Walter Bagehot sagte einst, der Monarch habe drei Rechte: Konsultiert zu werden. Zu warnen. Zu ermutigen.
Und das war’s.
War’s das aber wirklich?
Wir haben in der Schule noch gelernt, die Königin habe keine wirkliche Macht. Sie könne keine politischen Entscheidungen verhindern oder herbeiführen. Am Ende des Tages halte sie vor dem Parlament die Regierungserklärung, die der Premier ihr aufgeschrieben habe und ernenne die Personen, die vom Volk gewählt wurden.
Wenn man es also böse ausdrücken will, so sei der Monarch der teuerste Grüße-August der Welt.
Wie ihr nun wisst, schaue ich auf meinem Blog immer gerne etwas genauer hin und das Buch „Courtiers“ von Valentine Low hat mich nachhaltig eines Besseren belehrt als meine Lehrerin damals …
Tatsächlich gab es während ihrer Regentschaft sogar drei Gelegenheiten, bei denen die Königin ganz direkt in die Politik eingegriffen hat und das nicht unbedingt zum Vorteil des Landes …
Aber schauen wir uns die drei Fälle im einzelnen an:
Zwei Rücktritte und kein Glücksfall
Wir schreiben das Jahr 1957. Die Königin ist noch jung und politisch eher unerfahren. Sie bewegt sich in den gewohnten Kreisen des Adels und hat die besten Verbindungen zur Konservativen Partei, den Tories. Zudem verlässt sie sich gerne auf die Ratschläge der älteren Herren von Adel, die sie umgeben.
Im Jahr 1957 war Anthony Eden Premier Minister. Er wollte allerdings abdanken. Intern berieten sich nun Lord Salisbury und Lord Kilmuir, wer sein Nachfolger werden könnte.
In Fragen kamen R. A. „RAB“ Buttler und Harold Macmillan.
Nun fragt man sich natürlich: zwei Lords machen untereinander aus, wer der nächste Premierminister wird? Haben die Briten keine Gesetze, keine Verfassung, die so etwas festlegt?
Nun … Nein. Haben sie nicht. Zumindest keine Verfassung. Großbritannien basiert auf dem Gewohnheitsrecht und Gesetzen, denen Verfassungsrang zugebilligt wird, sowie dem Common Law.
In diesem speziellen Fall nun beschlossen die beiden Lords, dass es Harold Macmillan werden sollte und gingen mit diesem Ergebnis zur Königin, da die den Premier bestimmen musste.
Wäre die Königin nun politisch versierter gewesen, hätte sie wohl Butler den Vorzug gegeben. So beugte sie sich aber den beiden Lords und machte den ihr auch persönlich wesentlich lieberen Macmillan zum Premier.
Damit hatte also faktisch die Queen den Premierminister gewählt.
Nun war das nicht etwa ein einmaliger Vorgang, aus dem man lernte und entsprechende Gesetze erließ. Nein, bereits 1963 war es abermals so weit …
Nun war es Harold Macmillan, der schwer erkrankte und schnell verstand, dass er den Posten des Premiers abgeben musste. Er bat die Queen um Entlassung. Diese aber – persönlich sehr mit Macmillan verbunden – bat ihn, durchzuhalten. Er konnte es nicht und drängte auf Ersatz.
Jetzt gab es allerdings sogar drei Bewerber bei den Tories für dieses Amt: Der bereits bekannte RAB Butler, Lord Hailsham und Lord Home.
Nun traf Macmillan vom Krankenbett aus die Vorauswahl: Sein Ziel war, den ungeliebten, wenn auch politisch ungemein versierten, RAB Butler aus dem Feld zu schlagen. Als die Königin sich nun an ihn wandte, damit er ihr eine Empfehlung aussprechen solle (!), nannte er Home, den die Königin auch nahm.
Abermals war sozusagen entre deux der nächste Premierminister gewählt worden. Es wurde abermals weder die Tory-Partei, noch deren Vorsitz befragt.
Nicht zuletzt, weil Home sich als ziemlich unfähiger Premier herausstellte, nannten Kommentatoren diese Entscheidung der Königin „eines der größten politischen Fehlurteile ihrer Regentschaft“.
Wer nun erwartet hat, dass man nach diesem Fehlgriff endlich gelernt hätte, sollte sich getäuscht sehen. Gut – es brauchte ein paar Jahre, bis wieder etwas passierte, aber dann umso heftiger.
Wieder mal die Schotten …
Aber beginnen wir in Balmoral … respektive in der Crathie Kirk.
Wie an jedem Sonntag, den die Queen in den Highlands verbrachte, ging sie auch an jenem 14. September 2014 dort zum Gottesdienst.
Für Schottland in der Tat eine historisch wichtige Zeit, denn am 18. September sollten sie über ihre Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich entscheiden.
Es war – nachdem lange Zeit jene, die für den Verbleib im Königreich waren, vorne gelegen hatten in den Umfragen, inzwischen am Bangen, denn mittlerweile waren die nach Unabhängigkeit strebenden Kräfte gleichgezogen.
Und nun geschah dort oben in Balmoral etwas höchst Ungewöhnliches.
Seit Jahr und Tag versammelten sich am Fuß des kleinen Hügels, auf dem die Kirche liegt, allsonntäglich eine Handvoll Journalisten, um ein Foto des Königspaares zu schießen, wenn diese – im Wagen sitzend – zum Gottesdienst fuhren und dann wieder zurück. (Das Anwesen von Balmoral liegt praktisch einfach auf der anderen Straßenseite…)
An jenem Sonntag aber kam ein Polizist und bat die Journalisten, hoch zur Kirche zu kommen. Ihre Majestät werde einen Walkabout machen und Wartende begrüßen.
Die Journalisten glaubten nun, der Polizist mache sich einen Jux, folgten ihm dann aber doch nach oben. Und tatsächlich – was in Jahrzehnten nicht passiert war, geschah jetzt: Die Königin kam aus der Kirche, schüttelte Hände und sprach mit den Leuten.
Plötzlich rief eine Stimme aus der Menge: „Was denken Sie über das Referendum, Eure Majestät?“ Die Königin erwiderte: „Nun, ich hoffe, die Menschen werden sehr genau über die Zukunft nachdenken.“
Okay – Hätte Heinrich VIII das gesagt, hätten einige Leute angefangen, ihre Sachen zu packen …
Tatsächlich gingen diese nur scheinbar spontan geäußerten Worte augenblicklich über die Ticker und nicht nur die Scottish National Party schrie empört auf.
Nur allzu schnell wurde klar, dass die ganze Szene profund und unter Mitarbeit der Königin geplant worden war. Jedes einzelne Wort wohl erwogen, war überdeutlich, dass die Königin vor einer Loslösung Schottlands warnte.
Es wurde bald bekannt, dass die Königin mit diesem Auftritt direkt auf eine Bitte der Regierung Cameron hin gehandelt hatte. Dort hatten die letzten Umfrageergebnisse für einen heftigen Ausbruch von Panik gesorgt und man wollte die Königin als Trumpf-Ass aus dem Ärmel ziehen, wofür diese sich auch einspannen ließ.
Wer diesen Vorgang fragwürdig nennt (zumal wenn wir bedenken, dass es genau die Regierung Cameron war, die den Brexit initiiert hat), könnte durchaus auf der richtigen Seite gelandet sein.
Die Königin wurde also in einer demokratisch höchst fragwürdigen Aktion aus der Neutralitätsecke geholt und hat sogar selbst die Wortwahl vorgeschlagen, damit die Botschaft klar würde, aber dennoch geleugnet werden konnte, wenn es darauf ankommen sollte.
WOW!
Wenn also mal wieder jemand sagt, der Monarch sei zu unbedingter Neutralität verpflichtet, könnt ihr ruhig dazwischenhauen und rufen: „Balmoral 2014!“
Viele Schotten, deren Nein zur Unabhängig durch den Brexit abgewatscht wurde, werden dann wissend nicken.
Welches Fazit können wir aus diesen Ereignissen ziehen?
Ja, der Monarch ist zu strikter Neutralität angehalten, aber manchmal sind die Dinge eben nicht danach. Und so werden wir wahrscheinlich auch das eine oder andere Ereignis erleben, bei dem König Charles III den sehr schmalen Grat zwischen Neutralität und Einmischung finden muss.
Einen kleinen Vorgeschmack haben wir zu Beginn dieses Jahres bekommen, als Königin Camilla eine Ansprache anlässlich einer Feier ihrer Stiftung „The Queen’s Reading-room“ hielt und sich darin gegen die Änderungen von klassischen Texten durch übereifrige Wokeists verwahrte. Während sie den Künstlern Mut zusprach, ihre Werke zu verteidigen und zu ihrer Wortwahl zu stehen, stand der König nickend und lächelnd hinter ihr.
Es könnte also durchaus sein, dass dies seine neue Strategie ist, Dinge von der Königin sagen zu lassen, die er nicht sagen kann …