Die dunkle Seite der Kaiserin – Sisi als Fin de Siècle- Phänomen

Die dunkle Seite der Kaiserin – Sisi als Fin de Siècle- Phänomen

Als ich kürzlich in Ungarn war, ist mir einmal mehr aufgefallen, wie sehr Sisi die Menschen noch immer beschäftigt. Aber auch, wie sehr sie an ihrem eigenen Mythos gebastelt hat. In der Öffentlichkeit nicht wahrnehmbar, begann sie – einer Fantasiegestalt gleich – in den Köpfen der Menschen ihre Existenz.
Mich selbst hat immer besonders die ältere Sisi interessiert, denn ich hatte den Eindruck, dass sich alle Fäden ihres Lebens kurz vor ihrem Tod zusammenfinden und überhöhen.
Umso willkommener war mir das Buch, das ich heute vorstellen möchte und das sich mit Elisabeths letzten Jahren befasst.

Credit:Amalthea Verlag

Eines muss in diesem speziellen Fall vorangestellt werden: beim hier vorgestellten Titel handelt es sich um eine Neuauflage. Es hieß im Original „Mein Herz ist aus Stein“ und erschien bereits 2013.
Bei der Neuauflage kam ein Vorwort hinzu, das Cover wurde geändert und auf den Film „Corsage“ hingewiesen.
Dies hat sichtlich zu Irritationen bei Leserinnen geführt und sich in teilweise negativen Wertungen niedergeschlagen.
Ich persönlich finde, dass man sich verlagsseits diese Probleme hätte sparen können, wenn man Cover und Titel beibehalten hätte. (Allerdings finde ich das aktuelle Cover wesentlich ansprechender).

Was mich persönlich für das Buch eingenommen hat, war die Tatsache, dass es sich nicht um die 101. reine Biografie der Kaiserin/ Königin handelt, sondern ihr Leben unter einem bestimmten Aspekt betrachtet wird, nämlich als Fin de Siècle- Phänomen.

Beginnend mit der Hermes-Villa untersucht Lindinger nicht nur Elisabeths künstlerischen Geschmack, sondern inwieweit sie Modetrends ihrer Zeit aufgegriffen hat.

Mit ihrem Aussehen (groß und schlank) stand sie im krassen Gegensatz zum gängigen Zeitgeschmack, der füllige Frauen bevorzugte. Speziell auch in den Kreisen des (Hoch)Adels. Sie suchte und fand ihr persönliches Schönheitsideal dann bei den Malern der Zeit, die ihrerseits die mageren, dahinschwindenden Frauengestalten in das Zentrum ihrer Arbeiten stellten.

Es hat mich durch das ganze Buch hinweg immer wieder verblüfft, wie intensiv Elisabeth den herrschenden Zeitgeist aufgegriffen und sich an ihm orientiert hat.

Ich nehme nur ihre Art zu schlafen: nackt, bei offenem Fenster, eingewickelt in nasse Tücher. Natürlich ohne Kissen, denn Kissen versprachen Falten. Das Ganze orientiert sich an der Lebensreformbewegung, die in ihren unterschiedlichsten Ausprägungen ein „Zurück zur Natur“ propagierte.

Ist ja irre – Eine Kaiserin unter Verrückten

Dass Sisi sich intensiv mit dem Thema Geisteskrankheiten auseinandersetzte, ist bekannt. Wenn sie irgend konnte, drückte sie sich vor offiziellen Terminen, doch bei „Irrenhäusern“ machte sie eine Ausnahme. Im Gegenteil – dort verlangte sie, mit den Patienten sprechen zu dürfen und erkundigte sich eingehend über deren Symptome und Krankheitsverläufe.

Lindinger führt aus, dass es sich hierbei um ein nicht nur dem Zeitgeist geschuldetes Interesse handelte. Vielmehr häuften sich in Elisabeths Familie die Fälle von Geisteskrankheit, aber auch von Depressionen. Wo ihr Vater noch als „sonderbar“ und „exzentrisch“ galt, wurden sowohl ihre Schwester, als auch Ludwig II und sein Bruder Otto unter Vormundschaft gestellt. (Otto starb sogar in einer Nervenheilanstalt, die nur ihn beherbergte.)

Offensichtlich hatte Elisabeths Interesse damit zu tun, dass sie mehr über Geisteskrankheiten herausfinden wollte um ihre persönliche Disposition besser einschätzen zu können.

Kunst und Kaiserin

Besonders ansprechend finde ich in dem Buch den Zusammenhang zwischen Elisabeth Vorlieben in der Kunst und Literatur und ihrem eigenen Leben dargestellt. Lindinger schaffte es nicht nur, uns die biografischen Details vorzustellen, sondern auch einen Überblick über die (Avantgarde- Kunst) ihrer Zeit zu geben.

So regte mich die Lektüre dazu an, über Elisabeths Todessehnsucht und dem Werk von Künstlern wie Füssli oder Hirschl-Hilémy intensiver nachzudenken. Kann es sein, dass sie einfach Gleichgesinnte suchte und sie in diesen Kunstformen und Künstlern fand? Nach dem Motto: schaut – ich bin nicht die Einzige!
Was Elisabeth an Kunstwerken kaufte, hatte übrigens immer mit ihrer persönlichen Befindlichkeit, ihren persönlichen Vorlieben zu tun und weniger mit einem besonderen Gespür für sammelnswerte Objekte.

Spannend für mich war auch, wie nah Elisabeth und Ludwig bei der theatralischen Präsentation von Kunstwerken in ihrem Umfeld waren. Beide interessierten sich für moderne Technik und ließen die wo irgend möglich einbauen. Farbiges elektrisches Licht diente unter anderem dazu, Gemälde besonders hervorzuheben.

Die Kaiserin und die Toten

Der Tod ließ Elisabeth nicht los. Seit Ludwig II ums Leben gekommen war, befasste sie sich permanent mit dem Tod und dem Sterben. Schwarz wurde ihre bevorzugte Farbe (nicht erst seit dem Tod ihres Sohnes).
Sie besuchte in Palermo die Katakomben mit den zahllosen Mumien und widmete sich dem Okkultismus.
So sprach sie zum Beispiel mit ihrem Lieblingsdichter Heinrich Heine. (Warum nicht mit dem von ihr so verehrten Shakespeare, fragt man sich. Bekommt aber keine Antwort …)
Auch diesen Bereich zeichnet Lindinger sehr schön nach und gibt einem damit zahlreiche Anhaltspunkte, die zu einer tiefergehenden Beschäftigung mit dem Thema führen können, wurde im 19. Jahrhundert doch europaweit ein Totenkult in kaum je zuvor gekanntem Ausmaß gepflegt.

Der Kaiser, die Kaiserin und Frau Schratt

Für uns heute kaum vorstellbar und sicherlich nicht mit dem Romy Schneiderschen Sisi-Bild in Einklang zu bringen, ist die Tatsache, dass das kaiserliche Ehepaar förmlich in einer Ménage à Trois lebte.

Nicht nur, dass der Kaiser mit der Schauspielerin Katharina Schratt in einer der Öffentlichkeit bekannten Beziehung lebte – er hatte schon zuvor fast 14 Jahre mit Anna Nahowski eine Beziehung gehabt, aus der auch Kinder hervorgegangen sein sollen. So war angeblich die spätere Ehefrau des Komponisten Alban Berg eine Tochter des Kaisers.

Elisabeth wusste nicht nur um die Liebe des Kaisers zu Frau Schratt – sie förderte sie sogar noch und nannte die Schauspielerin ihre „Freundin“. Kein Wunder, denn so lange der Kaiser mit Katharina Schratt beschäftigt war, brauchte er Elisabeth nicht um sich.

Doch Lindinger betrachtet nicht nur eine Katharina Schratt als Person, sondern als Beispiel für all die Schauspielerinnen und Sängerinnen, die die Gesellschaft eroberten.
Bühnenstars begannen damals, den Adel als modisches Vorbild abzulösen. Auch Elisabeth bildete da keine Ausnahme. Bekanntlich engagierte sie ihre Leibfriseurin vom Burgtheater weg, wo sie für die Frisuren der Schauspielerin verantwortlich gewesen war.

Was nun die oft geflüsterte Eheschließung zwischen dem Kaiser und der Schauspielerin angeht, so gibt es zwei Hinweise auf eine solche: Zum einen will ein Brautpaar 1934 eine entsprechende Eintragung in einem Traubuch gesehen habe. Das Buch existiert allerdings nicht mehr. Zum anderen stellte nach dem Tod des Kaisers sein Nachfolger Karl Katharina Schratt seiner Ehefrau Zita vor.
Wäre Schratt nicht Ehefrau des Kaisers gewesen – so Lindinger – wäre dieser Vorgang unvorstellbar.

FAZIT:

Wenn man von dem irreführenden Cover absieht, handelt es sich um ein empfehlenswertes Buch über die Kaiserin. Vielleicht nicht zwingend für die erste Beschäftigung mit ihr, sondern, wenn man sie in dieser speziellen Facette als Repräsentantin des Zeitgeistes kennenlernen möchte.
Lindinger schafft es, die Kaiserin als das vorzustellen, was sie war: Ein Kind ihrer Zeit, wenn auch in einer sehr eigenen Art und Weise, denn es dürfte kaum jemanden gegeben haben, der ein derart selbstbestimmtes, ja egomanisches Leben hat führen können wie Elisabeth.

Es ist Lindinger anzurechnen, dass sie nicht in blinde Ehrerbietung verfallen ist, sondern auch die Schattenseiten der Kaiserin behandelt. (So wenn Elisabeth ihre eigene Tochter in einem Gedicht als „rackerdürre Sau mit ihren Ferkeln“ bezeichnet.)
Dazu kommt, dass Elisabeth im Normalfall sämtliche Bitten des Kaisers, sich ein wenig mehr zu zeigen, Termine in der Öffentlichkeit wahrzunehmen oder bei Staatsbesuchen dabei zu sein, ignorierte.
Elisabeth nutzte die Privilegien ihrer Position voll und ganz aus, verweigerte aber die daraus erwachsenden Pflicht ebenso entschieden.

Ich muss gestehen, dass Elisabeth für mich jahrzehntelang eine einzigartiges Phänomen von einer Frau war. Ich bin irgendwie immer davon ausgegangen, dass all ihrer Spleens und Eigenarten aus ihr selbst entstanden seien. Mithin auf ihrem eigenen Mist gewachsen. Das große Verdienst von Lindingers Buch besteht für mich persönlich darin, dass ich nun verstanden habe, in wie vielen Fällen die Kaiserin sich einfach an der künstlerischen Avantgarde ihrer Zeit orientiert hat. Inwiefern sie sich in der Kunst wiedergefunden hat und Gleichgesinnte entdeckt. Sie war endlich in ihrer ganz persönlichen Welt nicht mehr alleine.

FAKTEN:

Michaela Lindinger: Die dunkle Kaiserin: Elisabeths späte Jahre. Amalthea Verlag, 2024. 264 Seiten, 25€
zuvor erschienen als: „Mein Herz ist aus Stein – Die dunkle Seite der Kaiserin Elisabeth“. Amalthea Signum Verlag, 2013, 256 Seiten, antiquarisch

Mehr aus dem Verlag:

www.amalthea.at


Fun-Facts der Chromklasse

Fun-Facts der Chromklasse

Sisi – aus der Reihe „Populäre Irrtümer und andere Wahrheiten“
Credits: Klartext Verlag

Mit der Reihe „Populäre Irrtümer und andere Wahrheiten“ hat der Klartext Verlag eine wirklich unterhaltsame und kurzweilige Reihe aufgelegt, auf die ich bei meiner Suche nach Sisi- Titeln gestoßen bin.

Ich darf hierbei vorausschicken, dass der Titel der Reihe in meinen Augen etwas irreführend gewählt ist.
Tatsächlich erfahren wir hier nichts zu Irrtümern, sondern erhalten vielmehr spannende Einblicke in das Leben der Kaiserin und ihres Umfelds.

Zunächst muss man sagen, dann die Bände sehr wertig gemacht sind. Das Layout ist absolut einfallsreich gestaltet und macht schon alleine von daher Spaß. Die Seiten sind abwechslungsreich und präsentieren somit adäquat den unterhaltsamen Inhalt.

Ob es die drei Züge sind, die der Kaiserin gleichzeitig für ihre Reisen zur Verfügung gestanden haben oder, dass ihre Milchzähne erhalten geblieben sind – es gibt immer noch Dinge, die selbst die Sisi-Kennerin so nicht auf dem Schirm hatte.

Bislang hatte ich auch nicht gewusst, dass Sisi an keinem Eisenstück, ob Nagel oder Hufeisen, vorbeigehen konnte ohne es mitzunehmen.
Dahinter steckte tatsächlich Sisis Aberglauben.
Meine persönliche Mutmaßung ist, dass dieses Sammeln vom Wertstoff Eisen auch der Ursprung des „Stock im Eisen“ in Wien ist, über den ich in meinem Steady- Blog geschrieben habe.

Natürlich bleibt auch ihre Ermordung sowie ihr Nachruhm nicht unerwähnt. Wobei hier – nicht ganz unerwartet – Romy Schneider mit ihren Sissi-Filmen hervorsticht. So kitschig die Filme heute erscheinen mögen – sie bleiben doch die Ursache dafür, dass man sich der Kaiserin heute überhaupt noch erinnert.

Selbstverständlich habe ich auch nach inhaltlichen Fehlern gesucht, aber keine finden können. Das passt zu dem ganzen Buch: es ist unterhaltsam, aber nicht oberflächlich gemacht.
Kein Wunder, denn Andy Englert ist ein ausgewiesener Kenner der Materie: seit mehr als dreissig Jahren befasst er sich mit Königshäusern. Derzeit ist er – laut Klappentext – stellvertretender Chefredakteur von „Frau im Spiegel“ und „Royal“. Außerdem arbeitet er als Royal- Experte für das Schweizer Fernsehen SRF.

Und um es nicht zu vergessen: Am Ende gibt es einen Multiple Choice- Test, bei dem man schauen kann, ob man auch gut aufgepasst hat beim Lesen.

Wenn ihr euch beeilt und meinen zugehörigen Film auf meinem YouTube Kanal „KTT -Kronen, Tee und Traditionen“ anschaut, könnt ihr noch bis zum Wochenende beim Gewinnspiel mitmachen.
Der Klartext Verlag war nämlich so nett, ein weiteres Exemplar des Buches als Gewinn zur Verfügung zu stellen.

FAZIT:
Ich empfehle das Buch allen, die einen amüsanten Einblick in das Leben der Kaiserin suchen. Vielleicht auch ein kleines Mitbringsel für eine Sisi- Enthusiastin.
Für mich ist es ein wunderbarer Einstieg ins Thema „Sisi“.

Übrigens: Wer nicht genug kriegt von der unterhaltsamen Reihe: es gibt noch viel mehr Titel. Von ABBA bis Klima.
Schaut auf jeden Fall rein! (Spoiler-Alarm: Es gibt auch noch eine Besprechung von mir zum Titel „The Royal Family“ aus dieser Reihe …
Den Band über meinen Lieblingskomponisten Richard Wagner werde ich mir übrigens auch noch zulegen. Da bin ich schon sehr gespannt!

FAKTEN:
Andy Englert: Sisi – Populäre Irrtümer und andere Wahrheiten, Klartext Verlag 2023, 120 Seiten, 16,95 Euro

AUSBLICK:
Am Ende des Buches findet ihr übrigens eine Werbeanzeige für „Sissi – Köstlichkeiten aus der kaiserlichen Küche“ von Nicole Kleinhammer und Sebastian Kadas, ebenfalls aus dem Klartext Verlag. Und nun ratet mal, welches wunderbare Buch (ich schwöre – es wird euch umhauen!) ich demnächst kochenderweise vorstellen werde?!