säuberung bedürfte. (Ich habe mir vorgenommen, wenn ich abermals dort hinreisen sollte, eine Bürste und Putzmittel mitzunehmen und den Stein von den Flechten sauber zu schrubben.)

Warum die Familie sich zu dieser Beisetzung entschied, konnte ich nicht herausfinden. Ich denke aber, man wollte – im wahrsten Sinne des Wortes – Gras über die Sache wachsen lassen. Zudem es auch keine Kinder gab, die zum Trauern an das Grab hätten gehen wollen.
Natürlich hätte es noch die Option einer Beisetzung an Charles‘ Seite gegeben, aber auch davon hat man abgesehen.

Nun aber zurück zu meinem Problem mit Florence‘ Ende:
Ich habe mich nämlich die ganze Zeit gefragt, in wieweit man einen solchen Ausgang den Lesern zumuten kann. Schließlich muss ich schon bei den Tatsachen bleiben und ihr Ende so vorstellen, wie es auch tatsächlich war: grausam!

Eine Zeitlang habe ich auch mit dem Gedanken gespielt, es tatsächlich umzudeuten, aber dies erschien mir doch nach einiger Überlegung nicht redlich.
Man kann in einem Roman, der auf wahren Ereignissen basiert, Dinge umstellen in ihrem zeitlichen Ablauf. Man kann die Handlungen umdeuten und die Charaktere den Gegebenheiten anpassen. Aber aus einem elenden Tod kann man kein Happy End zaubern.
Und ich hätte sie weiß Gott gerne mit ihrem geliebten James in den Sonnenuntergang reiten lassen.

Ich habe mich für eine andere Variante entschieden. Wie diese aussieht, werdet ihr bald persönlich sehen können, denn verraten will ich hier noch nichts …

Charles Bravos Grab auf dem West Norwood Cemetery
Prof. Robert Flanagan (Vorsitzender des Freundeskreises des West Norwood Cemetery und profunder Kenner des Friedhofs) und ich an einem sehr heißen Sommertag am Grab von Charles Bravo; Bob führte mich auch noch zu den Gräbern anderer Anhörungs- Beteiligter.

P.S. Ich wollte natürlich auch zu Charles Bravos Grab gehen und recherchierte, dass er auf dem West Norwood Cemetery begraben wurde. Als ich dort wegen der Lage des Grabes nachfragte, bekam ich Antwort von Prof. Flanagan, der mir mitteilte, dass ich das Grab nicht auf eigene Faust würde finden können. Er werde mich aber gerne persönlich hinführen.
Ich bekam von ihm aber nicht nur eine Begleitung zum Grab, sondern auch noch einen Rundgang über den Friedhof, wo er mir jede Menge historisch und künstlerisch wertvolle Grabmäler zeigte.
Im Zuge dieses Spaziergangs durfte ich auch den Erben der Doulton Porzellanmanufaktur kennenlernen, der gerade nach einem der Familiengräber schaute.
Mr. Doulton gestattete mir, das Innere eines der Mausoleen seiner Familie von innen zu fotografieren.

Ach – ich merke gerade, dass dies einen eigenen Post verdient hat.

Ich bitte um Geduld, aber ich verspreche: Ich werde über den West Norwood Cemetery ausführlicher schreiben!




James VI – A Right Royal Witchhunter

Wenn wir uns mit dem Thema James VI als Hexenjäger befassen, müssen wir uns noch einmal ins Gedächtnis rufen, wie das Denken der Zeit aussah …

Geprägt von magischem Denken waren für die Menschen des 16. und 17. Jahrhunderts Hexen und Magier kein Aberglaube, sondern Tatsachen.
Selbst viele der als Hexen angeklagten Frauen hielten sich dafür.
Warum? Nun, wenn man zum Beispiel eine Krankheit heilen wollte und zu diesem Zweck bestimmte Kräuter verabreichte und Gebete (Zaubersprüche) sagte, konnte man nie sicher sein, dass es klappen würde.
Im Gegensatz zur modernen Zeit, wo wir bei Kopfschmerzen eine Aspirin nehmen und im Normalfall davon ausgehen können, dass der Spuk nach einer Stunde vorüber sein wird.
Hatte man aber in jenen Zeit mit so etwas Erfolg, ging man davon aus, dass man schlicht und ergreifend – gezaubert hatte.
(Erinnert euch: damals standen „normalen“ Leuten keine naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, kein rationales Denken zur Verfügung. Man wusste in weiten Teilen der Bevölkerung nichts von wissenschaftlichen Versuchen und Beweisen)

Man hielt also Hexen für ein Faktum.

Hexen wiederum können mit ihren herausragenden Fähigkeiten Gutes tun oder Schaden zufügen. So wie ein Metzger einen mit Fleisch versorgen kann, aber auch (mit verdorbenem Fleisch) umbringen.
Tut nun jemand Gutes, ist alles in Ordnung. Auch für die Hexe. Niemand klagt sie an. Alles ist okay.
Geschieht aber etwas Schlimmes in einer Gemeinschaft, sucht diese Gemeinschaft nach einer Erklärung. (Das machen wir heutzutage ja nicht anders. „Ich kann das gar nicht verstehen. Mr. Dahmer war doch so ein ruhiger, netter Mensch…“)

Erinnern wir uns abermals: In dem Besteckkasten mit Erklärungsansätzen, der den Menschen damals zur Verfügung stand, lag bestenfalls ein kleiner Löffel, wohingegen wir heute einen ganzen Schrank voll haben. (Und künftige Generationen wahrscheinlich wahre Lagerhallen.)
Und mit diesem einen Löffelchen suchten die Menschen nach Erklärungen und gleichzeitig nach Möglichkeiten, sich für die Zukunft vor solcherlei Schaden schützen zu können.
Fündig wurden sie dann im Normalfall bei der Hexe.
Man überlegte, was die Hexe dazu gebracht haben mochte, diesen Schaden anzurichten und kam auf Eifersucht, Neid, Vergeltungssucht etc.
Kurz: Gefühle!

Diesen Gefühlen nun stellte sich der König persönlich in den Weg.

James war sich seiner Rolle als Vater seiner Untertanen sehr bewusst. Er hatte von Gott selbst den Auftrag erhalten, Schaden von seinen Ländern fernzuhalten und das wollte er tun.

Allerdings war James ein Mann der Wissenschaft. Und so suchte er einen wissenschaftlichen Denkansatz, um das Übel des Hexenwesens zu beseitigen.

Jetzt müssen wir in James Vergangenheit zurückkehren. Genauer gesagt zu jener Zeit, als er die Hochzeit mit Prinzessin Anna von Dänemark plante.


Man hat sich oft gefragt, wie tief die Zuneigung zwischen den beiden gewesen sein mag. James, der ganz augenfällig mehr Interesse an Männern als an Frauen hatte und Anna, die sich scheinbar nur für ihr Äußeres interessierte.
Aber ich denke, man tut beiden Unrecht. Anna aus Unwissenheit und weil viel Parteiennebel den Blick auf sie verstellt. Und James, weil er ein Herrscher ist, der in kein Schema passt.
Zunächst würde ich behaupten, dass James eher bisexuell war, denn er hatte eine längsranhaltende Affäre mit Anne Murray, der späteren Lady Glamis. (Wir erinnern uns an das gleichnamige Schloss, das eng sowohl mit Macbeth als auch mit Elizabeth, der Königinmutter als deren Geburtsort, verbunden ist …)

Ich denke, die Anne und James verband eine tiefe Freundschaft und beidseitiger Respekt.
Woran ich das festmache?
An einem Gedicht.

So did my Queen from hence her court remove
And left off earth to be enthroned above.
She’s changed, not dead, for sure no good prince dies,
But, as the sun, sets, only for to rise.

James schrieb diese Verse nach dem Tod seiner Frau. Zwar hatten sie sich nach dem plötzlichen Tod Henry, dem Prince of Wales auseinandergelebt und unterhielten getrennte Hofstaate, doch das dürfte nicht außergewöhnlich sein, betrachtet man, was auch heute noch in vielen Ehen nach dem Tod eines Kindes geschieht.

Aber es gibt noch einen weiteren Punkt, der meine These stützt:
Normalerweise wartete ein König geduldig in der Heimat auf seine Braut. Nicht so James!
Als Anne ihre Heimat Dänemark mit Gefolge verlassen hatte, geriet sie in einen gewaltigen Sturm und das Schiff musste Schutz in Norwegen suchen.
James nun, als er von dem Unglück erfuhr, fackelte nicht lange, sondern machte sich umgehend auf den Weg nach Norwegen, wobei auch er in schwere Stürme geriet.

Cosimas Kinder – Eine Rezension

Cosimas Kinder: Triumph und Tragödie der Wagner- Dynastie

 von Oliver Hilmes

Fakten:

  • Print- Ausgabe, Ebook- Ausgabe bei allen üblichen Plattformen
  • Paperback 14,99€; Gebunden 29,90€; Ebook
  • 320 Seiten
  • Pantheon Verlag
  • Sprache: Deutsch
  • Erscheinungstermin 
  • 15.11.2010

Zum AUTOR:

1971 geboren, wurde Hilmes in Zeitgeschichte promoviert und arbeitet als Kurator für die Stiftung Berliner Philharmoniker. Seine Bücher über widersprüchliche und faszinierende Frauen „Witwe im Wahn. Das Leben der Alma Mahler-Werfel“ (2004) und „Herrin des Hügels. Das Leben der Cosima Wagner“ (2007) wurden zu großen Verkaufserfolgen. 2011 folgte „Liszt. Biographie eines Superstars”, danach „Ludwig II. Der unzeitgemäße König” (2013) sowie „Berlin 1936. Sechzehn Tage im August“ (2016), das in viele Sprachen übersetzt und zum gefeierten Bestseller wurde. Zuletzt erschien “Das Verschwinden des Dr. Mühe. Eine Kriminalgeschichte aus dem Berlin der 30er Jahre” (2019). (Quelle: Amazon)

Zum INHALT:

Wenn man einen versierten Autor auf dem Gebiet des Themas „Wagner“ sucht – so wird man schnell bei Oliver Hilmes fündig, wie man der kleinen Biografie oben entnehmen kann.

Er hat sich nicht nur mit Wagner selbst, sondern auch mit Franz Liszt, Wagners Schwiegervater, Wagners Ehefrau Cosima, und dem Anhänger und Förderer Wagners, König Ludwig II von Bayern, literarisch befasst.

Ich habe mir bei meinem Besuch in Bayreuth den bereits 2010 erschienen Titel „Cosimas Kinder“ ausgesucht.

Warum? Nun – weil ich über alle Hauptbeteiligten bereits Biografien gelesen hatte und mir die nachfolgenden Generationen sozusagen fehlten.

Natürlich wusste ich in groben Umrissen, dass es Kinder, Enkel und Urenkel Wagners gab und gibt. Ich wusste auch, dass die Festspiele noch heute Familiensache sind. Dass es immer auch um Geld, Macht und Politik in der Familie ging, und dass man (vor allem dank Winifred und Eva) eine extrem ungesunde Nähe zum Nationalsozialismus und speziell zur Person Adolf Hitlers entwickelte.

Es gab nur wenige Nachfahren Wagners, die sich von Hitler distanzierten. Tatsächlich nur Wagners Enkelin Friedelind (die schlussendlich sogar in die USA auswanderte) sowie sein Enkel Wolfgang Wagner, der bis kurz vor seinem Tod 2010 die Festspiele in Bayreuth leitete.

Was mich noch zu diesem Buch brachte, war der Eindruck, der sich bei meinem Bayreuth- Besuch einstellte, nämlich, dass es scheinbar starke Parallelen zur Krupp- Dynastie gab, was ich gerne genauer betrachten wollte.

Spoiler- Alarm: Ich hatte Recht!

Zum Aufbau des Buches – der Autor folgt den Kindern und Kindeskindern Wagners bis in die Gegenwart. Er hangelt sich dabei sowohl an der jeweiligen Biografie entlang, wie auch an herausragenden Ereignissen, die diese Person betrafen.

Das führt dazu, dass man ab und an ein wenig ins Stolpern kommt zwischen all diesen Siegfrieds, Evas, Isoldes, Friedelinds. Zwischen Schwiegersöhnen, Urenkeln und zweiten Ehefrauen.

Hinzu kommt noch die pikante Gemengelage bei Richard Wagner und seiner späteren Frau Cosima geborene Liszt verheiratete von Bülow, verheiratete Wagner.

Tatsächlich hatte Cosima zwei Kinder von ihrem ersten Mann Hans von Bülow (Daniela und Blandine). 

Noch während der Ehe begann sie eine Affäre mit dessen Freund Richard Wagner, von dem sie noch während ihrer Ehe drei weitere Kinder bekam.

Das Problem war die damalige Rechtslage, denn tatsächlich konnte man – mangels Vaterschaftstest – nur sagen, dass die innerhalb der von Bülowschen Ehe geborenen Kinder juristisch Hans von Bülow zum Vater hatten.

Weiter erschwerend kam hinzu, dass Wagner – auch nach der Heirat mit Cosima – offiziell nur den gemeinsamen Sohn Siegfried als den seinen anerkannte. (Warum er das tat, erschließt sich nicht und wäre doch in meinen Augen eine ungeheuer wichtige Frage…)

Heute würde man den Wagner- Clan eine Patchworkfamilie nennen. In einer Gruppen- Biografie nenne ich es Kuddelmuddel.

Übrigens führte diese Gemengelage zu einem der aufsehenerregendsten Prozesse des Deutschlands vor dem ersten Weltkrieg: Nachdem Wagners Werke gemeinfrei geworden waren, verschlechterte sich die finanzielle Situation der Familie maßgeblich, sodass Alleinerbe Siegfried den Unterhalt diverser Familienmitglieder empfindlich kürzen musste. 

Da alles Verhandeln nichts half, klagte Isolde gegen den Bruder. Der Prozess steuerte in eine skandalträchtige Richtung, als es plötzlich darum ging, ob Isolde überhaupt Wagners leibliche Tochter sei, hatte er sie doch niemals anerkannt.

Die Zeitungen berichteten genüsslich über die Bayreuther Schlammschlacht und nicht nur der Ruf Isoldes wurde dabei nachhaltig beschädigt.

Dennoch kam es wie es kommen musste: Isolde verlor den Prozess und starb wenige Jahre später verbittert in ihrer Münchner Wohnung (die übrigens wenig später ein gewisser Herr Hitler bezog …)

Nun mein Fazit:

Das Buch ist unterhaltsam und sachkündig geschrieben. Ab und an fehlen mir Belege, die ich für ein Sachbuch als unentbehrlich erachte.

Die Kapitelüberschriften hätte man weniger aufmerksamkeitsheischend gestalten sollen. Stattdessen sollten sie einer Einordnung von Person und Zeitabschnitt dienen können.

Das wäre hilfreich gewesen.

Insgesamt liest sich das Buch flüssig und unterhaltsam.

Der Preis ist angemessen und ich mag die Tatsache, dass es keinen zusammenhängenden Bildteil gibt, sondern die Fotos jeweils an der zugehörigen Stelle erscheinen und diese illustrieren.

Für moderne Leser ist übrigens die Sprache, die sich im Dunstkreis der Familie Wagner etabliert hat, wirklich gewöhnungsbedürftig. Es ist der pompöse Duktus, den Richard Wagner selbst etabliert hat. Die Briefe der Familie und deren Umfeld lesen sich, als trete nach jedem Satz Hagen von Tronje auf und stoße in sein Horn. 

Was die Wagners selbst angeht, war ich absolut entsetzt über so viel Mittelmäßigkeit. Ein Haufen banaler Möchtegerns, die nur von vergangenem Ruhm einer anderen Person leben.

Ab und an scheint etwas Menschlichkeit durch und lässt erahnen, dass die handelnden Personen nicht nur im eigenen Saft brutschelnde Kleingeister sind.

Da hätte ich mir eigentlich vom Autor mehr Einblicke gewünscht, denn offensichtlich hat er diese anderen Seiten der Medaille durchaus auch gesehen, nur den Faden nicht weiterverfolgt.

Hier liegt meines Erachtens nach die größte Schwachstelle des flüssig zu lesenden Buches, denn ich finde immer, dass eine Sache dort wirklich spannend wird, wo der Weg steinig wird, sprich: wo plötzlich Dinge scheinbar nicht mehr zusammenpassen und wo ich dabei bin, etwas Neues zu entdecken.

Dass der Autor diese möglichen Schätze ungehoben lässt, enttäuscht mich.

Von daher werde ich mich weiter mit dieser schrecklich netten Familie befassen und schauen, was sich sonst noch so herausfinden lässt. Vielleicht gehen ja andere Autoren die Wege, die Hilmes unbeschritten gelassen hat …

Bücherwürmer- WERTUNG:

Cosimas Kinder: Triumph und Tragödie der Wagner- Dynastie

 von Oliver Hilmes

Fakten:

  • Print- Ausgabe, Ebook- Ausgabe bei allen üblichen Plattformen
  • Paperback 14,99€; Gebunden 29,90€; Ebook
  • 320 Seiten
  • Pantheon Verlag
  • Sprache: Deutsch
  • Erscheinungstermin 
  • 15.11.2010

Zum AUTOR:

1971 geboren, wurde Hilmes in Zeitgeschichte promoviert und arbeitet als Kurator für die Stiftung Berliner Philharmoniker. Seine Bücher über widersprüchliche und faszinierende Frauen „Witwe im Wahn. Das Leben der Alma Mahler-Werfel“ (2004) und „Herrin des Hügels. Das Leben der Cosima Wagner“ (2007) wurden zu großen Verkaufserfolgen. 2011 folgte „Liszt. Biographie eines Superstars”, danach „Ludwig II. Der unzeitgemäße König” (2013) sowie „Berlin 1936. Sechzehn Tage im August“ (2016), das in viele Sprachen übersetzt und zum gefeierten Bestseller wurde. Zuletzt erschien “Das Verschwinden des Dr. Mühe. Eine Kriminalgeschichte aus dem Berlin der 30er Jahre” (2019). (Quelle: Amazon)

Zum INHALT:

Wenn man einen versierten Autor auf dem Gebiet des Themas „Wagner“ sucht – so wird man schnell bei Oliver Hilmes fündig, wie man der kleinen Biografie oben entnehmen kann.

Er hat sich nicht nur mit Wagner selbst, sondern auch mit Franz Liszt, Wagners Schwiegervater, Wagners Ehefrau Cosima, und dem Anhänger und Förderer Wagners, König Ludwig II von Bayern, literarisch befasst.

Ich habe mir bei meinem Besuch in Bayreuth den bereits 2010 erschienen Titel „Cosimas Kinder“ ausgesucht.

Warum? Nun – weil ich über alle Hauptbeteiligten bereits Biografien gelesen hatte und mir die nachfolgenden Generationen sozusagen fehlten.

Natürlich wusste ich in groben Umrissen, dass es Kinder, Enkel und Urenkel Wagners gab und gibt. Ich wusste auch, dass die Festspiele noch heute Familiensache sind. Dass es immer auch um Geld, Macht und Politik in der Familie ging, und dass man (vor allem dank Winifred und Eva) eine extrem ungesunde Nähe zum Nationalsozialismus und speziell zur Person Adolf Hitlers entwickelte.

Es gab nur wenige Nachfahren Wagners, die sich von Hitler distanzierten. Tatsächlich nur Wagners Enkelin Friedelind (die schlussendlich sogar in die USA auswanderte) sowie sein Enkel Wolfgang Wagner, der bis kurz vor seinem Tod 2010 die Festspiele in Bayreuth leitete.

Was mich noch zu diesem Buch brachte, war der Eindruck, der sich bei meinem Bayreuth- Besuch einstellte, nämlich, dass es scheinbar starke Parallelen zur Krupp- Dynastie gab, was ich gerne genauer betrachten wollte.

Spoiler- Alarm: Ich hatte Recht!

Zum Aufbau des Buches – der Autor folgt den Kindern und Kindeskindern Wagners bis in die Gegenwart. Er hangelt sich dabei sowohl an der jeweiligen Biografie entlang, wie auch an herausragenden Ereignissen, die diese Person betrafen.

Das führt dazu, dass man ab und an ein wenig ins Stolpern kommt zwischen all diesen Siegfrieds, Evas, Isoldes, Friedelinds. Zwischen Schwiegersöhnen, Urenkeln und zweiten Ehefrauen.

Hinzu kommt noch die pikante Gemengelage bei Richard Wagner und seiner späteren Frau Cosima geborene Liszt verheiratete von Bülow, verheiratete Wagner.

Tatsächlich hatte Cosima zwei Kinder von ihrem ersten Mann Hans von Bülow (Daniela und Blandine). 

Noch während der Ehe begann sie eine Affäre mit dessen Freund Richard Wagner, von dem sie noch während ihrer Ehe drei weitere Kinder bekam.

Das Problem war die damalige Rechtslage, denn tatsächlich konnte man – mangels Vaterschaftstest – nur sagen, dass die innerhalb der von Bülowschen Ehe geborenen Kinder juristisch Hans von Bülow zum Vater hatten.

Weiter erschwerend kam hinzu, dass Wagner – auch nach der Heirat mit Cosima – offiziell nur den gemeinsamen Sohn Siegfried als den seinen anerkannte. (Warum er das tat, erschließt sich nicht und wäre doch in meinen Augen eine ungeheuer wichtige Frage…)

Heute würde man den Wagner- Clan eine Patchworkfamilie nennen. In einer Gruppen- Biografie nenne ich es Kuddelmuddel.

Übrigens führte diese Gemengelage zu einem der aufsehenerregendsten Prozesse des Deutschlands vor dem ersten Weltkrieg: Nachdem Wagners Werke gemeinfrei geworden waren, verschlechterte sich die finanzielle Situation der Familie maßgeblich, sodass Alleinerbe Siegfried den Unterhalt diverser Familienmitglieder empfindlich kürzen musste. 

Da alles Verhandeln nichts half, klagte Isolde gegen den Bruder. Der Prozess steuerte in eine skandalträchtige Richtung, als es plötzlich darum ging, ob Isolde überhaupt Wagners leibliche Tochter sei, hatte er sie doch niemals anerkannt.

Die Zeitungen berichteten genüsslich über die Bayreuther Schlammschlacht und nicht nur der Ruf Isoldes wurde dabei nachhaltig beschädigt.

Dennoch kam es wie es kommen musste: Isolde verlor den Prozess und starb wenige Jahre später verbittert in ihrer Münchner Wohnung (die übrigens wenig später ein gewisser Herr Hitler bezog …)

Nun mein Fazit:

Das Buch ist unterhaltsam und sachkündig geschrieben. Ab und an fehlen mir Belege, die ich für ein Sachbuch als unentbehrlich erachte.

Die Kapitelüberschriften hätte man weniger aufmerksamkeitsheischend gestalten sollen. Stattdessen sollten sie einer Einordnung von Person und Zeitabschnitt dienen können.

Das wäre hilfreich gewesen.

Insgesamt liest sich das Buch flüssig und unterhaltsam.

Der Preis ist angemessen und ich mag die Tatsache, dass es keinen zusammenhängenden Bildteil gibt, sondern die Fotos jeweils an der zugehörigen Stelle erscheinen und diese illustrieren.

Für moderne Leser ist übrigens die Sprache, die sich im Dunstkreis der Familie Wagner etabliert hat, wirklich gewöhnungsbedürftig. Es ist der pompöse Duktus, den Richard Wagner selbst etabliert hat. Die Briefe der Familie und deren Umfeld lesen sich, als trete nach jedem Satz Hagen von Tronje auf und stoße in sein Horn. 

Was die Wagners selbst angeht, war ich absolut entsetzt über so viel Mittelmäßigkeit. Ein Haufen banaler Möchtegerns, die nur von vergangenem Ruhm einer anderen Person leben.

Ab und an scheint etwas Menschlichkeit durch und lässt erahnen, dass die handelnden Personen nicht nur im eigenen Saft brutschelnde Kleingeister sind.

Da hätte ich mir eigentlich vom Autor mehr Einblicke gewünscht, denn offensichtlich hat er diese anderen Seiten der Medaille durchaus auch gesehen, nur den Faden nicht weiterverfolgt.

Hier liegt meines Erachtens nach die größte Schwachstelle des flüssig zu lesenden Buches, denn ich finde immer, dass eine Sache dort wirklich spannend wird, wo der Weg steinig wird, sprich: wo plötzlich Dinge scheinbar nicht mehr zusammenpassen und wo ich dabei bin, etwas Neues zu entdecken.

Dass der Autor diese möglichen Schätze ungehoben lässt, enttäuscht mich.

Von daher werde ich mich weiter mit dieser schrecklich netten Familie befassen und schauen, was sich sonst noch so herausfinden lässt. Vielleicht gehen ja andere Autoren die Wege, die Hilmes unbeschritten gelassen hat …

Bücherwürmer- WERTUNG:

Sex, Skandal und ein ungelöster Mordfall im viktorianischen England …

Sex, Skandal und ein ungelöster Mordfall im viktorianischen England, die perfekten Zutaten für eine Story, die noch heute die Hobby- Detektive in Atem hält.

Aber wo beginnen?
Vielleicht in Buscot House … Und bei mir selbst …


Bei meinem ersten Besuch im Jahre 2019

Buscot House, respektive seine wundervollen Gärten, kannte ich eigentlich nur von namenlosen Fotos auf Pinterest.
Sie hatten mich immer fasziniert und ich wollte zu gerne wissen, wo ich sie finden konnte (wenn es sich überhaupt um reale Darstellungen handelte, wovon man ja bekanntlich nicht immer ausgehen kann …)
Schließlich fand ich heraus, dass es sich um Buscot House handelte.
Und im Jahr 2019 konnte ich sie bei einem Aufenthalt dort endlich persönlich in Augenschein nehmen.

Buscot Gardens 2019

Noch immer von der Familie Lord Faringdons bewohnt, ist das Schloss ein wahres Schatzkästlein, sowohl innen, wie auch die weltberühmten Gärten.

Der Familien- Pool

Beim Rundgang durch das Haus wurde ich dann auch auf jenen ungelösten Mordfall aufmerksam gemacht, der mich bis heute beschäftigt, und der mich zu meinem aktuellen Roman inspiriert hat.


MURDER AT THE PRIORY oder auch The Charles Bravo- Murder- Case

Nun ist Buscot House natürlich keine Priory … Diese – und damit das Mordhaus – befindet sich nämlich in Südlondon. Aber die Ehefrau des Mordopfers, Florence Bravo, geborene Campbell, ist hier in Buscot House aufgewachsen.

Florence Bravo, verwitwete Ricardo, geborene Campbell, kam am 5. September 1845 in Darlinghurst/ New South Wales/ Australien zur Welt.
Ihre durch Wolle und Goldhandel zu Vermögen gekommene Familie kaufte Buscot 1859 und ihr Vater Robert Tertius Campbell machte sich daran, ein modernes Mustergut aus dem Anwesen zu machen.
Florence selbst machte durch Intelligenz, Schönheit und einen starken Willen auf sich aufmerksam.
Zu den Besitztümern in England gehörten des weiteren Häuser im luxuriösen Belgravia (London) und Brighton.

Auf einer Reise durch Canada verliebte Florence sich in den schneidigen britischen Offizier Alexander Ricardo. Ricardo entstammte einer ebenso vermögenden wie illustren Familie: Sein Vater hatte ein Vermögen mit der International Telegraph Company gemacht; Sein Onkel war der 5. Earl of Fife.

Am 21. September 1864 heirateten die beiden jungen Leute in Buscot Park. Genauer – in der nahegelegenen Kirche St. Mary‘s, die wir am Ende ihres kurzen Lebens noch einmal treffen werden …

St. Mary’s Church, Buscot 2019
Foto von mir


Die Trauung wurde von Samuel Wilberforce, den Bischof von Oxford, vorgenommen.
Die Zeitungen priesen die Trauung als die „Verbindung zweier großer Familien Europas!“
Dem Familienvermögen entsprechend erhielt Florence eine Mitgift in Höhe von 1000 Pfund pro Jahr. Einer schwindelerregend hohen Summe.
Nach der Rückkehr von ihrer Hochzeitsreise an den Rhein (très chic!!!), lebten die beiden auf dem Gut Gatcombe Park (das heute übrigens von Princess Anne, der Princess Royal, Tochter der Königin von England bewohnt und bewirtschaftet wird).

Da Florence von einer großen Familie träumte, und die militärische Karriere ihres Mannes als lebensbedrohlich angesehen werden musste, tat sie alles, um ihn zum Rückzug ins Zivilleben zu bewegen.
Im Frühling 1868 bekam sie ihren Willen und ihr Mann verließ die Armee.
Es stellte sich bald als Pyrrhos- Sieg heraus, denn tatsächlich konnte ihr Mann weder im Unternehmen des eigenen Vaters, noch dem des Schwiegervaters Fuß fassen. Er versuchte es eine Weile, langweilte sich dann und hörte wieder auf.
Stattdessen lebten die beiden in permanenten Ferien und reisten zudem viel.
Wie sich schnell erwies, hatte Ricardo ein massives Alkoholproblem, das bislang durch die strikten Regeln der Armee im Zaum gehalten worden war.
Zu allem Überfluss ging der junge Ehemann bald notorisch fremd und es dauerte nicht lange, bis Florence dies herausfand.
Phasen der Nüchternheit und ehelichen Treue wechselten sich mit Saufeskapaden und Sex- Abenteuern ab. Wenn betrunken, wurde Ricardo unkontrollierbar. Verbale Beleidigungen seiner Frau wurden bald zu physischen Attacken.
Dazu kam ein massives finanzielles Problem der beiden, denn ihr Lebensstil wurde nicht von den Mitteln aufgefangen, die ihnen zur Verfügung standen.
Schlussendlich schrieb Florence im Spätjahr 1869 ihrer Mutter, dass sie eine Trennung von Ricardo anstrebe.

Florence suchte Schutz in Buscot und bekam ihn doch nicht. Der überzeugte Calvinist Robert Campbell empfand ein Scheitern der Ehe seiner Tochter als moralisch unerträglich, auch wenn er sich mit eigenen Augen davon überzeugen konnte, dass seine Tochter am Ende ihrer Kräfte war.

Wie in der viktorianischen Zeit üblich, suchte man also einen Kompromiss, mit dem alle Seiten leben konnten.
In Florence Fall sah der so aus, dass sie zur Kur nach Malvern fahren sollte. Während sie dort die Wasserkuren in Anspruch nahm, würde ihr Mann sicherlich zu Verstand kommen (geschockt von der Abreise seiner Frau), die Finger von Suff und Weibern lassen und alles käme wieder in Ordnung.

Wie sich zeigen sollte, was dies eine epochale Fehleinschätzung!

1870 wurde Florence also Patienten der sehr in Mode gekommenen Klinik „The Hydro“ in Malvern, wo der berühmte Dr. James Manby Gully seine Patienten mit diversen in Deutschland und Österreich entdeckten Wasseranwendungen kurierte.

Dr. Gully hatte so illustre Patienten wie Benjamin Disraeli, Charles Darwin, Alfred Lord Tennyson und Florence Nightingale. Die Klinik war hell und geräumig. Die Patienten wurden von aller äußerer Kommunikation abgeschlossen, trugen lose, bequeme Gewänder und durften keinen Besuch empfangen. Offensichtlich ein Paradies für die betuchte Klientel, wenn auch die Wasserkuren wohl weniger angenehm waren … (Fragen Sie Lord Tennyson …)
Gully selbst war ein Zweiundsechzigjähriger, der zwar nicht umwerfend aussah, aber eine besondere Aura besaß. Seine selbstsichere, ruhige und menschenfreundliche Art beeindruckte alle, die mit ihm zu tun hatten. Er galt als extrem klug, wissbegierig und großherzig.
Gully war in zweiter Ehe mit einer wesentlich älteren Frau verheiratet, die allerdings – knapp achtzigjährig – seit Jahren in einem Sanatorium für Geisteskranke lebte.
Gully seinerseits hatte bereits Enkel und sein Haushalt in Malvern wurde von seinen beiden unverheirateten Schwestern geführt.


In langen Gesprächen zwischen den beiden, entspann Florence ihren Wunsch, sich von ihrem gewalttätigen, trunksüchtigen Ehemann zu trennen, was – zu ihrer Überraschung – von Dr. Gully unterstützt wurde.
Alleine – Florence hatte die feste Zusage ihres Vaters, dass er sie im Falle einer offiziellen Trennung von ihrem Mann, ohne weitere Umstände enterben würde. Damit hätte sie keinerlei Einkünfte mehr gehabt. Die Tore von Buscot oder den Häusern in Brighton oder London wären ihr für immer verschlossen.

Doch Dr. Gully wusste Rat: er würde ihr helfen, ein Haus zu mieten und ihren künftigen Lebensweg zu entwickeln.
So kam es, dass die beiden sich immer enger einander anschlossen. Florence saß bald die meiste Zeit bei Dr. Gully in dessen Arbeitszimmer, oder die beiden gingen gemeinsam in den Malvern Hills spazieren.
Es kam wie es kommen musste: die beiden verliebten sich und begannen eine heiße Affäre.

Ricardo gab noch nicht auf – er zog mit einem Diener zu Florence nach Malvern in eine Mietwohnung, in der Hoffnung, sich mit ihr auszusöhnen.
Florence schien nicht abgeneigt, doch als sich sein Zustand so verschlimmerte, dass sein Diener ihn mit Gewalt davon abhalten musste, Florence Leid zuzufügen, war für sie Schluss.
Im März 1871 wurden die Trennungsmodalitäten zu Ende ausgehandelt und es fehlte nur noch die Unterschrift der Parteien.
Tatsächlich aber reiste Ricardo, ohne unterschrieben zu haben, nach Köln, wo er im April 1871 an den Folgen seiner Trunksucht starb.

Hatte sie eben noch keine Ahnung gehabt, von was sie überhaupt leben sollte, so erfuhr sie nun, dass sie Alexander Ricardos Alleinerbin war und die fabelhafte Summe von 40.000 Pfund erben würde. Sie war damit im Prinzip sogar reicher als ihr Vater. Warum das? Nun – die Trennungsvereinbarung war nie von Ricardo unterzeichnet worden, also war sie automatisch Alleinerbin.

Von nun an war Florence eine junge, schöne und sagenhaft reiche Frau.
Ihr Schicksal schien sich endgültig gewendet zu haben.
Sie liebte Dr. Gully in aller Heimlichkeit, und gemeinsam planten sie ihre Zukunft, sobald seine Frau gestorben sein würde. (Was nach ihrer beider Ansicht nicht lange dauern konnte). Gully wollte aus der Leitung der Klinik Ende 1872 ausscheiden, um dann mit Florence als Privatmann zu leben.
Ihre Eltern waren von dieser Beziehung zwar nicht begeistert, doch solange sie diskret gehandhabt wurde, sollten die Dinge eben ihren Lauf nehmen.
Und das taten sie.

Allerdings bei Weitem nicht so, wie die Beteiligten sich das gedacht hatten.

Ihrem plötzlichen Reichtum entsprechend, mietete Florence ein auffallend schönes Haus im Süden Londons.

THE PRIORY!

The Priory heute – unterteilt in mehrere Mietwohnungen
spareroom

Nur wenige Gehminuten entfernt mietete Dr. Gully seinerseits ein Haus, das er in Erinnerung an Florence Haus in Malvern „Orwell Lodge“ nannte.
Sie trafen sich regelmäßig, wenn sie auch entschlossen ihr Geheimnis wahrten und Dr. Gully stets kurz nach neun Uhr abends das Haus verließ, doch nur, um kurz darauf durch die Hintertür zurückzukehren.

Dass alles nicht ganz so einfach weitergehen würde, wurde im Jahr 1872 klar.

Florence hatte sich bei ihrem Anwalt, Henry Brookes, als zahlender Hausgast für einen Urlaubsaufenthalt eingemietet. Dr. Gully – der gute Freund – kam sie dort öfters besuchen.
Als nun die Eheleute Brookes überraschend zu früh von einem Spaziergang zurückkehrten, fanden sie Florence und Dr. Gully in eindeutig zweideutiger Situation auf der Wohnzimmercouch.
Schockiert und empört warfen die Brookes Florence nach lautstarkem Streit aus dem Haus.
Dumm nur, dass die Dienstboten alles mit angehört hatten, und sich die Affäre nunmehr wie ein Lauffeuer in London verbreitete.

Damit waren Florence Ricardo und Dr. Gully sozial erledigt.
Man kann sich heutzutage wohl nur schwer vorstellen, was eine solche Ausgrenzung für die Betroffenen bedeutete. Heutzutage sucht man sich sein persönliches Umfeld mehr oder minder selbst aus. Man entscheidet, mit wem man zu tun haben will und mit wem nicht. Das gilt sogar für die eigene Familie.
Damals aber war man auf das vorgegebene soziale Netz angewiesen.
Florence‘ Einladungen in der Nachbarschaft blieben von nun an unerwidert. Wollte sie einkaufen, weigerten die Kaufleute sich, sie zu bedienen. Selbst ihre Familie brach mit ihr. Sie wurde nicht mehr in Buscot empfangen und ihre Telegramme bleiben unbeantwortet.
Alleine ihr Bruder William hielt zu ihr und bot so einen gewissen sozialen Rückhalt.
Um dieser Isolation zu entkommen, engagierte Florence Mrs. Jane Cox als Begleiterin. Eine verwitwete Gouvernante mit drei Söhnen, mit Verbindungen nach Jamaika, die in unserer Geschichte bald eine bemerkenswerte Rolle spielen sollte.

Als hätte es nicht schlimmer kommen können, reisten Florence und Gully 1873 nach Bad Kissingen, zum einen, um dem Skandal zu entkommen, und zum anderen, damit er die dortigen neuen Wasseranwendungen studieren konnte.
Nach ihrer Rückkehr musste Florence feststellen, dass sie schwanger war.
Schockiert und entsetzt sah sie nur eine Lösung: Abtreibung!

Und der Einzige, der diese durchführen konnte (und würde), war der Vater des von ihr erwarteten Kindes: Dr. James Gully!

Die Abtreibung verlief derart fatal, dass die nachfolgende Entzündung Florence beinahe tötete. Es war das faktische Ende ihrer (körperlichen) Beziehung. Florence weigerte sich von nun an, Dr. Gully zu sehen. Sie hielt sich ihn vom Hals, indem sie behauptete, sich mit ihren Eltern aussöhnen zu wollen und, dass dies nur ginge, wenn sie sich trennten.

Der am Boden zerstörte Gully willigte ein.

Was er nicht wusste: Florence hatte inzwischen Charles Bravo kennengelernt. Einen aufstrebenden Anwalt, der bei seinen Eltern lebte und beste Zukunftsaussichten hatte.


Sie hatten sich – eingefädelt durch Mrs. Cox, deren verstorbener Mann ein Geschäftspartner von Bravos Stiefvater gewesen war – ein paar Mal in London und Brighton getroffen und angefreundet.
Bald hatte sich die Beziehung so weit intensiviert, dass Florence mit einem Heiratsantrag rechnete.
Dies vor Augen, plante sie, endgültig mit Gully zu brechen und traf ihn zu diesem Zweck ein letztes Mal. (Vorläufig letztes Mal, wie wir noch sehen werden)
Wollte Florence eigentlich wieder ihre familiäre Aussöhnung vorschützen, so verplapperte sie sich doch bald und gestand ihre Beziehung zu Charles Bravo. Der zutiefst verletzte Doktor tat aber, was man von einem Ehrenmann erwartete: er zog sich zurück und wünschte dem Paar viel Glück.

Was sie auch brauchen konnten. Was wir ebenfalls noch sehen werden …

Im Oktober 1875 nun war es endlich so weit: Charles Bravo bat Florence Ricardo, geborene Campbell, um ihre Hand. Es war das Beste, was ihr hatte passieren können. Mit dieser zweiten Ehe konnte sie – um Thomas Mann zu zitieren – die Flecken der Vergangenheit tilgen.
So zumindest der Plan.
Doch Florence hatte Zweifel. Berechtigte noch dazu, wie sich herausstellen sollte.
Und so bat sie Dr. Gully um ein weiteres Treffen, wo er ihr den gleichen Rat gab, den ihr auch schon andere gegeben hatten: Sie solle es langsam angehen lassen und den anderen erst besser kennenlernen.
Ein sehr kluger Rat, der dennoch nicht befolgt wurde.

Vor allem brauchte es Ehrlichkeit, wenn die Ehe gelingen sollte, so die Erkenntnis. Florence bat Charles Bravo also um ein Treffen, bei dem sie ihm nicht nur die Affäre mit Dr. Gully gestand, sondern auch die Abtreibung.
Was nun geschah, irritiert noch heute – und dies nicht nur nach viktorianischen Maßstäben …

Charles Bravo – weit entfernt davon, die Verlobung platzen zu lassen – gestand seinerseits, seit mehreren Jahren eine Geliebte in Maidenhead zu haben, die auch ein Kind von ihm habe. Insofern hätten sie ja beide Flecken in ihrer Vergangenheit.

Mooooooment! – sagt da nun der moderne Leser und hat Recht. Eine Geliebte zu haben, die von einem ausgehalten wurde, galt für einen Mann des 19. Jahrhunderts keineswegs als Problem. Au contraire!
Eine Affäre mit einem Mann, der der eigene Großvater hätte sein können und von diesem sogar eine Abtreibung vornehmen zu lassen, war absolut und vollkommen inakzeptabel.
Dass der künftige Gemahl darauf mit einem lapidaren Schwamm drüber reagiert, verwundert nicht nur moderne Leser, sondern auch Florence.

Wieso nun hat Bravo derart nonchalant reagiert? Folge dem Geld! – lautet die Antwort.
Wir haben bereits gehört, dass dank ihres ersten Mannes Florence eine mehr denn vermögende Frau war. Sie besaß ein um ein Vielfaches größeres Vermögen als ihr eher bescheiden lebender Freund. Er erhielt aus seiner Arbeit als Anwalt gerade mal 200 Pfund. Pro Jahr!
Bravo wiederum hatte wohl weniger ihre Vergangenheit, als seine Zukunft im Blick. (Wir erinnern uns in diesem Zusammenhang gerne an Bendix Grünlich – bitte googeln…)

Der Hintergrund: Der Married Women’s Property Act von 1870.

Seit dem Jahre 1870 durfte jede Frau das Vermögen, das sie in die Ehe mit eingebracht hatte, zur eigenen Verfügung behalten. Ein gewaltiger Schritt, in einem Land, in dem Frauen weder wählen, noch einen Beruf ausüben durften, ohne die Zustimmung des Mannes.
Was in der Ehe erworben wurde, gehört allerdings weiterhin bedingungslos dem Ehemann.

Für Bravo irritierenderweise war Florence nicht kopflos begeistert von seiner vergebenden Haltung. Sie erklärte ihm nämlich, dass sie nicht vorhatte, ihr Vermögen bei der Eheschließung auf ihn zu übertragen.
Woraufhin der nächste Weg des empörten Bravo zu ihrem Anwalt führte. Als dieser ihm den Glückwunsch zur bevorstehenden Eheschließung ausbrachte, herrschte Bravo ihn an: „Damn your congratulations! I‘ ve come about the money!“
Ja, er brachte sogar seinen künftigen Schwiegervater dazu, an die Tochter in seinem Sinne zu schreiben. Alleine, um zu verhindern, dass diese Ruf- Wiederherstellung durch die finanziellen Fragen zunichte gemacht würde.
Florence hingegen ließ sich auch durch den Brief des Vaters nicht beeindrucken.
Im Folgenden blieb das Geld ein immerwährende Streitpunkt.
Florence – abermals in der Zwickmühle – befragte abermals Dr. Gully. Dieser hatte wieder einen recht guten Rat: sie solle nicht über ein paar Möbelstücke mit ihrem Künftigen streiten. Sie solle ihm das Mobiliar der Priory, sowie den Pachtvertrag überschreiben, das eigentliche Vermögen aber für sich behalten. In ihrem Testament würde sie ihn als Alleinerben bedenken.
Charles Bravo war zufrieden.
Dies war ein gangbarer Weg, der am 7. Dezember 1875 direkt in die All Saints Church nach Kensington führte, wo Florence und Bravo heirateten.

Diesmal ging alles eine Nummer kleiner als bei der ersten Hochzeit, mag es scheinen. Und so ging die Hochzeitsreise nicht ins Rheinland, sondern nach Brighton.

Die Dinge schienen sich gut zu entwickeln. Das Paar schien in den ersten Monaten ausgesprochen glücklich. Man spielte zusammen Tennis, unternahm Ausritte und Florence plante eine große Weihnachtsfeier mit dreissig Gästen.
Der gesellschaftliche Bann war offensichtlich gebrochen. Sie war wieder eine respektable Frau.

Mission completed.

Oder doch nicht?

Am 9. Januar informierte Florence ihre Eltern in Buscot, dass sie schwanger sei. Charles hatte bereits einen Spitznamen „Charles the Second“.

Im Februar 1876 allerdings wurde deutlich, dass ein Machtkampf zwischen den Ehepartnern ausgebrochen war:
Es ging um Geldfragen. Immer wieder kritisierte Bravo den extravaganten Lebensstil seiner Frau, die wiederum ihn darauf hinwies, dass immerhin sie dies alles finanzierte und sie gut zurecht kämen.
Die beiden Bravos wurden zu diesem Zeitpunkt von einem Butler, einem Diener, einer Zofe, zwei Hausmädchen, einer Köchin, einem Küchenmädchen, drei Gärtnern, einem Kutscher, einem Pferdeknecht und einem Stallburschen umsorgt. On top kam Mrs. Cox als persönliche Begleiterin der Dame des Hauses.
Was sich nun für heutige Ohren viel anhört, war für die damalige Zeit und den gesellschaftlichen Hintergrund eigentlich normal. Man führte ein großes Haus, hatte einen weitläufigen Garten und eigene Pferde. All dies erforderte einen wesentlich größeren Aufwand als heutzutage, wo so viel automatisiert ist.

Man wird den Gedanken nicht los, dass es bei all diesem Gemecker über Ausgaben gar nicht um einen drohenden Ruin ging, sondern vielmehr um Bravos verzweifelten Kampf um die Vorherrschaft im Leben in der Priory. Er hatte einen Teufelspakt geschlossen: er brauchte Florence‘ Geld, um seine eigene Karriere voranzutreiben (er plante einen Sitz im Unterhaus). Dieses Geld aber sorgte bei seiner Frau für jene Unabhängigkeit, die seine Vormachtstellung in Frage stellte. Eine Vormachtstellung, die als unabdingbar angesehen wurde, wenn man in der Öffentlichkeit als Mann Stärke demonstrieren wollte.

Dazu kommt das Problem, dass Charles Bravo eine dominante Mutter sein Eigen nannte. Wieder und wieder mischte sie sich in die Belange des jungen Paares ein. Ja, sie ging sogar so weit, der Schwiegertochter ins Gesicht zu sagen, dass sie von Anfang an gegen die Ehe gewesen sei und sie nicht ausstehen könne.
Dazu kam, dass er offensichtlich zur Entscheidung anstehende Themen zunächst mit seinen Eltern besprach und dann erst mit seiner Frau.

Und nunmehr gedachte Charles Bravo, Nägel mit Köpfen zu machen und erklärte seiner Frau, er werde die Zofe hinauswerfen, deren Aufgaben vom Dienstmädchen mit übernommen werden könnten. Außerdem müsste einer der Gärtner gehen.
Seine Pläne gingen sogar noch weiter: Die von ihre geliebten Blumenbeete sollten eingeebnet werden, wodurch noch ein weiterer Gärtner eingespart werden könne. Zudem plane er, die Ponys zu verkaufen, was dazu führen würde, dass keine Stallburschen etc. mehr gebraucht würden.
Ah – und da man schon mal beim Entlassen sei, so könne man ja auch auf Mrs. Cox verzichten, denn die habe ja eh praktisch nichts zu tun.
Damit hatte er eindeutig eine Grenze überschritten, denn die beiden Frauen waren sich gute und verlässliche Freundinnen geworden. Sie teilten ein Schlafzimmer, fuhren gemeinsam in der Kutsche aus und nannten sich „Janie“ und „Florrie“. Florence sah nach Mrs. Cox Kindern, wenn die in den Ferien in der Priory waren und Mrs. Cox war mütterliche Vertraute und Stütze ihrer Herrin. Auch Krankenschwester und nimmermüde Pflegerin, wie sich noch zeigen sollte.

Es kam zu einer heftigen Auseinandersetzung.
Einer von vielen. Von SEHR vielen. Auseinandersetzungen, die bald auch handgreiflich wurden …

Heutzutage würde man Bravo sicherlich als krankhaften Kontrollfreak bezeichnen, der seiner Frau das Leben nach allen Regeln der Kunst zu Hölle machte.
Und an dieser Stelle erinnern wir uns daran, dass der abgelegte Dr. Gully ja noch in Steinwurfweite von seiner ehemaligen Geliebte wohnte…
Bravo drangsalierte seine schwangere Ehefrau unablässig wegen dieser alten Flamme, was soweit ging, dass Florence Dr. Gully kontaktierte und ihm anbot, seinen Pachtvertrag der Lodge zu übernehmen, wenn er sich bereiterklären würde, wegzuziehen.
Dr. Gully tat einen Teufel.

Im Dezember und Januar nun erreichten Charles Bravo drei mysteriöse Briefe, die ihn anklagten, Florence nur wegen ihres Geldes geheiratet zu haben und die Florence als Gullys Geliebte bezeichneten. Alle in der gleichen Handschrift.
Bravo beschloss, dass nur einer dieser Briefe geschrieben haben könne: Dr. Gully!
Die von ihm befragte Mrs. Cox allerdings gab zu bedenken, dass es sich nicht um die Handschrift des Doktors handele.
Kein Grund für Bravo, seine Frau von nun an nicht unablässig wegen der Briefe zu traktieren. Er bezichtigte sie, Gully auch weiterhin zu sehen und ihn zu hintergehen.
Ja, er drohte sogar, Gully „auszuradieren“ …
Schlussendlich brach Florence unter den Attacken zusammen und floh einmal mehr zu ihren Eltern nach Buscot Park.

Bravo reagierte mit einer Reihe umschmeichelnder Briefe, die seine Frau zur Rückkehr bewegen sollten.

Ein Satz stach mir nun beim Lesen der Briefe besonders ins Auge … Bravo schreibt darin:

„If you come back, I will so take care of you that you will never leave me again.“ („Wenn du zurückkommst, werde ich mich so um dich kümmern, dass du mich nie wieder verlassen wirst.“)

Klingt dieser Satz nur in meinen Ohren wie eine Drohung?

Im Beisein des Personals in der Priory äußerte er sich allerdings vollkommen anders. Da nannte er seine geflüchtete Ehefrau „ein egoistisches Schwein“, das ihrer Lebtag lang nur verwöhnt worden sei und, dass er als Ehemann ein Recht haben, sich gegen sie zu stellen.

Seine Eifersucht und seinen Hass ließ er auch an Mrs. Cox aus. Wenn er ihr auch in gewisser Weise dankbar war, dass sie ihn und Florence seinerzeit zusammengebracht hatte, so teilte er ihr doch jetzt unmissverständlich mit, dass er sie hinauswerfen werde.

Aller Vernunft zum Trotz kehrte Florence zu ihrem Mann zurück.

Kurz darauf verlor sie das Kind durch eine Fehlgeburt.

Gesundheitlich bereits durch die Abtreibung angeschlagen, versetzte ihr die Fehlgeburt einen schweren Schlag. Florence verfiel in tiefe Depression und konnte wochenlang ihr Bett nicht verlassen.
Ihr Arzt wiederum riet, sie solle an die See reisen und sich dort erholen. Worthing wurde vorgeschlagen.
Der Plan wurde fallengelassen, da sowohl Bravo als auch seine Mutter wegen der Kosten Einspruch einlegten. Es folgten abermals heftige Auseinandersetzungen.

Als nun Florence ankündigte, seine Mutter aufzusuchen und ein für alle Mal Klarheit zu schaffen, stürmte Bravo aus dem Haus und schrie dabei, er werde sich die Kehle durchschneiden. Zuvor schlug er seine Frau so heftig, dass sie zu Boden ging.

Es war Mrs. Cox, die ihm folgte, und ihn soweit beruhigen konnte, dass er in die Priory zurückkehrte.

Im März nun teilte der in einem freien Zimmer schlafende Bravo seiner Frau mit, es sei an der Zeit, die ehelichen Pflichten wieder aufzunehmen. Woraufhin er wieder in das eheliche Schlafzimmer einzog. Mrs. Cox, die bei ihrer Herrin geschlafen hatte, um diese zu pflegen, musste in ihre alte Kammer zurückziehen.

Florence, die inzwischen große Zweifel hatte, ob sie aufgrund ihrer gynäkologischen Vorgeschichte überhaupt ein Kind würde austragen können, musste wenige Wochen später nach Buscot telegrafieren, dass sie wieder schwanger war. Diese Nachricht sandte Schauer des Schreckens durch ihre Familie.

Wie Florence gefürchtet hatte, verlor sie auch dieses Kind am 6. April 1876. Mehr denn je empfand sie nun die Notwendigkeit, nach Worthing zu reisen und sich zu erholen. Körperlich und psychisch am Ende, erholte Florence sich nur schleppend.
Einzig Mrs. Cox und ihr Bruder waren ihr noch als Stützen geblieben.

Der 18. April 1876 markierte nun den ersten Schritt zurück in die Normalität für Florence. Zum ersten Mal verließ sie ihr Krankenzimmer. Sie hatte Charles die Zustimmung abgerungen, ihn nach London zu begleiten, wo sie ein paar Einkäufe machen wollte. Er hatte auch zugestimmt, dass sie das Abendessen gemeinsam im Speisezimmer einnehmen würden. Dies unter der Voraussetzung, dass sie sich danach umgehend zurückziehen würde, um sich wieder auszuruhen.

In dieser Situation ist man als Außenstehende irritiert, denn Bravo scheint in dieser Situation wirklich um seine Frau besorgt.
Sie fuhren bei wechselhaftem Wetter in Richtung London, überlegen dann, wegen des einsetzenden Regens umzukehren, und fuhren dann doch weiter, da es wieder aufklarte.
Vor Bravo liegt ein angenehmer Tag: er will das Türkische Bad aufsuchen und hat eine Mittagessensverabredung mit James Orr, dem Onkel seiner Frau aus Schottland.
Als die Kutsche allerdings an der Orwell Lodge vorbeikommt, ist dies wieder Anlass für Bravo, einen Streit vom Zaun zu brechen.
Es scheint offensichtlich, dass die beiden stets nur für kurze Zeit miteinander klarkommen, bis Bravos Wahn abermals die Zügel in die Hand nimmt.

Die beiden gehen nun gemeinsam zur Bank und danach zu einem Juwelier. Dann trennen sich ihre Wege.
Florence kauft Tabak und Haarlotion für ihren Mann und kehrt dann nach Hause zurück, wo sie sich im Morgenzimmer ausruht.
Bravo hingegen geht ins Türkische Bad und nimmt danach ein kräftiges Mittagessen mit Orr in der St. James‘ Hall ein.

Unterwegs trifft er noch einen Freund, den er zum Abendessen in die Priory einlädt, was dieser aber abschlägt. Stattdessen werde er der Tage vorbeischauen.
In bester Stimmung kehrt Bravo heim.
Er erklärt, dass er noch einmal ausreiten werde, was sich als fatale Entscheidung entpuppt, denn wenn der Pferdeknecht auch strikt abrät, da die Pferde in schwieriger Verfassung seien, setzt Bravo sich durch.
Über mehrere Meilen bockt das Pferd und als Bravo nach Hause zurückkehrt, ist er offensichtlich mehr als mitgenommen. Er ist bleich und so schwach, dazu von Schmerzen geplagt, dass er sich kaum auf den Beinen halten kann.
Der Butler muss ihm in den oberen Stock helfen, wo er ein Bad nimmt und sich mit Brandy stärkt.
Aber – er hat sich durchgesetzt!

Als er zum Abendessen mit seiner Frau und Mrs. Cox erscheint, ist er übellaunig. Nicht nur, dass ihm der Ritt in den Knochen steckt – er hat auch heftige Zahnschmerzen. Er lehnt den Fischgang ab und nimmt nur vom Lamm.
Seine Laune wird weiterhin durch einen Brief seines Stiefvaters, Joseph Bravo, getrübt, der versehentlich einen Brief von Charles‘ Broker erhalten hat, in dem dieser den Verlust von 20 Pfund bei einer Spekulation mitteilt. Bravo Senior ist nicht erbaut, dass sein Sohn an der Börse zockt.
Also wieder jemand, der seine Autorität in Frage stellt und seine Handlungen tadelt!

Die beiden Frauen versuchen, ihn abzulenken. Mrs. Cox war am frühen Morgen nach Worthing aufgebrochen, um dort nach einem kleinen Haus für Florence zu suchen, wo diese sich erholen könnte. Sie zeigen ihm ein Bilder des gefundenen Häuschens. Bravo aber wirft das Bild zu Boden und will nichts davon wissen.
Florence zieht sich nach diesem verkorksten Abendessen zurück. Ihr Mann verfolgt sie mit seinen Vorwürfen bis in ihr Schlafzimmer. Dort massregelt er sie auf Französisch, weil sie so viel getrunken habe und das wohl ihren Kindern das Leben gekostet habe.
(Der Butler wird bei der Anhörung berichten, dass die beiden Frauen zwei Flaschen Sherry zum Abendessen getrunken hätten, was eine normale Menge sei. Mr. Bravo wiederum habe ein paar Gläser Burgunder getrunken. ebenfalls wie immer.)
Florence hatte zum Mittagessen Champagner getrunken, die Flasche Sherry zum Abendessen und hatte sich dann noch Wasser und Marsala- Wein ins Schlafzimmer bringen lassen.

Als ihr Dienstmädchen mit der zweiten Wein- Lieferung nach oben ging, traf sie auf Bravo, der vor ihr die Treppe nach oben ging und sich zwei Mal nach ihr umdrehte und sie böse ansah. Wohl wegen des Weines, den sie seiner Frau brachte. (Florence übermäßiger Alkoholkonsum war tatsächlich ein Grund der Besorgnis für ihre Ärzte und Familie … Nicht zu Unrecht, wie sich zeigen sollte …)

Kurze Zeit später – das Dienstmädchen suchte nach einem der Hunde ihrer Herrin, um sie für die Nacht nach unten zu bringen – kam Bravo aus seinem Behelfsschlafzimmer gestürmt und schrie: „Florence! Florence! Heißes Wasser!“
Danach taumelte er zurück in sein Zimmer und erbrach sich aus dem Fenster neben seinem Bett.

Das Mädchen alarmierte Mrs. Cox, die sofort zum Hausherren eilte, der mittlerweile bewusstlos zusammengebrochen war.
Dass man heißes Wasser benutzte, um Erbrechen auszulösen, z.B. nach einer Vergiftung, wird uns später noch weitergehender beschäftigen…

Mrs. Cox versuchte augenblicklich, Mr. Bravo aus seiner Ohnmacht zu wecken. Zu diesem Zweck schickte sie das Dienstmädchen Mary Ann in die Küche, um Senfsamen und heißes Wasser zu holen. Dieses Brechmittel sollte Bravo eingeflößt werden. Allerdings waren Vergiftungsbedingt seine Zähne so fest zusammengepresst, dass er nichts schlucken konnte.

Man weckte Florence, die verzweifelt nach einem Arzt schicken ließ.
Schlussendlich schafften die Frauen es, ihn zum Erbrechen zu bringen und dann ins Bett zu schaffen. Er blieb bewusstlos.

In den folgenden Stunden tauchten diverse Ärzte an Bravos Krankenbett auf. Allen wurde schnell klar, dass es sich um eine Vergiftung handelte. Bravo kam wieder zu sich, litt aber unter unvorstellbaren Schmerzen. Dennoch schaffte er es ab und an, sich mit seinen Besuchern zu unterhalten.
Man fragte ihn immer wieder, was er zu sich genommen habe, um ein Gegenmittel suchen zu können, doch er beharrte darauf, das einzige Gift, das er genommen habe, sei Laudanum gegen seine Zahnschmerzen gewesen.

Die versammelten Ärzte erklärten ihm nun – ohne jede falsche Ziererei – dass er nur noch wenige Stunden zu leben habe. Wenn überhaupt…
Man schrieb Telegramme an seine und Florence‘ Familie. Die Bravos kamen sofort, auch seine Geschwister. Von der Familie Campbell stellte sich Mrs. Campbell ein, da Mr. Campbell selbst erkrankt war.

Schlussendlich griff Florence, deren Schmerz und Sorge ohne Ausnahme als authentisch und glaubwürdig beschrieben wird, nach einem letzten Strohhalm:
Sie schrieb einen Brief an einen Bekannten ihres Vaters: Sir William Gull, den Leibarzt von Königin Victoria (und in späteren Jahren notorisch als Ripper- Verdächtiger…)

Dieser Brief wurde unverzüglich zu seinem Haus in der Brooke Street gebracht. Als er las, dass die Tochter von Robert Tertius Campbell nach ihm rief, machte er sich umgehend auf den Weg zur Priory.
Aus irgendeinem Grund, untersuchte Gully den Patienten und kam zu dem unumstößlich Schluss, man habe es mit einem Selbstmordversuch zu tun. (Das wird noch ein echtes Problem, wie wir sehen werden…)

Diese Selbstmordtheorie war für alle Beteiligten ebenso praktisch wie unglaubwürdig.

Zwischenzeitlich kam Bravo für längere Phasen zu Bewusstsein und nach ersten Irritationen, erkannte er bald alle Anwesenden und unterhielt sich mit ihnen. Nachdem er das Urteil seines nahe bevorstehenden Todes akzeptiert hatte, bat er alle, mit ihm gemeinsam zu beten. Es war eine ungemein friedliche Situation.
Bravo bat seine Mutter, offensichtlich mit Blick auf deren Vorbehalte Florence gegenüber, seiner Frau gegenüber stets wohlgesonnen zu sein, denn sie sei ihm die beste nur denkbare Ehefrau gewesen. Seine Mutter verspricht dies, indem sie betont, dass sie zu allen nett sei. (…)

Immer wieder von heftigem Erbrechen, unvorstellbaren Krämpfen und Ohnmachten heimgesucht, quält sich Bravo nicht nur wenige Stunden, wie man vorhergesagt hatte, sondern drei Tage.

Währenddessen wechseln sich Ärzte und Familie in der Wache ab. Man durchsucht das Haus nach Hinweisen auf ein Gift, findet aber nur Laudanum, Chloroform und harmlose homöopathische Tinkturen. Proben von Erbrochenem werden analysiert und Prof. Redwood kommt zu dem Schluss, dass der Sterbende das zehnfache einer für Menschen tödlichen Dosis von Antimon (in einer Zubereitung als Brechweinstein) verabreicht bekommen hat. Es ist wohl seiner guten Konstitution geschuldet, dass er sich derart lange quälen muss.
Endlich gleitet er in eine letzte Bewusstlosigkeit. Um 05:20 Uhr, 55 Stunden nach seinem Zusammenbruch wird er für tot erklärt.

Ich will nun abkürzen…

Wie in solchen Fallen damals üblich, wurde im Speisezimmer, dem größten Zimmer der Priory, eine Anhörung zur Todesursache abgehalten.
Nachdem die Jury im ersten Stock die aufgebahrte Leiche Bravos begutachtet hatte, begab man sich wieder nach unten, um mit dem Verfahren zu beginnen.
Der Coroner, der diese Anhörung leitete, wurde sehr bald deutlich, was die Umstände des Todes anging: Charles Delauney Turner Bravo war an einer tödlichen Menge Antimon verstorben. Und er hatte es in selbstmörderischer Absicht genommen.
Als einer der behandelnden Ärzte sich gegen Ende erhob und seinerseits eine Aussage machen wollte, wurde er schlicht und ergreifend abgewürgt. Offensichtlich wollte man aus falsch verstandener Rücksichtnahme die Familie vor dem Mordverdacht schützen. Denn es war klar, dass Bravo das Gift maximal eine halbe Stunde vor seinem ersten Zusammenbruch zu sich genommen haben musste, und da kamen eben als mögliche Täter nur noch Personen aus dem Haushalt in Frage.
Man fragt sich da natürlich unwillkürlich, wieso ein angesehener Coroner eine solche Vorgehensweise an den Tag legt …

Das Ergebnis, zu dem die Jury kam, lautete im Folgenden, dass Bravo vergiftet worden war, dass man aber nicht sagen könne, wie das Gift in seinen Körper gelangt sei. Kurz – ob er Selbstmord begangen hatte, oder nicht.

Am 29. April 1876 wurde Bravo auf dem West Nordwood Cemetery London beigesetzt. Nach der damals üblichen Praxis blieb Florence der Beisetzung fern. Beim anschließenden Empfang in der Priory weigerten sich einige von Bravos Freunden, das Haus zu betreten.

Hinter den Kulissen war – wie man sich unschwer denken kann – ein Kampf ausgebrochen. Team Campbell gegen Team Bravo.

Bereits kurz nach dem Tod Bravos hatten sich die beiden Väter bei einem Treffen in die Haare bekommen. Campbell beharrte auf einem Selbstmord des psychisch labilen Charles Bravo, während Joseph Bravo einen Selbstmord seines immer fröhlichen, optimistischen Sohnes für absoluten Blödsinn hielt. Und natürlich – für eine Schutzbehauptung.

Dies war auch die Haltung, die Bravos Freunde und Kollegen einnahmen. Bald häuften sich die Briefe bei den verschiedenen Behörden, inklusive Scotland Yard, in denen die Selbstmordthese rundweg verworfen wurde.
Man betonte Charles‘ aufgeräumte Stimmung, seine glückliche Ehe, seine Zukunftspläne. Kein Wölkchen am strahlenblauen Lebenshimmel des Charles Delauney Bravo.

Schlussendlich ist es ein Verfahrensfehler, der dazu führt, dass man den Coroner anweist, eine zweite Anhörung anzusetzen. Er hätte bei der ersten Anhörung des Arzt unbedingt zu Wort kommen lassen müssen. Dr. Johnson war von Anfang an beim Sterbenden gewesen und seine Aussage wäre unabdingbar gewesen.

Inzwischen hatte es der Fall in die englischen Zeitungen geschafft. Hatte der erste Bericht nur frugal das Ableben des aufstrebenden Rechtsanwalts mitgeteilt, so wurde bald ein Massenevent aus dem Todesfall.
Der Ansturm auf die zweite Anhörung war so massiv, dass man sich dazu entschloss, in das Bedford Hotel zu gehen.

Wenn wir nun die Liste der Anwälte betrachten die sich bei dieser zweiten Anhörung einfanden, und die von den beiden Teams, sowie von der Krone berufen worden waren, müssen wir uns wieder ins Gedächtnis rufen, dass wir es hier noch immer lediglich mit der Anhörung zur Todesursache zu tun haben! Es war noch NICHT der eigentliche Prozess.

Dennoch hatten die beiden Oberhäupter der Familien Bravo und Campbell ihr nicht unerhebliches Vermögen aufgewendet, um die Creme de la Creme der englischen Anwaltschaft für ihre Belange einzusetzen.
Alleine der ehemalige Generalstaatsanwalt Sir Henry James berechnete ein Tagesgehalt von 100 Guineen. Das wären im Jahr 2017 knapp 6600 Pfund gewesen.
Zum Vergleich Bravo selbst verdiente PRO JAHR (!) 200 Guineen

Wie auch bei der ersten Anhörung, so machten sich auch diesmal alle Beteiligten auf den Weg zur Leiche. Zu diesem Zweck hatte man Bravo exhumiert und seinen geöffneten Sarg mit einer Glasplatte verschlossen, sodass die Jury einen möglichst unkomplizierten Blick auf den Verstorbenen werfen konnte. (Mir ist da jetzt kein besserer Begriff eingefallen …)
Wenn Yseult Bridges in ihrem Buch „How Charles Bravo died“ von einer wunderbar erhaltenen Leiche schreibt, so stimmt dies nicht mehr der Wahrheit überein.

Der Besuch auf dem Friedhof fand im Juli und damit nur wenige Wochen nach der Beisetzung statt. Dennoch war die Leiche in einem Zustand weitgehenden Zerfalls. Im Gegensatz zu dem praktisch neu aussehenden Sarg, war die Leiche Bravos selbst schwarz verfärbt und selbst die Zähne waren schwarz geworden. Dies rührte von der großen Menge Antimon her, die er eingenommen hatte. Bei geringeren Dosen wiesen Leichen eher eine längere „Haltbarkeit“ auf.

Nach dem Friedhofsbesuch kehrten alle Beteiligten ins Bedford Hotel zurück und die Anhörung konnte beginnen.

Um das Hotel herum hatte sich Volksfeststimmung breit gemacht. Hunderte säumten die Straßen, um die Beteiligten zu sehen. Vor allem erwartete man die Aussage des berühmten Sir William Gull.
Bei der Anhörung selbst müssen sich Szenen wie in einem amerikanischen Gerichtsdrama abgespielt haben. Zeugen, die sich plötzlich nicht mehr erinnern konnten. Apotheker, die so viel Antimon an den Kutscher der Bravos verkauft hatten, daß man damit ganz London hätte ausradieren können. Königliche Leibärzte, die auf unsinnigen Thesen beharrten und schlussendlich auch ihr Heil im Vergessen suchten. Angehörige, die zusammenbrachen.
Und zwei Familien, deren Leben endgültig zerstört wurden.

Am schlimmsten aber traf es wohl Florence Bravo …
Anstatt den Todesumständen ihres Mannes auf den Grund zu gehen, stürzten sich alle auf ihre Affäre mit Dr. Gully. Vor allem die Anwälte der Familie Bravo machten vor nichts Halt.
Da durfte ungebremst Hintertreppentratsch verbreitet werden. Man wollte von den Zeugen bewertet sehen, wie glaubwürdig die Sorge und Trauer der Ehefrau waren. Ob Gully ihr einziger Liebhaber gewesen sei. Ach ja – und nicht zu vergessen: die Abtreibung!!!
Jene Abtreibung, die ganz offensichtlich dazu geführt hatte, dass die Gattin keine Kinder mehr austragen konnte. Und hat sie nicht auch gesoffen? Ja, natürlich! Wie viel Sherry hatte sie beim letzten Abendessen? Oh – und schon Champagner zum Mittagessen … Na, ja.
Man rief Dr. Gully in den Zeugenstand, der – wohl wahrheitsgemäß – aussagte, dass er Florence nach ihrer Heirat noch einmal getroffen hatte, da sie seinen Rat hatte einholen wollen. Dass er keinen Groll gegen Mr. Bravo gehegt habe und auch nicht für die anonymen Briefe verantwortlich sei, die dieser erhalten habe. Ja, die Trennung habe ihn tief getroffen, aber er habe Florence nur das Allerbeste gewünscht.

Auch dies nutzte nichts. Er blieb der geile alte Bock, der aus Rache möglicherweise den Nebenbuhler entsorgt hatte.

Das landete zumindest in den Zeitungen. Und nicht nur in den englischen. Tatsächlich berichtete man inzwischen international über den Skandal/ Mordfall.
Denn um einen solchen handelte es sich. Zumindest nach dem Entschluss der Jury. Diese kam nämlich zu dem Ergebnis, dass Charles Bravo ermordet worden sei, dass aber nicht feststellbar sei, wer dafür verantwortlich sei.

Daraufhin ermittelte Scotland Yard noch eine zeitlang, kam aber zu keinem Ergebnis und so wurde der Fall ad acta gelegt.

DAVOR – DANACH
Wie in allen solchen Fällen, konnten die Beteiligten ihr Leben ab der Tat in ein „Davor“ und ein „Danach“ einteilen, denn danach wird das Leben ein anderes.
So erging es auch den hier Beteiligten …

Florence:
Noch während der Anhörung verließ sie die Priory und zog – um dem Trubel zu entkommen – nach Brighton. Bald wurde die Brunswick Terrace, wo sie sich aufhielt, derart von Neugierigen belagert, dass sie sich nicht mal mehr am Fenster zeigen konnte, geschweige denn das Haus verlassen, ohne dass die Passanten stehen blieben und zu ihr hinstarrten.
Florence verließ Brighton in Richtung Buscot, um dort zur Ruhe zu kommen. Von dort ging es wieder nach London.
Sie zog zurück in die Priory, wo die meisten Dienstboten bereits den Dienst quittiert hatten.
Selbst die unentbehrliche „Janie“ Cox hatte ihre Sachen gepackt. Es war zwischen den beiden Frauen zu einer Auseinandersetzung gekommen, deren Ursache nicht bekannt ist, die aber zu einem endgültigen Bruch führte.
Der Vermieter der Priory drohte wiederum Florence, sie hinauszuwerfen, wenn sie nicht freiwillig packe, was sie auch tat. Ende September 1876 beauftragte sie Bonham and Son mit der Versteigerung des gesamten Inventars der Priory.
Das Zerwürfnis zwischen ihr und ihrer Schwiegerfamilie war endgültig, nachdem ihr Schwiegervater die Kanzlei seines Sohnes hatte versiegeln lassen und einer Durchsuchung zugestimmt. Dies unter Umgehung der Alleinerbin, Florence.
Die Veränderungen sollten auch ihren Niederschlag auf anderer Ebene finden: Florence änderte ihren Nachnamen in das weitaus unbekanntere „Turner“. Ausgerechnet den Mädchennamen ihrer verhassten Schwiegermutter …
Nachdem in London alles aufgelöst ist, zieht sie nach Southsea in die heutige „Eastern Parade“ mit Blick auf das Meer.
Ihr Alkoholkonsum gerät nun endgültig außer Kontrolle und sie verlässt das Haus praktisch nicht mehr. Selbst ihr von der besorgten Mutter beigerufener schottischer Onkel James Orr kann nicht mehr helfen. Das Angebot ihres Bruders, ihn nach Australien zu begleiten, lehnt sie ab.
Im Beisein des Onkels und ihrer Dienstmädchen, stirbt Florence gerade mal 33jährig am 17.9.1878 mit den Worten „Oh, I can’t breathe. Save me! Save me!“ an ihrem Alkoholmissbrauch. Der gleichen Krankheit, der ihr erster Mann erlegen ist.
Sie wird in einer Nacht,- und Nebelaktion auf dem Friedhof der St. Mary’s Church nahe Buscot in einem unmarkierten Grab beigesetzt.


Gedenkplatte
Buscot 2019


Übrigens findet man im Eingangsbereich der Kirche eine Liste der Gräber, dort ist auch die Gedenkplatte eingezeichnet, falls man sie vor Ort nicht direkt findet …

Mrs. Jane Cox
Nach dem oben erwähnten Streit, hatte Mrs. Cox all ihre Habseligkeiten gepackt und die Priory verlassen.
Da sie immer wieder als Mordverdächtige erwähnt wird, und als Beleg ihr prekäre finanzielle Situation im Falle einer Entlassung durch Mr. Bravo genannt wird, sollte man Folgendes erwähnen:
Mrs. Cox hatte einen Onkel und eine Tante auf Jamaika, die sehr wohlhabende Plantagenbesitzer waren.
Nach dem Tod des Onkels, teilte die Tante Mrs. Cox mit, dass sie sie als Alleinerbin im Falle ihres eigenen Todes eingesetzt habe.
Kurz vor dem Tod Bravos erkrankte die Tante schwer und bat Mrs. Cox dringend, nach Jamaika zu kommen, da es Leute gebe, die sich die Plantagen unter den Nagel reißen wollten und so sei es unabdingbar, dass sie vor Ort erscheine, um dies abzuwehren.
Selbst Joseph Bravo, den sie um Rat bat, empfahl ihr dringend, nach Jamaika zu reisen und Florence entbot sich, auf die Jungs aufzupassen, wenn diese Ferien hätten.
Im Oktober 1876 reiste sie mit ihren Söhnen nach Jamaika und tritt ihr dortiges Erbe an. Sie war jetzt eine vermögende Frau.
Jahre später kehrte sie nach England (Lewisham) zurück und verstarb auch dort. Sie ist in einem unmarkierten Grab auf dem Hither Green Cemetery beigesetzt.

Dr. James Manby Gully
Nach dem skandalösen Prozess, der seinen Ruf endgültig ruiniert hatte, kehrte er in die Orwell Lodge, nur Gehminuten von The Priory entfernt, zurück. Er ist von einem gefeierten Mediziner zu einem sozialen Paria geworden.
Er stirbt am 15.3.1883 an Krebs und wird auf dem Kensal Green Cemetery in London beigesetzt.

Mary Bravo
Charles Bravos Mutter stirbt 16.7.1877, also ein gutes Jahr nach ihrem Sohn. Sie hat sich von seinem Tod nicht mehr erholt.

Joseph Bravo
Charles‘ Stiefvater stirbt 1881.

Robert Tertius Campbell
Florence‘ Vater stirbt 1887. Er hatte sein Vermögen sowohl im Umbau von Buscot zu einem Vorzeigebetrieb, wie auch in den juristischen Kampf seiner Tochter gesteckt. Wegen nachlassender Gesundheit konnte er die Lücken nicht mehr auffüllen.
In seinem Todesjahr wurde Buscot an seine Gläubiger übergeben, die es wiederum an den Finanzier Alexander Henderson, den späteren Lord Faringdon, verkauften. Heute befindet sich das Anwesen im Besitz des National Trust, wobei der aktuelle Lord Faringdon noch immer mit seiner Familie dort lebt.

Bis zum heutigen Tage leben noch Nachkommen der Betroffenen dieses furchtbaren Mordfalles.

Spitting Image

Wir, die wir uns mit der Geschichte befassen, fragen uns immer mal wieder, wie die eine oder andere historische Persönlichkeit denn nun tatsächlich ausgesehen hat.
Natürlich gibt es immer wieder Beschreibungen von Zeitgenossen, doch die sind mit Vorsicht zu genießen.

WARUM?

Nun, ganz einfach – zum einen wird dem Zeitgeschmack bei den Beschreibungen Rechnung getragen. In der Zeit der Renaissance waren zum Beispiel Beine ungeheuer wichtig. Waren sie lang? Wohlgeformt?
Kein Wunder, mussten diese Körperteile doch viel mitmachen, sei es zu Pferde oder zu Fuß. Also taten sich die Zeitgenossen gütlich an den Beschreibungen der wohlgeformten Beine z.B. Heinrichs VIII von England.

Während des Barock nun galt der Körper des Königs/ der Königin nach wie vor als Körper des Landes. Schwächelte der König, schwächelte das Land. Deswegen waren Augenzeugen immer auch politische Berichterstatter.
Beschreibungen des Aussehens dienten immer auch einem diplomatischen Zweck.
Was übrigens bis in die Gegenwart gilt, denn das mehr oder minder gesunde Aussehen des Sowjetischen Staatschefs konnte weltpolitische Konsequenzen nach sich ziehen.
Immer wieder gerne zitiert wird die Wissbegier Elisabeth I von England, die sich wieder und wieder das Aussehen ihrer Rivalin Mary Queen of Scots beschreiben ließ.

Kehren wir aber in die Geschichte zurück. Und zwar in die Zeiten, wo wir noch nicht auf Fotografien zurückgreifen können.

Wer kennt ihn nicht – Heinrich VIII von England? Pompös- herkulischer Beherrscher Englands im 16. Jahrhundert. Berühmt vor allem wegen seiner sechs Ehefrauen, die größtenteils ein eher tragisches Ende nahmen. (Nicht nur diejenigen seiner Frauen, die er hat köpfen lassen …)
Seit dieser Zeit beschäftigen uns diese Ehefrauen, allen voran die tragisch- intrigante Anne Boleyn oder die schnöde verlassene Katharina von Aragon, die stur und stolz, selbst noch im kältesten Exil, an ihrer Liebe festhielt.
Es gibt nun zahlreiche Porträts der handelnden Personen, die besten unter ihnen von Hans Holbein d.J..
So war es Meister Holbein, der ausgeschickt wurde, das Porträt Anna von Cleve zu malen, um mit diesem die Liebe des Königs zu der deutschen Fürstin zu wecken. (Eingefädelt von Thomas Cromwell, was dieser noch zu bereuen hatte …)

Dass – zumindest in Heinrichs Augen – Abbild und Realität weit auseinander klafften, ist bekannt. Was aus der Ehe wurde, ebenfalls. Sie wurde geschieden, Anna blieb in England und wurde „Schwester des Königs“. Mit Heinrichs Kindern verstand sie sich sehr gut und blieb ein gerne gesehener Gast bei Hof.
Da sie sich dem König ohne zu zögern bezüglich der Scheidung unterwarf, blieb sie die einzige Ehefrau, die gut aus der Beziehung zu Heinrich herauskam.

An diesem Beispiel sehen wir, dass es auch in vergangenen Zeiten nicht unerheblich war, wie z.B. der künftige Partner aussah. Man suchte also nach möglichst lebensnahen Abbildungen der anderen Seite.
Diese Porträts in Öl kennen wir alle.
Ich will mich aber im heutigen Blog einer Technik, einem Material, widmen, das so nicht für uns alle direkt präsent ist. WACHS!

MADAME TUSSAUD und Madame Guillotine

Wie alle, die meine Posts verfolgen wissen, gilt mein besonderes Interesse der Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.

Wenn wir uns nun mit Wachsbildnissen in dieser Zeit befassen, stoßen wir zunächst auf Madame Tussaud, im Dezember 1761 als Anna Maria Grosholtz in Straßburg geboren.
Marie zog mit ihrer Mutter und deren Lebensgefährten, einem Wachsbildner, nach Paris, wo dieser eine entsprechende Ausstellung seiner Werke eröffnete.
Marie erwies sich als sehr begabt und fertige bereits mit 17 Jahren ihre erste lebensgroße Wachsfigur an.
Bereits jetzt im Pariser „Salon Curtius“ entwickelte sich ein System, das noch heute international in allen Madame Tussaud’s Niederlassungen präsentiert wird: Aktualität!
Ob es Politiker sind oder Popstars – bei Madame Tussaud’s findet man sie immer tagesaktuell.
Das geht so weit, dass Kopien der Brautkleider von Hochzeiten am englischen Königshof noch in der Nacht vor der Trauung an die Londoner Filiale geliefert werden und direkt am Hochzeitstag an den Figuren der königlichen Brautpaare bewundern werden können.

Für Marie Tussaud bedeutete dies im revolutionären Frankreich, dass sie nicht nur Revolutionäre wie Danton und Robespierre darstellte, sondern auch deren Opfer wie Ludwig XVI und seine Frau Marie- Antoinette.
Ihre Figuren kann man ebenfalls noch heute im Wachsfigurenkabinett bewundern. Ebenso wie die Klinge jener Guillotine, die sie ums Leben gebracht hat.
1794 erbte Marie das Kabinett von ihrem Ziehvater und 1795 heiratete sie den Ingenieur François Tussaud.
Doch das Schicksal schlug auch in ihrem Leben zu: als sie mit ihren Söhnen England bereiste, wurde ihre Familie Opfer der napoleonischen Kontinentalsperre. Sie sah ihren Mann nie wieder.
1835 eröffnete sie in der Bakerstreet ihr eigenes Wachsfigurenkabinett, das bis heute besteht.
Am 16.4.1850 starb sie 88jährig in London. Sie wurde auf dem katholischen Friedhof in Chelsea begraben.

Nun wären wir also bei jenem Material angekommen, um das sich dieser Blog eigentlich dreht: WACHS!

Wachs in meinen Händen …

Wie man an dem Foto unschwer erkennen kann, handelt es sich bei Wachs um ein Material, das relativ schnell zu schmelzen scheint. Umso mehr wundert es einen natürlich, dass Künstler ausgerechnet diesen empfindsamen Stoff nutzen, um solche Kunstwerke zu schaffen. Noch dazu – wieso bemüht man sich besonders bei diesen Porträts so sehr um Authentizität, dass man sogar Kleidung, ja gar Haare von dem Betreffenden nimmt und in dem Bild verarbeitet.

Nun, Wachs ist keineswegs ein solch empfindsames Material wie man allgemein denken mag.
Es ist vielmehr sogar relativ hitzebeständig, zumindest bei normalen Temperaturen. Es muss – anders als Ton – auch nicht gebrannt werden.

Tatsächlich aber hat Wachs speziell für die Porträt- Künstler seit der Antike einen ganz besonderen Vorteil: Mit keinem anderen Material kann man Haut derart perfekt nachbilden. Ein Grund, warum man in späteren Jahrhunderten anatomische Präparate bevorzugt aus Wachs gefertigt hat.

Ganz oben siehst du ein Porträt Ludwig XIV in Wachs. Wenig schmeichelhaft, doch deswegen sicherlich umso authentischer.


Hier nun die Porträt- Büste des Friedrich Josias von Sachsen- Coburg- Saalfeld, die ich vor Kurzem in der Veste Coburg aufgenommen habe. Es ist ungeheuer beeindruckend, wenn man vor dieser lebensgroßen Figur steht, die mit Echthaar des Prinzen und mit Teilen seiner Originalkleidung angefertigt wurde. Man könnte wirklich meinen, dass er einem gleich den Kopf zuwenden müsse und anfangen zu sprechen.

Und hier noch eine weitere sehr interessante Büste. Diesmal aus Norfolk/ England:

Wir sehen hier Lady Sarah Hare, die ihrem letzten Willen entsprechend als Wachsfigur verewigt wurde. Das Kleid, welches die Figur trägt, ist das der im Alter von 55 Jahren verstorbenen Lady.
„I desire to have my face and hands made in wax with a piece of crimson satin thrown like a garment in a picture hair upon my head and put in a case of Mahogany with a glass before and fix’d up so near the place were my corps lyes as it can be with my name and time of Death put upon the case in any manner most desirable if I do not execute this in my life I desire it may be done after my Death.“ (Quelle: www.findagrave.com)
Woran sie verstorben ist?
Sie stach sich beim Nähen ganz banal in den Finger und erlag in der Folge einer Blutvergiftung.
Ihr Abbild zeigt sogar die Warzen in ihrem Gesicht und ist damit von beinahe brutaler Ehrlichkeit.
Die Büste ist noch heute in der Kirche der kleinen Gemeinde Stow Bardolph zu finden. (Klingt wie aus „Barnaby“, oder?)
Was im Falle von Lady Sarah nicht geklärt ist, ist allerdings die Frage, ob das Gesicht nach der Totenmaske geformt wurde, oder noch an der lebenden Lady.

Wer nun nicht nach Coburg, Versailles oder Snow Bardolph fahren will, um jenen Menschen seinen Respekt über das Grab hinaus zu erweisen, der kann es auch einfach mal in Frankfurt mit der Skulpturensammlung im Liebieg Haus- Museum versuchen. Dort gibt es noch Porträtminiaturen aus Wachs zu bestaunen, die gegen diese in Lebensgröße direkt putzig wirken mit ihren 10 cm Durchmesser, und dennoch nicht minder beeindrucken.

Von denen Untoten …

Wenn wir wissen wollen, wie zumindest die englischen Monarchen in Wirklichkeit ausgesehen haben, lohnt sich ein Besuch in der Jubilee Gallery der Westminster Abbey in London.
Hier findet sich die größte Sammlung dieser lebensechten Wachspuppen, die bei den königlichen Beisetzungen mitgeführt wurden. Dadurch ist zum Beispiel das original Korsett von Elisabeth I erhalten geblieben, denn die Puppen wurden komplett mit den original Kleidungsstücken ausgestattet.
Doch nicht nur gekrönte Häupter kann man dort betrachten, auch die Puppe, die Lord Nelson, den Helden der Schlacht von Trafalgar darstellt. Hierbei handelte es sich allerdings nicht um eine „Funeral Effigy“, sondern um eine Art Werbeaktion, denn diese Figur wurde in Auftrag gegeben, nachdem Nelson in die St. Paul’s Kathedrale umgebettet worden war. Und nun wollte man in Westminster wenigstens diese Figur als Besuchermagnet haben.
Nelsons Geliebte, Emma Hamilton, bestätigte übrigens die frappierende Ähnlichkeit der Figur mit ihrem gefallenen Lebensgefährten und Vater ihrer Tochter.

Der Brauch, solche Figuren bei Beerdigungen mitzuführen, hatte wohl mehrere Ursachen. Eine davon lag sicherlich darin begründet, dass die Körper sehr schnell verfielen und bei einer Besetzung nicht mehr gezeigt werden konnten.
Außerdem sollte sicherlich mit diesem Abbild die über den Tod hinausweisende Bedeutung des Herrschers betont werden.
Eine gewisse Ausnahme bietet sicherlich Catherine, die Herzogin von Buckingham, die noch zu Lebzeiten ihre Figur in Auftrag gegeben hat und auch die Kleider dafür spendete. Aufgestellt wurde die Figur bereits zu ihren Lebzeiten neben der Figur ihres im Kleinkindalter verstorbenen Sohnes Robert.


Für uns heutige Menschen sind sie einfach eine wunderbare Gelegenheit, den längst verstorbenen Prominenten so von Angesicht zu Angersicht entgegenzutreten, als lebten sie noch, oder als wären wir in der Zeit zurückgereist.

Ein Blick in die Zukunft …
Wenn ich nun all diese Figuren so betrachte, denke ich mir, was für eine großartige Gelegenheit sie doch bieten, der Vergangenheit so authentisch wie nur möglich entgegenzutreten.
Morbide? Nicht wirklich.
Neugier ist etwas, das uns Menschen im Innersten mitgegeben ist. Es ist unserer modernen Zeit geschuldet, dass wir uns ihrer schämen sollen, weil sie immer wieder mit Respektlosigkeit in Verbindung gebracht wird.
Erinnern wir uns wieder unserer Wissbegier und schauen der Vergangenheit mutig ins Gesicht, denn sie ist unsere Zukunft.
Oder um Tolstoi zu zitieren: „Angst vor dem Tod? Nein. Das heißt doch nur, sich der Mehrheit anzuschließen …“