Man kriegt die Prinzessin aus dem Kaiserhaus – aber niemals das Kaiserhaus aus der Prinzessin!

So könnte man das Schicksal jener Prinzessinnen zusammenfassen, die in den letzten Jahren das japanische Kaiserhaus verlassen haben.
Andere hingegen sind freiwillig in den goldenen Käfig mitten in Tokio gestiegen. Wissend, dass es kein Zurück mehr für sie geben konnte. Der Preis? Ein sehr hoher! Sie bezahlten mit ihrer psychischen Gesundheit und ihrer menschlichen Integrität.

Es gab nach dem Krieg mehrere Prinzessinnen, beziehungsweise Kaiserinnen in Japan, die auch im Westen Schlagzeilen gemacht haben:

  • Kaiserin Nagako, Ehefrau von Kaiser Hirohito
  • Takako Shimazu, jüngere Schwester des zurückgetretenen Kaisers Akihito
  • Kaiserin Michiko, Ehefrau des zurückgetretenen Kaisers Akihito

Kaiserin Masako

  • Sayako Kuroda, Prinzessin Nori, Tochter von Kaiser Akihito
  • Mako Kamuro, Tochter von Kronprinz Fumihito
  • Prinzessin Kako, Tochter von Kronprinz Fumihito
  • Prinzessin Aiko, Tochter von Kaiser Naruhito

Damit hätten wir alle maßgeblichen (ehemaligen) Prinzessinnen und bürgerlichen Damen beisammen, die das Schicksal im Kaiserhaus zusammengeführt hat.

Kaiserin Michiko, geborene Michiko Shōda

Die bürgerliche junge Frau hatte den Kronprinzen Akihito auf dem Tennisplatz kennen,- und lieben gelernt. Sie entstammte einer römisch-katholischen Wissenschaftler-Familie und wurde nach westlichen Idealen erzogen.
Mit Michiko zog die Moderne in den Palast ein, denn das junge Paar erzog seine Kinder, allen voran Sohn Naruhito, selbst. Ein bis dato absolut unbekanntes Phänomen.
Es begann der „Michiko- Boom“. Die junge Kronprinzessin wurde bald das große Vorbild für japanische Frauen, die sich an ein neues Rollenbild wagten.

Allerdings kam dieses neue Leben mit einem Preisschild. Michiko, die ihrem Mann zeitlebens Stütze und Freundin ist, musste nicht nur mit der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit klarkommen.
Sie musste sich auch mit einer alles dominierenden Schwiegermutter herumschlagen, die ihr vom ersten Tag das Leben schwer machte, indem sie die junge Frau stets daran erinnerte, nicht die Richtige für den künftigen Tennō zu sein.
Das Ganze ging so weit, dass Michiko, die sich aber stets der Unterstützung ihres Mannes sicher sein konnte, in den 60er Jahren ihre Stimme zeitweise verlor. (Was für eine in jeder Hinsicht sprechende Erkrankung …)
Eine geplante China-Reise erklärte die Wucht der Angriffe auf Michiko. Die Politik hatte angefangen, mitzumischen. Man wollte dem Kronprinzen klarmachen, dass wenn er aus der Reihe tanzte, man sich den Menschen vornahm, der ihm am wichtigsten war: seine Frau!

Das Niedermachen Michikos bekam sogar einen eigenen Namen – „Michiko-Bashing“.

Als Akihito dann seinem Vater auf den Thron nachfolgte, wurde das Leben etwas leichter für die Kaiserin.

Der neue Kaiser begann eine Regentschaft, die mit ungewöhnlich vielen Naturkatastrophen einherging. Hätte man dies normalerweise als schlechtes Omen gedeutet, so nutzte das Kaiserpaar diese Katastrophen, um mit einigen alten Traditionen zu brechen: Zum ersten Mal sah man ein Kaiserpaar, das bei den Opfern kniete, sich ihre Erlebnisse anhörte und ihnen Trost zusprach.

Ein Kaiser auf Augenhöhe – unerhört.

Er ging sogar noch weiter: beim Besuch eines Altenheims spielte er mit einer Bewohnerin ein Kartenspiel. Der Einsatz war eine Nackenmassage. Der Kaiser verlor und begann, zur größten Begeisterung aller, die alte Dame zu massieren.

Immer wieder zeigte der Kaiser sich renitent, wenn es darum ging, dass die Regierung versuchte, ihn zu instrumentalisieren, oder gar, die Verfassung auszuhöhlen. Das Paar demonstrierte einen höchst eigenen Kopf, wenn sie sich zum Beispiel vor den „Banzai- Cliffs“ verbeugten, von denen sich aberhunderte Japaner zum Kriegsende hin aus Angst vor den Amerikanern und weil man es verlangt hatte, in den Tod gestürzt hatten.

Und nun schlug die Politik zurück.

Da man nicht gegen den Tennō vorgehen konnte, knöpfte man sich die Kaiserin vor. Ungehemmt prügelte man in den Medien auf jene Frau ein, die sich nicht wehren durfte.

Als sich dann der Super GAU von Fukushima ereignete, erwies sich das Kaiserpaar als die Stütze der Nation. Sie zeigten sich solidarisch und hielten sich an die gleichen Stromsparregeln wie Normalbürger.

Wichtig zu wissen ist, dass der Kaiser in Japan religiös- rituelle Bedeutung hat. Er symbolisiert tatsächlich Japan an sich. In dieser Funktion obliegen ihm diverse Riten, die nur der Tennō durchführen kann. Er ist auch der Fürsprecher für sein Volk bei den Göttern. Wenn das Volk leidet, leidet auch der Kaiser.

Die Bedeutung der Yellow-Press in Japan

Was das Kaiserhaus und die Frauen des Kaiserhauses angeht, so kommt den Massenmedien hier eine ganz besondere Bedeutung zu.

Da zum Beispiel der Kaiser als unantastbar gilt und sich deswegen offiziell sowohl die Politik als auch die Qualitätsmedien aus den alltäglichen Belangen des Kaiserhauses heraushalten, obliegt es der Yellow-Press die Lücke zu füllen.

Hier wird in den Artikeln mit einer Brutalität gegen missliebige Royals vorgegangen, die bei uns schlicht unvorstellbar ist.

Nicht nur Kaiserin Michiko bekam das zu spüren, auch andere – vor allem weibliche Mitglieder des Kaiserhauses werden attackiert, wenn man sich den Kaiser selbst nicht vornehmen kann. Politiker wiederum instrumentalisieren diese Medien, um ihre eigene Agenda durchzusetzen.

Selbst der Rücktritt des Kaisers Akihito stoppte die Jagdhunde nicht. Auch wenn sein Rücktritt wohl eine politische Ursache hatte. Es war die letzte Möglichkeit des Kaisers, ein Gesetz zu stoppen, das die Verfassung in seinen Augen bis zur Unkenntlichkeit entstellt hätte.

Takako Shimazu – So macht man das!

Die Schwester von Tennō Akihito verliebte sich in einen (ehemaligen) Adligen, dessen Vater den Grafentitel nach dem WKII hatte abgeben müssen und der nun als Angestellter einer Bank arbeitete. Wenn man ihn in westlichen Medien als „Bürgerlichen“ kennzeichnete, so muss man sagen, dass dies falsch war, denn tatsächlich ist er sogar ein Cousin ersten Grades und Nachkomme des letzten Daimyo.
Indem sie einen Adligen heiratete, nahm die Prinzessin das Beste aus beiden Welten mit: Wenn sie auch ihren Titel verlor, so bekam sie doch eine stattliche Mitgift und konnte ein normales, wenn auch privilegiertes Leben ansteuern.

Sayako Kuroda

Die Prinzessin hatte japanische Sprache und Literatur studiert und ist begeisterte Ornithologin. Nachdem sie 2005 einen bürgerlichen Städteplaner geheiratet hatte, legte sie nach dem Hausgesetz des Kaiserhauses, ihren Prinzessinnen- Titel ab, erhielt aber im Gegenzug über eine Million Dollar und startete ein Leben, wie es Harry und Meghan vorgeschwebt haben mag.

Tatsächlich übernimmt sie bis heute zahlreiche offizielle Verpflichtungen und ist dem Kaiserhaus nach wie vor eng verbunden.

2017 wurde sie Hohepriester des Ise-Schreins. Ihren Beruf hatte sie seinerzeit wie es von Japanerinnen erwartet wurde, aufgegeben, um sich einem Leben als Ehefrau und Mutter zu widmen.

Indem sie die Erwartungen erfüllte, wurde der von ihr gewählte Lebensweg weitgehend akzeptiert. Dennoch bleibt ihr Weg ungerecht, denn kaiserliche Prinzen müssen im Fall einer bürgerlichen Heirat den Hof keineswegs verlassen.

Ich denke, dies erklärt sich aus der alten (und bei uns früher ebenfalls gültigen Haltung), dass eine Frau bei ihrer Heirat in die Familie des Mannes eintritt. Dass dies kaum noch zeitgemäß ist in einer modernen Industrienation, dürfte keine Debatte brauchen.

Kaiserin Masako, geborene Owada

Sie hat ohne jeden Zweifel den schwersten Weg von allen.

Wurde sie auch nicht von einer bösartigen Schwiegermutter kujoniert, so hat(te) sie doch ein ganzes Volk gegen sich. Kein leichter Standpunkt …

Nun muss man vielleicht mal erklären, wie ein künftiger Kaiser allgemein heutzutage so an eine Ehefrau kommt … Das ist nämlich keine ganz einfach Sache.

Noch immer ist es nicht vorstellbar, dass er in Clubs geht oder sich in seinem Freundeskreis umsieht, oder gar bei Hofe. Dass er ein Mädchen datet, dass es irgendwann ernster wird und man sich dann verlobt etc. So wie es in europäischen Fürstenhäusern üblich ist.

In Japan bekommt der Heiratswillige Prinz eine Liste mit jungen Frauen, die man seitens seiner Eltern und der Hofhaltung für ihn als passend erachtet.
Er trifft sich dann mit dem Mädchen, dem man zu diesem Zeitpunkt bereits eröffnet hat, was von ihr erwartet wird.

So geschah es auch der Diplomatin Masako Owada.

Womit aber niemand gerechnet hatte – Fräulein Owada zeigte sich wenig beeindruckt. Sie wusste, was auf sie zukommen würde, und sie mochte es nicht.

Sie lehnte den Heiratsantrag so lange ab, bis man ihren Eltern zu verstehen gab, dass es nun genug sein mit dem Blümchen-rühr-mich-nicht-an-Spiel und, dass Masako endlich Ja sagen solle. Sechs Jahre Hin und Her seien genug. Selbst eine Flucht zum Studium nach Oxford nutzte nichts mehr. Der Kronprinz war entschlossen. Masako oder keine.

Der Druck wurde nochmals erhöht und nun bedrängten nicht nur Freunde und Kollegen die Eltern, sogar der Premier schaltete sich ein.

Endlich tat die junge Frau, was man von ihr wollte. Sie sagte Ja.

Und wenn wir uns alle an Prince Charles bemerkenswerten Satz „Whatever In Love means“ erinnern – Masakos Mutter hatte etwas Ähnliches am Start. Sie erklärte nämlich in die TV-Kameras: „Ich wünsche, dass sie für das Land hart arbeitet.“ WOW!

Nach der Hochzeit tat sie, was man weiterhin erwartete: Sie gab ihren Beruf auf und ging in ihren imperialen Pflichten auf. Es war wirklich ein Opfer, das die erfolgreiche Diplomatin da brachte.

Masako spricht mehrere Sprachen fließend (unter anderem Deutsch). Sie war in diplomatischen Missionen in der ganzen Welt unterwegs. Und nun war sie mit einem Mal nicht mal nur auf Japan zurückgeworfen, sondern auf den kaiserlichen Palast.

Nun hatte sie nur noch einen einzigen Job: Einen Thronfolger gebären.

War sie nun auch wahrhaftig nicht mit der Schwiegermutter aus der Hölle gestraft, so hatte sie im Gegensatz zu früheren Kaiserinnen ein wesentlich gravierendes Problem: Eine Nation war ihr auf den Fersen!

Monat um Monat verging ohne die frohe Botschaft. Die Nachfragen aus der Presse und aus dem Familienkreis schmetterte Naruhito mit Humor ab. Als Masako eine Erkältung erwischte, fragte man bei einer Pressekonferenz nach. Er reagierte humorvoll, dass wenn es zu hohe Wellen gäbe, man den Storch verschrecke. Nein, es sei wirklich nur eine Erkältung.

Dann aber wurde auch das Hofamt ungeduldig.

Nicht zuletzt weil es ja nun nicht gerade Kandidaten auf das höchste Amt in Hülle und Fülle gab.

Zwei Jahre nach der Hochzeit wartete die Nation – und das Hofamt – noch immer vergebens auf die gute Nachricht. Hatte sie früher bei Staatsbesuchen geglänzt, interessierte das jetzt niemanden mehr. Masakos Zeit lief aus.

Es tröstete wohl auch wenig, dass Nagano, die Schwiegermutter aus der Hölle und Ehefrau des Kriegs-Kaisers Hirohito, ganze neun Jahre gebraucht hatte, bis sie dem Land den ersehnten Thronfolger schenken konnte. (Möglicherweise war das der Grund, warum sie ihren aufgestauten Hass an ihrer – bereits nach einem Jahr schwangeren – Schwiegertochter Michiko ausließ und diese von allen und jedem für alles und jedes verantwortlich gemacht wurde.

Nach fünf Jahren begann das Ehepaar eine Unfruchtbarkeitsbehandlung. Masako wurde schwanger, verlor das Kind aber. Nun begann die Presse endlich, sich zurückzuhalten. Kein Rumhacken und Drängeln mehr, denn der Palast hatte klargemacht, dass die Fehlgeburt nicht zuletzt durch den Druck aus den Medien gekommen war.

Im Jahre 2001, acht Jahre nach der Hochzeit kam das so sehr ersehnte Kind. Eine Tochter. Aiko.

Ein Jahr nach Aiko Geburtstag durfte Masako dann auch zum ersten Mal wieder eine Auslandsreise antreten. Auf einer Pressekonferenz erklärte sie, dass ihr das schon gefehlt habe. Daraufhin zeigte man sich Palastseits überrascht, dass sie gerne gereist wäre. (…)

Damit war die Katze aus dem Sack: Zwischen dem allmächtigen Hofamt und der kaiserlichen Familie gab es ein Zerwürfnis.

Dies ging soweit, dass der Chef des Hofamtes in einer Pressekonferenz beiden Prinzenpaaren deutlich machte, dass sie ihre Aufgabe bislang nicht erfüllt hätten. Es fehle noch der Thronfolger.
Eine Indiskretion und Anmaßung, die ihresgleichen suchte. Zudem schien man sich an Masako rächen zu wollen. Man packte ihren Terminkalender so voll, dass sie gedroht haben soll, alles hinzuwerfen.

Und nun meldete sich ihr Körper: sie erkrankte an einer – wohl stressbedingten – Gürtelrose. Obendrein brach eine schwere Depression (wieder) aus. Ihr Zustand war so schlecht, dass sie oftmals morgens nicht mal aufstehen konnte.

Der Druck wurde so heftig, dass Naruhito vor die Presse ging und offen über den Zustand seiner Frau sprach. Ein unerhörter Vorgang. Er zeigte sich als besorgter Vater und Ehemann. Aber was die Öffentlichkeit umso mehr schockierte: Er machte andere für Masakos Zustand verantwortlich.

Der Leiter des Hofamts trat allerdings nicht zurück, sondern ließ nur von seiner Überraschung wissen und, dass er nicht wisse, was Naruhito damit wohl gemeint haben könne. Die Prinzessin leide an einer „Anpassungsstörung“ und das sei es dann.

Diese offenen Auseinandersetzung hatte dann allerdings eine positive Folge: Die Regierung legte einen Gesetzentwurf vor, der es Frauen ermöglichte, den Thron zu besteigen.

Hoch lebe Kaiserin Aiko!!!

Oder etwa doch nicht?

Nein. Ich bedaure.

Denn es kamen natürlich auch andere Vorschläge. Wie zum Beispiel der des Prinzen Tomohito von Mikasa, der eine Wiedereinführung des Konkubinats vorschlug. Damit hätte der Kaiser/ Kronprinz sich eine (oder mehrere) Nebenfrauen nehmen können, die dann für den männlichen Erben gesorgt hätten. Juristisch okay. Menschlich im 21. Jahrhundert vielleicht einen Hauch daneben.

Nach diesem Startschuss brachen andere aus den Büschen mit ihren Ideen: Man könne ja auch die nach dem Krieg aus dem Adelsstand und vom Hof verbannte Adligen wieder aktivieren. Diese könnten dann ihre Söhne ins Rennen bringen, indem der Kaiser einen von ihnen adoptierte. (Alles – nur keine Kaiserin, bitte!)

Wie der Autor Wieland Wagner recherchierte, kamen zum damaligen Zeitpunkt aber noch gerade mal zwei solcher Ex-Adliger überhaupt für eine Adoption in Frage. Also jetzt auch nicht gerade viel.

Diskutiert wurde aber auch, dass – sozusagen in einem ersten Schritt zur Gleichberechtigung – Prinzessinnen nach der Heirat bei Hofe bleiben könnten.

Doch dann kam die Meldung, mit der niemand mehr gerechnet hatte: Der Bruder des Kaisers, Prinz Akishino und seine Gattin Prinzessin Kiko haben einen Sohn. Prinz Hisahito!

Hatte man nun erwartet, dass Ruhe einkehren würde, und man Naruhito und seine Familie in Ruhe ließe, hatte man sich geirrt. Die Attacken gingen weiter: Man machte das Gegensatzpaar Naruhito – Masako / Fumihito – Kiko auf.
Erstere waren die Bösen, letztere die Guten, die ihre Pflicht getan hatten.

Wissenschaftler meldeten sich zu Wort, denen es schon nicht gepasst hatte, dass die Kronprinzenfamilie 2006 eine Einladung von Königin Beatrix angenommen hatte und mehrere Wochen auf Schloss Appeldoorn gelebt hatte. Beatrix kannte sich durch ihren Mann Claus mit dem Thema Depression aus und wollte der jungen Frau eine Auszeit ermöglichen.

Man legte dar, dass Naruhitos Verhalten ja sehr nett sei, wenn es sich bei ihm um einen Bürgerlichen handeln würde. Tatsächlich stünde er aber weit über den normalen Menschen. Er sei ein Symbol der Nation und als solches habe er sich in erster Linie um seine kaiserlichen Pflichten zu kümmern.

Man kritisierte auch, dass er seine Frau dahingehend unterstütze, dass sie Vorlesungen an der Universität Tokio belegte und zeitweise ganz bei ihren Eltern verschwand. Zudem wurde sie beim Essengehen mit Freunden gesehen. Tat das eine kranke Frau?

Ihr Aufenthalt bei ihren Eltern wiederum führte zu dem Gerücht, dass Naruhito sie verstoße und auf die Suche nach einer neuen, gesunden Frau gehe.

Das Gegensatzpaar Kiko – Masako eroberte nun die Titelseiten. Während Masako sich aus der Öffentlichkeit zurückzog und ihren Mann selbst wichtige Zeremonien und Termine alleine durchführen ließ, eilten Fumihito und Kiko von einem Termin zum anderen und gaben einen Vorgeschmack, wie sie das Kaiseramt ausüben würden.

Das ganze Geschrei rund um die beiden Paare endete erst 2016, als Kaiser Akihito seinen Rücktritt bekannt gab. Nun war Naruhito Tennō und damit über jeder Kritik erhaben.

Wen sollte man sich medienseits jetzt vorknöpfen???

Das war die große Frage. Sie sollte bald beantwortet werden …

Prinzessin Mako – Das Ende aller Herrlichkeit

Prinzessin Mako, Tochter des Kronprinzen Fumihito und Bei Komuro – Sie hatten sich 5 Jahre zuvor beim Studium kennen und lieben gelernt. 2018 sollte die Hochzeit stattfinden.

Was dann losbrach, sollte die schlimmsten Alpträume des Paares und ihrer Familien übertreffen.

Der vorgegebene Weg war zunächst klar: Mako würde ihre Stelle an einem Tokioter Museum aufgeben und den Hof verlassen. Mit dem Unterhalt des Hofes würde sie eine bürgerliche Existenz als Hausfrau und Mutter ansteuern.

Das gefiel den meisten nicht wirklich, denn die Öffentlichkeit hatte die junge, gebildete und fleißige Prinzessin zu schätzen gelernt. Soweit so alltäglich.

Dann aber begannen Reporter Keis Leben zu durchleuchten. Sie entdeckten seine verwitwete Mutter, die ihn alleine großgezogen hatte und entdeckten deren Ex-Verlobten.

Schlagzeilenträchtigerweise behauptete der, Kayo Komuro schulde ihm noch umgerechnet 30.000 Euro, die er ihr für die Ausbildung ihres Sohnes Kei geborgt habe.

Nun brach der Sturm los.

Kei wohnte mit Mutter und Großvater in einem kleinen Apartment in Tokio. Die Mutter arbeitete in einer Konditorei und Kei war Anwaltsgehilfe. Wie konnten die sich jene teuren Schulen überhaupt leisten, die der junge Kei besucht hatte?

Dass eine Prinzessin einen Bürgerlichen heiratete, kam nun allenthalben vor. Damit konnte man sich arrangieren. Dass sie aber einen Kleinbürger heiratete – das war unerträglich.

Eine Hexenjagd auf die Komuros begann. Da man an die Kaiserfamilie nicht herankam, nahm man sich die Kleinen vor.
Social Media stiegen ebenfalls voll ein.
Man bezeichnete Komuro als Mitgiftjäger und Hochstapler.

Das Ende vom Lied: das ausgelaugte Paar verkündete, dass man die Hochzeit verschieben werde. Kamuro ging zum Studium in die USA und die Prinzessin blieb in Japan. Doch auch in New York heftete man sich an Komuros Fersen und stellte Fragen.
Als Prinz Fumihito, der angehende Schwiegervater, einstieg und mitteilte, Komuro müsse erst dieses leidige Schuldenthema in Ordnung bringen, bevor über eine Hochzeit geredet werden könne, war das Rennen wieder im vollen Gange.
Es müsse ein Zustand hergestellt werden „dem viele Leute zustimmen und über den sie sich freuen“, teilte der Kronprinz mit.

Damit konnte nun jeder („viele Leute“) bei der Verbindung seiner Tochter mitreden.

Wer sich einzig noch hinter die Prinzessin stellte, war deren Schwester Kako. In einer Erklärung teilte sie der konsternierten Öffentlichkeit mit, dass sie hoffe, dass sich die Wünsche ihrer Schwester als Individuum erfüllen werden.
„Individuum“ – beinahe ein Schimpfwort in Japan, wo sogar das Wort „ich“ vermieden wird.

Komuro nun versuchte eine Klärung der Situation, indem er eine 28-seitige Erklärung veröffentlichte, in der er Punkt für Punkt versuchte, die Vorwürfe gegen seine Mutter zu entkräften. Mako ihrerseits meldete sich zu Wort und unterstützte ihn.

Das war unerhört. Die Nichte des Kaisers, Schwester des künftigen Kaisers, mischte sich in die Geldangelegenheiten von Kleinbürgern ein.

Und nun begann man sich zu fragen, wieso eigentlich jemand auf Biegen und Brechen versuchte, sein kleines, privates Glück durchzuboxen, während sie sich doch eigentlich dem Wohl des Thrones und der Nation unterordnen solle. Kratzte da jemand ganz allgemein am Existenzrecht des Kaiserhauses?

Hoch lebe die Olympiade!

Denn im Schatten der Tokioter Olympiade begann man, die lästige Sache aus der Welt zu räumen.
Man erklärte, die Prinzessin leide unter einer posttraumatischen Belastungsstörung bedingt durch die Hexenjagd.
Die Hochzeit war eine Minutenangelegenheit, an deren Ende die Braut mit ihrem Gatten in Richtung eines gemieteten Apartments verschwand. Die einzige menschliche Geste war die nicht vom Protokoll gedeckte Umarmung der beiden Schwestern.

Mitte November 2021 hatten Mako und Kei dann alles geregelt und konnten in ihre neue Heimat New York abreisen.

Und selbst hier hackte man noch auf ihnen herum. Als man ihre Economy Tickets ungefragt auf Business Class umbuchte und sie in New York durch die Kontrollen geschleust wurden, wurde in den heimischen Medien getönt, dass sie selbst jetzt noch eine Sonderbehandlung einfordern würden.

In New York angekommen, lebten die beiden unauffällig. Komuro hat die (angeblichen) Schulden seiner Mutter bezahlt und die Ex-Prinzessin auf den kaiserlichen Unterhalt verzichtet.
Komuro machte jedoch noch immer Schlagzeilen. Nun ging es um sein Jurastudium. Er verpatzte die Abschlussprüfung zwei Mal, was in Japan bedeutete, dass er ein unglaublicher Versager sei. Dass das bei dieser Prüfung in den USA normal war, ignorierte man. Im dritten Anlauf schaffte er es aber. (Wie auch John F. Kennedy jr. übrigens)
Diese bestandene Prüfung war übrigens sogar Topnachricht in den Nachrichten zur besten Sendezeit …

Der Krieg der Brüder

Nachdem das Mako- Drama beendet war, hätte eigentlich Frieden und Ruhe einkehren müssen. Die kaiserliche Familie hätte es sich unter Kirschblüten gutgehen lassen können und mit einer gewissen Ruhe an die Zukunft denken. Kaiserin Masako kümmerte sich gemeinsam mit ihrem Gemahl um die kaiserliche Seidenraupenzucht und Kronprinz Fumihito kümmerte sich mit der Gemahlin Kiko um die Erziehung des künftigen Tennō.

Doch – man ahnt es – es kam alles anders …

Prinzessin Aiko, mit der praktisch schon niemand mehr gerechnet hatte, spielte sich plötzlich mit einer Pressekonferenz wieder in die erste Reihe der Aufmerksamkeit.

Man muss wohl sehr naiv sein, wenn man es für einen Zufall hält, dass diese Pressekonferenz ausgerechnet an jenem Tag stattfand, als Prinz Hisahito, der künftige Kaiser, die Abschlussfeier seiner Schule besuchte.
Die Blicke der Nation richteten sich allerdings auf die charmante und intelligente Prinzessin, die in helles Gelb gekleidet, zu den Medienvertretern sprach.

Ein neues Gegensatzpaar trat damit an das Licht der Öffentlichkeit: Cousin und Cousine!

Während Hisahito sich um seine schulische Ausbildung kümmert und bei wichtigen Zeremonien dabei ist, nimmt sich Aiko derweil sozialer Themen an.

In der Öffentlichkeit aber verschob sich das Bild mit der Zeit: Die Medien begannen, Hisahito zu kritisieren. Das kleine Bub hatte für einen Absatz über die Ferien aus einem Reiseprospekt abgeschrieben. Man machte tatsächlich eine Plagiatsaffäre daraus. Als er auf einer prestigeträchtigen Schule angenommen wurde, diskutierte man, wie er bei seinen Leistungen diesen Platz habe ergattern können.

Arme kleiner Hisahito …

Und wie geht’s weiter?

Sowohl Hisahito als auch Aiko haben ein Problem: Ihre Heirat!

Sollte sich nichts am Medieninteresse und der Ignoranz der Politik ändern, dürfte Hisahito in ein paar Jahren die größten Schwierigkeiten haben, eine junge Frau zu finden, die bereit ist, sich in den Medien samt ihrer Familie schlachten zu lassen, nur um danach in einem goldenen Käfig zu verschwinden.

Auch japanische Mädchen haben heute andere Zukunftsvorstellungen als das „Heimchen am Herd“ zu spielen. Die Geburtenrate ist massiv im Rückwärtsgang und in keiner Industrienation geht die Überalterung der Gesellschaft so schnell vonstatten wie in Japan. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander und die Politik bleibt ebenso tatenlos wie in der Frage der weiblichen Thronfolge.

Sollte Hisahito also keine Braut finden, dann wäre die weibliche Thronfolge wieder ein akutes Thema. Vor allem, falls Aiko bis dahin einen Mann hätte.
Für sie gilt aber bis dahin der Weg aller heiratenden Prinzessinnen: Raus aus dem kaiserlichen Palast und hinein in das volle Tokioter Menschenleben.

Man kann somit feststellen, dass die Dinge im Fluss sind. Die japanische Gesellschaft wandelt sich und die Politik wird auf Dauer nachziehen müssen.

Für das Kaiserhaus wiederum stellt sich nicht die Frage, ob man sich wandelt, sondern wann. Dies allerdings setzt voraus, dass die Politik mitspielt, denn das Kaiserhaus selbst kann keinerlei Entscheidungen in diesem Zusammenhang treffen.

Der Tennō ist die Verkörperung Japans. Der Nachkomme der Sonnengöttin Amaterasu. Er ist die Brücke zwischen den Göttern und den Menschen.

Alles ist im Fluss.


Japan – Der fremde Bruder

Japan – Der fremde Bruder

Seit vielen Jahren fasziniert mich Japan. Genauer gesagt – seit ich damals „Shogun“ im Fernsehen gesehen habe. Die Schönheit der Landschaft, das Gemeimnisvolle der Menschen und ihrer Kultur.
Sie tun das Gleiche wie wir – nur anders. Das faszinierte mich.
Dann kam meine Begeisterung für die Bücher und das Leben von Yukio Mishima.
Ich schloss Freundschaft mit einigen Japanern und konnte immer noch nicht behaupten, dass ich dieses Land auch nur annähernd verstand …
Solltet ihr genauso empfinden und eine Antwort zumindest auf die eine oder andere Frage suchen, so kann ich nun endlich einen Buchtipp geben:

Wenn wir an Japan denken, dann fallen uns Samurai ein, das Kirschblütenfest, weiß geschminkte Gesichter in Kimonos gehüllter Damen und geheimnisvolle Tempel ein. Aber natürlich auch ein jahrhundertealtes Kaiserhaus.

Wie bei mir vielleicht nicht anders zu erwarten, möchte ich dem Kaiserhaus meine besondere Aufmerksamkeit schenken, wobei mir das kürzlich entdeckte Buch „Das Erbe des Tennōs“ von Wieland Wagner ein ganzes Stück weit geholfen hat.

ZUNÄCHST ZUM AUTOR:
Geb. 1959 in Eckernförde. Studierte Geschichte und Germanistik in Freiburg, London und Tokio. Dissertation über Japans frühe Expansionspolitik in Ostasien, ausgezeichnet mit dem Gerhard-Ritter-Preis. Von 1990 bis 1993 arbeitete er als Korrespondent für die Nachrichtenagentur Vereinigte Wirtschaftsdienste (VWD) in Tokio. Bis 1995 war er Wissenschaftlicher Assistent am Historischen Seminar der Universität Freiburg. Seit 1995 berichtet Wagner für den SPIEGEL aus Asien, bis 2004 zunächst mit Sitz in Tokio, anschließend in Shanghai, ab 2010 in Peking, ab 2012 in Neu-Delhi und von 2014 bis 2018 wieder in Tokio. Er ist Autor der SPIEGEL-Bücher: »Japan. Abstieg in Würde. Wie ein alterndes Land um seine Zukunft ringt.« (2018) und: »Das Erbe des Tennos. Die geheimnisvollste Monarchie der Welt und das Ringen um Japans Zukunft.« (2023) (Quelle: SPIEGEL)

Wir haben es also mit jemandem zu tun, der nicht nur die Sprache spricht, sondern auch schon viele Jahre in Japan lebt. Sicherlich Grundlage, wenn man vernünftig über das Kaiserhaus berichten will.

Die Kaiserliche Familie

Das ist wohl das wichtigste Bild dieses Posts. Hier findet ihr die aktuellen Mitglieder des Kaiserhauses.
Kaiser Akihito und seine Frau Michiko sind zugunsten ihres Sohnes Naruhito seinerzeit zurückgetreten.

Der Himmel ist fern – und der Tennō ist es auch

So könnte man die Analyse Wagners zusammenfassen.
Im Gegensatz zu europäischen Monarchien, hat der Tennō seit dem Zweiten Weltkrieg keinerlei politisches Mitspracherecht mehr.
Ja – die Verfassung untersagt ihm jegliche – auch nur annähernd – politische Äußerung.

Tatsächlich untersucht Wagner anhand der jüngeren Geschichte des Kaiserhauses wie es dazu kam.

Beginnend mit der Öffnung des Landes, über Kaiser Hirohito, der mit knapper Not seine Beteiligung am WKII überlebte, bis hin zum heutigen Nachfolgeproblem des Kaiserhauses, untersucht Wagner inwieweit der Kaiser wirklich von seinem Land losgelöst ist, oder doch eben dieses Land mit seiner kompletten Existenz repräsentiert.
Die Erkenntnisse hierzu werden im Laufe des Buches zu einem Spiegel der japanischen Gesellschaft an sich und so sehr die Politiker auch versuchen, das Kaiserhaus in eine nebulöse, hermetische Existenz abzudrängen und so für ihre Zwecke manipulierbar zu machen, so sehr scheitern sie doch an den kraftvollen und entschlossenen Persönlichkeiten, die eben jenes Herrscherhaus nach dem Krieg ausgemacht haben und noch immer ausmachen.

Distanz-Probleme

Der Tennō hatte seinen Platz seit jeher fern von den normalen Menschen und das änderte sich auch nach dem zweiten Weltkrieg nicht. Was sich aber änderte, war das Interesse der Bevölkerung am Kaiserhaus. Wie auch bei uns schien sich das Publikum zu spalten: die jungen Menschen interessierten sich überwiegend nullkommanull für die kaiserliche Familie, während vor allem die mittleren Altersschichten enormes Interesse zeigten.

Dazu muss man wissen, dass die kaiserliche Familie in einem abgeschotteten Areal in Tokio lebt und von den Bürgern nur zu wenigen Anlässen im Jahr gesehen wird. Die Aufgaben des Kaisers beschränken sich tatsächlich auf rituelle Handlungen, besondere religiöse Zeremonien, die er als Nachkomme der Sonnengöttin Amaterasu durchzuführen hat.

Was Wagner nun sehr schön präsentiert, ist die ungewöhnliche Rolle der Massenmedien in Bezug auf das Kaiserhaus.

Man kann beinahe von einer Dreiecksbeziehung sprechen: 1) kaiserliche Familie, 2) Politiker/ Regierung und 3) Boulevard-Presse.

Dazu muss man wissen, dass in Japan die Liberaldemokratische Partei praktisch ununterbrochen seit dem Kriegsende das Land regiert. Es gab nur wenige, kurze Zeitabschnitte, in denen sie gezwungen war, sich einen Koalitionspartner zu suchen.

Politische Parteien in Japan haben nun – laut Wagner – eher die Aufgabe, Pfründe zu verteilen, als zur Meinungsbildung beizutragen. (Wie es ihre vom Grundgesetzt z.B. in Deutschland festgeschriebene Aufgabe ist).

Seit Jahrzehnten nun versucht die Regierungspartei den Kaiser dem Blick des Publikums zu entziehen. Er darf sich nicht öffentlich äußern und hat lediglich rituelle Bedeutung. Dadurch wird aber ein Tennō zu einer Figur, die man nach Belieben manipulieren kann, da der Tennō niemals etwas richtigstellen darf.

Sprich: Eine Regierung kann bei jeder Entscheidung behaupten, dies sei so der Wille des Kaisers. Dieser ist hingegen zum Schweigen verdammt.

Aus diesem Grunde haben die Kaiser sehr elaborierte Wege entwickelt, ihre Meinung dennoch kundzutun. Diskrete Hinweise auszusenden. Ähnlich wie die Queen es zum Beispiel mit der Wahl ihres Schmuckes getan hat.

Was ich bei Wagner besonders spannend finde ist, wie er die Tatsache herausarbeitet, dass mittlerweile ausgerechnet der Kaiser zum Hüter jener pazifistisch- demokratischen Verfassung wurde, die die Regierungen jeweils aufzuweichen versuchen.

Mädchen oder Junge – Das ist hier die Frage

Wir wissen inzwischen, wie König Charles III die Frage einer schlanken Monarchie angeht: Er lässt nur noch wenige seiner nächsten Anverwandten als Working Royals zu.

Das japanische Kaiserhaus hat da ganz andere Probleme.
Wenn sie sich in kompletter Aufstellung auf dem Palastbalkon versammeln, um die guten Wünsche der Untertanen entgegenzunehmen, sind nur noch eine Handvoll Royals versammelt …

Wagner erklärt auch wieso:
Mit Ende des ersten Weltkrieges lösten die Amerikaner sozusagen das kaiserliche Konstrukt auf. Sämtlichen Adeligen wurden die Titel entzogen, sie mussten den Palast verlassen und sich eine bürgerliche Existenz aufbauen.

Dazu kam noch ein Geburtenproblem in der Kaiserfamilie selbst:
Hatte Kaiser Hirohito mit seiner Gattin Nagano noch sieben Kinder gezeugt, hatte sein Sohn und Nachfolger Akihitio nur noch drei Kinder.

Wäre diese Welt nun eine gerechte, stünden ein knappes Dutzend Personen auf dem Balkon.
Aber diese Welt ist nicht so.

In Japan gilt nämlich das rein männliche Erbrecht.
Das führte dazu, dass bis zum 6. September 2006 nur ein Mädchen für die Thronfolge in Frage kam: Kaiser Naruhitos Tochter Aiko.

Da am Horizont kein weiteres erbfähiges Kind auftauchte, legte die Regierung eine Gesetzesänderung bezüglich der Thronfolge vor: Nunmehr sollten auch Mädchen Kaiserin aus eigenem Recht werden können. Ein Erdrutsch im konservativen Japan.

Tja – und dann kam jener denkwürdige Tag, an dem der Palast bekannt gab, dass die Schwägerin des Kaisers, Prinz Fumihitos Gattin, schwanger sei.
Und an eben jenem Tag im September war klar: der neueste Zuwachs der kaiserlichen Familie war ein Junge: Prinz Hisahito.

Ruckzuck verschwand der Gesetzesentwurf zur weiblichen Thronfolge in der Schublade des Parlaments. Denn nun gab es einen potentiellen männlichen Erben des Chrysanthemen-Throns.

Wem das merkwürdig vorkommt – im 21. Jahrhundert – der wird sich gleich noch mehr wundern!

Das Problem des fehlenden männlichen Thronfolgers bestand ja nun mehrere Jahre. Und wie man sich vorstellen kann, meldeten sich zahlreiche Stimmen, die Lösungsvorschläge anzubieten hatten.

Die wohl für uns exotischste lautete: Wenn Kaiserin Masako nicht in der Lage ist, weitere Kinder, geschweige denn einen Sohn, zu produzieren, sollte der Kaiser sich eine (oder mehrere) Konkubinen, sprich Nebenfrauen, nehmen.
Eine solche könnte nämlich einen Thronfolger zur Welt bringen.
Für frühere Kaiser war das die gängige Praxis und nicht wenige Tennōs stammten von Nebenfrauen eines regierenden Kaisers. Das setzte sie in keiner Weise herab.

Wir ahnen es: Der Kaiser lehnte ab. Keine gebährfreudigen Konkubinen für den Kaiser.
Wenig verwunderlich, hatte doch der amtierende Tennō Naruhito über viele Jahre zu seiner Frau gehalten, die einer unmenschlichen Nachstellung durch die japanische Öffentlichkeit ausgesetzt gewesen war und auf diese mit einer schweren depressiven Erkrankung reagiert hatte.
Der Kaiser hatte sich stets vor seine Frau gestellt und das Amt des Kaisers alleine bewältigt. Dies war umso trauriger, als seine eigenen Eltern als Dream-Team agiert hatten. Es gab Akihito nur im Doppelpack mit Michiko. Dies hatte sich als äußerst erfolgreiches Rezept erwiesen.

Ein weiterer Vorschlag bestand darin, einen Thronfolger zu adoptieren. Auch das ist in Japan möglich. Es müsste ein Mann aus einem der ehemaligen Adelshäuser sein, die nach dem WKII abgeschafft worden waren.

Wagner untersucht nun, inwieweit der Vorschlag praktikabel wäre und kommt zu dem Ergebnis, dass eigentlich nur noch zwei ehemalige Adlige in Frage kommen würden.
Also ist auch hier die Luft dünn.

Kurz gesagt: Mit dem kleinen Hisahito hatte Japan seinen Thronfolger. Wenn die ganze Sache auch am sprichwörtlichen seidenen Faden hängt.

Denn man darf nicht vergessen: selbst ein Kronprinz kann sagen: „Danke. Aber – nein, Danke!“
Was, wenn Hisahito eines Tages entdeckte, dass er nicht in einem goldenen Käfig verschwinden mag? Was, wenn er keine Lust hat, eine schweigende, fremdbestimmte Marionette zu sein, zurückgeworfen auf den Ausführenden zahlloser Rituale, die mit dem Leben der Menschen jenseits des Käfigs praktisch nichts mehr zu tun haben?
Was, wenn er keine Frau findet, die bereit ist, ihr eigenes Leben und das ihrer Familie in der Öffentlichkeit sezieren zu lassen?

Dann gibt es immer noch Aiko und die Möglichkeit der weiblichen Thronfolge.

Und so ist zur Überraschung vieler Japaner inzwischen – laut Wagner – ein Wettrennen zwischen den beiden jungen Leuten und ihren Eltern um die Gunst des Landes losgegangen.
Denn Aiko, respektive die kaiserlichen Eltern, scheinen entschlossen, nicht kampflos aufzugeben. So positionieren sie die junge Frau immer wieder als die Zukunft des Thrones.

Übrigens hat Aiko – im Gegensatz zu Hisahito noch ein weiteres Problem: Wenn sie einen bürgerlichen Partner heiraten wollen würde, müsste sie das Kaiserhaus wortwörtlich verlassen. Sie bekäme 1 Million Dollar Abfindung und müsste sich im Zivilleben eine Existenz aufbauen. Nicht einfach, wie man bereits vorhandenen Beispielen sehen kann.

Es gilt:

Du kriegst die Prinzessin aus dem Kaiserhaus.
Aber niemals das Kaiserhaus aus der Prinzessin…


(Aber dazu wird es noch einen eigenen Artikel geben. Versprochen!)

Ihr seht – es bleibt spannend!

FAZIT:

Wieland Wagner gibt einen profunden Einblick in die neuere Geschichte des japanischen Kaiserhauses, das dennoch auch für Nicht-KennerInnen der Materie nachvollziehbar ist.
Ich selbst fand es spannender als einen Krimi.
Nicht zuletzt liegt Wagners große Leistung darin zu verdeutlichen, worin die einmalige Rolle eines Tennōs besteht. Wie sehr er tatsächlich sein Land verkörpert.
Man sieht dank dieses Buches nicht zuletzt den tieferen Zusammenhang zwischen dem Kaiserhaus und den politischen Kämpfen in Japan, was nicht zuletzt darin begründet liegt, dass das Nachkriegs-Kaisertum praktisch genauso lange an der Macht ist wie die Regierungspartei.

Wer also einen (Beinahe-) Insiderbericht über das japanische Kaiserhaus und seine Kämpfe sucht, das mit ungeheuer viel Sachkenntnis geschrieben wurde und dennoch spannend zu lesen ist, sollte unbedingt zu diesem Titel greifen.